Abb.: Graffiti in Genf, November 2017
(Wikimedia Commons, Opsylac, commons.wikimedia.org/wiki/File:Graffiti_post-apocalyptique_"The_End"-_Quartier_des_Grottes,_Genève(Suisse).jpg, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode, CC-BY-SA-4.0)
„The answer depends on how one defines ‘totally catastrophic’;
a catastrophe can be pretty catastrophic without being total.“
Herman Kahn, On Thermonuclear War (1960)
Übersicht
1. „Katastrophe“: Wortgebrauch und Begriffsgeschichte
2. Naturkatastrophen als Kulturkatastrophen
3. Singularität und Vergleichbarkeit von Katastrophen
4. Historisierbarkeit von Katastrophen
5. Fazit
[Graffiti in Genf, November 2017]
Katastrophen sind extreme Vorfälle, die aber fortwährend zu passieren scheinen; Ausnahmen, die sich regelmäßig ereignen; naturhaft anmutende Geschehnisse, deren kulturelle Funktion und Bedeutung gleichwohl auf der Hand liegt. Als Gegenstände kulturwissenschaftlicher Forschung sind Katastrophen daher von großem Reiz und erleben eine beträchtliche Konjunktur. Das ließe sich allerdings von zahlreichen Forschungsgegenständen sagen: Es erscheinen so viele Publikationen – vor allem Sammelbände –, dass man mühelos Konjunkturen von allem Möglichen ausmachen kann. Daher stellt sich die Frage, welche Art von Aktualität es ist, die das Thema Katastrophe heute so reizvoll erscheinen lässt. Ein Teil der Antwort liegt sicher im quantitativen Befund: Von Katastrophen ist überaus häufig die Rede, sowohl medien- als auch alltagssprachlich, ob in Unwetterwarnungen, in Berichten über Terroranschläge oder in Gesprächen über die kleineren und größeren Wechselfälle des Lebens. Was aber heißt bei all dem „Katastrophe“? Welche historischen Dimensionen besitzt der aktuelle Katastrophendiskurs? Und welchen Beitrag können die Kulturwissenschaften leisten, um nicht nur die Antworten auf solche Fragen zu finden, sondern zunächst einmal die Fragen selbst mit angemessener Komplexität zu formulieren?
Im Folgenden versuche ich, einige Tendenzen neuerer kulturwissenschaftlicher Katastrophenforschung zu bündeln. Erstens erörtere ich bestimmte Umgangsweisen mit der Wörtlichkeit und Begrifflichkeit von „Katastrophe“; zweitens geht es um spezifische Deutungen von Naturkatastrophen; drittens sichte ich methodische Positionsbestimmungen zur Vergleichbarkeit von Katastrophen; viertens und abschließend komme ich auf einige Grundprobleme ihrer Historisierbarkeit zu sprechen, was auch die Frage nach der (vergangenen wie gegenwärtigen) Zukunft von Katastrophen aufwirft. Es scheint mir sinnvoll, dabei einen weiten und inklusiven Begriff von Kulturwissenschaften anzusetzen, also nicht auf ein bestimmtes Verständnis von kulturwissenschaftlicher Disziplinarität, Methodik oder Epistemologie abzuzielen. Die hier zu sichtenden Publikationen sind teilweise stärker literaturwissenschaftlich, teilweise stärker geschichtswissenschaftlich oder wissenschaftshistorisch perspektiviert.1 Insbesondere die Sammelbände sind zudem mehr oder weniger programmatisch als interdisziplinär ausgewiesen, wobei neben den genannten Disziplinen auch noch weitere, etwa soziologische und ethnologische Ansätze vertreten sind. Immer wieder zeigt sich, wie sehr gerade beim Thema „Katastrophe“ die disziplinären Grenzen verschwimmen.
Eine in diesem breiten Verständnis kulturwissenschaftliche Katastrophenforschung könnte ihre Tätigkeit, vielleicht auch ihre Aufgabe, darin sehen, die aktuellen, gängigen Redeweisen von Katastrophen zu verkomplizieren und zu entstellen, um diese Leit- und Reizvokabel erneut zu präzisieren. Umgekehrt ist aber auch zu fragen, inwiefern eine solche Problematisierung an der aktuellen Gängigkeit des Themas und des Deutungsmusters Katastrophe partizipiert, inwiefern also die historische und theoretische Erkundung – gewollt oder ungewollt – zu einem „neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie“ führt, über den Jacques Derrida bereits Mitte der 1980er-Jahre reflektierte.2 Umso mehr ist daran zu erinnern, dass die besagte Konjunktur kulturwissenschaftlicher Katastrophenforschung nichts Neues ist. Schon um 1980 entdeckte die philosophische Theoriebildung die Katastrophe als potenzielles Forschungsfeld3; und der Historiker Arno Borst betitelte seinerzeit einen bis heute oft zitierten Aufsatz über ein Erdbeben im Ostalpenraum des 14. Jahrhunderts als „historischen Beitrag zur Katastrophenforschung“.4 Eingefordert war damit nicht zuletzt eine Historisierung jener Disaster Studies, die sich zur selben Zeit als empirischer, anwendungsorientierter und interdisziplinärer Verbund im akademischen Feld zu etablieren begannen, mit Periodika wie „Disasters. The International Journal of Disaster Studies and Practice“ (seit 1977, heutiger Titel nur noch „Disasters“) oder dem „International Journal of Mass Emergencies and Disasters“ (seit 1983).5
1. „Katastrophe“: Wortgebrauch und Begriffsgeschichte
Wie steht es, um direkt bei den genannten Zeitschriftentiteln anzuschließen, mit der terminologischen Nähe zwischen „Katastrophe“ und „Desaster“, und wie stellt sich diese Nähe in verschiedenen Sprachen dar? „Following common practice in the English language, we use the terms ‚disaster‘ and ‚catastrophe‘ synonymously in this volume“, schreiben Katharina Gerstenberger und Tanja Nusser in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes „Catastrophe and Catharsis“.6 Hingegen weist Wolfgang Asholt in seinem Beitrag zu einem Band über „Literarische und philologische Erkundungen der Katastrophe“ darauf hin, dass „die Gleichsetzung von ‚désastre‘ und ‚Katastrophe‘ nicht unproblematisch ist“.7 Während Gerstenberger und Nusser von der Synonymie beider Ausdrücke innerhalb einer Sprache – der englischen – ausgehen, problematisiert Asholt nicht nur die Gleichsetzbarkeit, sondern auch die Übersetzbarkeit: vom französischen Wort „désastre“ ins deutsche Wort „Katastrophe“. Dass Letzteres wiederum nicht deutsch ist, sondern aus dem Griechischen stammt, ist bekannt und mag als Feststellung trivial erscheinen. Aber wie griechisch bleibt das Wort, wenn es in anderen Sprachen vorkommt? Offenbar handelt es sich um eines jener „Wörter aus der Fremde“, für die, so Adornos diesbezügliche Überlegungen, passende Ausdrücke in der Zielsprache gar nicht zur Verfügung stehen (während sich das lateinisch-romanische „Desaster“ immerhin durch den „Unstern“ verdeutschen lässt), die daher „unassimiliert“ bleiben und an denen sich gerade deshalb in besonderer Weise Geschichtlichkeit aufweisen lässt.8
Zwischen der Logik und Praxis des terminologischen Gebrauchs und den Unwägbarkeiten der historischen Semantik ist also die Wort- und Begriffsgeschichte von „Katastrophe“ anzusiedeln. Ihr sind bereits 2009 Olaf Briese und Timo Günther in einem Beitrag zum „Archiv für Begriffsgeschichte“ nachgegangen, der für viele der hier zu besprechenden Bücher grundlegend ist. Bereits jene Überblicksdarstellung setzt bei der Ubiquität des Katastrophenbegriffs in „fast allen Wissenschaftsdisziplinen und bezogen auf fast alle Sphären von Natur und Gesellschaft“ an9, markiert aber ein begriffsanalytisches Desiderat: In den einschlägigen Lexika, etwa im „Historischen Wörterbuch der Philosophie“, den „Ästhetischen Grundbegriffen“ oder dem „Neuen Pauly“, ist „Katastrophe“ nicht lemmatisiert. Im Sachregister der „Geschichtlichen Grundbegriffe“, das ausschließlich die Quellenzitate erfasst, finden sich überhaupt nur sechs Einträge für „Katastrophe“ – wenn auch bezeichnende10 und gewichtige.11
Solche Lücken und Unterrepräsentationen verweisen auf eine gewisse terminologische Geschichtsblindheit im modernen Katastrophendiskurs, für die Briese und Günther mit ihrem Beitrag erste Abhilfe schafften. Ihr Durchgang durch 2.500 Jahre Begriffsgeschichte zeigt ein fortwährendes Hin und Her der Entlehnungen, Übertragungen und Rückübertragungen. Im allgemeinen Sinn ist „Katastrophe“ eine Wendung, sowohl in Umkehr- als auch in Abwärtsbewegung. Beide Richtungen können durch die Präposition „kata“ ausgedrückt werden; das Substantiv „strophe“ heißt „Wendung“, „Drehung“, „Kehre“. Die ersten Belege aus der griechischen Dramatik seit Aischylos betreffen solche einzelnen Ausdrücke für „Wendung“, auch „Unterwerfung“ oder „Umsturz“. Erst in römischen Poetiken und dann vor allem in der Renaissance wird daraus ein poetologischer Terminus, der das Ende eines Dramas bezeichnet, und zwar nicht von vornherein die „tragische Katastrophe“, sondern zunächst „ausschließlich einen positiven Ausgang“, etwa die Wendung hin zu einem „unerwarteten Friedenszustand“.12 An diesen Befund knüpfen Briese und Günther eines ihrer emblematischen Zitate, Johannes Keplers Kommentar zur Verwendung des Begriffs in der Astronomie: „Catastrophe ist ein Wort / genommen auß den Comoedien.“13 Dieser Befund der Entnahme ist für die Verfasser von entscheidender Bedeutung. Der Ursprung des Begriffs liegt demnach nicht in einem historisch zu ermittelnden ersten Verwendungszusammenhang, sondern in der Wendung des Begrifflichen selbst: Katastrophe stehe, so der letzte Satz des Artikels, „(als Katastrophe im ursprünglichen griechischen Wortsinn von ‚Wendung‘) nicht zuletzt auch für die Veränderung und für den Wandel des Topos sui generis“.14
Ein solches Aufgehen des Begriffs in seinem „Wortsinn“ zu behaupten ist allerdings begriffsgeschichtlich heikel und wohl eher als abrundende (vielleicht auch ironische) Schlussvolte des Artikels zu betrachten. Unter anderen methodischen Bedingungen kann die Arbeit mit der Wörtlichkeit des Begriffs jedoch durchaus programmatisch ausfallen. Das gilt für den oben bereits erwähnten literaturwissenschaftlichen Band „Unfälle der Sprache. Literarische und philologische Erkundungen der Katastrophe“, 2014 herausgegeben von Ottmar Ette und Judith Kasper. Kasper betitelt ihre Einleitung „Für eine Philologie der Kata/strophe“, setzt also eine optische Grenze ins Innere des Wortes. Das geht mit einer dekonstruktivistischen Lesart einher, in der die Katastrophe „als Ergebnis einer Verschiebung und als Gestalt der Verschiebung überhaupt“ erscheint, als „Markierung einer Diskrepanz“ und als „Kippfigur“.15 Damit wird gewissermaßen eine Vorkehrung gegen zu stark thematisch orientierte Lektüren getroffen – bei denen die meisten Beiträge des Bandes dennoch ansetzen. Denn zweifellos gehört es zu den selbst gestellten Aufgaben der modernen und zeitgenössischen Literatur, das „Katastrophenzeitalter“ (Eric Hobsbawm) des 20. Jahrhunderts zu bearbeiten. Der Holocaust markiert dabei zumindest nach heutigem westlichem Verständnis die Katastrophe schlechthin und zugleich die maximale, wenn nicht absolute Grenzbestimmung literarischer Bedeutungskonstitution.16
Durch die Konfrontation mit speziell dieser historischen Katastrophe versteht sich die Auseinanderschreibung als „Kata/strophe“. Damit wird, so Kasper in ihrer Einleitung, vor allem die „strophe“ betont, rekurrierend auf die „Drehung, die der antike Chor auf der Bühne vollzieht“, als „auf den Gesang bezogene Geste“ und als „Handlung, die sich auf die Sprache selbst bezieh[t]“.17 In ihrem eigenen Beitrag zum Sammelband behandelt Kasper die Baudelaire-Zitate in Jorge Semprúns autobiographischem Buchenwald-Band „L’écriture ou la vie“, ein sehr formales Moment also, aus dem sie die literarischen Bedeutungsprozesse, insbesondere das zentrale Problem der Übermittlung historischer Realität, sorgfältig entwickelt. Eine methodische Spezifik liegt darin, die zum Gegenstand gemachte Technik des Zitierens auf den eigenen philologischen Umgang mit Texten abzubilden, also Semprún so zu zitieren, wie dieser Baudelaire zitiert: „Semprún gleichsam nachahmend“18, wie es ausdrücklich heißt. In dieser mimetischen Maxime liegt eine Nähe zum Gegenstand, aus der ein bestimmtes Modell literaturwissenschaftlicher Lektüre gewonnen wird: Die Philologie, die „sich selbst als ‚strophisch‘ versteht“19, behauptet ihre Fähigkeit zur Partizipation an der Katastrophe. Darin liegt eine erhebliche ethische, aber auch methodische Herausforderung, die eine äußerst vorsichtige Handhabung der Leitvokabel „Katastrophe“ impliziert.
Dieser Befund gilt nicht für alle der zu besprechenden Publikationen. In vielen steht „Katastrophe“ eher innerhalb eines semantischen Spektrums, zu dem außer dem bereits erwähnten „Desaster“ auch so unterschiedliche Ausdrücke wie „Krise“, „Revolution“, „Gefahr“, „Apokalypse“, „Zerstörung“ oder „Trauma“ gehören. Gewiss geht es dabei um jeweils spezifische Verwendungsweisen, um historische und systematische Perspektiven der Katastrophenforschung. Es zeigt sich aber auch ein grundsätzlicher Trend zur begrifflichen Entdifferenzierung, bei dem „Katastrophe“ alles Mögliche heißen kann und alles Mögliche eine Katastrophe genannt werden kann – oder eben auch anders. Dieser Trend verstärkt sich ganz offenkundig mit der beschleunigten Zirkulation des Begriffs. „Überschlagen sich gegenwärtig Katastrophenerklärungen, so ist der inflationäre Gebrauch des Begriffs ‚Katastrophe‘ zugleich flankiert von einer undeutlichen Semantik“, so der einleitende Befund der Herausgeber eines Bandes zum „Katastrophendiskurs der Gegenwart“.20 Bereits 1989 warnte der Katastrophensoziologe Wolf Dombrowsky, dass „nichts Katastrophe ist, wenn alles Katastrophe heißt“.21 Zu ergänzen wäre, dass das, was „Katastrophe“ heißt, nicht ohne weiteres auch „Krise“ oder „Unglück“ heißen kann. Solche Überlegungen sind kulturwissenschaftlich allerdings nur dann interessant, wenn sie nicht als diskurspolizeiliche Anweisungen zur terminologischen Eindeutigkeit, sondern als Anzeige eines Problems formuliert werden. Das Problem liegt darin, das „Sein“ vom „Heißen“ der Katastrophe zu unterscheiden. Damit kommt man nämlich zu der zentralen Frage, wie sich die historische Erforschung von Katastrophen-Diskursen zu einer Katastrophenforschung „erster Ordnung“ verhält – und ob es überhaupt eine Erforschung dessen, was „Katastrophe ist“, geben kann, die unabhängig von dem wäre, was „Katastrophe heißt“.
2. Naturkatastrophen als Kulturkatastrophen
Besonders offensichtlich wird dieses Problem im Feld der sogenannten Naturkatastrophen, wie auf instruktive Weise das von Karlheinz Sonntag herausgegebene Bändchen „Von Lissabon bis Fukushima – Folgen von Katastrophen“ zeigt, das fünf Studium-Generale-Vorträge der Universität Heidelberg dokumentiert. Hartmut Böhme ist mit einem kulturgeschichtlichen Beitrag über „Postkatastrophische Bewältigungsformen von Flutkatastrophen seit der Antike“ vertreten, der die von außen hereinbrechende Katastrophe – Flut, Erdbeben, Weltbrand – anthropologisch als „große Angst“ versteht und sich historisch für die verschiedenen Ausprägungen ihrer Bearbeitung interessiert. Mit weitem Blick und souveräner Geste kontrastiert der Verfasser „die moderne Variante eines Risikomanagements“, die sich „auf Bewältigung von numerisch feststellbarem Schaden“ konzentriert, mit der „antike[n] Variante“, die auf „symbolische Heilung der in der Katastrophe geschlagenen Wunden in der Ordnung von menschlicher und göttlicher Welt“ zielt.22 Den historischen Kontrast wiederum will Böhme in seiner anthropologischen Perspektivierung zwar nicht aufheben, situiert ihn aber innerhalb einer kontinuierlichen Geschichte von „Bewältigungsformen“.
Der Fokus auf Bewältigung, Management und Schutz macht deutlich, dass es Naturkatastrophen im strengen Sinn nicht gibt, d.h. dass sie als Katastrophen nicht in der Natur zu verorten, sondern als Zuschreibungen an die Natur schon Teil der kulturellen Bearbeitung sind.23 Die Naturkatastrophe als solche ist also nicht zu denken ohne ein bestimmtes Katastrophenbewusstsein, das immer auch den Gedanken an Schutz und Rettung impliziert – wobei für die Geschichte moderner Rettungstechniken auch die transzendenten, heilsgeschichtlichen Aspekte der „Rettung“ von einigem Interesse sind.24 Eine spezifische historische Konstellation aus Risikobewusstsein und Katastrophenschutz rekonstruiert ein von Martina Heßler und Christian Kehrt herausgegebener Band am Beispiel der Hamburger Sturmflut von 1962. Dafür setzen die Herausgeber einen Methodenpluralismus von Zeit-, Technik- und Umweltgeschichte an, weil sich nur so ein angemessener Forschungsansatz für „komplexe, multidimensionale Ereignisse“ wie Naturkatastrophen gewinnen lasse.25 Die Beiträge des Bandes sind in bemerkenswerter Weise zugleich sachlich informativ und methodologisch selbstreflexiv. So liefert Dieter Schott an mehreren Beispielen der europäischen Geschichte ein konzises Panorama „städtischer Resilienz“, Sonja Kummetat entwickelt am Beispiel der Niederlande den Begriff des Risikobewusstseins aus dem des Katastrophengedächtnisses, und Felix Mauch verdeutlicht am Beispiel der Hamburger Sturmflut wesentliche Forschungsdiskussionen der Umweltgeschichte, die sich auf spannungsreiche Weise zwischen einem rein konstruktivistischen Katastrophenkonzept und einer von Bruno Latour inspirierten Perspektive der Natur-Agency bewegen.26
In dieser Spannung steht die gesamte begriffliche Verknüpfung von „Natur“ und „Katastrophe“, die, wie man oft festgestellt hat, erst eine Angelegenheit des 18. Jahrhunderts ist. Die entscheidende Zäsur stellt das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 dar, an dem begriffs-, mentalitäts- und wissenshistorisch schon häufiger das Wechselverhältnis kontrastierender Katastrophendeutungen analysiert worden ist.27 Angesichts dieser begriffsgeschichtlich „verspätete[n] Entdeckung der Naturkatastrophe“28 – das deutsche Kompositum „Naturkatastrophe“ findet sich sogar erst im 19. Jahrhundert29 – fällt umso mehr auf, dass der Ausdruck in etlichen kulturwissenschaftlichen Untersuchungen bis in die Antike zurückverlängert wird, und zwar „rather innocently“, wie der Umwelthistoriker Franz Mauelshagen in einem kurzen und kritischen Beitrag formuliert.30 An der erwähnten interdisziplinären Heidelberger Vortragssammlung über „Folgen von Katastrophen“ lässt sich ablesen, wie verschieden die begriffliche „Unschuld“ ausfallen kann. So begnügt sich Hermann-Josef Tenhagen, der als Vertreter der Stiftung Warentest über „Wirtschaftliche Folgen von Katastrophen“ informiert, mit der Wikipedia-Definition als „großräumige Schadenslage“ und argumentiert von dort aus, die Finanzkrise seit 2007 sei eine Katastrophe gewesen. Der Historiker Gerhard Paul zieht in seinem Beitrag über „Visuelle Katastrophenberichterstattung“ mehr oder weniger unterschiedslos „drei Technikkatastrophen und eine Naturkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts zusammen („Titanic – Hindenburg – Tschernobyl – Tsunami“), ohne dass ganz deutlich würde, warum die medienhistorische Analyse von dieser Nicht-Unterscheidung profitieren soll. Und der Zoologe Volker Storch rekurriert zwar mit seinem Vortragstitel „Katastrophen in der Erdgeschichte – Ausgangspunkte für Fortschritt“ auf Denkmuster des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, doch inwiefern das Thema seines Beitrags, der Zusammenhang von Massenaussterben und Evolution, mit diesem begrifflichen Konnex von „Katastrophe“ und „Fortschritt“ zu fassen ist, bleibt in der dargebotenen neodarwinistischen Sichtweise weitgehend unerläutert.31
Gerade das naturgeschichtliche Denken der „Sattelzeit“ ist aber von erheblichem Interesse für die Entstehung des Konzepts der Naturkatastrophe und damit des modernen Katastrophendiskurses überhaupt. Das bemerkt Eva Horn in ihrer gegenwartsanalytisch ausgerichteten, zugleich kultur- und wissenschaftsgeschichtlich gesättigten Studie „Zukunft als Katastrophe“ (auf die im vierten Abschnitt noch etwas ausführlicher einzugehen ist). Demnach öffneten die paläontologischen und geologischen Forschungen etwa von Buffon und Cuvier um 1800 den Blick in eine extrem verlängerte Zeitlichkeit der Naturgeschichte, die durch „grundsätzliche Diskontinuität“, durch „große, katastrophische Einschnitte, gigantische Kataklysmen“ gekennzeichnet war.32 Die „Tiefenzeit“ wurde damit in gewisser Weise geordnet, zumindest strukturiert: in lange Phasen der Stasis einerseits und plötzliche, umwälzende Veränderungen andererseits. Bemerkenswerterweise führt der Titel von Georges Cuviers „Discours sur les révolutions de la surface du globe“ (1825) nicht die Katastrophe im Titel, sondern die Revolution(en). Während Horn diese Differenz nicht weiter thematisiert, weist Mauelshagen auf eine zunächst von Cuvier getroffene Unterscheidung in der geologischen Terminologie hin, nämlich diejenige zwischen „large-scale révolutions and the smaller [changes], which were termed catastrophe.“33
Umso komplexer ist für das 19. Jahrhundert die Überlagerungs- und Trennungsgeschichte beider Termini. Sie führt letztlich zur Auswanderung von „Revolution“ aus dem erd- und naturgeschichtlichen Bereich in denjenigen der politischen Geschichte – ohne dass aber die „Katastrophe“ ihr zugleich natur- und geschichtsdeutendes Potenzial einbüßen würde. Daher ist die kulturelle Karriere des geologisch-paläontologischen Katastrophenkonzepts von einiger Reichweite. Der Romanist Jörg Dünne verfolgt sie innerhalb der Tradition der französischen féerie, einer zunächst theatralischen, seit dem 19. Jahrhundert auch prosaischen Mischgattung, in der sich vor allem Repräsentationen des Burlesken, Wunderbaren und Phantasmagorischen finden. „Die katastrophische Feerie“: So kontraintuitiv und fast bizarr der Titel des Buchs anmutet, so evident sind die Einzelbefunde, die der Verfasser an den geologischen Imaginationen von Jules Verne, Gustave Flaubert und Louis-Ferdinand Céline entwickelt. Demnach ist die zum Diskontinuierlichen neigende Feerie ein besonders aussichtsreiches Format zur Darstellung einer „Geschichtlichkeit, deren eigentliches Charakteristikum der Bruch oder der Sprung ist“.34 In einem Ausblick verfolgt Dünne diese Denkfigur bis in die kulturtheoretischen Überlegungen von Benjamin, Foucault und Deleuze. Während er bei Benjamin vor allem die geschichtstheoretische Ebene betont (Katastrophe als „Spannung zwischen Geschichtsverfallenheit […] und der Chance auf ‚Rettung‘ der historischen Phänomene“35), statuiert er für Foucaults Wissensarchäologie und ihre Aneignung durch Deleuze das Fortwirken eines im engeren Sinne geologischen Denkens.36
3. Singularität und Vergleichbarkeit von Katastrophen
Wenn im kulturwissenschaftlichen Zusammenhang von „der Katastrophe“ die Rede ist, bezieht sich der Ausdruck seit den 1980er-Jahren oft auf den Holocaust. Gegen den Nachweis zahlreicher größerer und kleinerer Katastrophen in der Natur- und Kulturgeschichte, selbst gegen die historische Aufarbeitung vielfältiger Katastrophendiskurse steht damit der Singular der einen Katastrophe. Etwa zur gleichen Zeit kommt allerdings auch der Begriff der „Urkatastrophe“ als Beschreibung des Ersten Weltkriegs auf.37 Die Herausstellung einzigartiger oder originärer Katastrophen scheint also ihrerseits ein Diskurseffekt zu sein. Die aktuelle Proliferation des Begriffs wird damit nochmals problematischer: Angesichts einer als singulär ausgemachten Katastrophe mag die Rede von den vielen Katastrophen als unangemessene Relativierung erscheinen. Symptomatisch für dieses Problem ist eine Passage der Einleitung, die Thomas Klinkert und Günter Oesterle dem von ihnen herausgegebenen literaturwissenschaftlichen Band „Katastrophe und Gedächtnis“ voranstellen. Sie nennen „historische Beispiele“ für Katastrophen des 20. Jahrhunderts: „der Erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution, der Spanische Bürgerkrieg, der italienische Faschismus, der deutsche Nationalsozialismus, der Stalinismus, der Vietnamkrieg, der jugoslawische Bürgerkrieg, die Genozide in Kambodscha und Ruanda und vieles mehr“, um sogleich hinzuzufügen, „solche Katastrophen“ seien „keineswegs in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar“, was vor allem die „damit verbundenen Verbrechen“ betreffe.38 Hier zeigt sich das Problem dessen, was Robert Stockhammer in seinem Buch über den „anderen Genozid“ in Ruanda „Katastrophenkomparatistik“ genannt hat.39 Mit der maximalen, einzigartigen Katastrophe kann man nichts – und nichts mit ihr – vergleichen, und genau deshalb kommt man um den Vergleich nicht herum: „Jeder Genozid ist einzigartig; der Holocaust ist besonders einzigartig: Man soll nicht vergleichen. Diese Einzigartigkeit jedoch […] ist eine negative Folgerung aus Vergleichen mit anderen Fällen.“40
Die Beiträge des Bandes „Katastrophe und Gedächtnis“ argumentieren also vergleichend im Zeichen der Unvergleichbarkeit. Das tun sie nicht nur, indem sie „Fallstudien zu unterschiedlichen historischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts“41 bieten, sondern auch, indem sie auffallend oft mehrere Beispiele von Katastrophendarstellungen parallelisieren oder kontrastieren: die Shoah-Filme von Resnais und Lanzmann (Silke Segler-Messner), die Überlebens-Erzählungen von Semprún und Sebald (Rolf G. Renner), von Semprún, Kertész und Gstrein (Monika Neuhofer), von Klüger, Améry, Semprún und Levi (Marisa Siguan), von Edel, Becker und Wander (Thomas Schmidt) – um nur einige der Beiträge zu erwähnen, die sich mit literarischen Repräsentationen des Holocaust befassen. Noch dazu steht gleich am Anfang des Bandes ein systematisch grundlegender Aufsatz, in dem sich Aurélia Kalisky ausdrücklich gegen die Annahme einer historischen Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen ausspricht: Wenn man das Diktum der „‚unicité‘ de la Shoah et des camps nazis“ aufrechterhalte, dann verkenne man den Umstand, dass das 20. Jahrhundert durch eine „multiplication des catastrophes historiques“ gekennzeichnet sei.42 Diese Katastrophen zielen – so die These des Aufsatzes, aber auch des Bandes insgesamt – unmittelbar auf „das Archiv“, also auf die Vernichtung und letztlich auf die Negation des kulturellen Gedächtnisses. Indem historische Katastrophen damit ihre eigene Historizität durchstreichen, wirken sie sich auf die Geschichtserkenntnis als solche aus, weshalb nach Kalisky die „catastrophe mémorielle“ zugleich eine „castrophe épistémologique“ ist, gegen die nur die fortgesetzte Arbeit am Werk der Zeugenschaft, „l’œuvre testimoniale“, gesetzt werden kann.43
Auf andere Weise begründet und methodisch deutlicher unterstrichen wird die Bedeutung des Vergleichens in dem von Ewald Frie und Mischa Meier herausgegebenen Band, der gleich vier Titelwörter trägt: „Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall“. Die entscheidende Spezifizierung, zugleich der institutionelle Rahmen, steht im Untertitel: „Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften“. Es handelt sich um die erste Publikation des gleichnamigen DFG-Sonderforschungsbereichs an der Universität Tübingen; daher die programmatische Rhetorik vor allem der Einleitung.44 Die Begriffe „Ordnung“ und „Bedrohung“ stehen für eine akteursbezogene und emotionsgeschichtliche Herangehensweise, mit der gesellschaftliche Desintegrationsprozesse auf ihre gefühlten Ursachen sowie auf ihre kommunikativen Begleiterscheinungen untersucht werden sollen. Der „Katastrophe“ als Teil der titelgebenden Tetrade kommt dabei die Systemstelle „Kommunikationszwang und Bedrohung von außen“ zu, während „Aufruhr“ für „Kommunikationszwang und Bedrohung von innen“ steht, „Zerfall“ für „Kommunikationsetablierung und Bedrohung von innen“ sowie „Konkurrenz“ für „Kommunikationsetablierung und Bedrohung von außen“.45 Ohne diese Matrix hier genauer verstehen zu müssen, fällt doch auf, dass der Katastrophenbegriff für die Bedrohung „von außen“ reserviert bleibt, was dazu führt, dass die gleichsam „hereinbrechende“ Naturkatastrophe das Paradigma abgibt.46 Auch sie interessiert allerdings mit Blick auf die soziokulturellen Verarbeitungsweisen. Die Herausgeber würdigen die Errungenschaften der neueren Katastrophenforschung und heben dabei besonders das aus den Disaster Studies stammende Konzept der gesellschaftlichen „Verwundbarkeit“ (vulnerability) hervor47, das helfe, „die Toleranz- bzw. Dehnungsfähigkeit einer Ordnung auszuloten“ und sich den neuralgischen „Kippmomenten“ anzunähern, an denen sich die durch Katastrophen bedrohten Ordnungen grundlegend wandeln.48
In diesem systemischen Zugang zum Thema nimmt die „vergleichende Untersuchung“ eine methodisch und methodenpolitisch entscheidende Funktion ein. Sie soll einerseits „Aussagen über die zeitliche und räumliche Varianz gesellschaftlicher Ordnungen“ ermöglichen, andererseits „allgemeinere Aussagen über Bedrohungen und Ordnungen“.49 Das gilt besonders für die Überbrückung des Gegensatzes Vormoderne / Moderne und für die Überwindung von Reinhart Kosellecks „Sattelzeit“-Paradigma. Nicht von ungefähr wird auch der Koselleck’sche Begriff der „Krise“ gleich zu Beginn aus dem Arbeitsinstrumentarium aussortiert, weil er bloß der Bestätigung einer genuin modernen Gefährdung und Fragilität diene.50 Angesichts der ohnehin beträchtlichen Fülle an Leitbegriffen des Bandes wird man diesen Ausschluss nur begrüßen können – womit allerdings noch nicht die Frage beantwortet ist, inwiefern die „Krise“ zu den hier verhandelten Problemen gehört oder nicht. Ein dem Titel nach einschlägiger Sammelband zum Thema, „The Cultural Life of Catastrophes and Crises“, trägt zur Klärung wenig bei. Die Herausgeber, Carsten Meiner und Kristin Veel, beschränken sich in ihrer Einleitung auf den knappen Befund, es gebe einen Unterschied in der Temporalität beider Begriffe: „a catastrophe typically connotes a sudden event, whereas a crisis stretches over a longer period of time“.51 Dennoch bleiben sie durchweg bei der nicht weiter qualifizierten Konjunktion von Katastrophe und Krise, auch in den Überschriften aller Sektionen des Bandes („Thinking Catastrophes and Crises“, „Witnessing and Remembering Catastrophes and Crises“ usf.).52
Was den Vergleichs-Vorsatz im Band „Bedrohte Ordnungen“ betrifft, so macht vor allem ein Beitrag die Probe aufs Exempel: Jonas Borsch und Sara Sophie Stern, zwei Beteiligte des besagten Sonderforschungsbereichs, untersuchen aus althistorischer und zeithistorischer Perspektive, wie sich in zwei als vergleichbar deklarierten Situationen für die Akteure „die Ereignisse überschlugen“.53 Es handelt sich zum einen um Erdbeben im Mittelgriechenland des 5. Jahrhunderts v. Chr., zum anderen um soziale Unruhen im Ruhrgebiet zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Situationen könnten unterschiedlicher kaum sein, und tatsächlich sind auch fast alle Befunde derart unterschiedlich, dass die Vergleichbarkeit sich überwiegend formalen Kriterien verdankt. Die Verfasser nennen eine „ähnlich hohe Aufmerksamkeit“ seitens der Akteure54, betonen die jeweils festzustellende Bedeutung räumlicher Szenarien, außerdem das „Extreme“ der Situation selbst und die Verwendung bestimmter Topoi zu ihrer Beschreibung und Deutung.55 Weiterführend erscheinen dabei vor allem die Bemerkungen zum Zeitmanagement der Katastrophe (und des „Aufruhrs“) – in der Weise, dass die Vorfälle offenbar meistens in „längerfristige Entwicklungen“ eingeordnet werden, damit sich das Ausnahmegeschehen und die fortlaufende Zeit in irgendeiner Weise sinnvoll aufeinander beziehen lassen.56 Diese Formalisierbarkeit der Verläufe von Katastrophenfolgen ist ein Beleg für die einleitend formulierte These der „Verknappung von Zeit im Moment der Bedrohung“, die immer auch die Frage nach der Terminierung von Extremsituationen einschließt: „Wann, wie und warum endet die Bedrohung?“57
4. Historisierbarkeit von Katastrophen
Die Frage nach der Zeitlichkeit von Katastrophen steht im engen Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Historisierbarkeit – und diese wiederum, wie einleitend bemerkt, mit ihrer aktuellen Relevanz. „Katastrophismus ist in Mode“: So beginnt die historiographisch umfassendste unter den hier gesichteten Publikationen, „Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert“ von François Walter. Der Ausdruck „Mode“ ist dabei kulturpsychologisch ernstzunehmen, etwa im Sinne von Gabriel Tardes „Gesetzen der Nachahmung“, denn Walter versteht den derzeitigen Katastrophismus keineswegs als frivol, sondern als ernstzunehmendes Syndrom. Spätestens mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei ausgemacht: „Das Trauma ruht von nun an im Herzen der abendländischen Kultur.“58 Deshalb lohne es sich, „den zeitgenössischen Ängsten ihre geschichtliche Tiefe zu geben“.59Kulturgeschichte heißt demnach, aus einer prekären Aktualität historisch zurückzufragen. Darin liegt zugleich die wesentliche Stoßrichtung dieser in der Frühen Neuzeit ansetzenden Geschichte: Statt einfacher Säkularisierungsnarrative, die Walter zumindest im Unterton auch neuerer geschichtswissenschaftlicher Arbeiten noch heraushört, widmet er sich der ambivalenten „Lust an Katastrophen“.60 In dieser Sichtweise befindet sich auch das moderne Risikomanagement nah an der vermeintlichen Irrationalität älterer Epochen. Der Verfasser geht sogar noch weiter, indem er das erste seiner drei Kapitel, das die Phase etwa von der Reformation bis zum mittleren 18. Jahrhundert behandelt, mit der Zurückweisung der von ihm ausgemachten Forschungskonvention überschreibt: „Die alten Gesellschaften sind keine Katastrophengesellschaften“.61 Die modernen hingegen schon, wie man wohl ergänzen darf; immerhin beendet Walter seinen historischen Durchgang mit einem Kapitel über den ökologischen „Alarmismus“, bei dem etwa das in den 1980er-Jahren befürchtete Waldsterben als „Schimäre“ erscheint.62 Damit wird der Spieß vollends umgedreht – eine polemische Dialektik der Aufklärung, die aber unbefriedigend bleibt, weil sie im Grunde undialektisch und insgesamt in der historischen Darbietung zu sprunghaft verfährt.
Umso mehr ist nochmals nachzufragen, wie sich eine Geschichte der Katastrophe zur Zeitlichkeit des Katastrophischen verhält. Immer wieder begegnet in den hier besprochenen Büchern der Begriff des „Ereignisses“, der mit den Elementen der Katastrophenbewältigung, -darstellung und -diskursivierung spannungsvoll verknüpft ist.63 Solvejg Nitzke behandelt in ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation „Die Produktion der Katastrophe. Das Tunguska-Ereignis und die Programme der Moderne“. In der Steinigen Tunguska, einer weitgehend unbesiedelten Flussregion in Sibirien, ereignete sich im Juni 1908 eine gewaltige Explosion, deren Ursache lange ungeklärt blieb. Nitzke spricht sogar programmatisch von einem „Ereignis ohne Ursache“64, auch wenn sie einleitend darlegt, dass sich mittlerweile die These von einem Meteoriteneinschlag weitgehend durchgesetzt hat. Relevant für die Studie sind in jedem Fall die Folgen der Explosion – nicht die unmittelbar meteorologischen (eine Reihe „heller Nächte“ in ganz Europa), sondern die langfristig diskursiven, die in zwei Großkapiteln untersucht werden. Hinsichtlich der „Tunguska-Wissenschaften“ greift die Verfasserin vor allem theoretisch aus, um das Ineinander von Spurensuche und Faktenkonstruktion oder die mythischen Qualitäten des Tunguska-Ereignisses darzulegen. Die zahlreichen „Tunguska-Fiktionen“ untersucht sie in der russischen und polnischen Science Fiction der 1950er- bis 1970er-Jahre (Romane der Brüder Strugatzki und von Stanisław Lem), aber auch in neuesten Romanen, die die Frage der Historizität selbst thematisieren (Thomas Pynchons „Against the Day“, Christian Krachts „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ sowie Vladimir Sorokins „Ljod“-Trilogie). Angesichts der Ungreifbarkeit und beharrlichen Rätselhaftigkeit des Tunguska-Ereignisses wird dabei der Begriff des Ereignisses selbst problematisch, bis hin zur abschließenden Frage: „Ist ‚Tunguska‘ ein Ereignis?“65 – deren Beantwortung an die Analysen der Gegenwartsromane delegiert wird.
Für eine kulturwissenschaftliche, insbesondere eine literaturwissenschaftliche Untersuchung ist diese Arbeit mit dem Unentschiedenen produktiv, zumal ja ausdrücklich die „Produktion der Katastrophe“ untersucht werden soll.66 Für ein szientistisches Wissenschaftsverständnis hingegen liegt darin eine Grenzbestimmung, ja ein Skandal. „Das Rätsel als solches zu belassen, stellt innerhalb des modernen Denkstils selbst eine Katastrophe dar“67, so Nitzke in einer Formulierung, in der die oben zitierte „catastrophe épistémologique“ (Kalisky) anklingt. Der Fall der Tunguska-Explosion liegt also deutlich anders als bei den industriellen Explosionen in der BASF 1921 und 1948, die Lisa Sanner in einer geschichtswissenschaftlichen Dissertation untersucht hat.68 Wohlgemerkt geht es auch in dieser Studie nicht um Ursachenforschung, sondern um die Analyse von Wahrnehmungs- und Deutungsweisen, doch lässt sich hier der zeitgenössische Diskurs relativ klar begrenzen und mit einem quellenkundlichen Verfahren erschließen. Demgegenüber ist der von Nitzke untersuchte Fall ausgreifender und zugleich ungreifbarer. Das betrifft nicht zuletzt seine eigentliche Kennzeichnung als Katastrophe, die mit wesentlichen Vorbehalten versehen wird. So spricht die Verfasserin von einer „Katastrophe im Potenzialis“, die mit Blick auf ihr „Katastrophenpotenzial“ zu bestimmen sei.69 Die wissensgeschichtliche Bedeutung des Vorfalls liegt also nicht nur in den retrospektiven Techniken der Rätsellösung und Spurensuche, sondern auch in den prospektiven der Szenariobildung und Risikoabschätzung. Vor allem anhand der para- und populärwissenschaftlichen Texte ihrer Studie kann Nitzke darlegen, dass Tunguska immer wieder emblematisch für das maximale Risiko einsteht: das „Risiko des Weltuntergangs“.70
Damit situiert sich die Historisierung von Katastrophen im Kontext der historischen Beschäftigung mit der Zukunft, die in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Kulturwissenschaften gerückt ist.71 In Joachim Radkaus „Geschichte der Zukunft“, die „Prognosen, Visionen und Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute“ behandelt, werden katastrophische Szenarien mehrmals erwähnt, vor allem für die zukunftsskeptischere Phase ab ungefähr 1970.72 Das betrifft in Radkaus Darstellung sowohl den „Picht-Alarm“, d.h. die von Georg Picht schon 1964 initiierte Debatte um eine „Bildungskatastrophe“, als auch den „Alarm um das ‚Waldsterben‘ und um die Risiken der zivilen Atomtechnik“ in den 1980er-Jahren.73 Der wiederkehrende Ausdruck „Alarm“ zeigt an, dass Radkau dazu neigt, die Katastrophendiskurse zu entdramatisieren, indem er sie als vorwiegend alarmistische rekonstruiert. Bemerkenswerterweise spielt in seinem Kapitel zum „Atomzeitalter“ der Katastrophenbegriff keine wesentliche Rolle, sodass zum Beispiel Günther Anders’ Beharren auf dem denkbaren Ende der Menschheit, das er der zeitgenössischen „Apokalypse-Blindheit“ entgegenhielt, überhaupt nicht erwähnt wird. Anderen zukunftshistorischen Publikationen ist hingegen zu entnehmen, wie kulturell produktiv der Konnex von Zukunftsentwürfen und Katastrophendenken im 20. Jahrhundert gewesen ist, sei es in mehr oder weniger rationalen Worst-case-Szenarien74 oder in der Entwicklung von Schutzmechanismen.75 Es bleibt die Frage, ob dieser Konnex erst mit der „Entdeckung der Zukunft“ (Lucian Hölscher) im späten 18. Jahrhundert einsetzen konnte, ob also das Anvisieren künftiger Katastrophen eine moderne Angelegenheit ist, oder ob hier eine Verbindung zur Vormoderne besteht.76
In ihrem bereits erwähnten Buch versteht die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn die Denkfigur „Zukunft als Katastrophe“ als genuin modern, wenn auch mit wichtigen vormodernen Anklängen. Zu diesen zählt vor allem die Apokalypse-Tradition, die „Katastrophe als Offenbarung“, die „bereits zur antiken Textgattung der Prophezeiung“ gehörte und vor allem für die christliche, heilsgeschichtliche Eschatologie beansprucht wurde. Trotz solcher Kontinuitätselemente ist der Verfasserin aber an dem Befund eines Umbruchs gelegen: Die Moderne habe sich von der Zukunft als adventus, von der „Vorstellung einer immer schon gebahnten, auf uns zukommenden Zukunft“ verabschiedet und sie ersetzt durch eine „Zukunft, die der Mensch macht“.77 Daher bekennt sich Horn entschieden zu Kosellecks These von der Entstehung der Moderne in der „Sattelzeit“. Den „Anfang der modernen Katastrophenimagination“ setzt sie im frühen 19. Jahrhundert, als in Texten und Bildern – von Jean Paul, Lord Byron oder John Martin – der „Anblick des Weltendes“ als „Erfahrung des Erhabenen par excellence“ erscheint.78 Diese eigentümliche Anschaulichkeit der Katastrophe versteht der Kunsthistoriker Jörg Trempler geradezu als ihre „Entstehung aus dem Bild“. Er demonstriert dies nicht nur an einer Reihe von Katastrophenbildern seit dem 18. Jahrhundert, sondern auch an dem unauflöslichen Verhältnis von Ereignishaftigkeit und Bildlichkeit in der heutigen medialen Repräsentation von Katastrophen, für das bei ihm exemplarisch der 11. September 2001 steht.79
Es geht bei diesen Überlegungen also um eine fundamental ästhetische Perspektive. Bei Horn ist dies zugleich eine anthropologische (etwa angesichts der zentralen Figur des „letzten Menschen“) sowie, in der Vielzahl der Katastrophendiskurse und -disziplinen, eine wissensgeschichtliche. Im Fortgang ihres Buchs untersucht Horn verschiedene Endzeitszenarien des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: atomares Wettrüsten, Super-GAU, Klimawandel; sie verfolgt aber auch die dagegen aufgebotenen Techniken des Überlebens und der Prävention. In diesem Panorama möglicher Katastrophen haben die vielfach nachgewiesenen literarischen und filmischen Endzeitvisionen – Samuel Becketts „Endgame“ und Cormac McCarthys „The Road“, Stanley Kubricks „Dr. Strangelove“ und Francis Lawrences „I Am Legend“ – keineswegs illustrativen Charakter. Vielmehr arbeitet Horn die imaginativen und fiktionalen Qualitäten des modernen Katastrophendiskurses heraus, in dem die Katastrophe immer wieder in Aussicht gestellt und deshalb stets aufs Neue vor Augen geführt wird, und zwar, wie es in apokalyptischer Wendung abschließend heißt, mit einem „tragischen Blick“ auf eine „grundlegende Zerstörung der Natur“; einem Blick, „der gewusst haben wird, dass wir diese Zukunft nicht verhindert haben“.80
Es ist heute vor allem der Klimawandel, an dem sich die Wendung des Katastrophendiskurses in die Zukunft einerseits beobachten, andererseits emphatisch vertreten lässt. Möglicherweise wird damit die Rede von der Katastrophe auf neue Weise politisch einsetzbar. Auf eine solche „Operativität“ deutet der Titel des Sammelbandes „Catastrophes. A History and Theory of an Operative Concept“ von Nitzan Lebovic und Andreas Killen, dessen zwei letzte Beiträge sich mit der Entstehung und Tragweite der aktuellen Konjunktion von Klima und Katastrophe befassen. Was die Entstehung betrifft, so verortet sie der Wissenschaftshistoriker Matthias Dörries in der bundesdeutsch-österreichischen Meteorologie und Umweltwissenschaft der mittleren 1980er-Jahre, das heißt in einer Zeit, als sich – wie eingangs bemerkt – die Disaster Studies international als Forschungsfeld etablierten. Dabei spielte die „extension of time horizons“ eine wichtige Rolle: Die Katastrophen der Erdgeschichte, „continental drift, past volcanic eruptions of unprecedented scale and impact, the consequences of striking meteorites, and past climate changes and tsunamis“, wurden mit ins Kalkül gezogen, um das System Erde neu zu interpretieren, als „much more fragile and smaller than previously thought“.81 Diese tiefenzeitliche Perspektive dient also nicht der Relativierung des anthropogenen Klimawandels, sondern macht ihn allererst als erdgeschichtliches Phänomen erkennbar, im Sinne der seither aufgekommenen Debatten um das „Anthropozän“.82 Allerdings stellt die Politikwissenschaftlerin Alyssa Battistoni fest, dass gerade für die angestrebte politische Umsetzung der Klimafolgenforschung die Rede von der Katastrophe in der Scientific Community kontrovers debattiert werde: „some scientists deem it irresponsible and alarmist while others defend it as an accurate interpretation of the data“.83 Wenn daraus eine Regierungstechnik werden solle, müsse man „excesses of response“ ausschließen, wobei allerdings nüchtern festzustellen bleibe: „in the fields of risk and disaster management, catastrophism is a matter of course“.84
Diese Selbstverständlichkeit kann wiederum nicht nur zu einer Gewöhnung an den Katastrophendiskurs führen, sondern auch zu einer „Normalisierung des Katastrophischen“, wie die Technikphilosophin Gabriele Gramelsberger in ihrem Beitrag zum Band „Aufbruch ins Unversicherbare“ feststellt: „Die Verwaltung des Klimawandels in Wissenschaft, Politik und den Medien ist zum Betrieb geworden, der das Katastrophische zum Alltag werden lässt.“ Die Gewinnung von Routinen und Standards sei für die Implementierung des Klimawissens zwar zu begrüßen, werfe aber dennoch die Frage auf: „Wie viel Normalisierung des Katastrophischen können wir uns leisten?“85 Die Antwort und Schlussfolgerung lautet, wieder stärker die „Katastrophe als Potenzial“86 in den Vordergrund zu stellen. Das kann Verschiedenes bedeuten, etwa eine stärkere politisch-ökologische Aktivierung auf regionaler und lokaler Ebene, aber auch die derzeit zu beobachtende Umstellung vom Zukunftsparadigma der Prävention auf das der Resilienz, also von der Verhinderung unerwünschter Zukünfte zur Verwaltung von Unsicherheiten.87
5. Fazit
Zusammenfassend ist mit Blick auf die vier skizzierten Forschungslinien und -tendenzen festzuhalten:
1. Für die Begriffsgeschichte von „Katastrophe“ können einige Wendepunkte und Übertragungen als gesichert gelten, mögen aber nach wie vor überraschend wirken (was zum Beispiel die Katastrophenterminologie in der Komödientheorie oder der Geologie betrifft). Vor allem fällt die grundsätzliche Entlehnbarkeit und Uminterpretierbarkeit des Ausdrucks auf. Heute erscheint er fach- wie alltagssprachlich nahezu allgegenwärtig, allerdings fehlt er in vielen wichtigen begriffsgeschichtlichen Wörterbüchern. Seine Verwendung ist daher oft unspezifisch. In den hier gesichteten Publikationen, vor allem in einigen der Sammelbände, resultiert daraus eine gewisse Unentschiedenheit über den Umfang des Katastrophenbegriffs, über verwandte Termini und über solche, die eher als Abgrenzungs- und Gegenbegriffe fungieren. So bleibt für die Wort-, Begriffs- und Diskursgeschichte weiterhin viel zu tun, aber nicht nur für diese: Auch methodisch ganz anders orientierte Arbeiten sollten die Reichweite und Anwendbarkeit der Leitvokabel „Katastrophe“ kritisch überprüfen, damit diese nicht zu einem bloßen umbrella term wird.
2. Dass es keine „reinen“ Naturkatastrophen gibt, ist eine Erkenntnis, die sich in der kulturwissenschaftlichen Forschung schon seit längerem durchgesetzt hat. Man kann diesen Befund aber auch kritisch wenden: Die historischen Kulturwissenschaften sehen überall nur Kultur, selbst dort, wo die Natur zuschlägt. In der Forschung geht es allerdings meistens um die kulturellen Antworten auf Naturkatastrophen: um Bewältigungsstrategien, Rettungsversuche, Schutzmaßnahmen. Auf diese Weise können „natürlich“ und „kulturell“ induzierte Katastrophen in der Tat zusammen untersucht werden. Weniger überzeugend wirken demgegenüber solche Natur-/Kultur-Überbrückungen, die die kategorialen Unterscheidungen in den Ursachen von Katastrophen nivellieren. Dann kann es geschehen, dass die Differenzen zwischen Erdbeben, Überflutung, Krieg und Atommüll letztlich gleichgültig erscheinen, weil sich am Umgang mit all diesen Herausforderungen dasselbe Repertoire kultureller Tätigkeiten beobachten lässt. Wohlgemerkt wird die Kategorie der Katastrophenursache in vielen der konsultierten Veröffentlichungen eher eingeklammert oder auch explizit ausgeschlossen. Das muss aber nicht heißen, dass sie nicht erneut betrachtet werden könnte.
3. An dieses Problem schließt die Frage der Vergleichbarkeit unmittelbar an. Ob und wie Katastrophen vergleichbar sind, wurde in diesem Forschungsbericht auch mit Blick auf das Problem der Singularität historischer Katastrophen, insbesondere des Holocaust, diskutiert. Diese Frage scheint aus dem Fokus der Geschichtswissenschaft eher in denjenigen der Literaturwissenschaft gewandert zu sein, ohne dort immer methodisch ausführlich diskutiert zu werden. Im Sprachgebrauch vieler Untersuchungen fällt auf, dass „die Katastrophe“, ohne weitere Hinzufügungen, fast immer den Holocaust meint. Es scheint also geboten, sich darüber zu verständigen, welche Rolle die Katastrophe als analytische Kategorie in der Holocaustforschung spielt. Auch darüber hinaus wirft die Vergleichbarkeit methodische Fragen auf, die weiterhin der Klärung bedürfen, besonders in interdisziplinärer Hinsicht: Was heißt es, Natur- und Kulturkatastrophen miteinander zu vergleichen? Setzen Katastrophenvergleiche bei einer Ähnlichkeit der Phänomene an oder bei einer Gemeinsamkeit der Strukturen? Zielen sie auf Gleichheit, oder dienen sie dem Nachweis kategorialer Unterschiede?
4. Katastrophen sind historisierbar; nur dadurch werden sie für die hier behandelten Untersuchungen interessant. Sie sind es umso mehr, als sie in ihrer Ereignishaftigkeit, aber auch in der Art, wie sie bewältigt und diskursiv verfügbar gemacht werden, eine besondere Zeitlichkeit aufweisen. Katastrophen werden oft als emphatisch diskontinuierliche Vorfälle erfahren, als Bruch, Umsturz, Wendung; zugleich erfordern sie Gegenmaßnahmen, die einerseits sofort greifen müssen, andererseits – so würde man es jedenfalls heute fordern – „nachhaltig“ zu sein haben. In der Durchkreuzung von schockhafter Plötzlichkeit und einem wie auch immer gearteten Zeitmanagement liegt eine temporale Spezifik, über die zeit- wie geschichtstheoretisch noch einiges zu sagen sein dürfte. Das gilt besonders für die Erforschung von Zukunftskonzepten, denn auf die eine oder andere Weise läuft die in sich komplexe „Katastrophenzeit“ prinzipiell auf die Zukunft hinaus. Eine Herausforderung kulturwissenschaftlicher Katastrophenforschung liegt darin, es mit dieser Zukünftigkeit aufzunehmen. Gerade das könnte ein Beitrag zum gegenwärtigen Umgang mit Katastrophen sein. Wenn man dabei, wie im zuletzt erwähnten Aufsatz von Gramelsberger, die Katastrophe als „Potenzial“ verstünde, könnte das heißen, den Katastrophendiskurs der Gegenwart umzustellen: von der Faktizität und Evidenz sich ereignender Geschehnisse hin zur gegenwärtigen Möglichkeit zukünftiger Katastrophen. In kulturwissenschaftlicher Perspektive schließt das die Historisierung vergangener Zukünfte mit ein – das heißt all dessen, was bereits als mögliche Katastrophe entworfen, befürchtet oder erhofft worden ist. In dieser Sichtweise verliert die Katastrophe ihre Ereignishaftigkeit und wird zum Strukturmerkmal: „Disasters make visible deep structures and long-term patterns of change.“88
Anmerkungen:
1 Als Überblick zur geschichtswissenschaftlichen Katastrophenforschung vgl. Nicolai Hannig, Katastrophen im 19. und 20. Jahrhundert. Befunde, Kontexte und Perspektiven, in: Neue Politische Literatur 61 (2016), S. 439–463.
2 Jacques Derrida, Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie [zuerst frz. 1983], in: ders., Apokalypse, übers. von Michael Wetzel, Graz 1985, S. 9–89.
3 Paul Virilio, Projekt für eine Katastrophen-Zeitschrift, in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 2 (1979), S. 128.
4 Arno Borst, Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 529–569.
5 Als Einblick in die interdisziplinäre Breite des Forschungsfeldes vgl. Rasmus Dahlberg / Olivier Rubin / Morten Thanning Vendelø (Hrsg.), Disaster Research. Multidisciplinary and International Perspectives, London 2016. Vgl. außerdem Cécile Stephanie Stehrenberger, Systeme und Organisationen unter Stress. Zur Geschichte der sozialwissenschaftlichen Katastrophenforschung (1949–1979), in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 406–424, https://zeithistorische-forschungen.de/3-2014/id=5140 (17.07.2018).
6 Katharina Gerstenberger / Tanja Nusser, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Catastrophe and Catharsis. Perspectives on Disaster and Redemption in German Culture and Beyond, Rochester 2015, S. 1–16, hier S. 1.
7 Wolfgang Asholt, Eine écriture du désastre? Katastrophenszenarien im Werk von Georges-Arthur Goldschmidt, in: Ottmar Ette / Judith Kasper (Hrsg.), Unfälle der Sprache. Literarische und philologische Erkundungen der Katastrophe, Wien 2014, S. 77–92, hier S. 77. Vgl. dazu auch den Beitrag von Marcus Coelen, Katastrophe. Desaster, in: ebd., S. 131–136, sowie außerdem Gerrit Jasper Schenk, Vormoderne Sattelzeit? Disastro, Katastrophe, Strafgericht – Worte, Begriffe und Konzepte für rapiden Wandel im langen Mittelalter, in: Carla Meyer / Katja Patzel-Mattern / Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Krisengeschichte(n). „Krise“ als Leitbegriff und Erzählmuster in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Stuttgart 2013, S. 177–212.
8 Theodor W. Adorno, Wörter aus der Fremde [1959], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 11: Noten zur Literatur, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1997, S. 216–233. Vgl. Falko Schmieder / Georg Toepfer (Hrsg.), Wörter aus der Fremde. Begriffsgeschichte als Übersetzungsgeschichte, Berlin 2017.
9 Olaf Briese / Timo Günther, Katastrophe. Terminologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Archiv für Begriffsgeschichte 51 (2009), S. 155–195, hier S. 155.
10 In seinem Artikel „Revolution“ verweist Koselleck z.B. auf den „Brockhaus“ von 1847, der „‚Revolution‘ schlechthin als Katastrophe definiert“, sowie auf denjenigen von 1864, der Revolutionen als „Wendepunkte und Katastrophen im Leben der germanisch-romanischen Völker“ versteht. Reinhart Koselleck, Revolution. Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 653–788, hier S. 775, S. 777.
11 Der ebenfalls von Koselleck verfasste Artikel „Fortschritt“ (ebd., Bd. 2, Stuttgart 1975, 3. Aufl. 1992, S. 351–423) zitiert auf der vorletzten Seite (S. 422) Walter Benjamins Diktum, der Begriff des Fortschritts selbst sei „in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“
12 Briese / Günther, Katastrophe, S. 156.
13 Johannes Kepler, Antwort auf Roeslini Diskurs (1609); zit. nach ebd., S. 157, S. 173.
14 Ebd., S. 195.
15 Judith Kasper, Für eine Philologie der Kata/strophe, in: Ette / Kasper (Hrsg.), Unfälle der Sprache, S. 7–20, hier S. 12.
16 Vgl. dazu auch Moishe Postone / Eric Santner (Hrsg.), Catastrophe and Meaning. The Holocaust and the Twentieth Century, Chicago 2003; Máté Zombory, Conceptions of the Catastrophe. Discourses on the Past before the Rise of Holocaust Memory, in: Holocaust Studies 23 (2017), S. 176–198.
17 Kasper, Für eine Philologie der Kata/strophe, S. 15f.
18 Dies., Kata/strophisches Lesen. Baudelaire in Buchenwald, in: Ette / Kasper (Hrsg.), Unfälle der Sprache, S. 117–129, hier S. 126.
19 Ebd., S. 117.
20 Leon Hempel / Thomas Markwart, Einleitung. Ein Streit über die Katastrophe, in: dies. / Marie Bartels (Hrsg.), Aufbruch ins Unversicherbare. Zum Katastrophendiskurs der Gegenwart, Bielefeld 2013, S. 7–27, hier S. 7.
21 Wolf R. Dombrowsky, Katastrophe und Katastrophenschutz. Eine soziologische Analyse, Wiesbaden 1989, S. 47. Das Zitat findet sich auch bei Briese / Günther, Katastrophe, S. 194. Zur soziologischen Katastrophenforschung vgl. weiterhin Martin Voss, Symbolische Formen. Grundlagen und Elemente einer Soziologie der Katastrophe, Bielefeld 2006.
22 Hartmut Böhme, Postkatastrophische Bewältigungsformen von Flutkatastrophen seit der Antike, in: Karlheinz Sonntag (Hrsg.), Von Lissabon bis Fukushima – Folgen von Katastrophen, Heidelberg 2013, S. 77–104, hier S. 80.
23 So auch der Tenor weiterer Sammelbände: Christa Hammerl / Thomas Kolnberger / Eduard Fuchs (Hrsg.), Naturkatastrophen. Rezeption – Bewältigung – Verarbeitung, Wien 2009; Christa Hammerl / Ilja Steffelbauer (Hrsg.), Naturkatastrophen. Dramatische Naturereignisse aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, Wien 2014.
24 Vgl. dazu Johannes F. Lehmann / Hubert Thüring (Hrsg.), Rettung und Erlösung. Politisches und religiöses Heil in der Moderne, München 2015.
25 Martina Heßler / Christian Kehrt, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962. Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014, S. 9–34, hier S. 10.
26 Vgl. Felix Mauch, Erinnerungsfluten. Das Sturmhochwasser von 1962 im Gedächtnis der Stadt Hamburg, Hamburg 2015. Zur empirischen Erforschung des gesellschaftlichen Umgangs mit (v.a.) Naturkatastrophen vgl. die Arbeit der „Katastrophenforschungsstelle“ am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin: http://www.polsoz.fu-berlin.de/ethnologie/forschung/arbeitsstellen/katastrophenforschung/index.html (17.07.2018).
27 Vgl. etwa Anne-Marie Mercier-Faivre / Chantal Thomas (Hrsg.), L’invention de la catastrophe au XVIII siècle. Du châtiment au désastre naturel, Genève 2008; Gerhard Lauer / Thorsten Unger (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen 2008.
28 Vgl. Briese / Günther, Katastrophe, S. 172.
29 Vgl. Franz Mauelshagen, Defining Catastrophes, in: Gerstenberger / Nusser (Hrsg.), Catastrophe and Catharsis, S. 172–190, hier S. 174.
30 Ebd., S. 177, unter der Zwischenüberschrift „How ‚Natural‘ Are Natural Disasters?“. Mauelshagen nennt hier u.a. Eckart Olshausen, Naturkatastrophen in der antiken Welt, Stuttgart 1998; er ist allerdings selbst Mitherausgeber eines historisch weit zurückgreifenden Bandes, vgl. Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen (Hrsg.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 2003. Vgl. außerdem Mischa Meier, Zur Terminologie der (Natur-)Katastrophe in der griechischen Historiographie – einige einleitende Anmerkungen, in: Gerrit Jasper Schenk / Jens Ivo Engels (Hrsg.), Historical Disaster Research. Concepts, Methods and Case Studies / Historische Katastrophenforschung. Begriffe, Konzepte und Fallbeispiele, Köln 2007 (= Historical Social Research / Historische Sozialforschung 32 [2007], H. 3), S. 44–56, https://doi.org/10.12759/hsr.32.2007.3.44-56 (17.07.2018).
31 Siehe die Beiträge in: Sonntag, Von Lissabon bis Fukushima.
32 Eva Horn, Zukunft als Katastrophe, Frankfurt am Main 2014, S. 142. Zum Katastrophismus als geologischer Forschungsrichtung und zur historischen Kritik daran vgl. Olaf Briese, „Genommen auß den Comoedien“. Katastrophenbegriffe der neuzeitlichen Geologie, in: Michael Eggers / Matthias Rothe (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaftsgeschichte, Bielefeld 2009, S. 23–50.
33 Mauelshagen, Defining Catastrophes, S. 174.
34 Jörg Dünne, Die katastrophische Feerie. Geschichte, Geologie und Spektakel in der modernen französischen Literatur, Konstanz 2016, S. 29.
35 Ebd., S. 216.
36 Vgl. zum Spektakulären der Katastrophe ebenfalls Jörg Dünne / Gesine Hindemith / Judith Kasper (Hrsg.), Catastrophe & Spectacle. Variations of a Conceptual Relation from the 17th to the 21st Century, Berlin 2018.
37 Vgl. dazu einschlägig Wolfgang J. Mommsen, Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914–1918, Stuttgart 2002. Siehe auch Claude D. Conter / Oliver Jahraus / Christian Kirchmeier (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg als Katastrophe. Deutungsmuster im literarischen Diskurs, Würzburg 2014.
38 Thomas Klinkert / Günter Oesterle, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Katastrophe und Gedächtnis, Berlin 2014, S. 1–17, hier S. 2.
39 Robert Stockhammer, Ruanda. Über einen anderen Genozid schreiben, Frankfurt am Main 2005, S. 57.
40 Ebd., S. 66. Zu diesem Problem u.a. auch Lucia Scherzberg (Hrsg.), „Doppelte Vergangenheitsbewältigung“ und die Singularität des Holocaust, Saarbrücken 2012; Fritz Bauer Institut / Sybille Steinbacher (Hrsg.), Holocaust und Völkermorde. Die Reichweite des Vergleichs, Frankfurt am Main 2012.
41 Klinkert / Oesterle, Einleitung, S. 11f.
42 Aurélia Kalisky, D’une catastrophe épistémologique ou la catastrophe génocidaire comme négation de la mémoire, in: Klinkert / Oesterle (Hrsg.), Katastrophe und Gedächtnis, S. 18–74, hier S. 18.
43 Ebd., S. 45, S. 69.
44 In der Hauptreihe „Bedrohte Ordnungen“ sind seither einige Folgebände erschienen, weitere sind in Planung; vgl. http://www.uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-923/publikationen/reihe-bedrohte-ordnungen.html (17.07.2018).
45 Ewald Frie / Mischa Meier, Bedrohte Ordnungen. Gesellschaften unter Stress im Vergleich, in: dies. (Hrsg.), Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften, Tübingen 2014, S. 1–27, hier S. 7f. In der 2016 begonnenen zweiten Förderphase des SFB gibt es neue Projektbereiche; vgl. auch dazu die Website: http://www.uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-923/teilprojekte.html (17.07.2018).
46 So in dem einzigen Beitrag, der explizit die „Katastrophe“ im Titel führt: Jan Hinrichsen / Reinhard Johler / Sandro Ratt, Katastrophen. Vom kulturellen Umgang mit (außer)alltäglichen Bedrohungen, in: ebd., S. 61–82. Untersucht werden v.a. Lawinenunglücksfälle in Österreich. Siehe jetzt auch Sandro Ratt, Deformationen der Ordnung. Bausteine einer kulturwissenschaftlichen Katastrophologie, Bielefeld 2018.
47 Vgl. Greg Bankoff / Georg Frerks / Dorothea Hilhorst (Hrsg.), Mapping Vulnerability. Disasters, Development & People, London 2004.
48 Frie / Meier, Bedrohte Ordnungen, S. 16.
49 Ebd., S. 5, 22.
50 Ebd., S. 1.
51 Carsten Meiner / Kristin Veel, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Cultural Life of Catastrophes and Crises, Berlin 2012, S. 1–12, hier S. 1.
52 In dem – generell äußerst heterogenen – Band ist übrigens keine Bemerkung zu Kosellecks Krisen-Theorie zu finden.
53 Jonas Borsch / Sara Sophie Stern, „Und jetzt ist Meer, wo vorher Land war“. Wahrnehmungen von Beschleunigung und Verdichtung in unruhigen Zeiten, in: Frie / Meier (Hrsg.), Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall, S. 229–247, hier S. 233.
54 Ebd., S. 239.
55 Ebd., S. 244–246.
56 Ebd., S. 244.
57 Frie / Meier, Bedrohte Ordnungen, S. 6f.
58 François Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert, übers. von Doris Butz-Striebel und Trésy Lejoly, Stuttgart 2010 [zuerst frz. 2008], S. 25.
59 Ebd., S. 9f.
60 Ebd., S. 15.
61 Ebd., S. 27.
62 Ebd., S. 262, S. 269.
63 Zum Ereignis-Begriff vgl. Peter-Michael Steinsiek, Ereignis und Katastrophe. Aus den Werkstätten der Katastrophenforschung, Remagen 2013, hier insbesondere die theoretisch-methodischen Überlegungen, S. 35–83; Tobias Conradi, Breaking News. Automatismen in der Repräsentation von Krisen- und Katastrophenereignissen, Paderborn 2015, v.a. S. 127–162.
64 Solvejg Nitzke, Die Produktion der Katastrophe. Das Tunguska-Ereignis und die Programme der Moderne, Bielefeld 2017, S. 13.
65 Ebd., S. 283.
66 Vgl. auch die Studie von Peter Utz, Kultivierung der Katastrophe. Literarische Untergangsszenarien aus der Schweiz, München 2013.
67 Nitzke, Die Produktion der Katastrophe, S. 34.
68 Lisa Sanner, „Als wäre das Ende der Welt da“. Die Explosionskatastrophen in der BASF 1921 und 1948, Ludwigshafen 2015; rezensiert von Kathrin Reichert, in: H-Soz-Kult, 15.09.2017, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25408 (17.07.2018).
69 Nitzke, Die Produktion der Katastrophe, S. 12, S. 95.
70 Ebd., S. 121.
71 Vgl. grundlegend Lucian Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt am Main 1999, 2., erweiterte Neuaufl. Göttingen 2016. Vgl. auch ders. (Hrsg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts. Dimensionen einer historischen Zukunftsforschung, Frankfurt am Main 2017; Benjamin Bühler / Stefan Willer (Hrsg.), Futurologien. Ordnungen des Zukunftswissens, Paderborn 2016.
72 Joachim Radkau, Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute, München 2017. Zum Zusammenhang von Prognostik und Katastrophendenken seit 1970 vgl. auch Elke Seefried, Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin 2015, S. 255–292.
73 Radkau, Geschichte der Zukunft, S. 210, S. 325.
74 Vgl. Sabine Blum, Worst case, in: Bühler / Willer (Hrsg.), Futurologien, S. 339–349.
75 Vgl. Martin Diebel, Atomkrieg und andere Katastrophen. Zivil- und Katastrophenschutz in der Bundesrepublik und Großbritannien nach 1945, Paderborn 2017; Nicolai Hannig, Die Zukunft als Gefahr: Katastrophenschutz im 20. Jahrhundert, in: Hölscher (Hrsg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts, S. 253–278.
76 Die einschlägigen Forschungsverbünde, die Fragen der Zukunftssicherung in die Vormoderne zurückverfolgen (z.B. das Graduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ der Universität Duisburg-Essen und der Sonderforschungsbereich „Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheitlichung in historischer Perspektive“ der Universitäten Gießen und Marburg), arbeiten bislang nicht prominent mit dem Katastrophenbegriff. Vgl. aber Christian Rohr / Ursula Bleber / Katharina Zeppezauer-Wachauer (Hrsg.), Krisen, Kriege, Katastrophen. Zum Umgang mit Angst und Bedrohung im Mittelalter, Heidelberg 2018.
77 Horn, Zukunft als Katastrophe, S. 26f.
78 Ebd., S. 48.
79 Jörg Trempler, Katastrophen. Ihre Entstehung aus dem Bild, Berlin 2013, zum 11. September 2001 insbesondere S. 53–55. Vgl. auch Monica Juneja / Gerrit Jasper Schenk (Hrsg.), Disaster as Image. Iconographies and Media Strategies Across Europe and Asia, Regensburg 2014, sowie die einschlägigen Ausstellungen „Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute“, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, September 2014 – März 2015, dazu der gleichnamige Katalog von Gerrit Jasper Schenk u.a. (Hrsg.), Regensburg 2014, vgl. https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-212 (17.07.2018) und „Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600“, Hamburger Kunsthalle, Juni – Oktober 2018, dazu der gleichnamige Katalog von Markus Bertsch / Jörg Trempler (Hrsg.), Petersberg 2018.
80 Horn, Zukunft als Katastrophe, S. 387.
81 Matthias Dörries, Anticipating the Climate Catastrophe, in: Andreas Killen / Nitzan Lebovic (Hrsg.), Catastrophes. A History and Theory of an Operative Concept, Berlin 2014, S. 181–198, hier S. 188f.
82 Vgl. dazu u.a. Franz Mauelshagen, „Anthropozän“. Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 131–137, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2012/id=4596 (17.07.2018); Peter Reinkemeier, Die moralische Herausforderung des Anthropozän. Ein umweltgeschichtlicher Problemaufriss, in: Manfred Jakubowski-Tiessen / Jana Sprenger (Hrsg.), Natur und Gesellschaft. Perspektiven der interdisziplinären Umweltgeschichte, Göttingen 2014, S. 83–101.
83 Alyssa Battistoni, Kata and/or Streiphen? Climate Change and the Politics of Catastrophe, in: Killen / Lebovic (Hrsg.), Catastrophes, S. 156–180, hier S. 168.
84 Ebd., S. 170f.
85 Gabriele Gramelsberger, Die Normalisierung des Katastrophischen am Beispiel des Klimawandels, in: Hempel / Bartels / Markwart (Hrsg.), Aufbruch ins Unversicherbare, S. 277–306, hier S. 296.
86 Ebd., S. 300.
87 Vgl. dazu Sabine Höhler, Resilienz: Mensch – Umwelt – System. Eine Geschichte der Stressbewältigung von der Erholung zur Selbstoptimierung, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 425–443, https://zeithistorische-forschungen.de/3-2014/id=5141 (17.07.2018); Nicolai Hannig, The Checkered Rise of Resilience. Anticipating Risks of Nature in Switzerland and Germany since 1800, in: Historical Social Research / Historische Sozialforschung 41 (2016), H. 1, S. 240–262, https://doi.org/10.12759/hsr.41.2016.1.240-262 (17.07.2018); Ulrich Bröckling, Resilienz: Belastbar, flexibel, widerstandsfähig, in: ders., Gute Hirten führen sanft. Über Menschenregierungskünste, Berlin 2017, S. 113–139.
88 Andreas Killen / Nitzan Lebovic, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Catastrophes, S. 1–14, hier S. 13.