A. Lilienthal: Die Fürstin und die Macht

Cover
Titel
Die Fürstin und die Macht. Welfische Herzoginnen im 16. Jahrhundert: Elisabeth, Sidonia, Sophia


Autor(en)
Lilienthal, Andrea
Erschienen
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
€ 33,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Corina Bastian, Historisches Institut, Universität Bern

Andrea Lilienthal legt mit ihrer Dissertation eine dichte, dabei zugleich konzise Analyse der Handlungsmöglichkeiten und des Machtpotentials von Fürstinnen vor. Der Autorin gelingt eine äußerst leserfreundliche Präsentation – durch einen klaren Aufbau, gut platzierte Zwischenfazits, sinnvolle Wiederaufnahme der Fragestellung und einen flüssigen Schreibstil. Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Das erste ist der Verortung in der Forschung und einem angenehm knappen Überblick über den historischen Kontext der Analyse gewidmet. In den folgenden Kapiteln behandelt die Autorin nacheinander drei nur wenig erforschte welfische Fürstinnen, deren Bilder größtenteils von Historikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt wurden: Elisabeth, Sidonia und Sophia, Herzoginnen von Braunschweig-Lüneburg. Darauf folgt in Kapitel Fünf eine vergleichende Synthese.

Lilienthal stellt die individuelle Fürstin ins Zentrum ihrer mikrohistorischen Analyse und nimmt Konfliktsituationen in den Blick, um rechtlich durchaus abgesicherte Herrschaftsansprüche auf ihre reale Durchsetzbarkeit hin zu überprüfen und so Möglichkeiten und Grenzen der Macht zu erörtern. Die Autorin rekonstruiert, wie Machtbereiche ausgehandelt wurden, und integriert die Frage nach gesellschaftlichen Normen und nach Handlungsalternativen, um "über den Einzelfall hinaus das Verständnis von kulturellen Praktiken, gesellschaftlichen Strukturen und Funktionsweisen zu fördern" (S. 22). Aus diesem Grund fragt sie nach den Handlungspotentialen ihrer Protagonistinnen, die sie als "außergewöhnliche Normalfälle" (S. 21) bezeichnet. Dabei macht Lilienthal deutlich, dass der Handlungsrahmen einer Fürstin einerseits durch ihren Stand und andererseits durch ihr Geschlecht bestimmt wird. Daraus ergibt sich die strukturell angelegte Ambivalenz ihrer Position, die im Folgenden auch immer wieder überzeugend aufgezeigt wird.

In Anlehnung an Michel Foucault interessiert sich Lilienthal für Machtverhältnisse, also wie Macht an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Kontext funktionierte. Dazu übernimmt sie Pierre Bourdieus Differenzierung in ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Konsequent wendet sie diese – zuweilen etwas künstlich wirkende – Kategorisierung auf ihre Quellen an. Der Arbeit liegt ein umfangreiches Quellenstudium zu Grunde, worunter sich auch bisher noch nicht erschlossene Bestände befinden (z. B. die beinahe vollständige Korrespondenz der Herzogin Sidonia mit ihrem Bruder, Kurfürst August zu Sachsen).

Den Schwerpunkt der Arbeit bildet das – analytisch stärkste – Kapitel zur Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die ältere Forschung interpretierte ihr Handeln entweder hinsichtlich ihrer "Vermännlichung" oder aber sah den lutherischen Glauben als das alles überlagernde Leitmotiv. Lilienthal betrachtet die Herzogin in ihren Rollen als zweimalige Gemahlin, Mutter, vormundschaftliche Regentin und Witwe und weist nach, wie sie ihr Handlungsrepertoire zu erweitern suchte und welche handlungsleitenden Motive dabei zugrunde lagen.

Beispielsweise zeigt die Analyse das Scheitern von Elisabeths Bündnispolitik auf der Reichsebene, in ihrer Rolle als vormundschaftliche Fürstin von Münden. Als potentielle Bündnispartnerin des Schmalkaldischen Bunds hatte sie ihr Territorium auf eine baldige Reformation einstellen wollen. In diesem ebenso wie im Fall der langwierigen Testamentstreitigkeiten zeigt Lilienthal immer wieder auf, wie ausschlaggebend eine gute Vernetzung und der dadurch ermöglichte "Informationsvorsprung" waren (S. 72). Der Machtkampf zwischen Elisabeth und Herzog Heinrich dem Jüngeren macht außerdem die Vorteile einer auf Konsens angelegten Politik deutlich – so verzichtete die Herzogin etwa in bestimmten Situationen auf die Durchsetzung ihres Reformeifers. Die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten wurden in der sozialen Praxis der Landtage ausgehandelt, wobei in diesem Zusammenhang das Geschlecht der Herzogin keine Rolle spielte. Die Anerkennung und der Erfolg ihrer Vormundschaft sei letztlich das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens von individuellen Interessen sowie überindividuellen Strukturen gewesen: Relevant zeigten sich Faktoren wie das gute Verhältnis Elisabeths zu ihren Mitvormündern, deren Interessen sich mit ihren eigenen deckten – allerdings wohl nicht aufgrund einer "glücklichen Fügung" (S. 147), sondern infolge der schon beschriebenen konsensorientierten Politik Elisabeths. Zwei strukturelle Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit werden aufgezeigt: Auf Reichsebene konnte die Herzogin keine Eigenständigkeit erlangen, da es ihr als Frau nicht möglich war, über militärische Dienste ein Näheverhältnis zum Kaiser zu begründen. Die zeitliche Begrenzung ihrer Regentschaft stellte einen weiteren, allerdings keinen geschlechterspezifischen Nachteil dar.

Im Fall der Schwiegertochter Elisabeths, Herzogin Sidonia von Braunschweig-Wolfenbüttel, stehen die Konflikte um das Aushandeln der Scheidungsmodalitäten im Zentrum der Untersuchung. Auch hier stellt die Autorin gesellschaftliche Erwartungen, rechtliche Regelungen und die aus den Quellen rekonstruierbare soziale Praxis einander gegenüber und ergänzt diese sinnvoll durch kontrafaktische Überlegungen. Die Rekonstruktion zeigt einerseits die wechselseitigen Abhängigkeiten der beiden Eheleute (insbesondere das Problem der Kinderlosigkeit) andererseits aber auch die soziale und ökonomische Benachteiligung der Fürstin gegenüber ihrem Gemahl. Verschiedene Handlungsoptionen wie eine neue Familiengründung in einer anderen Heimstatt standen ihr ganz einfach nicht offen. Ihre Isolation und den Verlust ihres Ansehens führt Lilienthal jedoch in erster Linie auf ihre fehlende Vernetzung zurück.

Unterstrichen wird diese Beobachtung im Fall der Sophia von Braunschweig-Wolfenbüttel. Lilienthal zeigt, wie sich eine Herzogin mit Hilfe ihres kulturellen Kapitals als Königstochter und durch Akkumulation sozialen Kapitals (ihr "Netz an Informanten", S. 262) in ihrer Position absicherte – man könnte auch vom Aufbau und der Pflege von Netzwerken sprechen. Mehrfach wird Sophias wichtige Position im Netzwerk ihres Bruders Zygmunt II. betont. Die Korrespondenz dieser beiden zeige, dass sie "diplomatische Aktionen im Interesse der Politik ihres Bruders" (S. 262) durchführte – welche, erfährt der Leser allerdings leider nicht. Das Kapitel kommt vielfach nicht über die Beschreibung hinaus (insbesondere Kap. 4.4.1.1.) und basiert hauptsächlich auf der Lektüre von Jan Pirożyński.1

Im Ergebnis sieht die Autorin ihre These bestätigt, dass "die Handlungsmöglichkeiten einer Fürstin stiegen, je mehr Kapital sie akkumulierte und dies ihr Machtpotential erhöhte" (S. 285). Dabei stellt sie das kulturelle Kapital als das bedeutendste heraus. So waren in erster Linie Lesen und Schreiben sowie wirtschaftliche Kenntnisse unabdingbare Voraussetzungen, um überhaupt soziales Kapital zu aktivieren. Und erst in Verbindung mit diesem konnte ökonomisches Kapital tatsächlich zu einer Stärkung der Position beitragen.

Grundsätzlich könnte man sich fragen, ob das Begriffsinstrumentarium des "Kapitals" methodisch wirklich gewinnbringend ist – statt von sozialem Kapital zu sprechen, das der Autorin zufolge zu einem großen Teil aus der "Verlässlichkeit ihrer persönlichen Beziehungen" (S. 18) und der "Übernahme von Patenschaften" (S. 287) bestand, wären die Begriffe "Netzwerke" und "Patronage" vielleicht überzeugender gewesen.2 Hinzu kommt, dass Bourdieus Kapitalkonzept Lilienthal zufolge auch nur eine Annäherung an die Ausgangsposition der Fürstin im Konfliktfall liefern kann, nicht aber ausreichend ist, um ihre konkreten Erfolgschancen zu ermitteln. Hier fügt die Autorin drei weitere Überlegungen an, von denen sich die ersten beiden zusammenfassen lassen (1. "Im konkreten Konfliktfall bedurfte es individueller Fähigkeiten", 2. "Die Ausnutzung des Handlungsrahmens hing von individuellen Fähigkeiten ab", S. 289). Ihre dritte Überlegung betrifft die Geschlechterfrage: "Geschlecht" generiere zwar stereotype Argumentationsdiskurse, wirke sich aber "trotz der strukturell angelegten Asymmetrie zu Gunsten des Mannes nicht grundsätzlich ausschlaggebend für den Ausgang der untersuchten Konflikte" (S. 290) aus.

Drängt sich hier der Eindruck auf, dass die Autorin durch diese abschließenden Gedanken ihre Ergebnisse stark relativiert, so sind sie doch in ihrer Bescheidenheit angemessen. Auf der Suche nach den Faktoren der Macht bleibt die Erkenntnis, dass in einer "Bündnis- und Konsenskultur" (S. 290) stets eine Vielzahl von Faktoren relevant sein konnte.3 Der Verdienst der Autorin dabei ist – und kann nur sein –, in konkreten Fällen deutlich gemacht zu haben, welche Faktoren in welchem Maße zum Tragen kamen.

Die Fürstin – so Lilienthal abschließend – habe sich nicht in der Peripherie, sondern "mitten unter den Akteuren des Herrschaftstandes" (S. 290) befunden. Um ihren aktiven Part zu verdeutlichen, ersetzt die Autorin das Bild der Fürstin als "Schnittstelle" durch das passendere Bild der "Schaltstelle" der Macht (S. 288).

Anmerkungen:
1 Pirożyński, Jan, Die Herzogin Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel aus dem Haus der Jagiellonen (1522-1575) und ihre Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen-polnischen Kulturbeziehungen in der Renaissancezeit, Wiesbaden 1992.
2 Zu dem nicht allzu umfangreichen Literaturapparat bleibt anzumerken, dass die (besonders nicht-deutsche) Netzwerk- und Patronageforschung gänzlich fehlt.
3 Hier hätte die feministische Forschung zum Umgang mit Kategorien (etwa Andrea Griesebner, Danielle Haase-Dubosc, Gisela Engel) weitere Anregungen geben können.

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