Rock! Jugend und Musik in Deutschland

Rock! Jugend und Musik in Deutschland

Veranstalter
Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (12591)
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12591
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.12.2005 - 17.04.2006

Publikation(en)

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Rock! Jugend und Musik in Deutschland. . Berlin 2005 : Christoph Links Verlag, ISBN 3-86153-384-7 176 S. € 24,90 (in der Ausstellung: € 19,90)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam/Freie Universität Berlin

Die eigentliche „Revolution“ des Rock’n’Roll bestand darin, dass er Kindern aus kleinbürgerlichen und proletarischen Familien zur Entdeckung verhalf, dass auch sie dandyhaft sexy sein konnten. Genau deshalb gelang ansonsten eher banal wirkenden Nachbarjungs (und -mädchen), die auf unerklärliche Weise wunderbare Musikstücke schufen, die Millionen anderer Nachbarjungs auf der ganzen Welt aus dem Herzen sprachen. Trotz mancher Biederkeit, die den von Fans und Musikern fleißig gesammelten Devotionalien und Erinnerungsstücken noch anhaftet, lässt dies auch die Ausstellung „Rock! Jugend und Musik in Deutschland“ deutlich erkennen.

Man könnte aber die These vertreten, dass sich die Ausstellung eigentlich nicht mit Rockmusik beschäftigt, sondern eher mit deutschen nationalen Identitätsdiskursen seit 1956, beispielhaft gezeigt anhand von populärer Musik. Am Ende der Ausstellung verliert sich jedenfalls die Spur der Rockmusik. Hier geht es mehr um „Jugendkulturen“ im weiteren Sinne: Skateboards sind auf einer großen Fläche abgebildet, Filmausschnitte werden gezeigt. Möglicherweise wirkt sich hier auch das alte zeithistorische Problem aus, dass man eine Geschichte nur schlecht erzählen kann, deren Ende man nicht kennt. Das Thema „nationale Identität“ schiebt sich immer wieder in den Vordergrund, besonders am Anfang und am offenen Ende der Ausstellung.

In einer eher versteckten Ecke wird eine „dunkle Seite“ der Geschichte der Rockmusik und Jugendkultur dargestellt, nämlich die „Nutzung der Rockmusik durch rechtsradikale Bands“ (Begleitbuch, S. 9). Die Rechtsradikalen haben entdeckt, dass sich gerade Rockmusik für Identitätskonstruktionen besonders gut eignet, egal welcher Couleur.1 Doch passt dies nicht so recht zum offiziellen Text der Ausstellung – also werden die Rechten in die braune Ecke gestellt, ihre Existenz wirkt etwas rätselhaft. Das ist ein Problem der Ausstellung und vor allem des Begleitbuchs. Beide Medien sind sehr ordentlich gemacht und durchaus verdienstvoll. Aber die Veranstaltung leidet ein wenig darunter, dass es einigen Autorinnen und Autoren an Distanz zum Gegenstand mangelt. Besonders für die Ausstellungsmacher ist „Rock“ offenbar eine ganz wunderbare Sache, die gegen böse „konservative“ Kritiker oder Eltern, die dieser wunderbaren Sache „hilflos“ gegenüberstanden, wie auch gegen böse Rechtsradikale in Schutz genommen werden muss. Dass die Nachkriegszeit und die bundesdeutsche Gesellschaft der 1950er-Jahre nicht nur einfach irgendwie „konservativ“ und „repressiv“ waren, geht in ihrer Rock-Befreiungstheologie ziemlich unter. Stattdessen wird noch einmal die Selbststilisierung der „68er-Generation“ reproduziert, wie sie der selbsternannte „Rock’n’Roller“ Joschka Fischer oder Gerhard Schröder („Scorpions“) repräsentieren (Begleitbuch, S. 11). Ein wenig Ironie und Selbstkritik à la Gerd Koenen und ein Blick für die Komplexität der historischen Epochen hätten hier gutgetan.2

Der Beginn dieser (Helden-)Geschichte ist den Ausstellungsmacher dennoch insgesamt souverän und anhand weniger, gut dokumentierter Schwerpunkte gelungen. Im Anfang war Elvis.3 Er und James Dean waren die Idole der „Halbstarken“, gegen die „repressive“ und „konservative“ Kulturwächter in beiden deutschen Staaten vorgingen, manchmal auch gewaltsam. Aber die körperliche Gewalt – von beiden Seiten! – trug zugleich erheblich zum eingangs genannten Sex-Appeal der Sache bei; dies sollte nicht einfach wegpädagogisiert werden. Die Fotos von den Jungs des Dortmunder „James-Dean-Clubs“ sprechen Bände, während die beigefügte Erklärung („sie gaben sich gern martialisch“) zu beschwichtigen versucht. Die nächsten Helden sind die Beatles, die ja zuerst als Rock’n’Roller im Hamburger Rotlichtmilieu mit Deutschland in Berührung kamen. Spannend ist die Geschichte des Piratensenders „Radio Freies Paunsdorf“, der zwischen 1965 bis zur Aufgabe 1969 die DDR-Behörden narrte, wie Karl-Heinz Krause, einer der damaligen Radioamateure, in einem Interview erzählt.

Nach der Beat-Welle in Ost und West folgten das friedliche Woodstock und die verschiedenen „Woodstocks“ in Deutschland – ebenfalls friedlich, aber nicht ohne die Hilfe von Drogen. Diese „dunkle Seite“ des Rock macht den Ausstellungsinitiatoren wiederum zu schaffen („ernste Bedrohungen, denen Jugendliche ausgesetzt sind“, wie Thomas Krüger und Hermann Schäfer schreiben, S. 9). Zugleich hat Jimi Hendrix das ansonsten wenig bekannte bundesdeutsche Woodstock auf Fehmarn durch sein letztes Konzert vor dem (Drogen-)Tod 1970 bekanntgemacht. Im nächsten größeren Raum sind in einer kleinen Vitrine verschiedene Medikamente und ein geruchsintensiver Klebstoff zu sehen, die in der weitgehend drogenfreien DDR – sofern man Alkohol eher als Genussmittel betrachtet – als Ersatz für LSD und ähnliches konsumiert oder einfach nur ausprobiert wurden.

Der Dualismus von „Rebellion“ versus „Repression“ scheint aber nicht einmal für die DDR zu passen, wo sich Funktionäre in ihrem unnachahmlichen, hölzernen Neusprech über die Gefahren durch „imperialistische“ Einflüsse ausließen und auf die inzwischen schon legendäre Beat-Demo in der Heldenstadt Leipzig (1965) mit massivem Einsatz von Polizei und Justiz reagierten – Zwangsarbeit in Kohlebergwerken für Jugendliche! Doch wird an anderen Stellen immer wieder klar, dass es auch eine „Förderung“ von Rockmusik gegeben hat (DT 64), die sich in der DDR auch günstiger Marktverhältnisse (wenig Konkurrenz!) erfreute. Irgendwie wechselten sich Phasen der Förderung wie das Weltjugendtreffen von 1973 – das DDR-Woodstock – mit Phasen der Repression ab, aber das war den Fans und Blues-„Kunden“ meistens egal.

Die westdeutsche Politisierung der Rockmusik war eine ebenso komplizierte Sache, die Detlef Siegfried, Klaus Farin und Jürgen Reiche im Begleitband ausführlicher behandeln. Sehr gelungen ist der nachgebaute kleine „Rockpalast“, wo die Besucherinnen und Besucher schwitzend noch einmal das unnachahmliche „praudly präsents“ miterleben können. Ein wenig übertrieben wirkt dagegen der Bekenntniszwang der Ausstellungsmacher, die etwa das Verzeichnis der (insgesamt zwei) Autorinnen und (siebzehn) Autoren durch „musikalische Biografien“ erweitert haben, auf denen diese Autoren Musiker- und Bandnamen anführen, die ihnen wichtig waren oder noch sind. Das wirkt wie eine peinliche Anbiederung an die zumeist auch nicht mehr jugendlichen Fans. Dass man Popkultur dagegen durchaus historisch vertieft und kulturtheoretisch informiert behandeln kann, hat vor wenigen Jahren eine Wiener Ausstellung unter Beweis gestellt.4

Für die Zeitgeschichte markiert die Ausstellung insgesamt Forschungsbedarf: Sie demonstriert, wie wenig das Thema „Popkultur“ in der Zunft bisher „angekommen“ ist. Sie macht außerdem sehr viel Spaß, sie „rockt“, wie eine Rezensentin meinte.5 Mit Hilfe von Kopfhörern kann man auch immer wieder tiefer in die Klangwelten eintauchen. Ein Besuch wird dringend empfohlen!6

Anmerkungen:
1 Auch Christoph Dieckmann stellt fest: „Pop ist nicht wesenhaft links, gediegen oder dumm.“ Siehe seine ausgezeichnete Ausstellungskritik: Beatfeind Ulbricht, Rocker Strauß, in: Die Zeit, 12.1. 2006, S. 51.
2 Koenen, Gerd, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967–1977, Köln 2001.
3 Das Haus der Geschichte zeigte dazu vom 21.11.2004 bis zum 27.2.2005 die Ausstellung „Elvis in Deutschland“; vgl. http://www.hdg.de/Final/deu/page4267.htm.
4 Go Johnny Go. Die E-Gitarre – Kunst und Mythos, Ausstellung der Kunsthalle Wien, 24.10.2003 – 7.3.2004 (gleichnamiger Katalog: Göttingen 2003).
5 Fugunt, Isolde, Rockmusik als Lebensgefühl und Revolte, in: Das Parlament, 30.1./6.2.2006, S. 13, online unter URL: http://www.das-parlament.de/2006/05/JugendimDialog/003.html.
6 Vom 25.5. bis zum 15.10.2006 wird die Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen sein.

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