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Titel
Reinventing French Aid. The Politics of Humanitarian Relief in French-Occupied Germany, 1945–1952


Autor(en)
Humbert, Laure
Erschienen
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 113,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Hadwiger, Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Erkner

Bei Kriegsende im Frühjahr 1945 war Deutschland eine „Flüchtlingsnation“. Nicht nur rund 14 Millionen Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten suchten in Deutschland eine neue Perspektive, sondern auch etwa elf Millionen Displaced Persons (DPs). Eine Repatriierung, Emigration in andere Länder und die Zusammenführung von Familien musste organisiert werden. Die Besatzungsmächte sowie internationale Organisationen wie die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und die International Refugee Organization (IRO) versuchten die Unterbringung, Ernährung und eine medizinische Grundversorgung zugunsten der DPs sicherzustellen. Allerdings scheinen diejenigen Bevölkerungsgruppen nach Kriegsende weiterhin am stärksten benachteiligt worden zu sein, die paradoxerweise auch während des Kriegs am meisten gelitten hatten – insbesondere DPs aus Osteuropa.

Laure Humbert, Historikerin an der Universität Manchester, untersucht in ihrer quellenreichen Studie, wie die französische Besatzungsverwaltung und internationale Organisationen zwischen 1945 und 1952 humanitäre Hilfe in der französisch besetzten Zone Deutschlands zugunsten von DPs leisteten. Im Sommer 1945 waren dort offiziell 150.000 DPs registriert. Angehörige aus Russland, Polen und Jugoslawien waren darunter die größten Bevölkerungsgruppen. Die DPs waren nicht nur in sich heterogen und setzten sich aus ehemaligen KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen verschiedener Nationen aller Altersgruppen zusammen. Sie besaßen auch ganz unterschiedliche Zukunftsperspektiven: Manche wurden von den Besatzungsmächten als Arbeitskräfte rekrutiert, manche gegen ihren Willen in ihre Heimatländer zurückgeführt, andere wiederum emigrierten nach Westeuropa, in die USA oder Australien. Humberts Studie untersucht weniger das Schicksal von DPs oder die Sichtweise der deutschen Zivilgesellschaft, sondern den Umgang von französischen und internationalen Organisationen mit DPs im Deutschland der Nachkriegszeit.

Ziel des Buches ist es, das ungeklärte Verhältnis zwischen französischer Besatzungsmacht und den DPs aufzuzeigen und die Geschichte der DPs mit der nationalen Geschichte Frankreichs zu verbinden. Das Buch „follows the journeys of French relief workers in the German ruins“ (S. 4). Der Fokus liegt auf den Begegnungen zwischen französischen Amtspersonen, Fürsorger:innen, DPs und besiegten Deutschen auf dem Territorium der französischen Besatzungszone. Humbert argumentiert, dass die Fürsorge für DPs zu einem politischen und moralischen Projekt für den französischen Staat, die französischen Besatzungsbehörden und internationale Organisationen geworden sei. Das Verhältnis zwischen UNRRA und der französischen Besatzungsverwaltung blieb von Kompetenzstreitigkeiten und ungeklärten Machtbefugnissen geprägt. Zugleich zeigt Humbert die Diskrepanz zwischen dem humanitären Diskurs und der Besatzungswirklichkeit auf, die von Chaos, Korruption und ständigem Ressourcenmangel geprägt war. Frankreich habe es schlussendlich nicht geschafft, sich als gastfreundliche und humanitäre Nation in der Zeit nach dem Vichy-Regime zu inszenieren.

Laure Humbert hat bereits mit zahlreichen Publikationen zu Flüchtlingen und DPs im Europa der Nachkriegszeit zur neueren, transnational geprägten Geschichtsschreibung zur französischen Besatzungszone beigetragen.1 Seit den 1990er-Jahren wurde die französische Besatzungszone in Deutschland nicht mehr als ausgebeutete Zone betrachtet. Vielmehr zeichnete die Forschung ein differenziertes Bild, indem etwa auf die frühe Öffnung der Universitäten sowie die besondere Kultur- und Sozialpolitik für die deutsche Bevölkerung hingewiesen wurde.2 Humberts Studie nimmt nun eine Zwischenposition zwischen deutsch- und französischsprachiger Forschung ein. Sie untersucht weder den Alltag der Deutschen vor Ort noch etwa die französische Wirtschaftspolitik in der Zone. Stattdessen interessiert sie sich für internationale und französische Organisationen, die sich in der französischen Besatzungszone mit DPs auseinandersetzten.

Humberts Studie gliedert sich in zwei Teile. Die ersten drei Kapitel des Buches analysieren den Aufbau und die Rolle der französischen Verwaltung und der internationalen Organisationen, die drei letzten Kapitel deren soziale Arbeit vor Ort zugunsten der DPs.

Das erste Kapitel behandelt französische Diskussionen zur Anwerbung und Integration von DPs im kriegszerstörten Frankreich. Humbert zeigt, dass die französische Regierung nicht nur die politische Einstellung der DPs überprüfte, sondern sie auch nach Herkunft und Geschlecht hierarchisierte. So bevorzugte Frankreich DPs aus dem Baltikum und dem Banat gegenüber polnischen DPs und zeigte wenig Interesse an jüdischen DPs als Arbeitskräfte für den französischen Arbeitsmarkt. Spannend ist ebenso die Rolle von „Banater Schwaben“, die sich unter Hinweis auf ihre im 18. Jahrhundert aus dem Elsass ausgewanderten Vorfahren als Franzosen inszenierten. Durch eine erfolgreiche Lobbypolitik erhielten Angehörige aus dem Banat mehr finanzielle und materielle Hilfe von französischen Verantwortlichen als andere DP-Gruppen.

Das zweite Kapitel behandelt den Verwaltungsaufbau, das UNRRA-Personal und die Einrichtung von DP Lagern in der französischen Zone. Humbert hinterfragt die Meinung von Zeitgenossen, dass es DPs in Großlagern schlechter ergangen sei als in Privatunterkünften (S. 88). Die 244 Sozialarbeiter:innen, die 1945 für die UNRRA in der französischen Zone in den DP Lagern arbeiteten, waren jedoch oft unqualifiziert und stammten zum Großteil aus Frankreich. Deutlich macht Humbert, inwiefern „relief work was understood […] as a vehicle for the restoration of French prestige“ (S. 127).

Die Überprüfung und Repatriierung von DPs in der französischen Zone ist Schwerpunkt des dritten Kapitels. Humbert zeigt die komplexen Machtstrukturen zwischen den alliierten Besatzungsmächten und die unsichere Haltung Frankreichs gegenüber der Sowjetunion auf, deren DPs auch gegen deren Willen repatriiert wurden. Broschüren zur humanitären Hilfe von DPs sollten die neutrale Position der UNRRA in der französischen Zone aufzeigen und DPs davon überzeugen, sich als Arbeitskraft in Frankreich zu bewerben.

Im darauffolgenden Kapitel untersucht Humbert, wie die UNRRA auf die Bedürfnisse von DPs reagierte. Sie nuanciert die These von Tara Zahra, dass nach 1945 Kenntnisse der Psychologie in der sozialen Arbeit in Deutschland Einzug hielten.3 Humbert zeigt auf, dass dies insbesondere für die britische und amerikanische Zone galt; viele französische Sozialarbeiter:innen dagegen „had […] never heard of Freud“ (S. 203). Eine Besonderheit der französischen Sozialarbeit war vielmehr die Förderung von Kultur wie Kunstausstellungen oder Konzerten durch DPs.

Im fünften Kapitel zeigt Humbert, wie Erwerbsmöglichkeiten für DPs in der lokalen Wirtschaft geschaffen wurden. Arbeit betrachtete die UNRRA als Therapie, um die DPs wieder in einen normalen Alltag zu integrieren. DPs arbeiteten für die UNRRA, oft aber auch für deutsche Unternehmen, wo sie wie im Krieg weiterhin schlecht bezahlte und unattraktive Beschäftigungen ausführten. Die UNRRA und deutsche Firmen bevorzugten ebenso wie Frankreich DPs aus dem Baltikum und dem Banat, während DPs aus Polen und der Ukraine weiterhin diskriminiert wurden und öfter außerhalb des DP-Lagers arbeiten mussten.

Im letzten Kapitel analysiert Humbert die Umsetzung der Anwerbestrategien Frankreichs aus der Perspektive der DPs. Bis 1950 emigrierten rund 37.000 DPs nach Frankreich, während nach Großbritannien zweimal so viele DPs gingen. Der Großteil der DPs versuchte in die USA, Kanada und Australien zu emigrieren. Frankreich schaffte es nicht, „to rebuild the image of the nation as an industrious and generous state“ (S. 323). Stattdessen galt Frankreich unter den DP als verarmtes Land und behielt bei ihnen mit seinen strengen und beliebigen Auswahlkriterien einen schlechten Ruf.

Humberts Untersuchung schließt mit dem Fokus auf die französische und internationale humanitäre Hilfe im Nachkriegsdeutschland eine wichtige Forschungslücke. Indem sie Diskurse internationaler Organisationen und die Praxis vor Ort miteinander abgleicht, wird deutlich, dass der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgeerscheinungen für die Geschichte der humanitären Hilfe nicht unbedingt ein modernisierender Moment gewesen ist. Methoden aus der Zwischenkriegszeit und diskriminierende Vorurteile beeinflussten weiterhin die soziale Arbeit in der Nachkriegszeit. Ein Spezifikum der französischen Politik scheint die Kulturpolitik gewesen zu sein, die sich auch in der Förderung von DPs als Künstler:innen manifestierte. Ihre Studie zeigt auf Basis von zahlreichen Quellen insbesondere aus dem UN-Archiv und dem französischen Außenministerium die Relevanz einer dritten Perspektive zur französischen Besatzungszone in Deutschland auf. Humbert begreift die Geschichte der französischen Zone nicht als eine rein deutsch-französische Geschichte, sondern erweitert diese durch die Sichtweise von internationalen Hilfsorganisationen und DPs.

Das Fehlen deutschsprachiger Forschungsliteratur und deutscher Quellen ist allerdings bedauerlich. So hätten im Kapitel zur Unterbringung von DPs bei deutschen Privatpersonen (S. 96f.) oder zur Arbeit von DPs in deutschen Firmen (S. 267ff.) auch Quellen aus den südwestdeutschen Archiven gewiss interessante Befunde beigesteuert. Auch der Austausch zu weiteren internationalen Hilfsorganisationen und deutschen Wohlfahrtsorganisationen wäre lohnend gewesen. Insgesamt legt Laure Humberts jedoch eine spannende und kenntnisreiche Studie vor, die für die bisherige Forschung zur französischen Zone und zur Geschichte der humanitären Hilfe ein großer Gewinn ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Sharif Gemie / Laure Humbert / Fiona Reid (Hrsg.), Outcast Europe. Refugees and Relief Workers in an Era of Total War 1936–48, London 2012; Laure Humbert, The French in Exile and Post-War International Relief, c. 1941–1945, in: Historical Journal 61 (2017), S. 1041–1064.
2 Vgl. etwa Andreas Linsenmann, Musik als politischer Faktor. Konzepte, Institutionen und Praxis französischer Umerziehungs- und Kulturpolitik in Deutschland, 1945–1949/50, Tübingen 2010.
3 Vgl. Tara Zahra, “The Psychological Marshall Plan”. Displacement, Gender, and Human Rights after World War II, in: Central European History 44 (2011), S. 37–62.