Mit der breit angelegten Thematik seiner 2004 in Köln angenommenen Dissertation stellte sich Felix Hinz eine große Aufgabe. Der Titel steckt einerseits den zeitlichen Rahmen ab und verweist andererseits auf die zentrale Fragestellung des Buches, nämlich inwiefern die Hispanisierungspolitik der spanischen Krone in der intendierten Form realisiert werden konnte. Ziel seiner dreibändigen Untersuchung ist es, die Transformationen kollektiver Identitäten bei drei Gruppen herauszuarbeiten, die während der Eroberung Mexikos durch die Spanier in engen Kontakt miteinander traten. Die mesoamerikanischen Mexica und Tlaxcalteken sprachen zwar die gleiche Sprache, empfanden sich selbst jedoch als kulturell unterschiedliche Gruppen und interagierten zudem auf unterschiedliche Weise mit den spanischen Eroberern. Als drittes „Kollektiv“ untersucht Felix Hinz die spanischen Konquistadoren. Die Problemstellung der Untersuchung erfordert detaillierte Darstellungen der kulturellen Identitäten aller drei Gruppen vor und nach der Kontaktnahme, um die Wandlungsprozesse aufdecken zu können. Felix Hinz verliert ob der Materialfülle, die notwendigerweise vorgestellt werden muss, jedoch nicht seine Fragestellung aus den Augen und verfolgt in einer stringent gegliederten Abhandlung sein Ziel, die These der Hispanisierung der indigenen Bevölkerung Mexikos zu überprüfen.
Der eigentlichen Untersuchung ist ein Kapitel vorangestellt, das die theoretischen Prämissen klärt, die Felix Hinz der Deutung seines Materials zugrunde legt. Besonders der bereits kontrovers diskutierte Begriff der kollektiven Identität bedarf einer näheren Betrachtung. Es versteht sich, dass bei der Aufarbeitung der Theorien zu den derartig viel diskutierten und in zahllosen wissenschaftlichen Untersuchungen abgehandelten Begriffen wie „Identität“ und besonders „kollektive Identität“ keine Vollständigkeit zu erwarten ist. Dennoch wäre es für die vorliegende Untersuchung gerade wegen ihres dezidiert-historischen Interesses sehr nützlich gewesen, den von Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard herausgegebenen Band zu kollektiven Identitäten hinzuzuziehen, in dem der Begriff in besonders überzeugender Weise in seinen unterschiedlichen Facetten beleuchtet wird.1 Daneben vermisst man auch noch eine weitere Publikation von Wolfgang Reinhard zum Thema der Transformationen kultureller Identitäten, die sich anhand der Jesuitenreduktionen in Paraguay beispielhaft mit dem Versuch der Missionare auseinandersetzt, den Kulturwandel bei indigenen Gesellschaften Amerikas in die gewünschte Richtung zu lenken.2 In methodischer Hinsicht wirft die Auswahl der Gruppen, die miteinander verglichen werden sollen, einige Probleme auf. Bei Mexica und Tlaxcalteken werden jeweils vor allem die Eliten als Träger und Bewahrer der jeweiligen kollektiven Identität einbezogen, während die zahlenmäßig sehr viel kleinere Gruppe der Konquistadoren als vertikales Kollektiv betrachtet und somit als eine einheitliche Gruppe angesehen wird. Zwar gab es im vorkolonialen Mesoamerika Schrifttraditionen, doch sind die Quellen, die Felix Hinz für seine Untersuchung zur Verfügung stehen, wie er selbst mehrfach zu bedenken gibt, erstens weniger zahlreich und zweitens bereits von der kolonialen Erfahrung geprägt oder zumindest in gewisser Weise kolonial eingefärbt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass insgesamt bedeutend weniger über die vorkolonialen kollektiven Identitäten der indigenen Gruppen ausgesagt werden kann, als über diejenige der Konquistadoren-Gruppe. Erst in der kolonialen Phase wird dieses Ungleichgewicht auf der Ebene der zur Verfügung stehenden Quellen zu den einzelnen Gruppen gemildert.
Um den Wandel in den kollektiven Identitäten der drei unterschiedlichen Gruppen von Akteuren sichtbar werden zu lassen, ist es zunächst nötig, ihre jeweiligen Charakteristika vor dem ersten Kontakt der indigenen Gruppen mit den Europäern zu erkunden. In einem ersten großen Abschnitt werden daher nacheinander die vorkolonialen kollektiven Identitäten der Mexica, der Tlaxcalteken (Kap. 2, 3) und schließlich diejenige der spanischen Konquistadoren Mexikos in einem detaillierteren Kapitel (Kap. 4) dargestellt. Insgesamt neun Unterpunkte informieren die Leser über einzelne Untergruppen von Konquistadoren, wie zum Beispiel jene der „Grenzgänger“ und „Augenzeugen“. Wie in der gesamten Arbeit werden auch in diesem Kapitel Informationen zu zahlreichen Einzelthemen geboten, was den Text zwar erheblich verlängert, aber das Gesamtbild auch facettenreicher macht.
Das folgende fünfte Kapitel befasst sich mit der Kontaktsituation und der jeweiligen Deutung des Anderen durch die drei untersuchten Gruppen. Der Begriff der „Hispanisierung“ wird ebenfalls eingehend erörtert, wobei Felix Hinz die diesbezüglichen Erkenntnisse der Forschung bestätigen kann. Die Hispanisierung der indigenen Bevölkerung und selbst der autochthonen Eliten sollte nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, da die Kolonialmacht mit der vollkommenen „Zivilisierung“ der Indigenen ein Hauptargument für die Legitimation ihrer Herrschaft eingebüßt hätte. Besonders informativ und gut gelungen ist in diesem Kapitel die ausführliche Diskussion der Kommunikationsprobleme und des unterschiedlichen Zugangs der verschiedenen Akteure zu Informationen über die Angehörigen der jeweils anderen Gruppen. Im kurzen sechsten Kapitel untersucht Felix Hinz „Schock“-Phänomene bei den drei Gruppen. Er kommt dabei zur Schlussfolgerung, dass nicht ein „Kulturschock“ vorgelegen hat, sondern vielmehr Verlusttraumata eine Krise in der Kultur der Mexica hervorriefen. Es folgen Kapitel über die Bedeutung der Namensgebung von Orten und Personen (Kap. 7), über die Evangelisierungsmaßnahmen und ihr Scheitern (Kap. 8) sowie die sozio-politische und ökonomisch-biologische Hispanisierung und ihre Folgen (Kap. 9, 10). Im Ergebnis kam es auf sozio-politischer Ebene – wie Felix Hinz zeigt – nicht zur Hispanisierung, sondern vielmehr zur Einebnung ethnisch-kultureller Unterschiede in der Sammelbezeichnung „indios“. Zwar ist dies keine neue Erkenntnis, doch ist Felix Hinz unbedingt zuzustimmen, wenn er die zentrale Bedeutung dieser Wandlung in der Vorstellung von der indigenen Bevölkerung betont.3 Den Abschluss der Darstellung bilden zwei Kapitel, in denen einerseits die architektonischen und städtebaulichen Veränderungen (Kap. 11), andererseits die Historiographie bis 1568 (Kap. 12) als Beispiele für die „Transformation der Geformtheit des kollektiven Gedächtnisses“ unter die Lupe genommen werden. Das 13. Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen und zieht ein Fazit aus den Erkenntnissen der einzelnen Abschnitte.
Sehr schön gewählt sind die Zitate, die größeren Punkten vorangestellt sind, stimmen sie doch die Leser auf die folgende Thematik ein. Allerdings wären auch hier genaue Quellenangaben wünschenswert gewesen. Einige Texte, aus denen Zitate entnommen wurden, sind im Übrigen nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt. Gewiss wäre Felix Hinz bei genaueren Angaben aufgefallen, dass beim Autor des Zitats zu Kapitel 11 nur der Vorname „Mircea“ genannt ist. Da es sich hierbei um eine religionswissenschaftliche Abhandlung handelt, dürfte Mircea Eliade der Autor dieses Textes sein. Im Literaturverzeichnis ist in der Umgebung des Namens „Miranda“ ein Durcheinander in der alphabetischen Reihenfolge entstanden.
Zusammenfassend betrachtet bietet die Dissertation von Felix Hinz eine Fülle von Informationen zu zahlreichen Einzelproblemen, die mit der größeren Thematik der Conquista Mexikos verbunden sind. Wenngleich man in mehreren Fragen zu anderen Schlussfolgerungen kommen mag, gelingt es Felix Hinz doch deutlich herauszuarbeiten, wie es allmählich zur Transformation der kollektiven Identitäten von Mexica und Tlaxcalteken kam, warum dabei aber nur teilweise eine Hispanisierung stattfand.
Anmerkungen:
1 Prodi, Paolo; Reinhard, Wolfgang (Hrsg.), Identità collettive tra Medioevo ed Età Moderna, Bologna 2002.
2 Reinhard, Wolfgang, Gelenkter Kulturwandel im 17. Jahrhundert. Akkulturation in den Jesuitenmissionen als universalhistorisches Problem, in: Historische Zeitschrift 223 (1974), S. 529-590.
3 Zum kolonialen Begriff des „indio“ vgl. Gareis, Iris, Die Geschichte der Anderen. Zur Ethnohistorie am Beispiel Perus (1532-1700), Berlin 2003, S.74 und Millones, Luis, The Time of the Inca. The Colonial Indians‘ Quest, in: Antiquity 66 (1992) 250, S. 204-216, hier S. 211.