C. Antenhofer u.a (Hrsg.): The Roles of Medieval Chanceries

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Titel
The Roles of Medieval Chanceries. Negotiating Rules of Political Communication


Herausgeber
Antenhofer, Christina; Mersiowsky, Mark
Reihe
Utrecht Studies in Medieval Literacy (51)
Erschienen
Turnhout 2021: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Magdalena Weileder, Historisches Seminar, Historische Grundwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der von Christine Antenhofer und Mark Mersiowsky herausgegebene Sammelband enthält acht Beiträge zu klösterlichen, städtischen, kaiserlichen und vor allem landesherrlichen Kanzleien mit einem zeitlichen Schwerpunkt auf dem 14. und 15. Jahrhundert. Da er auf drei Sektionen des International Medieval Congress in Leeds 2012 zurückgeht1, sind die Aufsätze sämtlich auf Englisch verfasst, wenngleich sie überwiegend von österreichischen und deutschen Autorinnen und Autoren stammen und meist deutschsprachige Kanzleien behandeln.

Einem kurzen Vorwort folgt eine Einführung der Herausgeberin, in der das Themenfeld abgesteckt und ein knapper Überblick über Forschungsstand und Herangehensweise geboten wird. Antenhofer betont die Rolle von Kanzleien als zentrale Schauplätze politischer Kommunikation, auf denen Inhalte, Strukturen und Normen dieser Kommunikation ausgehandelt wurden. Zudem bietet die Einführung Zusammenfassungen der folgenden, in drei Sektionen eingeteilten Beiträge.

Die erste Sektion „Rules Within the Documents: Chanceries and Charters“ umfasst zwei Aufsätze, die sich mit einem bestimmten Formularbestandteil mittelalterlicher Urkunden befassen. Dabei fällt der Beitrag von Sébastien Barret zu den Pönformeln (sanctiones) in Urkunden der Abtei Cluny aus dem 10. und 11. Jahrhundert sowohl zeitlich und räumlich etwas aus der Reihe, als auch dadurch, dass er als einziger Schriftstücke aus einem geistlichen Kontext behandelt. Er stellt die Frage, ob diese Formeln Regeln folgten und stellt auf der Grundlage von über 5000 Urkunden fest, dass sie relativ gleichförmig formuliert sind, wobei die sanctiones mit geistlichen Strafen noch variantenreicher erscheinen als diejenigen mit Androhung materieller Strafen.

Thematisch fügt sich Barrets Beitrag jedoch gut ein, da auch der folgende Beitrag von Arnold Otto Pönformeln thematisiert, diesmal in den Urkunden Karls IV. Er sortiert die Pönformeln nach Höhe der Geldstrafe und zeigt, dass gleiche Summen für ähnliche Inhalte auch bei größerem zeitlichem Abstand verhängt wurden, in der Kanzlei Karls IV. hierfür also gewisse Regeln bestanden haben dürften, auch wenn diese nicht kodifiziert wurden.

In der zweiten Sektion „Chancery Rules and Organisation: The Chancery as a Platform of Administration“ sind drei Beiträge zur Organisation von Kanzleien zusammengefasst. Ellen Widder stellt drei Erlasse der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vor, die auch Regelungen zu Kanzleien beinhalten: 1. einen Schiedsspruch zwischen den Söhnen Herzog Albrechts III. von Bayern-München von 1468, 2. die kurkölnische Hofordnung von 1469 und 3. die nach der Hochzeit des kurpfälzischen Erbprinzen Philipp des Aufrichtigen erlassene Amberger Hofordnung von 1474. Gemeinsam ist diesen drei Erlassen, dass sie in Krisensituationen entstanden, den persönlichen Einfluss des jeweiligen Herren einschränken sollten und jeweils nur von begrenzter Geltungsdauer waren.

Der Beitrag von Julia Hörmann-Thurn und Taxis – 2020 auch in einer deutschen Version erschienen2 – behandelt Kanzleivermerke in den Registern der tirolisch-bayerischen Kanzlei Markgraf Ludwigs von Brandenburg, speziell die commissor-Vermerke, die hier allein der Innenkommunikation dienten. Sie wertet diese als Ausdruck einer durch die räumlich weit auseinanderliegenden Herrschaftsgebiete des Markgrafen und dessen häufige Absenz gebotene Transparenz und wichtigen Entwicklungsschritt hin zu einer entpersonalisierten Verwaltung.

Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung städtischer Kanzleien im Heiligen Römischen Reich vom 13.–15. Jahrhundert, das Aufkommen von Stadtschreibern und städtischen Kanzleiregeln bietet der Beitrag von Klaus Brandstätter (†). Er macht deutlich, dass die Entwicklungen in den Städten keineswegs parallel verliefen, da die Städtelandschaft im Reich sehr heterogen war, und von verschiedenen Faktoren wie Bevölkerungsdichte, Wirtschaftsleistung und rechtlichem Status beeinflusst werden konnten.

In den drei Beiträgen der dritten Sektion „Platforms and Exchanges: Chanceries as Platforms of Political Communication“ liegt der Fokus auf der Außenkommunikation von Kanzleien. So untersucht Isabella Lazzarini das Spannungsfeld zwischen Regel und Ausnahme in der Mailänder Kanzlei im späten 14. und 15. Jahrhundert und besonders nach Herrschaftsantritt der Sforza, die sich nach Archivverlusten während der Repubblica Ambrosiana um Wiederherstellung bemühten, auch zu Legitimationszwecken. Besonders eindrücklich ist die Figur des offenbar ordnungsbesessenen Kanzlers Cicco Simonetta, der in den 1450er und -60er Jahren differenzierte Regeln nicht nur für das Kanzleipersonal, sondern auch für seine Familie erließ, die allerdings nicht immer eingehalten wurden. Lazzarini plädiert jedoch dafür, zwischen order und disorder bzw. Regel und Ausnahme in den Kanzleien keinen Widerspruch zu sehen, sondern ein notwendiges Nebeneinander: Während einerseits das Festhalten an Regeln zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit und Legitimität notwendig war, war Flexibilität unverzichtbar, um auf unvorhergesehene Herausforderungen reagieren zu können.

Dass gut strukturierte und organisierte landesherrliche Kanzleien auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts keineswegs allgemeiner Standard waren, wird im Beitrag von Christina Antenhofer deutlich, die den clash of cultures und insbesondere der Kanzleikulturen beschreibt, den die Heirat des Grafen Leonhard von Görz mit Paula Gonzaga 1478 auslöste. Antenhofer betont, dass hier nicht Unterschiede zwischen italienischen und deutschen Urkundsgewohnheiten eine Rolle spielten, sondern vor allem die einzelnen Akteure: So standen auf der einen Seite die Gonzaga mit ihrer fortschrittlichen Kanzlei, die an den Verhandlungen im Vorfeld der Heirat intensiv Anteil nahmen, auf der anderen Seite die Grafen von Görz, die wichtige Modernisierungsschritte ihrer Verwaltung verpassten und speziell Leonhard, der als Drittgeborener auf das Regieren weder vorbereitet war noch sich besonders dafür zu interessieren schien.

Michaela Marini schließlich untersucht die Rolle der Tiroler Kanzlei unter Herzog Sigismund dem Münzreichen (1427–1496) bei den Tiroler Landtagen und stellt fest, dass sie eine Schnittstelle zwischen den Ständen und dem Territorialfürsten war; sie organisierte den Landtag, war direkt an den Verhandlungen beteiligt und für die Aufzeichnung der Ergebnisse verantwortlich.

Zwei weitere Beiträge, die ursprünglich vorgesehen waren und die Kanzleiaktivitäten der Visconti von Mailand im späten 14. Jahrhundert bzw. eine kirchliche Kanzlei im späten Byzantinischen Reich behandelt sollten, konnten nicht realisiert werden (S. 15). Abgeschlossen wird der Band durch einen Orts- und Personennamenindex.

Dank der Einführung und der gut nachvollziehbaren Einteilung in Sektionen ergibt der Band insgesamt ein rundes Gesamtbild vor allem in Bezug auf spätmittelalterliche Kanzleien. Anhand anschaulicher Beispiele werden nicht allein Unterschiede zwischen dem deutschsprachigen Raum und Italien deutlich gemacht, sondern es wird vor allem gezeigt, dass die Entwicklung von der mittelalterlichen Kanzlei zur modernen Bürokratie keine lineare Entwicklung war, sondern das Ergebnis komplexer Aushandlungsprozesse auf verschiedenen Ebenen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die unter den Nr. 1520, 1620 und 1720 verzeichneten Sektionen „Negotiating Rules: Platforms and Exchanges – The Role of the Medieval Chanceries, I–III“ auf der Website des International Medieval Congress 2012, <https://www.imc.leeds.ac.uk/imcarchive/2012/sessions/> (30.01.2022).
2 Julia Hörmann-Thurn und Taxis, Kanzleivermerke und ihre Bedeutung als Kommunikationsinstrumente in spätmittelalterlichen Fürstenkanzleien am Beispiel der tirolisch-bayerischen Kanzlei Markgraf Ludwigs von Brandenburg (14. Jahrhundert), in: Claudia Feller / Daniel Luger (Hrsg.), „Semper ad fontes.“ Festschrift für Christian Lackner zum 60. Geburtstag, Wien 2020, S. 107–126.

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