Die vorliegende Ausgabe der „Mitteilungen zur Kirchlichen Zeitgeschichte“ widmet sich verschiedenen Themen der Religions- und Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Europa und weltweit.
Eine globale Perspektive nimmt Klaus Koschorke in seinem Beitrag ein. Er fordert nachhaltig dazu auf, christliche Globalgeschichte als Interaktionsgeschichte zu begreifen und zu erforschen. Diesem Appell folgt Jens Holger Schjørring in seinem Beitrag zu den Entwicklungen im internationalen Luthertum seit dem Zweiten Weltkrieg, die er durch eine Zunahme von Pluralismus und Polyzentrismus gekennzeichnet sieht. Einen anderen methodischen Zugriff wählt Rainer Paasch-Beeck. Er untersucht die Darstellung des evangelischen Kirchenkampfes im Roman „Jahrestage“ des Berliner Schriftstellers Uwe Johnson. Paasch-Beeck zeigt, wie intensiv sich der Kirchenkritiker Johnson in die Geschichte der evangelischen Kirche während des Nationalsozialismus eingearbeitet und wie akribisch er den „Kirchenkampf“ und seine Auswirkungen auf das Leben in einer fiktiven mecklenburgischen Kirchengemeinde beschrieben hat. Der Leipziger Kirchenhistoriker Klaus Fitschen skizziert in seinem Beitrag den Gang der evangelischen Kirchlichen Zeitgeschichtsforschung seit Ende der 1980er Jahre und mahnt eine gesamtdeutsche Perspektive auf die Zeit zwischen 1945 und 1989 an.
Auch in den Forschungs- und Tagungsberichten spiegelt sich die methodische und thematische Vielfalt der aktuellen Arbeiten auf dem Gebiet der Kirchlichen Zeitgeschichte. Das zeigt bereits der Bericht der Paderborner Kunsthistorikerin Eva-Maria Seng, in dem sie Einblick in ihre Forschungen zu Kirchenbau und städtischem Wandel sowie zur Sakraltopographie als Faktor der Stadttransformation gibt. Catharina Koke hält als Ergebnis ihrer theologischen Staatsexamensarbeit fest: Während Adolf Hitler in „Mein Kampf“ eine politische Religion entwickelte, ging es dem Großteil seiner Rezipienten um die Trennung von Religion und Politik oder die Vereinbarkeit von Kirche und Staat.
Den Anfang bei den Berichten über laufende Forschungsprojekte macht Liesa Weber. Sie analysiert in ihrer theologischen Dissertation mit einem regionalgeschichtlichen Ansatz die Handlungsoptionen von Pfarrern und Gemeinden im „Dritten Reich“. Maria Neumann legt ihre geschichtswissenschaftliche Dissertation als Lokalstudie an: Sie untersucht, wie im geteilten Berlin religiöse Vergesellschaftung funktionierte, und in welcher Weise Organisationen und Praktiken die Mauer überwinden konnten. Katja Bruns beschreibt in ihrem Forschungsprojekt die theologische Auseinandersetzung mit dem Marxismus in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Marxismus-Kommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien. Dabei arbeitet sie Verschiebungen, Entwicklungen und Konstanten in der Debatte heraus.
In den Tagungsberichten geht es um zwei Veranstaltungen, die auch durch die Zusammensetzung ihrer Referentinnen und Referenten von Interesse waren. Gisa Bauer und Anette Neff berichten über eine Darmstädter Tagung zu „Martin Niemöller nach 1945. Auftrag und Erbe“. In deren Mittelpunkt standen acht Vorträge von Studierenden des Fachbereichs Evangelische Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt, die den Ertrag aus zwei Kirchengeschichtsseminaren darstellen. Klaus Fitschen hebt in seinem Bericht über die Tagung „Evangelische Freikirchen im Nationalsozialismus“ hervor, dass deren Beiträge zu einem guten Teil von Fachleuten aus den Freikirchen gekommen und von einem hohen Grad an Selbstreflexion und Selbstkritik bestimmt gewesen seien.
Am Ende des Heftes steht wie immer der Nachrichtenteil, der über die Aktivitäten in den überregionalen und regionalen kirchengeschichtlichen Vereinigungen informiert.
INHALT
AUFSÄTZE
Polyzentrische Strukturen der globalen Christentumsgeschichte Klaus Koschorke
Neubeginn und Kontroversen im internationalen Luthertum nach 1945 Jens Holger Schjørring
„Luzifer in Gestalt der mecklenburgischen Landeskirche“. Der evangelische Kirchenkampf in Uwe Johnsons Roman „Jahrestage“ Rainer Paasch-Beeck
Geteilte Erinnerungen? Das Problem einer gesamtdeutschen Kirchlichen Zeitgeschichte Klaus Fitschen
FORSCHUNGS- UND TAGUNGEBERICHTE
ABGESCHLOSSENE FORSCHUNGSPROJEKTE
Forschungen zu Städtebau und Kirchenbau Eva-Maria Seng
Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und das Christentum in den Jahren 1933 und 1934 Catharina Koke
LAUFENDE FORSCHUNGSPROJEKTE
Handlungsoptionen von Pfarrern und Gemeinden in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine vergleichende Studie für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern anhand der oberfränkischen Dekanate Bayreuth und Coburg Liesa Weber
Religion in der geteilten Stadt. Christliche Vergesellschaftung und Kalter Krieg in Berlin Maria Neumann
Nachdenken über Marxismus in der Bundesrepublik. Die Marxismus-Kommission der Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien von 1951 bis 1973 Katja Bruns
TAGUNGSBERICHTE
Martin Niemöller nach 1945. Auftrag und Erbe Gisa Bauer und Anette Neff
Evangelische Freikirchen im Nationalsozialismus Klaus Fitschen
NACHRICHTEN