In einer Sonderausstellung zeigt das Sépmüvészeti Múzeum in Budapest vom 18. Mai bis zum 30. September 2007 peruanische Archäologica aus vorspanischer Zeit unter dem Titel „... und es kamen die Inka“. Die Ausstellung präsentiert 322 Exponate aus Keramik, Holz, Metall, Stein und Textil, von denen etwa 200 aus dem Museo de América/Madrid stammen.1 Ihre Präsentation wurde zum Anlass genommen, ausgewählte Stücke zweier ungarischer Sammlungen (Néprajzi Múzeum/Budapest; Thury György Múzeum/Nagykanizsa) zu zeigen, die bisher kaum zu sehen waren.
Die Exponate entstammen dem zentral-andinen Raum, dem Gebiet des heutigen Peru. Sie decken eine Spanne von 2.700 Jahren bis zum Inka-Reich ab, das infolge der spanischen Eroberung (1532/34) zerfiel. Mit der Ausstellung wird die Entwicklung kultureller Ausdrucksformen als Spiegel religiöser Vorstellungen im zentralen Andenraum nachgezeichnet und die Inka-Zeit als letzter Höhepunkt eines langen Entwicklungsprozesses herausgestellt.
Auf ihrem Gebiet zählt die Ausstellung zu den Höhepunkten der letzten zehn Jahre. Im Gegensatz zu Projekten der jüngeren Vergangenheit, die mehr auf die Exklusivität ihrer Exponate setzten 2, ist die Budapester Ausstellung wissenschaftlich fundiert, indem sie den aktuellen Forschungsstand berücksichtigt.3 Sie hebt sich von anderen vergleichbaren Ausstellungen, wie der Sipán- (2001, Bonn) und der Nasca-Ausstellung (1999, Zürich) durch ihr breites zeitliches und geographisches Spektrum ab. Während die Sipán-Ausstellung das Inventar nordperuanischer Fürstengräber zeigte und damit in engen lokalen und zeitlichen Grenzen blieb 4, ging es den Kuratoren in Budapest um die Visualisierung der Interdependenz und Kontinuität kosmologischer Konzepte der zentralandinen Kulturen bis zur Inka-Zeit. Indem die Ausstellung die künstlerische Bedeutung der vorspanischen Kulturzeugnisse betont, ist sie zugleich ein Gang durch die peruanische Kunstgeschichte über 2.700 Jahre. Das Konzept der Nasca-Ausstellung war in dieser Hinsicht vergleichbar 5, blieb jedoch auf die frühen Kulturen der peruanischen Südküste beschränkt und bot damit im Gegensatz zu Budapest nur einen kleinen Ausschnitt.
Der ungarischsprachige Katalog enthält die Abbildungen aller Exponate sowie wissenschaftlich fundierte aber auch für Laien/innen verständliche Einführungen in die peruanische Prähistorie von international anerkannten Autoren. Weitere Texte gehen auf die wichtigsten Materialgruppen (Keramik, Metall, Textil) der Ausstellung ein.
Die Exposition ist chronologisch geordnet in zwei großen Sälen aufgebaut. Der Verbindungsgang dient ebenfalls als Präsentationsfläche. Thema des ersten Saales ist die Zeit bis 600 u.Z., wobei die Objekte durchgängig in freistehenden und allseits einsehbaren Glasvitrinen gezeigt werden. Der zweite Saal schließt zeitlich an den ersten an und endet mit der Inka-Zeit. In diesem Saal sind die Vitrinen nicht allseits einsehbar und raumteilend aufgestellt.
Den abgedunkelten ersten Saal betreten die Besucher/innen durch ein Tor und tauchen damit gleichsam in eine längst vergangene Welt ein. Indem der Blick bis auf die letzten Vitrinen frei gegeben ist, durchmisst das Auge die Epochen der peruanischen Kulturgeschichte und es wird bereits am Beginn der Ausstellung ein visueller Eindruck von der Interdependenz der vorspanischen Kulturen vermittelt. Die Replik des Lanzón-Monolithen stellt den Bezug zum zeitlichen Ausgangspunkt der Exposition her, der Chavín-Kultur (1.200 - 200 v.u.Z./0). Unter den Ausstellungsstücken sticht ein Golddiadem aus dieser Periode hervor, auf dem mit der Darstellung der sogenannten Stabgottheit ein Grundthema der andinen Religion repräsentiert ist. Bemerkenswert ist zudem ein Gefäß der Paracas-Kultur (300 v.u.Z. - 300 u.Z.), dessen Typ in öffentlichen Sammlungen selten vertreten ist.6 Es handelt sich um ein Doppelausgussgefäß, das als menschlicher Trophäenkopf gestaltet ist und als Vorlage der sogenannten Kopfgefäße der Nasca-Kultur (0 - 700 u.Z.) gilt, von denen im zweiten Saal eines zu sehen ist. Das Gefäß steht für die Kontinuität bereits früh entwickelter religiöser Konzepte und deren visueller Umsetzung.
Im zweiten Saal kann die visuelle Faszination, welche sich beim Betreten der Ausstellung auf die Besucher/innen legt, nicht aufrecht erhalten werden. Die Gestaltung folgte ausstellungspragmatischen Überlegungen, bestimmt durch die Präsentation wertvollster Textilien. Die im Vergleich zu den übrigen Exponaten teils sehr großformatigen Stücke der Inka-Zeit, wie ein Männerhemd (uncu) und ein Vorratsgefäß, stehen für den Höhepunkt der kulturellen Entwicklung im vorspanischen Peru. Die farbliche Gestaltung des uncu, des zugleich letzten Objekts der Ausstellung, ist die visuell umgesetzte Zusammenfassung eines Grundkonzeptes der andinen Kosmologie. Der alternierenden Farbgebung liegt ein dualistisches Weltbild zugrunde 7, dessen Symbolik bereits in der frühesten Ikonographie zu erkennen ist. Es spielte in den Vorstellungen aller zentral-andinen Kulturen eine wichtige Rolle bis hin zur allumfassenden Organisation des Inka-Reiches.
Ungarische und englische Objektbeschreibungen und längere Einführungstexte sowie der Einsatz audio-visueller Medien (Film, Video, Fotoprojektion, Hörtexte) ordnen die Exponate fundiert in ihren kulturhistorischen Kontext ein. Sehschwachen Besucher/innen kennzeichnen Bodenreliefs Orte, an denen sich betastbare Repliken von Ausstellungsstücken befinden. So kann auch diese Besuchergruppe die Ausstellung mit Gewinn besuchen.
Das breite Spektrum der Exponate bietet einen repräsentativen Einblick in die Entwicklung der vorspanischen Kulturen Perus. Die Ausstellung beeindruckt nicht nur dadurch und mit der Exklusivität ihrer Stücke, sondern auch durch eine hohe gestalterische Qualität. Diese beruht auf dem Konzept, die Exponate als vorspanische Kunstobjekte zu inszenieren. Diese Präsentationsform ist sinnlich ansprechend, da sie den Betrachtern Raum bietet, die ursprünglich mehrdimensionale Bedeutung dieser Archäologica wahrzunehmen.8 Um so bedauerlicher ist es, dass die ungarische Ausstellung in keinem weiteren Museum zu sehen sein wird. Ihr konzeptioneller Ansatz fördert die öffentliche Wahrnehmung nichteuropäischen Kulturgutes in europäischen Sammlungen und weist damit einen Weg, ihnen künftig eine höhere gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu sichern.
Anmerkungen:
1 Vgl. Museo de America (Hrsg.), …Y llegaron los Incas, Catálogo, Madrid 2006.
2 Morawetz, Wilfried u.a. (Hrsg.), Der Fluch des Goldes. 1000 Jahre Inkagold, Leipzig 2005.
3 So wurden neue Forschungsergebnisse wie etwa zu El Caral berücksichtigt, vgl. Eckhout, Peter, Hatalom és hatalmasok a spanyol hódítás elötti középsö-andokban, in: Lantos, Adriána; Gyarmati, János (Hrsg.) ...Ès akkor megérkeztek az Inkák. Sépmüvészeti Múzeum Budapest, Budapest 2007, S. 59-71, hier S. 62.
4 Kunst- und Ausstellungshalle Bonn (Hrsg.), Gold aus dem alten Peru. Die Königsgräber von Sipán, Ostfildern 2001.
5 Rickenbach, Judith (Hrsg.), Nasca - Geheimnisvolle Zeichen im Alten Peru (= Katalog, Museum Rietberg Zürich), Zürich 1999.
6 Schindler, Helmut, Die Kunstsammlung Norbert Mayrock aus Alt-Peru, München 2000, S. 51.
7 Hoquenghem, Anne Marie, Hanan y Hurin. Un modelo de la organización y
clarificación del mundo andino, Paris 1984.
8 Die Archäologica stammen in der Regel aus Gräbern als Beigaben für die Toten. Dennoch hatten sie vermutlich eine darüber hinausgehende Bedeutung, worauf ihre ikonographische Gestaltung ebenso hinweist, wie Benutzungsspuren an manchen Gefäßen.