Das Jahr 2007 war für die deutschsprachigen Keltologen, aber auch allgemein für alle an den Kelten Interessierten von besonderer Bedeutung, fand hier doch der XIII. International Congress of Celtic Studies in Bonn statt. Es ist also nicht verwunderlich, dass pünktlich zu diesem Ereignis eine Vielzahl thematisch passender Publikationen erschien. Aufgrund des großen Interesses, welches den Kelten entgegengebracht wird, erschien es aber umso erstaunlicher, dass der Reclam-Verlag – anders als die meisten anderen wissenschaftlichen Verlage – noch kein allgemeines Übersichtswerk zu den Kelten in seinem Programm hatte. Dieses vermeintliche Desiderat erkennend, hat man den inzwischen emeritierten Innsbrucker Sprachwissenschaftler und ausgewiesenen Kenner der keltischen Sprachen und Kultur, Wolfgang Meid, gewinnen können, ein solches Buch zu schreiben, dass rechtzeitig zum Kongress erschien. Auf 210 Seiten – inklusive Literaturverzeichnis – versucht der Autor seinen Lesern „die Kelten“ näher zu bringen.
Schon in seinem Vorwort distanziert sich Meid von der „weitverbreiteten Pseudo-Keltologie“. Hier definiert er die Sprache als „einigendes Band, das ‚die Kelten‘ in all ihren Erscheinungsformen verbindet“ (S. 7). In seinem ersten von insgesamt sieben Kapiteln geht der Autor dem Ursprung der Kelten und den frühesten Zeugnissen nach. Hier versucht er auch die unterschiedlichen antiken Bezeichnungen (Keltoi oder Galatai) zu deuten und weist beinah nebensächlich auf die Problematik hin, ob es sich dabei um Eigen- oder Fremdbezeichnungen gehandelt hat (S. 11). Letztendlich dienen ihm diese Überlegungen dazu, zur modernen sprachwissenschaftlichen Definition der Kelten überzuleiten, wobei er sowohl auf Forschungskontroversen als auch die Entwicklung der keltischen Sprachen eingeht. Ebenfalls wird die schlechte Überlieferung altkeltischer Sprachen sowie die Bedeutung der Ortsnamen für die Forschung betont.
Im zweiten Kapitel widmet sich der Autor der keltischen Archäologie. Hier weist Meid zu Recht darauf hin, dass das archäologische Verbreitungsgebiet, in erster Linie durch Hallstatt- und LaTène-Kultur gekennzeichnet, nicht mit dem sprachlichen übereinstimmt. Naturgemäß nehmen die so genannten Fürstengräber in diesem Kapitel eine vorherrschende Rolle ein, auch wenn der zugebilligte Raum in keiner Weise für eine ausführliche Betrachtung ausreicht. Meid beschränkt sich darauf, einige wichtige Gräber aufzuzählen, versucht aber dabei zumindest auf wichtige Besonderheiten hinzuweisen. Mögliche Gründe für den Übergang zur LaTène-Zeit werden von Meid knapp, aber durchaus dem Rahmen entsprechend, dargelegt. Die Unterschiede zwischen den Kulturen kann der Autor aber überzeugend verdeutlichen. Einige wichtige Punkte der keltischen Archäologie, wie Siedlungsfunde und die Numismatik, werden leider allenfalls angedeutet.
Den historischen Ereignissen, insbesondere der keltischen Wanderung und Landnahme, ist das dritte Kapitel gewidmet. Als Nachweis dieser Wanderung zieht Meid sowohl sprachwissenschaftliche und archäologische als auch historische Quellen heran. Zuerst skizziert er die keltische Südwanderung, wobei er einigen Bereichen (beispielsweise der Datierungsdiskrepanz bei den antiken Autoren, insbesondere bei Livius und Polybios, oder der wirtschaftlichen Bedeutung Oberitaliens) mehr Raum hätte widmen sollen. Auch müssen einige seiner Aussagen hinterfragt werden: Wieso war etwa die Eroberung Roms durch die Senonen ein Zeichen für deren Unzufriedenheit über ihr gewähltes Siedlungsgebiet (S. 45)? Immerhin zogen sie nach der Eroberung der Stadt dorthin zurück. Kann man in dem Angriff auf Rom nicht vielmehr einen Plünderungszug sehen? Ausführlicher geht der Autor auf die Ostwanderung ein und wirft hierbei auf die Galater und die Kelten Pannoniens ein besonderes Augenmerk, um sich anschließend der römischen Eroberung Galliens zuzuwenden. Dabei entwirft Meid ein sehr negatives Bild von Caesar. Die Bedeutung Galliens zur Kaiserzeit wird abschließend nur angedeutet. Im vierten Kapitel wendet sich Meid den Britischen Inseln zu und liefert kurze Abrisse über die Entwicklung der einzelnen Regionen.
Das fünfte Kapitel ist der keltischen Gesellschaft und Kultur gewidmet. Meid betont an dieser Stelle die Quellenproblematik und hebt zu Recht die Notwenigkeit hervor, antikes und mittelalterliches Material vergleichend zu betrachten (S. 86). Diesem Vorsatz folgend skizziert er soziale Strukturen sowohl anhand irischer Rechtstexte als auch antiker Quellen. Allerdings liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels bei den inselkeltischen, besonders den irischen Verhältnissen und somit den mittelalterlichen Quellen. Auch bei der anschließenden Behandlung des keltischen Rechts bezieht sich der Autor zumeist auf die irischen Verhältnisse. Weiterhin bietet Meid in diesem Kapitel kurze Überblicke zu Medizin und Erziehung, gefolgt von einer ausführlicheren Behandlung der „geistigen Elite“ (S. 105), die auch antike Quellen mit einbezieht. Meid verdeutlicht hier die wechselnde Funktion dieser Eliten, bedingt durch die Verbreitung des Christentums, die mit einem Wechsel der „Amtsbezeichnungen“ einherging. Natürlich gehört in dieses Kapitel auch die Behandlung der Überlieferungskultur, wobei der Autor hier seine Überlegungen auf die fast ausschließlich oralen Traditionen der antiken Kelten beschränkt, da die schriftliche Überlieferung der Inselkelten an späterer Stelle behandelt wird. Abschließend werden noch diverse Aspekte des Gastmahls und der Etikette behandelt, wobei der Autor das „Heldenstück“ besonders betont, und die Bedeutung der Trophäenjagd skizziert.
Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit der keltischen Religion. Zu Beginn dieses Kapitels verdeutlicht Meid die Probleme der keltischen Religionsforschung. Ausführlich geht er dann auf die keltischen Menschenopfer ein, betrachtet aber auch das Problem der interpretatio romana. Der Kult einiger ausgewählter gallischer Götter wird anschließend beschrieben, andere werden nur erwähnt. Meid bemüht sich in diesem Kapitel trotz unzureichender Quellen, dem Leser zumindest die theoretische Existenz einer komplexen keltischen Mythologie glaubhaft zu verdeutlichen. Da hierbei vor allem Bildwerke eine Rolle spielen, finden sich in diesem Kapitel auch einige Abbildungen. Nach einer religionstheoretischen Behandlung der verschiedenen Bestattungsbräuchen, die die jeweilige Vorstellung der Zeit erklären, beendet Meid das Kapitel, nicht ohne die obligatorischen Bemerkungen zum Eichen- und Mistelkult anzubringen.
Im siebten Kapitel geht Meid auf die irische Literatur ein: Hier wird die sprachwissenschaftliche Herkunft des Autors deutlich, und so informiert er zuerst kenntnisreich über die Stilmittel der älteren und neueren irischen Dichtung, um sich anschließend den irischen Sagen zuzuwenden. Meid betrachtet die unterschiedlichen Einteilungen der Sagen, wobei er den wichtigen Unterschied zwischen historischer und moderner Einteilung hervorhebt. Anschließend wendet er sich den einzelnen Sagenkreisen (nach moderner Einteilung) zu, um sie gekonnt zusammenzufassen und die wichtigsten Inhalte in der gebotenen Kürze zu interpretieren. Abschließend geht Meid kurz, aber prägnant auf die kymrische und eher skizzenhaft auf die kornische und bretonische Literatur ein. Der Textteil schließt mit einem Ausblick auf die heutigen „Kelten“. Das Buch selbst wird durch ein verhältnismäßig umfangreiches Literaturverzeichnis abgeschlossen, dessen Inhalt das gesamte Spektrum keltologischer Forschungen beispielhaft zu repräsentieren weiß.
Zusammenfassend kann man sagen, dass dieses Buch als schnelle Einstiegslektüre durchaus geeignet ist. Dem Konzept der Reihe folgend wird aber auf Anmerkungen fast gänzlich verzichtet, so dass dem interessierten Leser ein Weiterarbeiten nur mit Hilfe des Literaturverzeichnisses ermöglicht wird. Auch reicht der gegebene Raum nicht aus, um Forschungskontroversen zu verdeutlichen und zu diskutieren. Die Konkurrenz mit Übersichtswerken anderer Taschenbuchreihen braucht dieses Buch trotz allem nicht zu fürchten. Abschließend sei noch auf einen optimistischen Satz dieses Buches hinzuweisen: „Darum haben keltische Philologie und Sprachwissenschaft – meist im Zusammenhang verwandter Fächer gelehrt – an deutschsprachigen Universitäten noch immer einen hohen Rang“ (S. 205). Diese Aussage wird zwar durch das große Interesse bestätigt, auf das keltologische Themen jeglicher Fachrichtung bei den Studierenden stoßen, doch lassen sich die deutschsprachigen Universitäten mit keltologischem Instituten an einer Hand abzählen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft das Angebot der Nachfrage gerecht wird und die keltologische Forschung nicht mehr als Fach angesehen wird, welches irgendeinem anderen Institut zugeordnet werden kann: Keltologie ist nun einmal interdisziplinär und sollte auch so betrieben werden. Das Buch von Wolfgang Meid zeigt dies einmal mehr.