Reisen, das ist eines der Themen, die die Corona-Pandemie nun in neuem Licht erscheinen lässt. Waren wir als Europäer:innen gewohnt, in nahezu jedes Land der Erde spontan reisen zu können, veränderte die Pandemie vieles: Grenzen wurden wieder wahrnehmbar, Einreiseverbote wurden ausgesprochen, Quarantäneverpflichtungen eingesetzt, der Flugverkehr kam fast zum Erliegen, und die Reiseziele verlagerten sich vielfach: das Gute liege doch so nah. Für diejenigen, die verreisen können, ist Reisen eine Flucht aus dem Alltag. Reisen als Teil der individuellen Freiheit, der Persönlichkeitsentwicklung oder der Erweiterung der Perspektiven auf die Welt, auf Gesellschaften und auf sich selbst. Reisen führen auch immer wieder an touristische Hotspots, darunter auch (natürlich nicht nur) an Orte der Geschichte: Das Schloss Neuschwanstein oder das Heidelberger Schloss fehlen wohl selten auf einer Reise US-amerikanischer oder japanischer Tourist:innen in Deutschland. Aber auch Orte der NS-Zeit sind Ziele von Urlauber:innen: Dachau als Teil des München-Urlaubs, Sachsenhausen als Bestandteil einer Berlin-Reise oder ein Tagesauflug von Krakau nach Oświęcim, um nur einige Beispiele zu nennen. Reisen an „dunkle“ Urlaubsorte gewinnen zunehmend an ökonomischer Bedeutung. Die vorliegende Ausgabe der „informationen“ greift das Themenfeld Tourismus und Nationalsozialismus auf. Denn gerade im verklärenden Rückblick erschien es vielen Deutschen so, als sei unter der NS-Herrschaft ihr alter Traum vom Reisen möglich geworden. Die Autor:innen der "informationen" blicken dabei u.a. auf den Schifffahrtstourismus durch die Organisation "Kraft durch Freude", auf ausländische Tourist:innen im "3. Reich", auf das Deutsche Jugendherbergswerk oder auf den Obersalzberg.
INHALT
Sascha Howind: "Unter Hitler sind wir alle Kaiser". Tourismus mit der NS-Organisation "Kraft durch Freude"
Hasso Spode: Gleichschaltung und Imagepflege. Der "freie" Fremdenverkehr im "Dritten Reich"
Eva Kraus: Ein wohlwollendes Verhältnis. Das Deutsche Jugendherbergswerk im Nationalsozialismus
Joachim Schindler: Seilschaften auf dem Weg in die Katastrophe. Sächsische Bergsteiger- und Tourismusvereine 1933-1945
Urlaubsziel Gedenkstätte? Ein Gespräch mit Ulrich Unseld (KZ-Gedenkstätte Dachau)
Sven Keller: Täterort und Tourismus. Der Obersalzberg
Unsere Arbeit ist noch ein Torso. Gedenkorte Europa - ein Projekt des Studienkreises. Bilanz und Ausblick
Abraham Ingber: "Stille Helden"? Moralische Grauzonen von Judenhelfer*innen am Beispiel des Hilfsnetzwerk um den Bürstenfabrikanten Otto Weidt
Filme und neue Medien
Buchbesprechungen
Gabriele Prein: Auf bald, mein Kind
Materialien für die historisch-politische Bildung (Beilage): Dirk Belda: In den Augen der Anderen. Berichte ausländischer Autoren über Deutschland zwischen 1933-1945