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Titel
Faustian Bargain. The Soviet-German Partnership and the Origins of the Second World War


Autor(en)
Johnson, Ian Ona
Erschienen
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
£ 22.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietrich Beyrau, Institut für osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Universität Tübingen

Ian Ona Johnson ist aktuell Assistenzprofessor für Militärgeschichte an der University of Notre Dame/Indiana. Der vorliegenden Arbeit liegt seine 2016 eingereichte Dissertation zugrunde. In seiner Einleitung betont Johnson, dass die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und der Roten Armee eine „black box“ (S. 3) sei. Davon kann spätestens seit der Arbeit von Manfred Zeidler und der Dokumentation von Ju. L. Djakow und T. S. Buschuewa keine Rede sein.1 Immerhin zitiert und benutzt er diese Arbeiten. Seine Monografie stützt sich auf viele Archive, vor allem auch auf das Russische und das Freiburger Militärarchiv und auf die inzwischen umfangreiche Literatur zu Militär und Diplomatie in der Zwischenkriegszeit.

Die Studie gliedert sich in zwei große Bereiche – Teil I und Teil II. Der Teil I umfasst die Zeit von 1921 bis etwa 1933, der Teil II die Zeit bis zu den ersten Feldzügen in Belgien und Frankreich und dem Jahr 1941, den ersten Offensiven der Wehrmacht in der Sowjetunion. Die zahlreichen Unterkapitel sind chronologisch geordnet. Im Zentrum stehen die „Investitionen“ der Reichswehr in Russland, etwa zum Einsatz von Prototypen von Flugzeugen und Panzern, deren Produktion in Deutschland nach den Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles verboten war. Gleiches gilt für die Experimente von Gaseinsätzen. Im Einzelnen werden die diplomatischen Aushandlungsprozesse zwischen der deutschen und sowjetischen Seite dargestellt. Hier spielten auf deutscher Seite zunächst Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung, die Reichswehrminister Wilhelm Groener und dann Kurt von Schleicher, auf sowjetischer Seite zunächst Leo Trotzki und Michail Frunse, dann Kliment Woroschilow die entscheidende Rolle. Auf deutscher Seite waren alle bekannten Rüstungsfirmen von Krupp über BMW, Rheinmetall bis Junkers in die Verhandlungen um Konzessionen, Investitionen und die Bereitstellung der notwendigen technischen Ausrüstung involviert.

Die Art der Kooperation zwischen deutschem und russischem Militär und die Art der Beteiligung deutscher Firmen gestalteten sich sehr unterschiedlich, im Falle von Junkers auch sehr schwierig. Insbesondere bei der technischen Ausrüstung von Flugzeugen suchte sich die deutsche Seite (vergeblich) gegen sowjetische Spionage zu schützen. In manchen Bereichen wie der weiteren Entwicklung von Giftgas und seines Einsatzes arbeitete man offensichtlich eng zusammen; es bestanden Kontakte zwischen Fritz Haber und dem russischen, später emigrierten Chemiker I. W. Ipatew und dem „Gas-Unternehmer“ Hugo Stolzenberg. Bei den Experimenten mit Giftgas, verschossen aus der Luft oder durch gepanzerte Fahrzeuge, dienten neben Tieren auch Rotarmisten (in Bataillonsstärke!) und sich angeblich freiwillig stellende deutsche Soldaten als Versuchsobjekte. Die wichtigsten Orte für die Übungseinsätze waren Podosinki (bei Moskau) und Tomka an der Wolga sowie zeitweise Bersol (bei Samara) für die Entwicklung chemischer Kampfstoffe und für Gaseinsätze. Fili (bei Moskau) und später besonders Lipeck wurden als Flugzeugschule genutzt, Kama (bei Saratow) als Produktions- und Übungsort für gepanzerte Fahrzeuge, die sog. Groß- und Kleintraktoren.

Der Darstellung ist insofern schwer zu folgen, als diplomatische Verhandlungen, Skandale, fachliche Konsultationen und die Einsätze vor Ort chronologisch Jahr für Jahr dargestellt werden, so dass man ständig zwischen Gasexperimenten, Fahrzeug- und Flugübungen, der Produktion und dem Einsatz von Waffengerat hin- und hergetrieben wird und dabei leicht den Überblick verliert. Die sehr detaillierte Schilderung der einzelnen Verhandlungen und Prozesse bestätigt die etwas plakativ formulierte These von Djakow und Buschuewa, dass das „faschistische Schwert in der UdSSR geschmiedet“ worden sei.2 Dies belegt Johnson besonders nachdrücklich im Fall der Piloten: rund ein Drittel der in Lipeck ausgebildeten Piloten fungierten im Zweiten Weltkrieg als „Asse“.

Die forcierte Aufrüstung Deutschlands nach 1933 sei nur möglich gewesen dank der Experimente und Erprobung von Prototypen in der UdSSR. Die Entwicklung nach 1933 wird im Teil II kursorisch skizziert. Auch die Rote Armee galt Anfang der 1930er Jahre als die technisch am besten ausgestattete Armee Europas. Der Zusammenhang mit der Zusammenarbeit mit der Reichswehr wird allerdings nur punktuell belegt, etwa mit dem Rückgriff des bekannten Flugzeugkonstrukteurs A. N. Tupolew auf zuvor entwickelte deutsche Prototypen.

Starkes Gewicht legt Johnson dabei auf die Hinnahme aller deutschen Vertragsbrüche durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs schon zur Zeit der Weimarer Republik. Die Rüstungskontrolle der Entente seit Mitte der 1920er sei über Jahre sehr lasch gehandhabt worden und offensichtliche Vertragsbrüche wurden nicht geahndet. Dies galt noch mehr für die forcierte Rüstung im Dritten Reich und den zunehmenden Rückstand der Rüstung in Frankreich und England. Dies alles ist im Wesentlichen bekannt.

Die Planungen für einen beweglichen Krieg spielten als Gegenentwurf zum Stellungskrieg 1914 bis 1918 auf sowjetischer wie auf deutscher Seite eine große Rolle. Der Luftwaffe und den Panzern fiel hierbei eine herausragende Bedeutung zu. Unklar bleibt allerdings, ob es einen Zusammenhang, eine gegenseitige Beeinflussung oder Kenntnisnahme der strategischen und taktischen Planungen und Überlegungen der jeweiligen Gegenseite gab: der Entwicklung der „tiefen Operation“ auf sowjetischer Seite (Michail N. Tuchatschewski, Wladimir K. Triandafillow) und dem deutschen „Gefecht der verbundenen Waffen“, hier ebenfalls mit dem besonderen Gewicht auf der Panzerwaffe (Ernst Volckheim, Heinz Guderian u.a.). Immerhin war Guderian auch in Kama und im Austausch mit sowjetischen Militärs ebenso wie Tuchatschewski mit deutschen Militärs; Triandafillow gastierte sogar in Deutschland.

Die technische Überlegenheit und der taktische Einsatz der Panzerwaffe wird am Beispiel der Feldzüge in Belgien und Frankreich belegt, die anfänglichen Erfolge in der Sowjetunion werden allerdings auch mit dem Überraschungseffekt erklärt. Noch wichtiger seien hier allerdings die Folgen des Terrors Stalins gegen das höhere Führungskorps der Roten Armee gewesen. Johnson legt überzeugend die These nahe, dass vom Terror unter Stalin fast schon systematisch alle jene Offiziere und Generale betroffen waren, die bis 1933 mit der Reichswehr kooperiert hatten, d. h. im Wesentlichen die intellektuelle Elite der Roten Armee.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den Gewinnen, welche die deutsche Seite aus der geheimen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zog. Ein geringeres Gewicht legt der Autor auf die möglichen Lernprozesse auf sowjetischer Seite, die mindestens so stark wie die deutsche Seite auf das Lernen vom Ausland, allerdings nicht nur von Deutschland, angewiesen war. Wer sich für die technische Seite der Experimente und Prototypen-Entwicklung interessiert, wird auf seine Kosten kommen. Was die politische Seite der Zusammenarbeit betrifft, bestätigt Johnson die Annahmen der maßgeblichen Literatur zum Thema.

Anmerkungen:
1 Ju. L. D’jakov und T. S. Bušueva, Fašistkij meč kovalsja v SSSR, Moskau 1992; Manfred Zeidler, Reichswehr und Rote Armee 1920-1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit, München 1994.
2 So die deutsche Übersetzung des russischen Titels von Djakow und Buschuewa.

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