HT 2006: (Geschichts)Bilder als Argument. Image, Imagebildung und Imagetradierung von Herrschenden in der Geschichte

HT 2006: (Geschichts)Bilder als Argument. Image, Imagebildung und Imagetradierung von Herrschenden in der Geschichte

Organisatoren
Arnd Reitemeier; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Astrid von Schlachta, Universität Innsbruck, Institut für Geschichte

Mit der Sektion „(Geschichts)Bilder als Argument“ wurde ein epochenübergreifender Vergleich von Herrschaftsformen und –legitimierungen angestellt und – vor dem Hintergrund des Themas des Historikertags – besonders unter dem Aspekt der Argumentation mit Geschichte gesehen. Die übergeordnete Fragestellung lautete, wie historische Ereignisse und Überlieferungen, aber auch die historischen Vorstellungen der Herrscher zur Schaffung eines Image instrumentalisiert werden konnten. Die Sektion wurde von Arnd Reitemeier (Englische Könige im Hundertjährigen Krieg), Volker Seresse (Schwedische Könige im 18. Jahrhundert), Volker Depkat (George Washington und die republikanische Präsidentschaft) und Jan Kusper (Herrscherbild von Stalin bis Chruščev) gestaltet, eine abschließende Zusammenfassung und einen Ausblick auf zukünftige Fragestellungen der Forschung unternahm Heinz Duchhardt.

Prämisse der Sektion war, so Arnd Reitemeier in seinem einleitenden Überblick, die These, dass Herrscher vom Mittelalter bis in die neueste Zeit ihren Untertanen bzw. dem Wähler oder Bürger vermitteln mussten, Macht entweder rechtmäßig innezuhaben oder, im Fall einer angestrebten Wiederwahl, in rechter Weise auszuüben. Gezielt nutzten sie die zur Verfügung stehenden Medien, um ein „Image“ ihrer Person und Herrschaft aufzubauen, wobei der eigentlich aus der Soziologie und Politikwissenschaft stammende Begriff des „Image“ mit dem Begriff „Vorstellungsbild“ gleichgesetzt wurde. Der Analyse zugrunde liegen einerseits visuelle Darstellungen, andererseits emotionale Erwartungshaltungen bzw. Wahrnehmungen. Die Antipoden beschreiben die Kommunikationsbeziehung, die zwischen dem Imageträger und dem -rezipienten aufgebaut wird. Die Interpretation der auf diese Art und Weise hergestellten Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten lässt über die Epochen – unter Berücksichtigung des jeweils unterschiedlichen Kontextes und des verfügbaren Repertoires an Vorbildern – einige Gemeinsamkeiten hervortreten.

Zur Legitimation ihrer Herrschaft griffen die Herrschenden auf verschiedene Mittel der Repräsentation und Selbstdarstellung zurück. Selbst republikanisch oder kommunistisch organisierte politische Gebilde setzten auf Personenkult und Imagebildung, in der Sektion verdeutlicht am Beispiel George Washingtons, Josef Stalins und Nikita Chruščevs. Dabei griffen die Regierenden auf Elemente aus dem alteuropäisch-monarchischen Zeremoniell und aus der dynastischen Selbstdarstellung zurück, was zu einem spannungsreichen Nebeneinander von Bruch und Kontinuität führen konnte. In allen behandelten Epochen verbanden Herrscher ihr Image mit Mythen, Legenden oder Topoi aus der Geschichte und aus der religiösen Tradition, die zur Argumentationsgrundlage wurden.

Frühestes Beispiel der in der Sektion vorgestellten Herrscherimages waren die englischen Könige während des Hundertjährigen Krieges. Arnd Reitemeier präsentierte vier Elemente, über die die englischen Herrscher des 14. Jahrhunderts die Vergangenheit für ihr eigenes Image instrumentalisierten. Zum einen über den Bezug auf Personen der Vergangenheit. So wurde für Edward III. die Figur des legendären König Artus zu einem wichtigen Argument. Obwohl eine sagenhafte Figur der Troubadourdichtung hatten die ritterlichen Ideale des Hofes von König Artus für den englischen Herrscher Vorbildcharakter, um auch für die eigene Person entsprechende Ideale zu reklamieren. Nach außen sichtbar wurde die Verbindung in regelmäßigen Turnieren sowie in der 1344 vorgebrachten Ankündigung, die Tafelrunde König Artus’ neu zu beleben. Auch mit der Stiftung des „Orders of the Garter“ („Hosenbandorden“) griff Edward III. auf die Tafelrunde zurück und schuf gleichzeitig eine nach außen sichtbare Auszeichnung, um den englischen Hochadel an den Hof zu binden. Unter Richard II. und Heinrich IV. blieb die Bedeutung des Ordens erhalten, allerdings wandelte sich der Charakter desselben. Während Edward III. den Orden hauptsächlich für militärische Verdienste verliehen hatte, zeichneten seine Nachfolger persönliche Vertraute aus. Zudem verstärkte sich der religiöse Aspekt, indem das Totengedenken verstorbener Mitglieder des „Orders of the Garter“ zur Verpflichtung erhoben wurde. Die zweite Möglichkeit, das eigene Image mit einer historischen Komponente zu untermauern, bot der Bezug auf Heilige, im Fall von Edward III. und Richard II. hauptsächlich auf Edward den Bekenner, der die Legitimität der normannischen Könige und ihrer Nachfolger begründet hatte. Die zentrale Aussage, die mit dem Bild des Hl. Edward, nämlich als „friedliebender Herrscher“ verbunden war, erklärt jedoch die Tatsache, dass dieser von Richard II. stärker verehrt wurde als von Edward III. So betete Richard II., der für den inneren und äußeren Frieden eintrat, beispielsweise vor wichtigen Schlachten oder zentralen politischen Ereignissen am Grab des Hl. Edward. Später verband er zudem sein Wappen mit dem des Heiligen. Edward III. dagegen gab sich, wie auch aus der Instrumentalisierung König Artus’ hervorgeht, mehr das Image des Ritters und Kriegshelden. Eine dritte Möglichkeit, Legitimität für das eigene Herrscherimage aus der Vergangenheit zu ziehen, bestand in dem Verweis auf die eigene Familie. Während Edward III. sich von seinem Vater distanzierte, betrieb Richard II. eine gezielte Verehrung seines Vaters und seines Urgroßvaters, um dessen Heiligsprechung er sich bemühte. In der politischen Kommunikation spielten zudem genealogische Argumente eine zentrale Rolle, sichtbar bei den englischen Königen etwa in dem von Edward III. gestellten Anspruch auf den französischen Thron oder die Diskussionen um die Legitimität der Herrschaft Richards II., die sich eng mit der Frage nach der legitimen oder illegitimen Thronfolge der Söhne Heinrichs III. verband. Ein vierter Aspekt des Herrscherimages konstituierte sich durch den Bezug auf historische Legenden, wobei für die englischen Könige des 14. Jahrhunderts die Fähigkeit Heilungen durchzuführen ein zentrales Element bildete.

Im zweiten Vortrag der Sektion beschäftigte sich Volker Seresse mit den schwedischen Königen des 18. Jahrhunderts. Er untersuchte vor allem zwei Brüche, nämlich den innenpolitischen Umsturz 1719/20 sowie den Herrscherwechsel des Jahres 1772, als König Gustav III. nach einem Staatsstreich die königliche Macht stärkte. Die schwedische Situation des 18. Jahrhunderts war durch eine sehr weitreichende öffentliche Meinungsbildung gekennzeichnet, was vor allem damit zusammenhing, dass die Bauern nicht nur auf lokaler Ebene sehr stark waren, sondern auch mit einer beachtlichen Anzahl an Repräsentanten im schwedischen Reichstag vertreten waren. Allerdings zeichneten sich die Bauern in der untersuchten Epoche durch eine äußerst königstreue Haltung aus. Unter dem Aspekt der Selbstdarstellung und der öffentlichen Rede sticht König Gustav III. heraus, dessen Fähigkeiten der Selbstinszenierung 1772 entscheidend zum erfolgreichen Staatsstreich beitrugen. Gezielt untermauerte er seinen Herrschaftsanspruch und die Stärkung seiner Macht durch den Rückbezug auf die „uralte schwedische Freiheit“ wie sie vor 1680 bestanden hatte. Gleichzeitig stellte er sich gegen den Adel; seiner Argumentation zufolge wäre nur der König in der Lage, die alte Freiheit wiederherzustellen. Seine Reden ließ der Regent, den sein Name bereits in eine Tradition mit Gustav Eriksson Vasa und Gustav II. Adolf stellte, drucken und an Behörden und Kirchen im Land verschicken, um so vor allem eine möglichst breite Öffentlichkeit unter den Bauern zu erreichen. An den Adel wiederum richtete er sich durch die Verbreitung von Gedenkmedaillen, die durch entsprechende allegorische Darstellungen – Freiheitsgöttin mit dem Freiheitshut – seine politische Botschaft visualisierten. Im 18. Jahrhundert ist in Schweden eine vielschichtige Argumentation mit dem Begriff „Freiheit“ festzustellen. Auch bereits in der „Freiheitszeit“, der Epoche nach 1719/20, spielte dieser in der politischen Kommunikation eine große Rolle. Allerdings, so die These von Volker Seresse, fand gerade in der „Freiheitszeit“ sonst keine gezielte historisierende Imagebildung von Seiten der regierenden Eliten statt, interessanterweise auch kaum in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung. Zwar versuchte Gustav III. über das Amt des Reichshistoriografen auf die Geschichtsschreibung einzuwirken, doch waren diese Versuche nicht von Erfolg gekrönt. Obwohl auch die „uralte schwedische Freiheit“ Gegenstand von Untersuchungen war, kann man doch nicht von einer großflächigen Instrumentalisierung von Geschichte sprechen – es gelang bezeichnenderweise nicht, eine Geschichte Karls XI. zu schreiben. So waren die entstandenen historiografischen Arbeiten demzufolge auch keine „Propagandawerke für die freiheitliche Verfassung“. In der abschließenden Diskussion wurde eine Parallele zu Kaiser Leopold I. gezogen, dessen Imagebildung ebenfalls nicht gezielt von den Reichsinstitutionen gesteuert wurde.

In seiner Untersuchung „Die Erfindung der republikanischen Präsidentschaft im Zeichen des Geschichtsbruchs“, dem dritten Vortrag der Sektion, wies Volker Depkat auf das spannungsreiche Nebeneinander von Bruch und Kontinuität hin, das die Präsidentschaft George Washingtons und ihre historische „Unterfütterung“ kennzeichnete. Von ihrem politischen System her präsentierten sich die USA 1789 als historisches Novum und der Rückgriff auf historische Vorbilder fiel zunächst einmal schwer. Boten in der Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg noch die Traditionen, Symbole, Verfahren und Praktiken der europäischen Herrschaftstradition, besonders der englischen, ein Reservoire, aus dem die neue Republik schöpfen konnte, so ist mit der Unabhängigkeitserklärung ein Wandel der Argumentation zu beobachten. Dieser ist definiert durch einen Bruch mit der europäischen Vergangenheit und durch die nun einsetzende Argumentation mit den Ideen und Prinzipien des aufgeklärten Naturrechts. Äußerlich ist der Wandel auch im Festkalender festzumachen, britische Traditionen, damit auch die Symbole der Monarchie, wurden gestürzt und durch republikanische ersetzt. Die Person George Washingtons steht vor dem Hintergrund der politischen Kommunikation der Zeit und der Ausformulierung und Ausformung eines Herrscherideals am Schnittpunkt zwischen der Forderung, dem Präsidenten keine monarchischen Funktionen zuzugestehen, ihn auf der anderen Seite jedoch als starke nationale Exekutive und Sachwalter des „bonum communis“ zu sehen. Die Verfassung selbst bot zur praktischen Ausformung herrschaftlicher Macht keine Handreichungen; in der politischen Praxis bildete sich das Image des Präsidenten dann jedoch an zwei Strängen heraus. Zum einen am antiken Herrscherideal; der Präsident als „personifizierte republikanische Tugend“, ein Ideal, das Washington während seiner Amtszeit ostentativ inszenierte. Nicht nur seine persönliche Moralität war Teil der öffentlichen Demonstration, sondern auch seine Darstellung als wehrhafter Bürger und glorreicher Feldherr, was sich unter anderem in der reichen Anzahl von Bildern niederschlägt, die Washington als General zeigen. Der Washington-Kult instrumentalisierte jedoch weiterhin Sprache, Rituale und Zeremonien monarchischer Herrschaft, beispielsweise wurde der Präsident bei seinen Besuchen in den einzelnen Bundesstaaten von Eskorten begleitet, teilweise direkt an der Staatsgrenze abgeholt. Ein zweites Element des präsidialen Image bei Georg Washington war die Revolution selbst, deren Interpretation und Bedeutung er versuchte der öffentlichen Meinung vorzugeben, was ihm ein wichtiges politisches Argument lieferte, um sein Amt zu inszenieren. Die revolutionäre Vergangenheit wurde zur nationalen Zukunft der Union. Die Deutungshoheit versuchte Washington zu gewinnen, Ziel war die Sicherung und Zukunft der Republik.

Der vierte Vortrag der Sektion „(Geschichts-)Bilder als Argument“ von Jan Kusper beschäftigte sich mit den sowjetischen Staatsführern Josef Stalin und Nikita Chruščev. Stalin, dessen Amtszeit von einem ausgeprägten System des Terrors gekennzeichnet war, setzte als politisches Machtmittel auf die Strukturen und Mechanismen eines Personenverbandsstaats. Hier wurden Loyalitäten und Abhängigkeiten geschaffen, die jedoch vom Sowjetführer gesteuert wurden und jederzeit aufgelöst werden konnten. Das dahinter stehende Herrscherbild griff viele Elemente des zaristischen Personenkults auf und kennzeichnet somit eine Imagebildung, die eigentlich nicht Teil der kommunistischen Ideologie war, sondern sich nach dem Tod Lenins herausgebildet hatte. Schon durch die Inszenierung der Bestattung Lenins konnte Stalin den Weg für den Kult um die eigene Person ebnen, der einher ging mit der Umdeutung historischer Tatsachen. Stalin, so der sich herausbildende Mythos, habe Lenin auf dem Totenbett geschworen, dessen Werk fortzusetzen. Äußerliches Zeugnis dieses Mythos einer engen Gefährtenschaft Stalins mit Lenin waren gefälschte Fotos, auf denen Stalin neben Lenin zu sehen war. Zudem nutzte Stalin alle zur Verfügung stehenden Medien, um seine Macht zu repräsentieren. Einige Bilder werfen Schlaglichter auf sein Image, beispielsweise jenes, das Arbeiter zeigt, die einen Brief an Stalin schreiben. Versinnbildlicht ist hier das Supplikationswesen monarchischer Systeme, ein weiteres Element, über das die Herrschaft Stalins in die Tradition des Zaren gestellt werden kann. Nach dem Tod Stalins, dessen Begräbnisplatz signifikanterweise im Mausoleum auf dem Roten Platz neben Lenin war, setzte unter Nikita Chruščev ein Wandel in Herrschaftsverständnis und –repräsentation ein. Der neue Sowjetführer entzauberte den Kult um die Person Stalins und legte die Verbrechen offen dar, die im Namen seines Vorgängers begangen wurden. Auf diese Weise baute er ein Image auf, in dem seine eigene Beteilung an den Verbrechen minimiert, gleichsam entschuldigt wurde. Die Herrschaftspraxis Chruščevs setzte mehr auf eine Einbeziehung des Parteivolks; Politik und Herrschaftsrepräsentation wurden verstärkt zum Aushandlungsprozess, das „Gespräch mit dem Volk“ zum Teil des politischen Prozesses.

In einer abschließenden Zusammenfassung hob Heinz Duchhardt zwei Aspekte hervor, die sich bei der epochenübergreifenden Analyse von Herrschaftsimage und –legitimation als zentrale Fragestellungen herauskristallisierten. Einerseits die methodisch bedingte Überlegung, dass es für die einzelnen Herrscher naturgemäß unterschiedliche Möglichkeiten gab, Geschichte zu instrumentalisieren und sich das Vorbild nutzbar zu machen. So war dies für die englischen oder schwedischen Könige wesentlich einfacher als für den ersten amerikanischen Präsidenten oder für die sowjetischen Führer. In demokratischen Systeme stellt sich die Frage nach der „historischen Ahnengalerie“ in noch einmal potenzierter Form. Zum anderen verwies Duchhardt auf das Phänomen der Krisenzeiten, die nach historischer Legitimierung verlangen und in denen der Aufbau eines Image eine besondere Bedeutung erhält. In die Betrachtung einbezogen werden muss auch die Frage nach dem „Charisma“ des Herrschers, das für das Image eine zentrale Rolle spielte und spielt.

Die Sektion „(Geschichts-)Bilder als Argument“ hat verdeutlicht, dass Herrscher in allen behandelten Epochen ihr Image mit Mythen, Legenden oder Topoi aus der Geschichte und aus der religiösen, meist christlichen Tradition verbanden, die zur Argumentationsgrundlage wurden. Imagebildung bedeutete jedoch nicht nur Instrumentalisierung zum Zwecke der Legitimation von Herrschaft, sondern sie war auch Regierungsprogramm, also handlungsleitend für den Herrscher oder Regierenden. Trotz struktureller Unterschiede, die die Rahmenbedingungen für die verschiedenen Herrscher gestalteten, stellte der epochenübergreifende Vergleich vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert in der Sektion ein faszinierendes Experiment dar.


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