J. den Boeft u.a. (Hrsg.): Ammianus after Julian

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Titel
Ammianus after Julian. The Reign of Valentinian and Valens in Books 26-31 of the Res Gestae


Herausgeber
den Boeft, Jan; Drijvers, Jan Willem; den Hengst, Daniël; Teitler, Hans C.
Reihe
Mnemosyne-Supplementa 289
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 326 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloński, Kraków

Das Werk des Ammianus Marcellinus wurde in den letzten Jahren gründlich und intensiv erforscht. Fast in jedem Jahr erscheint eine neue Monographie und regelmäßig wird die Reihe der historisch-philologischen Kommentare, die nun von vier holländischen Forschern verfasst werden, durch einen neuen Band erweitert.1 Die Autoren dieses Kommentars haben jetzt auch den vorliegenden Sammelband veröffentlicht. Der Band legt die wissenschaftlichen Ergebnisse einer internationalen Tagung im Jahr 2005 vor. In diesem Jahr erschien der Kommentar zum 25. Buch der Res Gestae Ammians, womit nunmehr derjenige Teil des Werkes, der die Herrschaft des Kaisers Julian darstellt, vollständig interpretiert ist. In Zusammenhang mit der Fortsetzung der Arbeiten an den folgenden Büchern Ammians organisierte die holländische Forschergruppe eine Tagung, die der letzten Hexade der Res Gestae gewidmet war, in der die Herrschaft der Kaiser Valentinian I. und Valens dargestellt wird. Der Band gliedert sich in drei Teile mit insgesamt 13 Aufsätzen: I. „History and Historiography“, II. „Literary Composition“ und III. „Crisis of Empire“.

Den ersten Teil eröffnet Bruno Bleckmann (Vom Tsunami von 365 zum Mimas-Orakel: Ammianus Marcellinus als Zeithistoriker und die spätgriechische Tradition, S. 7–32). Er weist auf die Darstellung des Tsunami von 365 und die Prophezeiungen zum Tod des Valens in der byzantinischen Historiographie hin und kommt zu der überzeugenden Schlussfolgerung, dass sowohl Ammian als auch die spätere byzantinische Tradition eine schriftliche Vorlage verwendeten. Bleckmann hinterfragt dabei kritisch die bisher in der Ammianforschung vorherrschende Meinung, dass sich der Autor bei der Darlegung der Regierung des Valentinian und des Valens in großem Maße auf Archivstücke und Augenzeugenberichte gestützt habe. Überzeugend zeigt er, dass das Primärmaterial eine geringere Rolle gespielt hat, als man bisher annahm. Über weite Strecken verwendete Ammian somit literarische Quellen als Vorlage. Ammians Verhältnis zu Valentinian I. und insbesondere zu Valens steht im Fokus der nuancierten historischen Analysen von Hartmut Leppin (Der Reflex der Selbstdarstellung der valentinianischen Dynastie bei Ammianus Marcellinus und den Kirchenhistorikern, S. 33–52) und Hans C. Teitler (Ammianus on Valentinian. Some Observation, S. 53–70). Leppin weist nach, wie bestimmte Züge der Selbstdarstellung der pannonischen Kaiser bei Ammian wahr- und aufgenommen wurden. Er macht auf die Tendenz Ammians aufmerksam, die einzelnen Elemente der offiziellen Ideologie ironisch wiederzugeben. Teitler geht hingegen von der Voraussetzung aus, dass Ammian zwar den Kaiser Valentinian oft kritisiere, aber auch dessen Vorzüge und Verdienste anerkenne. David Hunt (Valentinian and the Bishops: Ammianus 30.9.5 in Context, S. 71–90) bietet einen Einblick in das Problem der religiösen Toleranz und möchte Ammians Worte in 30,9,5 aus der Perspektive der Religionspolitik Theodosius’ I. verstehen. Noel Lenski (The Chronology of Valens’ Dealings with Persia and Armenia, 364–378 CE, S. 95–128) schlägt eine neue Chronologie der einzelnen Handlungen des Valens im Osten vor. Jan Willem Drijvers (Ammianus on the Revolt of Firmus, S. 129–158) weist darauf hin, dass es im Bericht über den Aufstand des Firmus eine Orientierung am Bellum Iugurthinum des Sallust und an der Tacfarinas-Affäre bei Tacitus gebe. Meines Erachtens handelt sich es hier aber eher um eine allgemeine Ähnlichkeit als eine wirkliche imitatio. Drijvers betont darüber hinaus, dass das Bild Theodosius’ des Älteren, welches Ammian entwirft, nicht als durchgängig positiv zu bezeichnen sei, es habe vielmehr auch gewisse negative Züge wie etwa die Grausamkeit.

Der zweite Teil enthält vier Aufsätze, die sich auf verschiedene literarische Aspekte der Res Gestae beziehen. Daniël den Hengst (Literary Aspects of Ammianus’ Second Digression on Rome, S. 159–180) analysiert den zweiten Romexkurs (Amm. 28,4) und betont die Bedeutung der Satiren für Ammians literarische Technik. Stéphane Ratti (La traversée du Danube par les Goths: La subversion d’un modèle héroique. Ammien Marcellin 31.4, S. 181–200) versucht, die Darstellung des Übergangs der Goten über die Donau 376 symbolisch zu deuten. Ratti meint, es handle sich hier um eine absichtliche Nachahmung der typischen literarischen Szene des Flussübergangs durch einen Helden. Er erinnert dabei vor allem an Alexander den Großen, den Ammian in 31,4 als Muster gewählt habe. In diesem Fall wären die Goten ein Kollektivheld; die gesamte Szene sollte aber vielmehr den negativen Charakter der Barbaren herausstreichen, die als Antithese eines großen Helden dargestellt werden. Insgesamt wirkt so diese Konzeption Rattis sehr künstlich und kaum überzeugend. Ihr liegen lediglich vage Assoziationen zugrunde, die auf keinen Fall Ammians Bericht bestimmen. Giuseppe Zecchini (Greek and Roman Parallel in Ammianus, S. 201–218) sammelt die Exempla aus der griechischen und römischen Geschichte, um zu zeigen, dass Ammian, der sich an Plutarch orientiert habe, bei seinen östlichen Lesern den Stolz auf die politischen und kulturellen Leistungen der Griechen hervorrufen wollte.2 Die These, Ammians Adressatenkreis sei vor allem in der Elite des römischen Ostens zu suchen, ist allerdings nicht unumstritten. Insbesondere die Romanisierung der Person des Kaisers Julian weist darauf hin, dass Ammian die Rezipienten des Werkes eher im Westen des Reiches sah.

Gavin Kelly (The Sphragis and Closure of the Res Gestae, S. 219–241) bietet eine Analyse der oft interpretierten, stets aber auch kontrovers diskutierten Sphragis. Kelly, der unterschiedliche Positionen in der modernen Forschung zu vereinen sucht, erkennt hier eine Spannung zwischen der Hoffnung des Historikers, würdige Nachfolger bzw. Fortsetzer zu finden, und der Warnung, die Geschichte der Zeit Theodosius’ I. panegyrisch darzustellen. Einem solchen „offenen“ Charakter der Sphragis entspreche das Ende des 31. Buches, in dem Ammian hervorhebe, dass das Gotenproblem nicht gelöst sei. Damit plädiert Kelly für die in der Forschung oft geäußerte These, nach der die letzten Kapitel der Res Gestae erweisen, dass Ammian, anders als die Panegyriker Pacatus und Themistios, das Foedus von 382 keineswegs als endgültige Lösung des Gotenproblems ansah. Von Bedeutung ist insbesondere der Bericht über das Gotenmassaker in Kleinasien (Amm. 31,16,8): Der Historiker stellt absichtlich den Gotenkrieg im letzten Buch und das Gotenmassaker im vorletzten Paragraphen des Werkes dar, um auf diese Weise zu betonen, dass die gotische Bedrohung immer noch aktuell ist.3

Der letzte Teil des Bandes „Crisis of Empire“ besteht aus drei Aufsätzen, die sich aber weniger auf das Thema der Krise, als vielmehr auf verschiedene negative Aspekte der Regierung des Valentinian und des Valens beziehen. Sigrid Mratschek (Et ne quid coturni terribilis fabulae relinquerunt intemptatum ... Amm. Marc. 28,6,29. Die Göttin der Gerechtigkeit und der comes Romanus, S. 245–270) analysiert sehr suggestiv die Atmosphäre der Tragödie, die in der Erzählung über den Konflikt zwischen Theodosius dem Älteren und dem comes Romanus herrscht. Mratschek versucht auch, aufgrund neuer chronologischer Berechnungen die Frage zu beantworten, wer für die Hinrichtung Theodosius’ des Älteren verantwortlich war. Die Argumente von Mratschek sind beachtenswert und werfen neues Licht auf dieses rätselhafte Geschehen. Christopher Kelly (Crossing the Frontiers: Imperial Power in the Last Books of Ammianus, S. 271–292) bespricht die bekannten Magieprozesse in Rom und Antiochia. Er betont die Selektivität und Unklarheit des Berichtes bei Ammian. Laut Kelly versucht Ammian auf diese Weise, die Stimmung des Terrors und der Unsicherheit unter der valentinianischen Dynastie zu veranschaulichen. Der Sammelband endet mit einer ausgezeichneten Analyse der moralischen Aspekte der Res Gestae von Jan den Boeft: Hazards of (Moral) Historiography (S. 293–311). Ammian konzentriere sich in den Büchern 26–31 auf die negativen Seiten des menschlichen Handelns und entwerfe so ein pessimistisches Bild der Zukunft. Betont wird dabei eine prägnante und eindeutige Bewertung der Jahre 364–378: omnes ea tempestate uelut in Cimmeriis tenebris reptabamus (Amm. 29,2,4). In einem fiktiven Interview mit Ammian weist den Boeft aber zu Recht darauf hin, dass Ammian überzeugt ist, dass eine große historische Gestalt, wie er sie in den Kaiser Julian gewidmeten Büchern entwirft, durchaus einen positiven Einfluss auf die Zeit hat, Ammian also eine bessere Zukunft im Fall einer kompetenteren Regierung nicht ausschließt.4

Zweifelsohne bietet der Band viele wichtige neue Erkenntnisse, durch die die Ammianforschung profitieren kann. Obwohl sich die Aufmerksamkeit der Autoren auf die Bücher 26–31 und die Epoche nach Julian konzentriert, ist Julians Person in den Ausführungen stets präsent. Dies verweist nachdrücklich darauf, welch große Rolle Julian in Ammians Denken und Geschichtskonzeption spielt. Julian ist so auch in den letzten Büchern der Res Gestae eine wichtige Figur, sowohl als Bezugspunkt bei der Bewertung des menschlichen Verhaltens und der politischen Handlungen als auch im Allgemeinen bei der Darstellung des historischen Geschehens. Es verwundert somit nicht, dass Ammians Bericht tendenziös und über weite Strecken sehr subjektiv ist. Der Historiker gestaltet seine Erzählung (bewusst und unbewusst) so, dass die Rezipienten den Kontrast zwischen Julian und seinen Nachfolgern klar erkennen können. Dieser Band zeigt dabei, dass sowohl traditionelle Quellenkritik als auch moderne literarische Kritik unentbehrlich sind, um das Werk Ammians richtig verstehen und beurteilen zu können.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Wittchow, Frank, Exemplarisches Erzählen bei Ammianus Marcellinus, Leipzig 2001; Riedl, Petra, Faktoren des historischen Prozesses. Eine vergleichende Untersuchung zu Tacitus und Ammianus Marcellinus, Tübingen 2002; Kelly, Gavin, Ammianus Marcellinus. The Allusive Historian, Cambridge 2008; den Boeft, Jan; Drijvers, Jan; den Hengst, Daniël; Teitler, Hans C., Philological and Historical Commentary on Ammianus Marcellinus XXV, Leiden u.a. 2005; dies, Philological and Historical Commentary on Ammianus Marcellinus XXVI, Leiden u.a. 2007.
2 In diesem Kontext wären auch zu berücksichtigen: Felmy, Andreas, Die römische Republik im Geschichtsbild der Spätantike. Zum Umgang lateinischer Autoren des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. mit den exempla maiorum, Berlin 2001 und Wittchow (wie Anm. 1), die auf differenziertere Weise die Benutzung der historischen Beispiele durch Ammian besprechen.
3 Vgl. Demandt, Alexander, Zeitkritik und Geschichtsbild im Werk Ammians, Bonn 1965, S. 144; Paschoud, François, Roma Aeterna. Études sur le patriotisme romain dans l’occident latin à l’époque des grandes invasions, Rome 1967, S. 44f.; Brodka, Dariusz; Die Romideologie in der römischen Literatur der Spätantike, Frankfurt am Main u.a. 1998, S. 63.
4 Vgl. bereits Brodka (wie Anm. 3), S. 88.

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