Förderschwerpunkt: Islam, moderner Nationalstaat und transnationale Bewegungen

Förderschwerpunkt: Islam, moderner Nationalstaat und transnationale Bewegungen

Institution
Gerda Henkel Stiftung
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Bewerbungsschluss
15.08.2009
Von
Gerda Henkel Stiftung

Der Förderschwerpunkt »Islam, moderner Nationalstaat und transnationale Bewegungen« richtet sich an Forscherinnen und Forscher, die die Entstehung politischer Bewegungen in der islamischen Welt auf nationaler und/oder transnationaler Ebene untersuchen und diese Untersuchung mit aktuellen Entwicklungen verbinden.

Der Förderschwerpunkt will somit auf ein auffallendes Ungleichgewicht in den gegenwärtigen Analysen antworten: denn unter dem Paradigma des Fundamentalismus werden islamistische Bewegungen zumeist als gesellschaftliche Kräfte gesehen, die einen reaktiven Rückzug aus der aktuellen Politik suchen. Dagegen ist der Förderschwerpunkt Projekten gewidmet, welche untersuchen, inwiefern, unter welchen Bedingungen und vor welchem Hintergrund sich die gegenwärtigen islamistischen bzw. am Islam orientierten Bewegungen selbst dezidiert als neue politische Eliten begreifen, deren Ziel die Neukonstruktion der jeweiligen Gesellschaft für eine moderne Zukunft ist.

In diesem Zusammenhang werden gezielt komparative Studien angeregt und gefördert, die historische Forschung mit religions-, kultur- oder politikwissenschaftlichen Perspektiven verbinden. Welche emanzipatorischen, welche modernen Elemente verspricht und integriert der politische Islam? Welche Entwicklungen, welche Zusammenhänge, welche Ähnlichkeiten in den Schlüsselkategorien, Interpretationen und Forderungen kann man etwa zwischen dem Pan-Arabismus und Pan-Islamismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts und den heutigen Bewegungen feststellen? Welche historischen Selbstbeschreibungen sind in den Konzepten erkennbar? Über welche spezifischen Vorstellungen von Vergemeinschaftung können dabei gesellschaftliche Radikalisierungen und Mobilisierungen zur Gewalt legitimiert werden?

Besondere Aufmerksamkeit soll im Rahmen des Förderschwerpunkts also den Verbindungen, Überschneidungen oder Beeinflussungen des Islamismus mit und durch Nationalismus bzw. Transnationalismus im islamischen Raum geschenkt werden. Nicht zuletzt sollen vergleichend auch mögliche Konfliktlinien bzw. Konfliktfelder und Gewaltpotentiale zwischen Kulturräumen im Prozess der Globalisierung untersucht werden.

Neben der Förderung von Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Konferenzen werden Veranstaltungen unterschiedlicher Art durchgeführt und unterstützt werden, die geeignet sind, differenzierte und qualifizierte Diskussionen dieser Thematik in Öffentlichkeit und Politik anzuregen. Promotionsstipendien werden im Rahmen des Förderschwerpunktes nur bei Einbindung in ein Forschungsprojekt gewährt.

Thematische Schwerpunkte

Die Gerda Henkel Stiftung fördert Forschungsvorhaben in fünf Themenfeldern:

1. Islamische Gesellschafts- und Staatsordnungen in Geschichte und Gegenwart

Der Schwerpunktbereich konzentriert sich auf historische und politikwissenschaftliche Studien, die sich anhand von Einzelbeispielen oder Regierungsvergleichen/Regimevergleichen mit Gesellschafts- und Staatsvorstellungen in den islamischen Zivilisationen beschäftigen. Dabei sollen die geförderten Projekte sich mit den in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt entwickelten Gesellschafts- und Staatsideen beschäftigen und dabei den Stellenwert, der in den unterschiedlichen Ordnungs- bzw. Verfassungsentwürfen dem Islam zugeschrieben wird, bzw. das Verhältnis von säkularen und religiösen Institutionen erörtern. Besondere Bedeutung wird der jeweiligen Konzeption des politischen Repräsentationsverhältnisses, des jeweiligen Rechtssystems und des Sozialsystems zukommen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach den Berührungen mit und den Antworten auf historische Prozesse im christlichen Europa zwischen Mittelalter und Gegenwart, etwa auf die europäische Aufklärung und die europäischen Nationsbildungen, die zu unterschiedlichen Epochen in philosophischen und politischen Schriften nachweisbar sind.

Im Rahmen der Entwicklung dieses thematischen Schwerpunktes werden somit gezielt komparative Projekte gefördert, in denen die historische Perspektive mit verfassungsvergleichenden, religions-, kultur- oder politikgeschichtlichen Perspektiven konfrontiert wird.

2. Nationsidee, nationale Bewegungen und Nationalismus in der islamischen Zivilisation

Im Mittelpunkt dieses Schwerpunktbereichs stehen Projekte, die anhand von Fallbeispielen die Entstehung nationaler Bewegungen in der islamischen Zivilisation untersuchen und dabei eine Analyse der jeweiligen Nationsidee fokussieren. Fragen nach der Entstehung proto-nationaler Bewegungen in Mittelalter und Früher Neuzeit, nach den Trägern des Nationsgedankens in unterschiedlichen islamischen Ländern, nach den als zentral erachteten Schriften, den Foren und Institutionen einer intellektuellen Reflexion wie auch der politischen Verwirklichung können hierbei genauso leitend sein wie die Untersuchung der Verfahren, Rituale und Mechanismen, mit denen Angehörige einer Gruppe ihre Gemeinsamkeit bestimmen und sich gegenüber Dritten ausdifferenzieren und somit (nationale) Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit definieren, die Analyse der daraus resultierenden territorialen Gültigkeitsansprüche sowie der Integration des Islam in das jeweilige Nationsmodell. In diesem Zusammenhang soll unter anderem auch die Veränderung/Verschiebung von Bedeutungsaspekten in den Definitionen von Volk, Territorium, politischer Repräsentation und Recht in den unterschiedlichen Nationskonzeptionen untersucht werden, ebenso wie die Konzeption des Verhältnisses von Religion und Laizismus.

3. Islamischer Fundamentalismus oder islamische Emanzipation?

Von der Frage ausgehend, warum der islamische Fundamentalismus heute eine einflussreiche politische Kraft entfalten kann, werden in diesem Schwerpunktbereich kritische Auseinandersetzungen mit der Fundamentalismuskategorie gefördert, welche die bisherigen Forschungsansätze deutlich erweitern sollen.
Im Zentrum steht dabei die Frage, ob im islamischen Fundamentalismus auch emanzipatorische und moderne Elemente zu entdecken sind. Im Rahmen dieses Schwerpunktbereiches sollen also Arbeiten gefördert werden, die die Schriften islamischer Bewegungen sowie deren politische und soziale Praxis untersuchen und diese dann als eigenständige gesellschaftliche Standortbestimmungen auffassen.

4. Zivilgesellschaftliche Bewegungen in der islamischen Welt

Der Schwerpunktbereich ist Arbeiten gewidmet, die sich mit transnational ausgreifenden zivilgesellschaftlichen Bewegungen in modernen islamischen Gesellschaften befassen. Leitende Fragen richten sich hier darauf, wie diese Bewegungen intern das Spannungsverhältnis zwischen säkularen und religiösen Mitgliedern, Programmatiken und Handlungsweisen lösen und wie es ihnen gelingt, sowohl in islamistischen als auch in westlich oder säkular-nationalistisch oder sozialistisch orientierten Staaten der islamischen Welt zu operieren, also religiöse und ideologische Barrieren zu überwinden. Im Rahmen der in diesem Bereich geförderten Projekte werden auch Bewegungen untersucht, die gezielt den Dialog mit nicht-islamischen Partnern suchen und so der Friedensförderung dienen.

5. Islamische Staaten im internationalen Weltsystem

In diesem Schwerpunktbereich werden Studien angeregt und gefördert, die gegenwärtige Diskurse der internationalen Politik über sicherheits- und friedenspolitische Modelle untersuchen und die Stellung der islamischen Staaten in diesen Kontexten erörtern. Im Zentrum der Projekte soll dabei die Frage stehen, wie die islamischen Staaten in einem globalen System internationaler Politik definiert werden, welche Prognosen derzeit für die Entwicklung der islamischen Staaten gestellt und welche Gefahren diagnostiziert werden. In den Projekten dieses thematischen Schwerpunktbereichs sollen nicht zuletzt auch die politisch-analytischen Kategorien und Konzepte untersucht werden, mit denen im Westen die Entwicklungen in der islamischen Welt beschrieben werden und die somit einerseits die Diskussionen um mögliche Konfliktfelder und Gewaltpotentiale, andererseits die Strategien eines Dialogs mit dem Islam bestimmen. Ergänzt werden könnte diese Erörterung durch eine Heranziehung von Standortbestimmungen aus einzelnen islamischen Staaten oder Staatenverbänden.

Die wissenschaftliche Koordination des Förderschwerpunktes erfolgt durch das Institut für Diaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von Prof. Dr. Mihran Dabag. Über die Anträge entscheidet das Kuratorium der Stiftung auf der Grundlage einer Empfehlung von Fachgutachtern und Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats.

Anträge nimmt die Geschäftsstelle der Gerda Henkel Stiftung jederzeit entgegen. Die nächste Bewerbungsfrist endet am 15. August 2009. Weitergehende Informationen zu den Formalien des Antragsverfahrens unter:
http://www.gerda-henkel-stiftung.de