Das vorliegende Themenheft der "Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften" widmet sich der Technisierung des menschlichen Körpers. Nachdem sich der Definitionsrahmen "Körper" mittlerweile im weiten Feld historischer Methoden etabliert hat, öffnet sich auch die Technikgeschichte zunehmend diesem Ansatz. Die AutorInnen des Bandes nähern sich in ihren Fragestellungen dem Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln, so aus literaturwissenschaftlicher, medizin-, konsum-, technik- und sportgeschichtlicher Perspektive.
Der einleitende Beitrag von Rudolf Drux schlägt eine Brücke zwischen Litera-turwissenschaft und Technikgeschichte. An ausgewählten Beispielen untersucht er Wesen und Rezeption des literarischen Konstrukts "Maschinenmensch". Der Weg dieser Kopfgeburten vom Podium in Literatur und Film in die Welt technischer Artefakte wird in einem historischen Längsschnitt von der Antike bis zur Moderne nachgezeichnet. Anhand dieser Interferenzen lässt sich deutlich erkennen, inwiefern die literarische Darstellung von Maschinen oder Maschinenteilen bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung technologisch antiquiert war.
Ausgehend von der iatrotechnischen Tradition stellt Ortrun Riha die aus der Naturphilosophie heraus gelöste technisierte Medizin seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Beispiel für den technischen Zugriff auf den menschlichen Körper dar. Als Problemfelder dienen ihr dabei die Konstruktion von Krankheit und Gesundheit anhand physiologischer Messwerte sowie die Diskussion um die Prothetik als Hochleistungsmedizin. Darüber hinaus kommt zur Sprache, inwiefern Technik sowohl entstehendes wie erlöschendes Leben beeinflusst hat, als auch unser Wissen vom Körper modellierte und visualisierte.
Der soziale Zugriff auf den menschlichen Körper wurde im 19. Jahrhundert besonders in der Hygienebewegung deutlich. Matthias Dietze zeigt in seiner auf die Stadt Dresden fokussierten Studie am Spannungsfeld zwischen öffentlicher Gesundheitspflege und Popularisierung von Hygiene, wie der menschliche Körper zu einem Thema bürgerlicher Kultur wurde. Dabei macht er deutlich, dass die Integration der hygienischen Belange in den kommunalen Aufgabenbereich kein Selbstzweck war und auch das leidenschaftliche Ringen um die Internationale Hygieneausstellung Teil einer Selbstinszenierung der Stadt gewesen ist.
Martina Blum und Thomas Wieland plädieren in ihrem Aufsatz dafür, Sexualität verstärkt als technikhistorischen Untersuchungsgegenstand zu thematisieren. Sie verorten im 20. Jahrhundert ein enges Wechselverhältnis zwischen Sexualität und Technik und zeichnen diese Entwicklungsstränge auf zwei komplementären Ebenen nach. So behandeln sie die Technisierung der Sexualität und die Sexualisierung von Technik. Die erste Dimension wird dabei nicht nur an Artefakten – wie Vibrator und Kontrazeptiva – veranschaulicht, sondern der Bogen auch zum Streben nach der Perfektionierung sexueller Körperfunktionen gespannt. In der zweiten Dimension betrachten sie Sexualität nicht als quantitatives Phänomen, also als Überflutung mit sexuellen Reizen. Vielmehr betonen sie, dass technische Produkte Zeichencharakter besitzen und man heute, z.B. beim Automobildesign, von Technik als einem sexualisierten Produkt sprechen kann.
Die Technisierung von Sportgerät und Athlet, letztere durch Leistungsanalytik, Training und Pharmakologie bestimmt, lässt sich im 20. Jahrhundert besonders instruktiv am "Maschinensport" Radfahren festmachen. Mit dem Anspruch, Sport- und Technikgeschichte zusammenzuführen, deutet Ralf Pulla den Radrennfahrer als zweiseitig technisierte biomechanische Einheit. In Abkehr von der klassischen Manier richtet er seinen Blick weniger auf das "Artefakt" Fahrrad, sondern rückt vielmehr den Athletenkörper als "Biofakt" in den Mittelpunkt. So konstatiert er eine Koevolution von Rennradtechnik und dem in Funktionssysteme zerlegten Athletenkörper. Dabei wird der Technisierung des Athleten eine weitaus größere Dynamik zugewiesen als der technischen Aufrüstung des von ihm verwendeten Gerätes.
Rudolf Drux: Der literarische Maschinenmensch und seine technologische Antiquiertheit. Wechselbeziehungen zwischen Literatur- und Technikgeschichte (S. 3-19)
Ortrun Riha: Die Technisierung von Körper und Körperfunktionen in der Medizin des 19. und 20. Jahrhunderts (S. 21-42)
Matthias Dietze: Reinlich, sauber und gesund! Der menschliche Körper im Spannungsfeld von popularisierter Hygiene und öffentlicher Gesundheitspflege in Dresden 1850 bis 1911 (S. 43-68)
Martina Blum und Thomas Wieland: Technisierte Begierden. Technik und Sexualität im 20. Jahrhundert (S. 69-88)
Ralf Pulla: Radfahren als „Maschinensport“. Technisierung von Sportgerät und Athlet im 20. Jahrhundert (S. 89-118)