Dass Museen Einfluss auf menschliche Emotionen haben, ist nichts Neues – nicht in der Kunst, deren überwältigende Wirkung mit der Beschreibung des Stendhal-Syndroms sogar in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, und nicht im kulturhistorischen Kontext: Die frühen Kunst- und Wunderkammern sollten ihre (privilegierten) Besucher:innen ins Staunen versetzen1, die großen Museen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Zusammenspiel aus Architektur, Objekten und Verhaltensregeln die Herzen der Bürger:innen für die Nation gewinnen2, und neuartige Szenografien versuchen seit den 1990er-Jahren den Museumsbesuch zu einem alle Sinne ansprechenden Erlebnis zu machen.3 Die emotionale Wirkung von Ausstellungen auf Besucher:innen wird längst wissenschaftlich untersucht4 und konzeptualisiert.5 Ein relativ neues Phänomen scheinen dagegen Emotionen als konkreter Ausstellungsgegenstand zu sein: Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeigte 2018–2020 in Bonn und Leipzig „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“6, die Pinakothek der Moderne in München präsentierte 2019/20 „Feelings. Kunst und Emotion“7, die Franckeschen Stiftungen in Halle eröffneten im März 2022 ihre Jahresausstellung „Die Macht der Emotionen“8, und die Historikerin Ute Frevert legte 2020 mit „Mächtige Gefühle“ eine deutsche Emotionsgeschichte vor, die aus der von ihr selbst und ihrer Tochter Bettina Frevert konzipierten Wanderausstellung „Die Macht der Gefühle. Deutschland 19/19“ entstanden ist.9
Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg (HDGBW) in Stuttgart befindet sich mit seiner 2020 gestarteten Ausstellungstrilogie „Gier. Hass. Liebe.“ also auf der Höhe der Zeit. Aktuell zu sehen ist Teil zwei der Reihe, die große Sonderausstellung „Hass. Was uns bewegt“. Die Entscheidung der Stuttgarter Kurator:innen für ein so großes, schwer greifbares und – nun ja – emotionales Thema wie Emotionen (bislang eher zu erwarten im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden10), überrascht nur im ersten Moment. Denn in eine ähnliche Richtung gingen bereits frühere Sonderausstellungen des HDGBW („Gefühle, wo man schwer beschreiben kann“, zum Fußball im Südwesten, 201011, oder „Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne“, 2014/1512) sowie die szenografischen Raumbilder der Dauerausstellung. Der Sonderausstellungsraum liegt im Untergeschoss, und der Weg dorthin eröffnet einen ersten Blick über die im Dunkeln liegende, nur spärlich beleuchtete Ausstellungsfläche von ca. 500 Quadratmetern mit einem Dickicht aus grünlich-blauen Seilen und schwarzen Gerüstkonstruktionen (Gestaltung: büroberlin). Erster Eindruck zum Thema Hass: Man steigt hinab in die verworrenen und düsteren Untiefen des Menschseins.
Abb. 1: Prolog der Ausstellung
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)
Der Ausstellungsparcours beginnt mit drei lebensgroßen Videostelen, auf denen verschiedene Menschen zu sehen und zu hören sind. Sie verkörpern die Emotionen Gier, Hass und Liebe und buhlen in direkter Ansprache um die Gunst der eintretenden Besucher:innen. Indem sie nicht nur die Position, sondern auch ihre Charaktere wechseln, wird deutlich, dass es mit der Eindeutigkeit der Emotionen nicht so leicht ist. Der Auftakt scheint für alle drei Teile der Ausstellungstrilogie gleichzubleiben; er verdeutlicht den Anspruch der Ausstellungsmacher:innen, „konzeptionell, gestalterisch und medial eine Einheit“ zu schaffen.13 Folgerichtig sind in der Ausstellung sowohl Elemente der „Gier-Schau“ in Form von herabhängenden, goldenen Bändern14 und Ausblicke in die „Liebes-Schau“ in Gestalt roter, runder Schaufenster eingewoben, die das düstere Schwarz der „Hass-Schau“ unterbrechen. Der Leittext eröffnet: „Emotionen machen Geschichte. Sie beeinflussen nicht nur das Handeln Einzelner, sondern auch politische Prozesse und die Entwicklung unserer ganzen Gesellschaft. Sie können Gruppen einen oder spalten, werden politisch gefördert oder unterdrückt, gelten als Leitbilder oder Sünden. Gesellschaftlich besonders wirksam sind Gier, Hass und Liebe.“ Eine Erklärung, was gerade diese drei Emotionen zu „Schlüssel-Emotionen“ des Menschseins macht – und nicht etwa auch Freude, Angst, Trauer und Wut –, bleiben der Text und das vorhandene Begleitmaterial leider schuldig. Möglicherweise wird der Ausstellungskatalog Aufschluss geben; dieser erscheint jedoch erst anlässlich von „Liebe“ für die gesamte Trilogie.
Neben den Videostelen werden zwei Objektensembles gezeigt. Das erste dokumentiert den Fall des Obdachlosen Johann Babies, der 2003 in Neulußheim von mehreren Jugendlichen so stark misshandelt wurde, dass er an den Folgen starb. Das zweite Ensemble lässt Niko Daoutis aus Backnang zu Wort kommen, der auf Grund seiner geistigen Behinderung zeitlebens Anfeindungen seiner „Mitmenschen“ ausgesetzt war und ist. Dieser Prolog berührt – er führt gut in das Thema und in die Funktionsweise der Ausstellung ein, die historische und aktuelle Objekte mit Texten, Videos und Hörstationen kombiniert, eingebettet in eine sehr präsente Gestaltung. Nahezu alle Geschichten und Exponate stammen aus Baden-Württemberg. Sie vermitteln auf fast beiläufige Art, dass es Hass (ebenso wie Liebe und Gier) überall gibt, wo es Menschen gibt. Will man dies nicht einfach hinnehmen, gilt es, den Hass zunächst einmal wahrzunehmen und sichtbar zu machen. Und das versucht die Ausstellung im Folgenden anhand von knapp 200 Objekten aus circa 200 Jahren in neun thematischen Stationen aus jeweils drei bis fünf Geschichten mit wiederum unterschiedlich vielen Exponaten und Objektarten. Das Zentrum aller Hass-Dimensionen bilden aus Dreiecken zusammengesetzte Säulen mit Bereichstext und Fotos oder Projektionen, die an DNA-Stränge erinnern lassen und (gewollte?) Assoziationen zu Hass als etwas Biologisches oder Menschliches evozieren. So mag der Eindruck entstehen, „dass Hass hier eher als zeitlose anthropologische Konstante denn als kulturell geprägte und wandelbare Emotion erscheint“.15
Abb. 2: Themeninsel „Revolutionärer Hass“
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)
Der ausgestellte Hass in order of appearance: nationalistisch, revolutionär, linksextremistisch, judenfeindlich, rechtsextremistisch, rassistisch, islamistisch, LSBTTIQ*-feindlich, frauenfeindlich. Da eine chronologische Erzählung beim Thema Hass kaum möglich ist, der Rundgang aber dennoch mit den ältesten Exponaten beginnt, erschließt sich die gewählte Reihenfolge nicht ganz. Die räumliche und inhaltliche Gleichbehandlung der verschiedenen Hass-Dimensionen irritiert, wäre hier doch eine bewusste Schwerpunktsetzung möglich und vielleicht sogar wünschenswert gewesen. Zudem kommen Zweifel auf, ob die gezeigten Geschichten wirklich präzise mit dem Wort Hass zu greifen sind, da sie im Einzelfall doch sehr unterschiedlich sind. Was hat beispielsweise Friedrich Heckers „revolutionärer Hass“ gegen die bestehende Ordnung der Monarchist:innen von 1848 gemein mit dem „rassistischen Hass“ der Ausschreitungen von 1992 gegen Asylsuchende in Mannheim-Schönau? Und mündet Hass zwingend in Gewalt, oder setzt physische Gewalt unbedingt Hass voraus?
Abb. 3: Themeninsel „Judenfeindlicher Hass“
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)
Überzeugender als der Versuch einer großen Erzählung des Hasses durch die Jahrhunderte sind die einzelnen Ensembles. Mal funktionieren die Stimmen der Egodokumente in Form von Briefen, Akten und Tonaufnahmen, mal die bloßen Objekte, meist beides. So entfaltet der dunkle Ledermantel des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß allein durch seine Präsenz und das Wissen über seinen Träger ein fast körperliches Gefühl des Unbehagens, noch gesteigert durch Hößʼ Aussage nach Kriegsende, er habe „persönlich Juden nie gehasst“. Das „Set für die ärztliche Untersuchung und Spurensicherung nach einem Sexualdelikt“ (2020) lässt durch seinen Umfang und technischen Charakter nur erahnen, welche Belastung es sein muss, nicht allein den Schmerz und das Trauma der Tat aushalten, sondern gleichzeitig (und sofort) weitere körperliche Eingriffe auf sich nehmen zu müssen, um Beweise zu liefern. Und der Satz „Ich zog das Kopftuch an und da ging für mich dann die Hölle los“ neben einem Hidschab reicht aus, um die Irrationalität von rassistischem Hass zu offenbaren. Die Verwendung vieler Zitate und O-Töne als Überschriften für die einzelnen Stationen erzielt über die gesamte Ausstellung eine Direktheit, die wirkt.
Abb. 4: Themeninsel „Frauenfeindlicher Hass“, Installation zu Femiziden und häuslicher Gewalt
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)
An manchen Stellen lässt die Stuttgarter „Hass-Schau“ leider die letzte Konsequenz vermissen: Warum wird beispielsweise trotz einer Station zu LSBTTIQ*-feindlichem Hass nicht durchgehend auf gendergerechte Sprache gesetzt – sondern allein in eben dieser Sektion? Weshalb ist die Säule zu frauenfeindlichem Hass mit einer Triggerwarnung versehen, wohingegen beim Objektensemble zu rechtsextremer Musik minutenlang Rechtsrock mit expliziten Texten gehört werden kann? Bräuchte eine Ausstellung über Hass nicht insgesamt eine Triggerwarnung? Umso erfreulicher hingegen sind das begleitende Projekt „eMotions“16 und das ausführliche hybride Rahmenprogramm. Neben Führungen, Workshops, Lesungen und Gesprächen entstanden und entstehen so in Kooperation mit Künstler:innen, Hochschulen und Amateur-Ensembles gemeinsam mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und aktivistischen Initiativen diverse Tanz-, Musik- und Videoperformances über Diskriminierungserfahrungen und den Umgang damit (wie für „Gier“ hoffentlich auch bald für „Hass“ online zugänglich).
Am Ende des Besuchs der Ausstellung „Hass“ bleibt der Eindruck, dass die einzelnen Teile mehr sind als die Summe. Deutlich wird, dass es DEN Hass, der „uns bewegt“, eben nicht gibt. Die ausgewählten Beispiele zeigen vielmehr die Unterschiedlichkeit dieser schwer greifbaren Emotion und ihrer Träger:innengruppen. Die thematischen Ensembles binden den abstrakten, großen Begriff Hass an den Schmerz einzelner Schicksale derer, die Hass erleiden. Die museale Präsentation der Geschichten stellt durch ihre räumliche auch eine emotionale Nähe her, sie belegt und ist Zeugin. Und im Fall der Stuttgarter Ausstellung alles andere als stumm.
Die Ausstellung „Hass. Was uns bewegt“ läuft noch bis zum 24. Juli 2022. Ab dem 14. Oktober ist mit „Liebe“ dann der abschließende Teil der Trilogie als Große Landesausstellung zu sehen (bis zum 23. Juli 2023). Zumindest im Haus der Geschichte Baden-Württemberg werden Gier und Hass also nicht das letzte Wort haben.
Anmerkungen:
1 Vgl. exemplarisch Andreas Grote (Hrsg.), Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Wiesbaden 1994.
2 Vgl. stellvertretend Tony Bennett, The Birth of the Museum. History, Theory, Politics, London 1995 (und öfter).
3 Vgl. u.a. Thomas Thiemeyer, Inszenierung und Szenografie. Auf den Spuren eines Grundbegriffs des Museums und seines Herausforderers, in: Zeitschrift für Volkskunde 108 (2012), S. 199–214, https://www.digi-hub.de/viewer/fullscreen/DE-11-001938342/211/ (18.06.2022).
4 Vgl. beispielsweise https://mapping-museum-experience.com/?lang=de (18.06.2022). Der Zugang zum Museum über Emotionen folgt damit dem „emotional turn“, der die Geisteswissenschaften ohnehin erfasst hat. Vgl. dazu etwa Matthias Beitl / Ingo Schneider (Hrsg.), Emotional Turn?! Europäisch ethnologische Zugänge zu Gefühlen & Gefühlswelten. Beiträge der 27. Österreichischen Volkskundetagung in Dornbirn vom 29. Mai – 1. Juni 2013, Wien 2016.
5 Vgl. z.B. https://blooloop.com/museum/in-depth/museums-and-emotion/ (18.06.2022).
6 Siehe zur Bonner Station die Rezension von Steffi de Jong, in: H-Soz-Kult, 04.05.2019, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-326 (18.06.2022).
7https://www.pinakothek.de/feelings (18.06.2022).
8https://www.francke-halle.de/de/ausstellung/macht-der-emotionen (18.06.2022).
9 Ute Frevert, Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung. Deutsche Geschichte seit 1900, Frankfurt am Main 2020; zur Poster-Ausstellung siehe https://machtdergefuehle.de (18.06.2022); zudem Ute Frevert, Gefühle in der Geschichte, Göttingen 2021 (Aufsatzsammlung).
10 Dort gab es etwa die Ausstellungen „Scham. 100 Gründe, rot zu werden“ (2016/17), https://www.dhmd.de/ausstellungen/rueckblick/scham (18.06.2022), und „Die Leidenschaften. Ein Drama in fünf Akten“ (2012), https://www.dhmd.de/ausstellungen/rueckblick/die-leidenschaften (18.06.2022).
11https://www.hdgbw.de/ausstellungen/ausstellungsarchiv/fussball-stuttgart-2010/ (18.06.2022).
12 Siehe dazu die Rezension von Thomas Thiemeyer, in: H-Soz-Kult, 24.05.2022, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-194 (18.06.2022).
13https://www.hdgbw.de/ausstellungen/ (18.06.2022).
14 Siehe Gudrun Kruip, Rezension zu: Gier. Was uns bewegt, 27.05.2021 – 19.09.2021, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in: H-Soz-Kult, 14.08.2021, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-381 (18.06.2022).
15 Thomas Thiemeyer, Archiv des Hasses, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12.2021, S. 14.
16https://emotions-project.com (18.06.2022).