Am 24. Oktober 2012 soll das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht werden. Die 1992 initiierte Diskussion über das Denkmal zeigt, dass die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma erst relativ spät in der deutschen Erinnerungskultur – wie auch in der Geschichtsschreibung – Berücksichtigung gefunden hat. Das neue Heft der „Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland“ fragt unter anderem nach den Gründen.
So wird in den beiden einleitenden Beiträgen von Hans-Dieter Schmid und Karola Fings dargelegt, wie sich die ethnische und kulturelle Vielfalt der Sinti und Roma und die Besonderheiten ihrer Kultur auf den Verfolgungsprozess bzw. die Reaktionsformen der Sinti und Roma ausgewirkt haben. Ulrich Prehn und Patricia Pientka zeigen anschließend anhand ihrer Untersuchungen zur NS-Verfolgung der Sinti und Roma in Hamburg und Berlin ebenso das Spektrum der beteiligten Akteure auf wie den Weg hin zu einer rassenbiologisch motivierten Deportation.
Weitere Aufsätze nehmen die soziale Struktur und das kollektive Schicksal der Sinti und Roma als Häftlingsgruppe in Konzentrationslagern am Beispiel von Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora, Moringen und Ravensbrück in den Blick.
Der Beitrag von Frank Reuter über die „Deutungsmacht der Täter“ zeigt, dass Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland keineswegs eine „vergessene“ Opfergruppe waren. Wie es möglich war, dass die Stigmatisierung des „Zigeuners“ auch nach 1945 weitgehend unverändert weiterexistierte und die Verfolgung der Sinti und Roma nicht als NS-Unrecht, sondern als großenteils berechtigtes kriminalpräventives Handeln gedeutet wurde, wird an Vorfällen aus verschiedenen norddeutschen Bundesländern deutlich gemacht. Kathrin Herold und Yvonne Robel untersuchen darüber hinaus am Beispiel des Hannoveraner Boxers Johann Trollmann Tendenzen der Erinnerungskultur bezüglich der NS-Verfolgung der Sinti und Roma.
Abschließend informiert auch dieses Heft über aktuelle Entwicklungen in den Gedenkstätten und stellt neuere Publikationen zum Thema Sinti und Roma vor.
INHALT
Editorial
Hauptteil
Hans-Dieter Schmid: Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus
Karola Fings: Dünnes Eis. Sinti, Roma und Deutschland
Ulrich Prehn: „… dass Hamburg mit als erste Stadt an den Abtransport herangeht“. Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma in Hamburg
Patricia Pientka: Leben und Verfolgung im Zwangslager Berlin-Marzahn 1936–1945
Dietmar Sedlaczek: Nur eine Zwischenstation. Sinti und Roma im Jugend-KZ Moringen
Barbara Danckwortt: Sinti und Roma als Häftlinge im KZ Ravensbrück
Jens-Christian Wagner: Sinti und Roma als Häftlinge im KZ Mittelbau-Dora
Thomas Rahe: Sinti und Roma im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Eine Zwischenbilanz der historischen Forschung
Frank Reuter: Die Deutungsmacht der Täter. Zur Rezeption des NS-Völkermords an den Sinti und Roma in Norddeutschland
Kathrin Herold und Yvonne Robel: Zwischen Boxring und Stolperstein – Johann Trollmann in der gegenwärtigen Erinnerung
Dokumentation
Katja Seybold und Martina Staats: „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ – Gedenkfeier und Kundgebung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 27. Oktober 1979 zur Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma
Frank Reuter: Die Deportation von Sinti-Kindern aus dem katholischen Kinderheim St. Elisabeth in Neustrelitz: Fotografische Überlieferung und historischer Kontext
Meldungen
Gedenkstätten
Didaktik der Erinnerungsarbeit
Projekte und Forschungen
Besprechungen und Annotationen
Rezensionen
Hinweise auf neuere Literatur zum Nationalsozialismus in Norddeutschland
Summarys
Autorinnen und Autoren