Cover
Titel
The War of Words. A Glossary of Globalization


Autor(en)
James, Harold
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 354 S.
Preis
$ 30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jannes Jaeger, Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard Karls Universität Tübingen

Mit dem Beginn der globalen Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 kehrte – leicht paradox – ein bekanntes Motiv in die öffentliche Debatte zurück: die Rede vom Ende der Globalisierung. Die Pandemie, so war zu lesen, bedrohe nicht nur weltweite Handels- und Lieferketten; auch bezüglich der Bekämpfung des Virus seien Staaten wieder auf ihren nationalen Rahmen zurückgeworfen. Nun war es nicht das erste Mal, dass das Ende der Globalisierung ausgerufen wurde. Von der Asienkrise 1997/98 über die Finanzkrise seit 2007/08 bis zum Brexit und der Wahl Donald Trumps 2016 sahen Zeitgenoss:innen die Globalisierung immer wieder ernsthaft in Frage gestellt. Was aber genau bedroht war und was gemeint ist, wenn von „der Globalisierung“ gesprochen wurde (und wird), erscheint dabei bemerkenswert unklar.

Diesen Eindruck fehlender begrifflicher Präzision teilt auch Harold James und macht ihn zum Ausgangspunkt seines jüngsten Buches The War of Words. A Glossary of Globalization. Bereits in den ersten Sätzen benennt James, Professor für Geschichte und European Studies in Princeton, das Problem: Es könne derzeit keine produktive Diskussion über die Globalisierung geführt werden, da hierfür schlicht ein präzises Vokabular fehle (S. ix). Begriffe würden von ihrer ursprünglichen Bedeutung sinnentstellt als „Kampfbegriffe“ verwendet und würden somit die politische wie gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben. Demgegenüber bringt James die Intention seines Buches auf den Punkt: Begriffe, Konzepte und letztlich auch Ideen benötigen eine klare Definition, um ihre Instrumentalisierung in politischen Debatten zu verhindern. Sonst laufe, so James, letztlich auch liberale Politik (liberal politics) Gefahr, ähnliche Strategien zu verfolgen wie diejenigen, die sie ihren populistischen Gegnern vorwerfe (S. 9). James' Überlegungen liegt das Konzept eines marketplace of ideas zu Grunde, die Idealvorstellung eines imaginierten öffentlichen Diskursraumes, in dem Ideen entstehen, sich entfalten, behaupten und letztlich durchsetzen können (S. 8). Derzeit könne der marketplace of ideas jedoch nicht funktionieren, da es keinen einheitlichen „Wert“ (value) bzw. keinen verbindlichen „Preis“ (d.h. keine eindeutige Definition) der Ideen gebe.

Somit geht es James im Folgenden zum einen darum, wichtige Begriffe präziser zu fassen, ihren historischen Wandel nachzuvollziehen und ihre derzeitige Verwendung zu beschreiben, um einen sprachlichen common ground zu schaffen. Dies erfolgt anhand von 15 ausgewählten Begriffen und Konzepten in 13 Kapiteln (Demokratie, Nationalstaat und Nationalismus werden in einem gemeinsamen Kapitel behandelt).1 Zum anderen ist es James’ Ziel, eine Bestandsaufnahme der Gegenwart zu machen und Lösungsansätze für derzeitige Krisen zu liefern. Explizit wird dies im abschließenden Kapitel, in dem er zu einem „radical rethinking“ von Staatlichkeit auffordert, um globalen Herausforderungen gewachsen zu sein (S. 273).

Somit operiert das Buch auf zwei Ebenen: Einerseits verfolgt der Autor in knappen historischen Analysen der entsprechenden Begriffe sein Ziel größerer sprachlicher Präzision, andererseits bleibt die aktuelle Situation der frühen 2020er-Jahre ein konstanter Bezugspunkt politischer und wirtschaftlicher Zeitdiagnosen. James' Vorgehen ist dabei gerade für einen kontinuierlichen Lesefluss elegant gelöst: Die Kapitel gehen meist schlüssig ineinander über, und die einzelnen Konzepte stehen oft in Bezug zueinander. So folgt dem Eingangskapitel über den Kapitalismus ein historischer Abriss über den Sozialismus. Beide begreift James in enger Relation zueinander, bevor er im dritten Kapitel zum Nationalstaat diesen als Weg benennt, um jene Konzepte zu steuern (S. 57). Ebenso bezieht James Technokratie (Kapitel 8) und Populismus (Kapitel 9) aufeinander. Es bleibt jedoch zu fragen, ob dieses für den Text an sich logische Vorgehen mitunter nicht auf Kosten der – vom Autor ja explizit gewünschten – begrifflichen Klarheit geht. So ist etwas unverständlich, warum beispielsweise nicht bereits zu Beginn eine (zumindest vorläufige) Definition der titelgebenden Globalisierung erfolgt, stellt diese für James doch die Rahmenbedingung für nahezu alle von ihm beschriebenen Dynamiken und Konzepte dar.

In ihrer Form sind die einzelnen Kapitel meist essayistisch gehalten; in seltenen Fällen, zum Beispiel beim Kapitalismus, erinnern sie an Handbuchbeiträge. Innerhalb der Kapitel folgt der Autor einer lose wiederkehrenden Struktur. Häufig wird zu Beginn eines Abschnitts die heutige (d.h. Ende 2021 übliche) Verwendung des entsprechenden Begriffes oder Konzeptes geschildert, worauf eine mehr oder weniger detaillierte historische Beschreibung der Entwicklung des Begriffes folgt. James geht dafür zeitgenössischen Diskursen nach, vor allem anhand von ausgewählten, meist US-amerikanischen, britischen und deutschen Theoretiker:innen und Expert:innen aus Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (woraus sich unvermeidlich ein etwas enger Blick auf globale Zusammenhänge und deren Reflexion ergibt). In nahezu allen Kapiteln wird dabei ein Prozess verfolgt, den James bereits in der Einleitung skizziert: Die jeweiligen Konzepte würden klar definiert starten, mit ihrer zunehmenden Popularisierung und Aufnahme in breitere Diskurse verschwimme diese Definition, bis die Begriffe schließlich eine quasi-metaphorische Bedeutung erreichen würden.

Besonders überzeugend illustriert James dies im Kapitel zum Neoliberalismus. Ausgehend von der Feststellung, dass der Begriff heute weitestgehend losgelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung als politischer Kampfbegriff bzw. Vorwurf verwendet wird, zeichnet James die Entstehung und Entwicklung des Konzeptes seit seiner Genese in den 1930er-Jahren prägnant nach. Dabei sind die komplexen Überlegungen des frühen Neoliberalismus mit seinen Forderungen nach offenem Wettbewerb und starkem Staat ebenso erwähnt wie das Verhältnis zum deutschen Ordoliberalismus der Nachkriegszeit und das Ausgreifen des Konzepts auf andere Disziplinen wie die Sozial- und Rechtswissenschaften in den 1980er-Jahren (S. 252). Interessant ist, dass James den „Erfolg“ und die Ubiquität des Neoliberalismusbegriffes im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts nicht, wie so oft, schlicht mit realpolitischen Entwicklungen der 1970er- und 1980er-Jahre wie Thatcherismus und Reaganomics erklärt. Bedeutender erscheinen ihm die Überlegungen Michel Foucaults, welcher unter „Neoliberalismus“ eine neue Vorstellung von Persönlichkeit (personality) im Sinne einer Ideologie des Individualismus verstand, die bis heute nachwirke (S. 253).

In manchen Kapiteln tritt ein breiteres, zusammenhängendes historisches Panorama hinter James’ Einschätzungen aktueller Entwicklungen allzu sehr zurück. Dies gilt vor allem für das Kapitel „Globalization and Its Neologisms“. Ein etwas stringenteres Vorgehen wäre hier wünschenswert gewesen, handelt es sich doch um jenes Metakonzept, das die von James gewählten Begriffe im Rahmen des Buches zusammenhält. Der Autor nennt zwar einzelne wichtige Aspekte – vor allem den zentralen Befund, dass es sich bei der Globalisierung für Zeitgenoss:innen (damals wie heute) nicht allein um die Beschreibung wirtschaftlicher Vernetzung handelt, sondern zugleich um einen „state of mind“ (S. 210). Der in den vergangenen Jahren erfolgten historischen Auseinandersetzung mit der Rede von der Globalisierung wird James jedoch nicht ganz gerecht. So ergibt sich anhand dieses Beispiels ein (bekanntes) grundsätzliches Problem: Die ambivalente Geschichte des Konzeptes „Globalisierung“ seit dem späten 20. Jahrhundert wird zwar hervorgehoben, dabei vermischen sich jedoch Globalisierung als zeitgenössischer Quellenbegriff (etwa in den 1990er-Jahren) und als Kategorie historischer Analyse (wenn es zum Beispiel um Migrationsbewegungen im 19. Jahrhundert geht). Gerade die Validität des letzteren Ansatzes, „Globalisierung“ als Sonde für historische Prozesse zu verwenden, wird seitens der zeithistorischen Forschung in den vergangenen Jahren vermehrt in Frage gestellt.2 Darüber hinaus erscheinen einige Thesen fragwürdig. So behauptet James, dass Globalisierung in den 1990er-Jahren fast ausschließlich als Schimpfwort (term of abuse) und erst nach der Jahrtausendwende vermehrt neutraler oder positiver verwendet worden sei (S. 207). Dies ist jedoch unzutreffend: Sowohl in politischen Diskursen (man denke etwa an die Globalisierungsrhetorik Bill Clintons und Tony Blairs) als auch in sozialwissenschaftlichen Kontexten wurde zwar stets von spezifischen „Herausforderungen“ durch die Globalisierung gesprochen. Von einer allein negativen Konnotation des Globalisierungsbegriffes kann jedoch nicht die Rede sein, denn besonders vor der Asienkrise 1997/98 standen die „Chancen“ der Globalisierung häufig im Vordergrund.

Insgesamt wirkt das Buch etwas unausgewogen. Auf der einen Seite ist es ein politisches Plädoyer für einen sprachlichen common ground in Zeiten anhaltender politischer wie gesellschaftlicher Polarisierung, auf der anderen Seite eine Sammlung in sich weitestgehend überzeugender historischer Vignetten – aber diese beiden Ebenen scheinen nicht recht zusammenfinden zu wollen. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass James zu Beginn eindeutige Definitionen fordert, die einzelnen Kapitel diese jedoch schuldig bleiben (müssen). Nahezu jedes Kapitel zeigt eindrücklich, dass Begriffe und Konzepte einem konstanten Wandel unterliegen. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive ist an dieser Feststellung nichts auszusetzen – im Gegenteil –, nur entspricht sie nicht den vom Autor formulierten Ambitionen. Wenn James sein Buch im letzten Kapitel mit einem „Manifest“ abschließt, in dem er für einen neuen Weg plädiert (welchen er mit dem Neologismus „socapitalism“ beschreibt), wie in einer „Welt nach dem Coronavirus“ über Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nachgedacht werden soll (S. 274ff.), so verstärkt sich nochmals der Eindruck des Ungleichgewichts. Gleichwohl: Harold James’ historisch informierte Einschätzungen gegenwärtiger Krisen und Entwicklungen sind weitsichtig und lesen sich stellenweise, wie etwa seine Ausführungen über Russland und die Ukraine im Kapitel zur Geopolitik, nach dem unmittelbaren Eindruck des offenen Kriegsbeginns vom 24. Februar 2022 fast prophetisch (S. 133ff.).

Anmerkungen:
1 Wie immer bei solchen Zusammenstellungen kann man die Auswahl diskutieren. James lässt eine Präferenz für ökonomische und politische Kategorien erkennen, während etwa kulturelle und ökologische Aspekte, aber auch die Digitalisierung als übergreifender Prozess nicht direkt im Vordergrund stehen.
2 Vgl. Jan Eckel, „Alles hängt mit allem zusammen.“ Zur Historisierung des Globalisierungsdiskurses der 1990er und 2000er Jahre, in: Historische Zeitschrift 307 (2018), S. 42–78.