Wirkte Günther Anders’ These von der „Technik als Subjekt der Geschichte“ seinerzeit noch reichlich übertrieben, mutiert seine metaphorisch anmutende, aber keineswegs metaphorisch gemeinte Rede vom Technik-Behemoth spätestens mit dem globalen Siegeszug der Digitaltechnik zum offen ausgesprochenen Fortschrittsversprechen datengläubiger Transhumanisten. Für die Analyse netzwerkförmiger Verflechtungen von Technik und Gesellschaft, neuer (digital-)technologischer Wissensordnungen, Menschenfassungen, Praktiken und Regime dürfte Anders damit zu einem unausweichlichen Referenzpunkt werden – und sei es, um sich von seinen zweifellos steilen Thesen abzustoßen. Vor diesem Hintergrund bezeugen die einzelnen Beiträge der Themenausgabe die Aktualität des Anders’schen Denkansatzes. Indem sie ausloten, was er zu den technopolitischen Abgründen des digitalen Utopismus beizutragen hat, zur Ethik der globalen Arbeitsteilung, zur Frage der Öffentlichkeit oder der (destruktiven) Plastizität menschlicher Gefühle im Zeitalter ihrer multiplen Traumatisierung, präsentieren sie Günther Anders nicht nur als Denker des 20. Jahrhunderts, als Schüler Heideggers oder als Brieffreund des „Hiroshima-Piloten“ Claude Eatherly – sondern auch oder gerade als einen Denker der Gegenwart.
Inhaltsverzeichnis
Christian Dries Editorial: Günther Anders aktuell
Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff "Passivität im Kostüm der Aktivität". Über Günther Anders' Kritik kybernetischer Politik im Zeitalter der "totalen Maschine"
Bernd Bösel Was tun mit unseren Gefühlen? Zur destruktiven Plastizität bei Günther Anders und Catherine Malabou
Andreas Beinsteiner Matrize und Gerede: Potentiale der Kritik medialer Öffentlichkeit bei Anders und Heidegger im Spannungsfeld von Postfundamentalismus und neuem Realismus
Christian A. Bauer Schuldlos schuldig im Zeitalter technischer Fernwirkungen. Über die Generalisierbarkeit des Falles Eatherly
Leon Wolff Rezension: Andreas Folkers, Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz. Katastrophische Risiken und die Biopolitik vitaler Systeme, Frankfurt/New York 2018