Im kommenden Jahr wird vielerorts ein besonderes Jubiläum gefeiert werden: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Anlass dafür ist das älteste Schriftzeugnis, das die Anwesenheit von Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands dokumentiert. Bedeutet dieses römische Dokument, das den Juden in Köln im Jahre 321 die Berufung in den Magistrat erlaubte, tatsächlich die Existenz einer jüdischen Gemeinde am Rhein? Historiker sind da eher skeptisch. Auch über jüdisches Leben in deutschen Landen in den fünf Jahrhunderten danach weiß man nur sehr wenig. Mit den 1700 Jahren sollte man es also nicht ganz so genau nehmen. Allerdings ist es durchaus möglich, dass bereits vor dem vierten Jahrhundert Juden als römische Bürger an Rhein und Donau siedelten. Eines scheint klar: Die Spuren von Juden in Deutschland reichen wohl etwa genauso lange zurück wie die Spuren von Christen.
Dass beide sich im Mittelalter nicht aus dem Weg gingen oder nur feindselig gegenüberstanden, zeigen die Beiträge dieses Bandes. Dieses immer noch populäre Bild entstand aus einem unkritischen Blick auf die vorhandenen Quellen, die zumeist rechtlicher Natur sind und daher vor allem Konfliktsituationen behandeln. Episoden harmonischen Zusammenlebens dagegen sind naturgemäß weit weniger in den Quellen dokumentiert. Dabei waren die Verbindungen zwischen jüdischen und christlichen Nachbarn vielfältig, sie betrafen institutionelle ebenso wie private Kontakte. Man trat in Geschäftsverbindungen miteinander ein, besuchte Familienfeiern und nahm mitunter auch an religiösen Festlichkeiten teil. Dass deutliche Grenzen zwischen beiden Gruppen bestanden, soll nicht verleugnet werden, aber diese Grenzen waren eben in den allerwenigsten Fällen durch undurchdringliche Ghettomauern gezogen. Das Ghetto im eigentlichen Sinn entstand erst nach Ende des Mittelalters.
In München ist mit der 2009 eingerichteten Professur für mittelalterliche jüdische Geschichte ein deutschlandweiter Schwerpunkt auf diesem Gebiet entstanden. Unter der Leitung von Professor Eva Haverkamp-Rott wurden bereits mehrere Dissertationen geschrieben, Forschungsprojekte durchgeführt und Ausstellungen organisiert. Dieses Heft mit seinem Fokus auf die alltäglichen Beziehungen zwischen Juden und Christen im Mittelalter spiegelt die hier durchgeführte Forschung wider.
INHALT
TÜR AN TÜR IM MITTELALTER: JÜDISCH-CHRISTLICHE NACHBARSCHAFT VOR DEM GHETTO
Michael Brenner: Vorwort
Rachel Furst, Sophia Schmitt: Einleitung
Eveline Brugger, Birgit Wiedl: „Es sol der jud ein hewsel graben“. Jüdisch-christliche Nachbarschaft und Nachbarschaftskonflikte im mittelalterlichen Österreich
Andreas Lehnertz: Christen im öffentlichen und privaten Räumen der mittelalterlichen Judenviertel
Rachel Furst, Sophia Schmitt: Alles, was Recht ist – Zum Umgang mit Licht, Luft und Privatsphäre in mittelalterlichen Nachbarschaften
AUS DEM ARCHIV
Astrid Riedler-Pohlers: Häuser – Menschen – Transaktionen Archivalien als Hilfsmittel zur Erschließung eines mittelalterlichen jüdischen Viertels
AUS DEM MUSEUM
Eva Haverkamp-Rott, Astrid Riedler-Pohlers: Lost Neighborhood – Auf den Spuren Münchner Juden im Mittelalter
BERICHT
Sandra Welte, Marija Bogeljic-Petersen und Felix Fischer: Auf der Suche nach dem Shtetl… Bericht von der Polen-Exkursion vom 29. November bis 2. Dezember 2019
NACHRICHTEN UND TERMINE
Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur (Prof. Dr. Michael Brenner) Neues von Mitarbeitern und Absolventen Veranstaltungen Neues vom Freundeskreis des Lehrstuhls
Professur für Mittelalterliche Jüdische Geschichte (Prof. Dr. Eva Haverkamp-Rott) Neues von Mitarbeitern und Absolventen Veranstaltungen
Die Autorinnen und Autoren
Übersicht der Themenschwerpunkte der bislang erschienenen Hefte