Am 2. Mai 2012 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag Axel Cäsar Springers (1912–1985). Das wird Anlass für zahlreiche Erinnerungsartikel und kritische Auseinandersetzungen mit Verleger und Verlag sein. Trotz der auf den vorübergehend geöffneten Nachlass Springers fußenden ersten wissenschaftlichen Biographie1 sind noch viele Aspekte von Leben und Werk des Verlegers nicht hinreichend ausgeleuchtet. Einer besonders interessanten Dimension, Springers Verhältnis zu den Juden und zu Israel, widmet sich derzeit eine Ausstellung im Frankfurter Palais Rothschild, welches das Jüdische Museum der Stadt beherbergt.
Die erste große Fotowand (und auch das Cover des Kataloges) zeigt Axel Springer vom Ölberg auf Jerusalem schauend, Assoziationen an Mose aufrufend. Für Springer wurde Israel Ende der 1960er-Jahre tatsächlich zum Gelobten Land, wo er geehrt und willkommen war, während er in seiner Heimat längst zur Zielscheibe intellektueller und gewaltsamer Proteste sowie zum Objekt von Attacken der Konkurrenz geworden war. Gleichwohl blieb Springer Patriot: Der plakative Ausstellungstitel nimmt nicht nur eine BILD-Werbung auf („BILD Dir Deine Meinung!“), sondern spielt darauf an, dass Springer Deutschland und Israel, Berlin und Jerusalem geradezu heilsgeschichtlich miteinander verband. Die berühmten, in grauenhaftem Deutsch formulierten Unternehmensgrundsätze mit dem Ziel der Wiedervereinigung und dem „Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen; hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“2, sind nur der politische Niederschlag davon. Seine Liebe zu Israel verdankte der evangelische, spirituell interessierte Verleger wohl nicht einem einzigen Erweckungserlebnis. Seine zahlreichen Besuche im Land seit 1966 sowie seine vielfältigen Stiftungen und Freundschaften ließen ihn aber immer mehr zum unermüdlichen Streiter für Israel werden, wovon auch zahlreiche mahnende Briefe an Politiker zeugen.
Die von Dmitrij Belkin kuratierte Ausstellung konzentriert sich nicht auf die vielfach thematisierte Konfrontation Springers mit den „68ern“. Nur ein Raum ist den gegenseitigen Nazi-Vorwürfen (auch aus der DDR) gewidmet. Vielmehr begleitet sie das Verhältnis Springers zum Judentum und zu Israel von seinen journalistischen Anfängen bis über seinen Tod hinaus, denn der Verlag blieb einer strikt proisraelischen Grundlinie verpflichtet. Gleichwohl trifft die Ausstellung – ebenso wie eine vorbereitende Tagung3 – einen wunden Punkt der (ehemaligen) „68er“. Denn während der Verleger die BILD schon ausgiebig über den Eichmann-Prozess und die Auschwitz-Prozesse berichten ließ und die Israelis im Sechs-Tage- und Jom-Kippur-Krieg unterstützte, stilisierten sich viele „68er“ nicht nur anmaßend zu „neuen Juden“, sondern zeigten sich auch zunehmend antiisraelisch. Die Ausstellung thematisiert besonders die Attacken gegen Asher Ben Natan, den israelischen Botschafter in Bonn.
Wie sehr manche der damaligen Springer-Kritiker noch in ihren Schützengräben verharren, zeigt der Katalogbeitrag des Soziologen Detlev Claussen, der sich ganz als Zeitzeuge äußert. Es hätte den Beitrag wesentlich verbessert, wenn er in Kenntnis der anderen Artikel des Bandes geschrieben worden wäre. So kann Claussen sich Springers Beziehung zu Israel nicht anders als mit niedersten Motiven erklären („perfide[r] Ansatz der Vergangenheitsbewältigungsstrategie“, S. 166). Er wiederholt auch umstandslos die Schuldzuweisung des Jahres 1967 für den Tod Ohnesorgs, während er die Stasi-Verbindung des Schützen Kurras mit keiner Silbe erwähnt. Ähnlich ignorant gegenüber der Forschung zeigt sich der als weiterer Zeitzeuge befragte Daniel Cohn-Bendit, der die zunehmende Polemik in der „68er“-Bewegung gegen Israel zu eskamotieren trachtet. Auch ihm hätte ein Rundgang durch die Ausstellung und die Kenntnis des Kataloges gutgetan, denn er dekretiert tatsächlich: „Natürlich hat Deutschland eine Verantwortung zur Aussöhnung und muss der eigenen Geschichte in die Augen schauen. Dieser Diskurs wurde aber erst eröffnet [!] durch Springers Gegner – die Studentenbewegung.“ (Katalog, S. 208) Wie kann man in einen solchen Geschichtsmythos wohl die (im Gegensatz etwa zum STERN) intensive Berichterstattung von BILD und WELT über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965 einpassen (Beitrag von Werner Renz)?
Freilich war die Lage auch im Hause Springer komplexer, als es nach außen kommuniziert wurde. Denn hier arbeiteten jüdische Remigranten wie Ernst Cramer und ehemalige SS-Männer wie Horst Mahnke oder Paul Carell (eigentlich Paul Karl Schmidt) Tür an Tür. Die Hintergründe von Mahnke und Carell, die zuvor für den SPIEGEL geschrieben hatten, waren durchaus bekannt. Im Katalog wundert man sich über diese heterogene Umgebung Springers (Beiträge von Gudrun Kruip und Christian Plöger) und findet dafür keine rechte Erklärung. Eine stärkere Historisierung könnte hier Erkenntnisgewinn versprechen, ebenso ein Vergleich mit anderen Medien und anderen postdiktatorischen Gesellschaften.
Neben Reproduktionen von Zeitungsseiten, Anti-Springer-Flugblättern und Studentenzeitungen stehen Briefe, Fotografien und Leittafeln mit kurzen Informationen im Mittelpunkt der Ausstellung. Nicht immer unter geglückten Überschriften – so wird Hans Zehrer unter „Kontinuitäten zum NS-Journalismus“ rubriziert. Bekanntlich hatte der spätere Chefredakteur der WELT im „Dritten Reich“ de facto Berufsverbot. Lohnend wäre es sicher gewesen, auch in Springers Zeitschriften nach Spuren des Verlagskurses gegenüber dem Judentum und Israel zu schauen, was noch kaum gemacht wurde. Neben den dominierenden Bildtafeln werden auf zwei Videowänden eigens für die Ausstellung geführte Interviews mit Angehörigen und Gegnern des Springer Verlages gezeigt.
Das erwähnte Eingangs- und Coverbild des Kataloges machte im Mai 1970 Springers Sohn Sven Simon. Nach dessen Selbstmord (1980) schrieb Rudolf Augstein einen Kondolenzbrief an Springer, den dieser, so Franziska Augstein, fürderhin mit sich trug. Das zeigt, dass die Fäden innerhalb der „Hamburger Kumpanei“ nie ganz abrissen. Die Ausstellung fängt auch diese Komplexität gut ein. Sie zeigt Springer und sein Verlagsimperium in vielen Facetten. Im Katalog merkt man einigen Beiträgen freilich an, dass der Wille und die Fähigkeit zur Historisierung noch nicht da sind. So versammelt der Band ein großes Meinungsspektrum von vorbehaltlosen Bewunderern Springers wie Avi Primor und Amos Kollek bis zu unversöhnlichen Gegnern wie Claussen, Cohn-Bendit und Günter Wallraff.
Eine stärkere Historisierung könnte mit neuen Quellen gelingen. Leider ist Axel Springers Nachlass aufgrund der Intransigenz eines Erben aber weiterhin für die Forschung verschlossen. Immerhin konnte aus dem Springer-Archiv in Berlin ein privates Fotoalbum von Francis Ofner, Springers Vertrautem und Korrespondenten in Israel, verwendet werden, das Springer in Israel als glücklichen Menschen zeigt.
Die in eine ansprechende Architektur gehängte Ausstellung spielt mit dem plakativen BILD-Design, was ihre auf Kontrastmotive setzende Grundhaltung unterstützt. Damit ist sie in jedem Fall sehenswert; der Katalog changiert indes zwischen wissenschaftlicher Einordnung und fruchtlosen Nachhutgefechten.
Anmerkungen:
1 Hans-Peter Schwarz, Axel Springer. Die Biografie, Berlin 2008 (rezensiert von Gudrun Kruip, 10.12.2008: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-219> [23.3.2012]). Zu Springers Tätigkeit als Unternehmer siehe jüngst Tim von Arnim, „Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen“. Der Unternehmer Axel Springer, Frankfurt am Main 2012.
2 Die Urform der „Essentials“ formulierte Horst Mahnke Anfang der 1960er-Jahre – zunächst noch ohne die Verpflichtung auf Israel, aber unter Einschluss der Bekämpfung des Antisemitismus. Vgl. im Katalog den Beitrag von Gudrun Kruip, Mit ehemaligen Nazis gemeinsam zur Demokratie? Der Remigrant Ernst Cramer und seine Rolle im Axel Springer Verlag, S. 59-64, hier S. 62.
3 Vgl. den Bericht von Anne Gemeinhardt, 8.6.2011: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3675> (23.3.2012).