Kunst und Kalter Krieg

Veranstalter
Los Angeles County Museum of Art (LACMA) in Zusammenarbeit mit der Kulturprojekte Berlin GmbH
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2009 - 06.09.2009

Publikation(en)

Cover
Barron, Stephanie; Eckmann, Sabine (Hrsg.): Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-89. Köln 2009 : DuMont Buchverlag, ISBN 978-3-8321-9145-0 459 S., 229 SW- und 310 Farb-Abb. € 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus M. Payk, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Die kulturelle Prägekraft des Kalten Krieges ist ein oft unterschätztes, andererseits aber auch nicht ganz leicht zu beurteilendes Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gleichwohl hat die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren eine Reihe gesicherter Erkenntnisse über die lebensweltlichen, mentalen und symbolischen Dimensionen dieses Konflikts vorgelegt. Als Zeithistoriker betritt man die Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg“ daher mit Neugier und Interesse, fragt sie doch mit ganz ähnlichen Absichten nach dem Einfluss der Systemkonkurrenz auf die Kunst in beiden deutschen Staaten. Derzeit im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg präsentiert, wurde die Ausstellung vom Los Angeles County Museum of Art (LACMA) in Zusammenarbeit mit der Kulturprojekte Berlin GmbH entwickelt und von Stephanie Barron und Eckhart Gillen kuratiert; ab Oktober 2009 wird sie im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen sein.

Gezeigt werden über 300 Werke von rund 120 namhaften Künstlerinnen und Künstlern aus der Bundesrepublik und der DDR, gegliedert in vier chronologisch angeordnete Kapitel. In der Nürnberger Fassung – denn nicht an allen Orten sind dieselben Exponate vertreten1 – werden jeweils zwei dieser Sektionen in einem gemeinsamen Raum gezeigt, so dass die Präsentation trotz der obligatorischen Raumteiler zuweilen etwas unübersichtlich ist. Dennoch ist die zeitliche Gliederung sinnvoll, erlaubt sie doch den ambitionierten Versuch, ganz auf die Sprache der Bilder zu setzen und also die Werke ost- und westdeutscher Künstler in einer gemeinsamen Hängung zu präsentieren. Mehr als einmal kann man beobachten, wie sich Besucher erst mit einem fragenden Blick auf die Informationstafeln darüber klar werden, wie sie ein Bild einordnen sollen.

Dieser Ansatz steht ganz in der Nähe jüngerer historiographischer Überlegungen, die auf eine integrative oder auch „asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte“ (Christoph Kleßmann) der beiden deutschen Teilstaaten abzielen. Auch die Ausstellung versucht, eine schroffe und beziehungslose Zweiteilung zu vermeiden und stattdessen nach den Parallelen, Konvergenzen und Wechselbeziehungen zu fragen: Bestand zwischen Bundesrepublik und DDR auf dem Gebiet der Kunst eine andere und größere Zusammengehörigkeit als auf dem Feld der konkurrierenden Politik- und Gesellschaftsentwürfe? Lassen sich Ähnlichkeiten in den Themen, Motiven und Darstellungsweisen beobachten, welche die politische Sprachlosigkeit zwischen Ost und West im Medium des Bildes transzendierten?

Die Suche nach einer Antwort beginnt in der ersten Sektion mit Reaktionen auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Gezeigt werden Zeugnisse einer existenziellen Erschütterung, Verzweiflung und Trostlosigkeit, wie sie etwa aus den Skulpturen von Georg Kolbe („Der Befreite“, 1945) oder Gerhard Marcks („Gefesselter Prometheus“, 1948/50) sprechen. Auch die Auswahl aus den Tuschezeichnungen von Wilhelm Rudolph zum zerstörten Dresden gehört hierzu, ebenso die verstörenden Fotografien von Richard Peter sen., welche Tod, Gewalt und Verheerung in dokumentarischer Nahaufnahme festhalten. Auf der anderen Seite lässt sich ein verbindender Zeitstil kaum erkennen – zu heterogen sind die Versuche, Diktatur und Krieg künstlerisch zu verarbeiten. Wie für die unmittelbare Nachkriegszeit vielfach festgestellt, dominierte ein widersprüchliches Nebeneinander von Neuansätzen und Rückwendungen, wobei sich der Kalte Krieg trotz Teilung des besetzten Landes allenfalls andeutete; von einer Spaltung der Kunst lässt sich für die Jahre bis 1949 trotz beginnender Formalismusdebatte jedenfalls kaum sprechen.

Dies änderte sich mit der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten, wie der zweite Ausstellungsteil demonstriert. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit wurden die konkurrierenden Ordnungsvorstellungen von Ost und West auch in der Kunst aufgegriffen und umgesetzt. Die 1950er-Jahre werden beherrscht von dem Gegensatz zwischen sozialistischem Realismus im Osten (gezeigt werden u.a. Heinz Löffler, „Aufbau der Stalin-Allee“, 1953; Otto Nagel, „Junger Maurer“, 1953; Heinrich Witz, „Der neue Anfang“, 1959) und abstrakter Kunst im Westen (u.a. Emil Schumacher, „Acheron“, 1958; Otto Piene, „Die Geschichte des Lichts“, 1958/59, sowie überhaupt die Gruppe ZERO). Zugleich wird verdeutlicht, dass eine simple Trennung zwischen ideologisierter und anti-ideologischer Kunst in dieser Form nicht aufgeht. Es wird nachdrücklich auf Hermann Glöckner hingewiesen, der seine konstruktivistischen Objekte, Plastiken und Collagen weitgehend abseits der offiziellen Kunstpolitik des SED-Staates schuf. Aber auch Parteigänger der sozialistischen Kunstauffassung waren nicht vor Kritik gefeit, wie es die Konflikte um das Buchenwald-Denkmal von Fritz Cremer belegen; dazu wird die erste, von offizieller Seite als zu unheroisch zurückgewiesene Fassung von Cremers Figurengruppe (1952) gezeigt.

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus intensivierte sich erst in den 1960er- und 1970er-Jahren, und sie bildet einen Mittelpunkt der dritten Sektion. Das ist naheliegend, mussten sich doch beide deutsche Staaten mit einer unliebsamen Vergangenheit arrangieren, auch wenn sie dies systembedingt auf unterschiedliche und konkurrierende Weise taten. Entsetzen über die NS-Gewaltherrschaft und Empörung über ihre fehlende Aufarbeitung wurden zumindest nur auf der und für die westdeutsche Seite grell hervorgehoben, woran sich gelegentlich auch eine markante Kapitalismuskritik anschloss. Die Ausstellung zeigt aus der Bundesrepublik Werke von Georg Baselitz („Bild für die Väter“, 1965), Thomas Bayrle („Nürnberger Orgie“, 1966), Markus Lüpertz („Dithyramb“, 1964), Gerhard Richter („Onkel Rudi“, 1965) oder Wolf Vostell („Auschwitz-Scheinwerfer 568“, 1958), denen das oft leidenschaftliche Bemühen um Aufklärung, Erinnerung und Anklage gemeinsam ist. Und ein solches Engagement wurde noch bis in die 1980er-Jahre fortgeschrieben, wie etwa die Bilder von so unterschiedlichen Künstlern wie Anselm Kiefer („Varus“, 1980), Olaf Metzel („Türkenwohnung. Abstand 12 000 DM VB“, 1982) oder Albert Oehlen („Führerhauptquartier“, 1984) erkennen lassen.

Deutlich wird in dieser Sektion auch, dass die Querbezüge zwischen beiden deutschen Staaten nachließen. Zwar gab es eine ganze Reihe von Künstlern, die aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelten und diese Erfahrung in ihren Arbeiten thematisierten. Doch daneben sind Bezugnahmen auf den jeweils anderen deutschen Staat oder gar die Vision deutscher Einheit immer seltener anzutreffen. Zu den Ausnahmen zählen etwa Jörg Immendorffs „Café Deutschland“, von dem je nach Ausstellungsort verschiedene Fassungen präsentiert werden (1977/78, 1980), oder auch Hans Haackes „Weite und Vielfalt der Brigade Ludwig“ (1984).

Dieser Trend setzt sich im letzten Teil der Ausstellung fort, welche den 1980er-Jahren gewidmet ist. Es überrascht nicht, dass beispielsweise der linksradikale Terrorismus, der die künstlerische Phantasie in der Bundesrepublik außerordentlich anregte, in der ostdeutschen Wahrnehmung nur eine untergeordnete Rolle spielte. Und während sich die westdeutsche Kunst immer weiter ausdifferenzierte, internationalisierte und auch unernster, spielerischer wurde, stieß die Kunst der DDR, trotz behutsam erweiterter Freiräume, immer öfter an die Grenzen der staatssozialistischen Doktrinen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie viel eindringlicher die ostdeutsche Fotografie im Gegensatz zur Malerei der DDR wirkt. Fantastisch sind etwa die (semi)dokumentarischen Fotos von Sibylle Bergemann, Helga Paris, Gundula Schulze Eldowy oder Maria Sewcz, die vom Alltag in einem unendlich langsam zergehenden Staat zeugen. Ähnlich eindrucksvoll sind zudem die Autoperforationsartisten, deren subversive Aktionen in Dresden und Ost-Berlin sich über Objekte, Foto- und Videodokumentationen erschließen lassen.

Im Ganzen stellt die Ausstellung eine beeindruckende, in ihrer Intensität und Dichte kaum irgend sonst anzutreffende Einführung in über 40 Jahre deutsch-deutsche Kunstgeschichte dar. Dass man die Ausstellung als Zeithistoriker gleichwohl etwas unbefriedigt verlässt, liegt an der Unterbelichtung des Kalten Krieges. Denn was hier unter dieser Überschrift geboten wird, ist bei näherer Betrachtung vor allem eine Geschichte der deutschen Teilung und ihrer Verarbeitung in der Kunst. Doch in dieser doppelstaatlichen Konkurrenz ging der Kalte Krieg nicht auf, und er erschöpfte sich auch nicht in der Aushandlung von Feind- und Selbstbildern. Vielmehr erzeugte der Systemkonflikt einerseits eine tiefgehende innere Mobilisierung der beteiligten Gesellschaften, die bis in die 1970er-Jahre unter dem Vorzeichen eines überbordenden (sozial)technologischen Fortschrittsoptimismus stand. Und auf der anderen Seite ging er mit einer (teils erzwungenen) Hinwendung zur jeweiligen Hegemonialmacht einher, zur Sowjetunion und zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die auch und gerade die deutsche Kunstproduktion tief beeinflussten. Beides kommt in der Ausstellung zu wenig vor, und in dem einen wie dem anderen Fall dürfte sich dieser reduzierte Blickwinkel aus der Beschränkung auf die etablierte Bildkunst erklären lassen. Hätte man auch Design, Architektur, Städtebau oder wenigstens die Populärkultur mit ihren Comics, Filmen und Fernsehserien einbezogen, so wäre möglicherweise ein facettenreicheres Bild der künstlerischen Prägekräfte während des Kalten Krieges in Deutschland entstanden.2

Wichtiger und auffälliger ist indes, dass ein zentrales und konstitutives Element des Kalten Krieges weitgehend ausgeblendet bleibt, nämlich die konstante Präsenz der nuklearen Bedrohung. Es ist an dieser Stelle schwer zu entscheiden, ob die Atombombe, das Wettrüsten, das „Gleichgewicht des Schreckens“ tatsächlich kaum Eingang in die deutsche Kunstproduktion gefunden haben; in der Ausstellung sind diese Aspekte jedenfalls ebensowenig vertreten wie die Stellvertreterkriege und Konflikte in der „Dritten Welt“ (mit dem Vietnamkrieg an erster Stelle). Würde sich diese Abstinenz deutscher Künstler bestätigen lassen, so läge darin freilich auch eine Aussage. Es ließe sich nämlich die These aufstellen, dass die beiden deutschen Gesellschaften gerade wegen ihrer Nähe ausdauernd darum bemüht waren, den Kalten Krieg in seiner nuklearen Dimension nicht wahrzunehmen oder diese allenfalls, wie Joseph Beuys, vor dem Hintergrund der eigenen Weltkriegserfahrungen zu thematisieren.3

Vielleicht ist eine derartige These überspitzt, und vielleicht liegt darin auch ein kunsthistorischer Dilettantismus, der den künstlerischen Objekten und ihrer Präsentation nicht gerecht wird. Doch die auffällige Abwesenheit des Kalten Krieges als realer Bedrohung – während gleichzeitig die NS-Vergangenheit oder der linksextreme Terrorismus breiten Raum erhalten – legt diese Vermutung eines unbewussten Ausblendens nahe. Weitere Forschungen zu den Erscheinungsformen des Kalten Krieges in den Bildwelten der beiden deutschen Staaten werden sich anschließen müssen; der Katalog enthält dazu bereits zahllose Anknüpfungspunkte. Es gehört zu den eindrücklichen Verdiensten der Ausstellung, den Blick auf die unsichere, vielfältige und variable Zurechenbarkeit im Wechselverhältnis von Kunst und Kaltem Krieg gelenkt zu haben.

Anmerkungen:
1 Siehe das Verzeichnis der Exponate im voluminösen und unbedingt empfehlenswerten Katalog, S. 357ff.
2 Maßstäbe gesetzt hat dazu die Ausstellung „Cold War Modern. Design 1945–1970“. Vgl. etwa Muriel Blaive, Utopian visions. The ‘Cold War’ and its political aesthetics, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 313-322; auch online unter <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Blaive-2-2008> (21.8.2009).
3 Es ist symptomatisch, dass Beuys’ Engagement für die Friedensbewegung in der Ausstellung nicht vorkommt. Vgl. z.B. das Lied „Sonne statt Reagan“, 1982, online unter <http://www.youtube.com/watch?v=DQ1_ALxGbGk> (21.8.2009).

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