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Titel
Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute


Autor(en)
Rohrmoser, Richard
Erschienen
München 2022: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Späth, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Was bedeutet Antifaschismus, und in welcher Form tritt er in Erscheinung? Diese banal anmutenden, aber überaus komplexen Fragen beschäftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit seit geraumer Zeit. Eine Möglichkeit, sich dem uferlos erscheinenden Thema zu nähern, besteht darin, die verschiedenen historischen Aktionsformen des Antifaschismus in nationalen Räumen zu untersuchen. Diesen Weg wählt Richard Rohrmoser in seinem „Porträt einer linksradikalen Bewegung“. Darin zeichnet er die vielschichtige Entwicklung der deutschen „Antifa“ seit ihren Anfängen in den 1920er-Jahren über ein Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Die Relevanz des Gegenstands resultiert nicht allein aus der aktuellen Konjunktur des Antifaschismus-Begriffs und des zugehörigen Diskurses, sondern auch aus dem permanenten Spannungsfeld der Bewegung zwischen einer Demokratiegefährdung von links für die einen und einem notwendigen zivilgesellschaftlichen Beitrag gegen rechts für die anderen. Rohrmosers knappe, gerade einmal gut 200 Textseiten umfassende Synthese ist zwar die erste nicht von einem Aktivisten verfasste Studie zum Thema auf dem deutschsprachigen Buchmarkt und allein deshalb schon zu begrüßen. Allerdings existieren bereits seit 2014 teils breitere, mittlerweile in mehreren Auflagen vorliegende Darstellungen von Bernd Langer und Ulrich Schneider, auf die Rohrmoser im Text nicht eingeht und lediglich in wenigen Anmerkungen verweist.1

Der Autor, der 2021 mit seiner an der Universität Mannheim entstandenen Dissertation über zivilen Ungehorsam gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen in den 1980er-Jahren hervorgetreten ist2, wendet sich mit seinem Überblick weniger an die Fachwissenschaft als ein breiteres, historisch-politisch interessiertes Publikum. Die gewiss auf den Verlag zurückzuführende Entscheidung, lediglich Endnoten, aber weder Literaturverzeichnis noch Register abzudrucken, ist gleichwohl bedauerlich, denn damit fehlen wichtige Forschungsinstrumente. Eine Diskussion des Forschungsstandes findet nicht statt. Auch die Verarbeitung rein deutschsprachiger, häufig eher politik- als geschichtswissenschaftlicher Literatur bedingt Unschärfen und Lücken in den begrifflich-historischen Annäherungen an das transnationale Phänomen des Antifaschismus. Dabei stünden zentrale neuere Arbeiten in deutscher und vor allem englischer Sprache bereit, die auch französische, italienische, spanische und andere Forschungen berücksichtigen.3 Ein Einbezug dieser Studien hätte auch einen klaren Hinweis in der Einleitung auf den Titel des Buches ermöglicht, wonach „Antifa“ eine rein deutsche Perspektive einnimmt und Antifaschismus in anderen Ländern wie Italien und Spanien eine deutlich breitere Sammelbewegung gegen Rechtsextremismus umfasst als in Deutschland.

Sein Porträt der verschiedene linke Strömungen vereinenden, teils gewaltaffinen und zugleich zivilgesellschaftlich engagierten sozialen deutschen Bewegung gegen rechts gliedert Rohrmoser in vier Teile. Das erste schmale Kapitel behandelt den historischen Antifaschismus in Deutschland von seinen Anfängen in den 1920er-Jahren bis 1945. Hier erfährt die Leserschaft Altbekanntes über die Entstehung des Faschismus in den Gründungsjahren der Weimarer Republik, die Ausrufung der „Antifaschistischen Aktion“ 1932 sowie den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Etwas unscharf gerät dabei allerdings die Nacherzählung des italienischen Zusammenhangs. Denn während der Autor in der Einleitung explizit auf die Entstehung der antifaschistischen Bewegung im Italien der 1920er-Jahre verweist (S. 14), kann bei der weiteren Lektüre der Eindruck entstehen, dass der Antifaschismus zuerst in Deutschland und nicht in Italien aufgekommen sei (S. 29). Kleinere Tippfehler („fasci revoluzionari“, S. 29) und sprachliches Oszillieren zwischen Deutsch und Italienisch („König Viktor Emanuele“, S. 30) sorgen ebenfalls für einen etwas holprigen Auftakt. Hingegen bringt Rohrmoser den zentralen Unterschied zwischen deutschem Antifaschismus und demjenigen beispielsweise in Italien und Frankreich während des Zweiten Weltkriegs klar auf den Punkt: Wer sich in ersterem engagierte, handelte in den Augen vieler Deutscher unpatriotisch, wohingegen der Antifaschismus in von NS-Deutschland besetzten Ländern als patriotisch im Sinne einer nationalen Befreiung galt.

Das zweite Kapitel behandelt den Antifaschismus in Deutschland nach 1945. Hier skizziert der Autor zunächst die „staatliche[n] antifaschistische[n] Richtlinien“ in beiden deutschen Staaten. Herrschte unmittelbar nach dem Krieg noch ein antifaschistischer Konsens und kann man auch das Grundgesetz als „Gegenverfassung zum Faschismus“ (S. 56) lesen, wie Wolfgang Abendroth es tat, so wurde dieser Konsens im Zuge des aufkommenden Kalten Kriegs in der Bundesrepublik von Antitotalitarismus und Antikommunismus abgelöst. Während im Westen der Begriff spätestens seit dem KPD-Verbot 1956 negativ konnotiert war, bildete er in der DDR einen konstitutiven Bestandteil der Staatsdoktrin. Gerade weil Antifaschismus im Osten also Gründungsmythos, Abgrenzungsinstrument nach Westen und Mittel der Herrschaftssicherung im Inneren war, blieb im von der Einheitspartei SED dominierten Staat kein Platz für „antifaschistische Sekten“, wie Walter Ulbricht unmittelbar bei Kriegsende sagte. Obwohl es in der DDR dennoch Formen eines eigensinnigen, nichtstaatlichen Antifaschismus etwa im kulturellen Bereich gab, konzentriert sich Rohrmoser im Folgenden auf kurze Vorstellungen von vier antifaschistischen Organisationen und Parteien in der Bundesrepublik: der VVN-BdA, der KPD und DKP, dem Kommunistischen Bund (KB) sowie schließlich der Linken samt ihrer Parteijugend. Einigendes Moment dieser heute teils verschwundenen, teils fortbestehenden traditionellen institutionalisierten Gruppen stellten ihre Bezüge zum historischen Antifaschismus vor 1945 dar, sei es durch eigene Erfahrungen, die Erinnerungskultur oder die soziale Herkunft im Arbeitermilieu.

Dies änderte sich mit dem Entstehen neuer antifaschistischer Gruppen ab Ende der 1970er-Jahre ohne solche Bezüge und mit einer viel größeren Gewaltbereitschaft deutlich. Die neuen autonomen antifaschistischen Akteure stehen im Mittelpunkt des dritten Kapitels, das, analog zu den Forschungsinteressen und -schwerpunkten des Autors, den Hauptteil von Rohrmosers kleiner Studie bildet. Dabei kommen auch popkulturelle Elemente im Bereich Kleidung, Lifestyle, Kommunikation etc. zur Sprache, die autonome Antifa-Gruppen mit der aktuellen Jugendkultur verbinden sollten. Die Darstellung der inzwischen rund 40-jährigen Geschichte der „Autonomen Antifa“ ist zweifellos eine Stärke des Buchs. Wer das Kapitel liest, fühlt sich über die Entwicklung der Bewegung seit den 1980er-Jahren ebenso gut informiert wie über die Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland. Auch hier gehen die neuen Züge des Antifaschismus auf italienische Impulse zurück, nämlich auf dortige Arbeiter- und Studentenstreiks in den späten 1960er-Jahren, die Einfluss auf die Neue Linke in Westeuropa nahmen – ein Thema, zu dem jetzt eine profunde historische Studie von Dietmar Lange vorliegt, die der Autor möglicherweise nicht mehr für sein Manuskript berücksichtigen konnte.4

Im vierten und letzten Kapitel präsentiert Rohrmoser Überlegungen zur autonomen Antifa „zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und staatlichen Repressionen“. Er beginnt mit dem Sozialprofil, wonach Antifaschisten seit den 1980er-Jahren mehrheitlich aus Akademikerfamilien stammen, zwischen 15 und 35 Jahre alt und eher männlich sind und sich in Ausbildung oder Studium befinden. In ihrem breiten Aktionsspektrum zwischen Aufklärung und Bildung, friedlichem Protest, aber auch Gewaltaktionen sei stets der Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit wichtig für ihren Erfolg. Dass Attacken auf Leib und Leben dabei Tabu seien, gelte für den Großteil der Szene „im Wesentlichen“ als Konsens (S. 172). Doch im Laufe der Geschichte kam es immer wieder zu Grenzverschiebungen bei der autonomen Antifa, was eine breite antifaschistische Bündnispolitik mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften bis heute erschwert. Trotz dieser ungeklärten Haltung zur Gewaltfrage sieht der Autor die Extremismus- bzw. Hufeisentheorie von Uwe Backes und Eckhard Jesse, wonach Links- und Rechtsextremismus in ihrer Demokratiefeindlichkeit gleichzusetzen seien, kritisch angesichts der Weimarer Geschichte auf der einen und der statistischen Asymmetrie linksextrem motivierter Straftaten im Verhältnis zu rechtsextrem motivierten Morden auf der anderen Seite.

In der Summe hat Richard Rohrmoser seinen in der Einleitung formulierten Anspruch erfüllt, ein „differenziertes Bild“ (S. 17) der facettenreichen Geschichte der Antifaschismus-Bewegung in Deutschland zu zeichnen – wobei man angesichts der Heterogenität von Bewegungen im Plural sprechen könnte. Zurecht stellt er am Ende klar, dass diese Bewegung „keine Anschrift, kein Büro und keine offiziellen Sprecher*innen“ hat (S. 184) und wegen der genannten Pluralität notorisch krisenanfällig ist. Auf der Habenseite verbucht er wichtige Beiträge der historischen und autonomen Antifa zu einer demokratischen Zivilgesellschaft durch ihre Bildungs-, Dokumentations- und Recherchearbeit. Als Strukturprobleme benennt er hingegen die ungeklärte Stoßrichtung ihres Engagements – nur gegen rechts oder auch gegen den Staatsapparat? –, die ebenso schwebende Frage der Gewaltbereitschaft und Militanz sowie die politische Bündnisfähigkeit. Sein mit kritischer Sympathie aus einem überschaubaren Fundus deutschsprachiger Sekundär- und Online-Literatur geschriebener Überblick ist klar strukturiert, gut zu lesen und bietet vor allem im dritten Kapitel dem interessierten Publikum einen guten Einstieg. Die erwähnten Kritikpunkte sowie die gelegentlich angesprochenen, aber nicht genauer ausgeführten grenzüberschreitenden Kontakte und Vernetzungen autonomer Antifa-Gruppen sollten künftige Forschungen hingegen aufgreifen, in internationale Wissenschaftsdebatten einbringen und vertiefen.

Anmerkungen:
1 Bernd Langer, Antifaschistische Aktion. Geschichte einer linksradikalen Bewegung, Münster 2014, 3., aktualisierte u. erweiterte Aufl. 2018. Eine nochmals deutlich erweiterte vierte Auflage ist für 2022 angekündigt: https://unrast-verlag.de/media/gv22_web.pdf (20.06.2022), S. 40. Ulrich Schneider, Antifaschismus, Köln 2014, 2. Aufl. 2021.
2 Richard Rohrmoser, „Sicherheitspolitik von unten“. Ziviler Ungehorsam gegen Nuklearrüstung in Mutlangen, 1983–1987, Frankfurt am Main 2021; rezensiert von Stephen Milder, in: H-Soz-Kult, 03.06.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97534 (20.06.2022).
3 Vgl. hierzu neben den Literaturhinweisen in Jens Späth, Antifaschismus. Begriff, Geschichte und Forschungsfeld in westeuropäischer Perspektive, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 04.02.2019, https://docupedia.de/zg/Spaeth_antifaschismus_v1_de_2019 (20.06.2022), zuletzt noch Kasper Braskén / Nigel Copsey / David J. Featherstone (Hrsg.), Anti-Fascism in a Global Perspective. Transnational Networks, Exile Communities, and Radical Internationalism, London 2021, und Paul Edward Gottfried, Antifascism. The Course of a Crusade, Ithaca 2021.
4 Dietmar Lange, Aufstand in der Fabrik. Arbeitsverhältnisse und Arbeitskämpfe bei FIAT-Mirafiori 1962–1973, Köln 2021.