: Eine Geschichte der Kulturkritik. Von Rousseau bis Günther Anders. München 2007 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-54796-6 318 S. € 14,95

: Kulturkritik. . Frankfurt am Main 2008 : Suhrkamp Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-518-58499-6 135 S. € 15,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Albrecht, Institut für Soziologie, Universität Koblenz/Landau

Die Kulturkritik meldet sich zurück! Fünf Jahrzehnte war sie in die intellektuelle Strafecke verbannt, zwei Vorwürfe ließen sie verschämt verstummen: Zum einen, so die fortschrittsfrohen Modernisierer, formuliere Kulturkritik stets jenseits wissenschaftlich valider Aussagen; sie sei ein impertinenter, weil wertender Ausgriff, der den belegbaren Horizont der Fachwissenschaften verlasse und ihren Geltungsanspruch für subjektive Werturteile missbrauche. Zum zweiten aber, und das wog schwerer, sei Kulturkritik nur der Ausfluss eines spezifisch deutschen Kulturpessimismus, in dem das Ressentiment gegenüber der westeuropäischen Aufklärung und ihren legitimen Kindern, Demokratie und Liberalismus, Ausdruck gefunden habe – und worauf dies letztlich hinauslaufe, habe ja die deutsche Geschichte erwiesen.1 Jetzt sind gleich zwei Bücher aus rechtsideologisch unverdächtiger Feder erschienen, die sich um die Rehabilitierung des Delinquenten bemühen. Ist die Trivialisierung der professionalisierten Fächer schon so weit vorangeschritten, dass sie antiquierende Auffrischungen benötigen? Oder ist alles nur die Folge der neuen, Bologna-erzwungenen Interdisziplinarität, die an alte Publikumserfolge anknüpfen möchte, um in den Evaluationsbögen des Wissenschaftsrats in der Sparte „Wissenstransfer“ glänzen zu können wie weiland Ortega y Gasset, Sedlmayr, Guardini, Anders oder Marcuse?

Wie auch immer: Beide Bücher leitet eine nahezu kongeniale Intention. Kulturkritik, zumindest die ‚richtige’ Kulturkritik, sei kein ideologischer Antimodernismus, sondern ebenfalls ein legitimes Kind der Aufklärung, ja deren konsequente Fortschreibung, reflexive Selbstanwendung aufklärerischer Vernunft. Georg Bollenbeck und Ralf Konersmann unterscheiden die ältere Kulturkritik, die bis auf Diogenes und die Kyniker zurückreiche, von der modernen Kulturkritik, und bei beiden Autoren steht Rousseau im Zentrum der Analyse. Beide verneinen einen notwendigen Zusammenhang zwischen Kulturkritik und Kulturpessimismus, beide sehen in der Kulturkritik keine spezifisch deutsche Tradition, auch wenn sie an den üblichen Verdächtigen aus dem späten 19. Jahrhundert (Langbehn, Chamberlain, Spengler etc.) ihre negative Variante festmachen.

Soweit die Gemeinsamkeiten, nun zu den Unterschieden. Man könnte beide Bücher als Ergänzung lesen: Bei Bollenbeck findet sich eine ausführliche, geistesgeschichtlich differenzierend angelegte hermeneutische Analyse der Klassiker, bei Konersmann dann der große Deutungswurf, der den Stellenwert von Kulturkritik für die Genese und die Fortschreibung der Moderne verdeutlicht. Ein kleiner Unterschied, so könnte man meinen – hier allerdings einer ums Ganze.

Zunächst zu Bollenbecks Arbeit. In seinem einführenden Kapitel betont er, dass die Affinität bestimmter Richtungen der Kulturkritik zum Nationalsozialismus die Kulturkritik als solche noch nicht erledige. Deshalb unterscheidet Bollenbeck drei Kontexte: erstens einen weiten Begriff, der bis auf die Kyniker zurückreiche, zweitens im engeren Sinne das durch die Aufklärung veränderte Zeitbewusstsein, drittens den spezifisch deutschen Antimodernismus. Gerade weil sich diese drei Ebenen mischen können, möchte Bollenbeck keine reine Diskursgeschichte schreiben, sondern den Wahrheitsanspruch von Kulturkritik ernstnehmen, indem er in eine detaillierte Einzelfallanalyse einsteigt. Kulturkritik ist ihm eine spezifische Denkhaltung, die konstitutiv sei für jede Reformbewegung der Moderne.

Diesen Gedanken verfolgt Bollenbeck in den weiteren Kapiteln durch eine luzide geistesgeschichtliche Analyse, die bei dem Gründungsheros der aufklärerischen Kulturkritik, bei Rousseau einsetzt und dann in Schillers ästhetischer Theorie weitergeführt wird. Kulturkritik, so zeigt er hier, hat die Entwicklung des ganzen Menschen gegenüber der vielfach fragmentierten sozialen Wirklichkeit im Blick und klagt das menschliche Potential immer wieder gegen die Eigenlogik des sozialen Fortschritts ein. Sie ist Kontrollinstanz nicht nur der ersten, sondern ebenso jeder weiteren Vernunftrepublik.

Genau diese Denkfigur habe auch die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrscht. Condorcets Fortschrittsentwurf auf der einen, Friedrich Schlegels Kritik auf der anderen Seite ließen sich eben nicht durch den Gegensatz zwischen westeuropäischer Aufklärung und idealistisch übersteigerter deutscher Weltfremdheit erklären, sondern zeigten Argumentationsmuster, die in Frankreich bei Taine und Renan, in England bei Carlyle, Ruskin und Arnold ebenfalls skeptische Antipoden etwa gegenüber dem Mill’schen Optimismus erzeugt hätten.

Bei Nietzsche, so Bollenbeck, habe die Diskrepanz zwischen Erwartungen an den Fortschritt und Fortschrittserfahrungen zu einer neuen Synthese beider Gedankenfiguren geführt, die, bei allen möglichen Lesarten, auf der einen Seite den statusverteidigenden Bildungsbürger, auf der anderen aber eine enorm sensibilisierte und gleichzeitig desorientierte Intelligenz zurückgelassen hätten. Erst durch die Nietzsche-Rezeption vor dem Hintergrund der gewaltigen Modernisierungskrisen um 1900 hätten Lagarde, Langbehn, Rathenau und Spengler die spezifisch deutsche Lesart einer entzauberten Moderne formuliert, die den – bis Nietzsche aufrechterhaltenen – philosophischen Wahrheitsanspruch der Kulturkritik endgültig ins raunende Ressentiment überführt habe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, so Bollenbeck weiter, habe die Kulturkritik in Ortega y Gasset, Jaspers, Heidegger, Klages, Anders und der Frankfurter Schule noch einmal eine (ganz unterschiedlich akzentuierte) Renaissance erlebt, die allerdings schnell deutlich gemacht habe, dass in einer Demokratie keine pauschalisierende Generalkritik, sondern eine singularisierende Partialkritik gefragt sei. Die große Zeit der Kulturkritik ist vorbei, schließt Bollenbeck, aber ihre intellektuell stimulierende Wirkung lebt noch fort. Wir haben es bei Bollenbecks Werk also mit einem klassisch historisierenden Denkansatz zu tun, einer Geistesgeschichte im besten Sinn, detailliert, gut lesbar, bei der formal einzig die fehlende Literaturliste zu bemängeln ist. Schade allerdings, dass Bollenbeck den Schwerpunkt nicht auf das 20. Jahrhundert gelegt hat, denn neben der Verfallsgeschichte, die er präsentiert, hätte es von Simmels Tragödie der Kultur über das Ende von Webers Protestantischer Ethik bis zu Guardini, Riesman, Gehlen, Sedlmayr, Huizinga und Postman eine Kulturkritik zu entdecken gegeben, die zum zentralen Gedankengut der Moderne gehört. Diese Arbeit bleibt ein Desiderat.

Konersmann dagegen operiert mit großer Deutungsgeste. Sein Buch ist nicht chronologisch, sondern systematisch aufgebaut. Die Kulturkritik, so setzt er ein, sei nur scheinbar in einer Krise, tatsächlich aber omnipräsent. Denn das, was sich seit den 1970er-Jahren intellektuell erledigt habe, sei die Ideologiekritik im Namen einer überlegenen Wahrheit – der Geschichte, der Vernunft, der Gerechtigkeit oder was auch immer –, während die zeitgenössische Kulturkritik keine sichere Position mehr kenne, sondern spielerisch das Bastelset für jede demokratische Urteilsbildung stelle.

Der Westen, so fährt Konersmann fort, habe eine spezifische Erfahrung an sich selbst gemacht: das Abreißen von Traditionen, die Ablösung von Geltungen, die Emphase des Neuen. Permanenter Wandel sei sein Prinzip, nicht Geltung, nicht der Rückgriff auf Traditionsbestände oder dogmatisierte Normen, sondern der stetige Fluss des Neuen. Der Westen sei im paradigmatischen Sinne das, was Claude Lévi-Strauss eine ‚heiße Gesellschaft’ genannt habe. Aus diesem Grund verwahrt sich Konersmann dezidiert gegen jeden Versuch, eine neue ‚Leitkultur’ zu proklamieren oder gar zu etablieren. Dies, so folgert er, sei nur ein Rückfall in den Zustand vor Aufklärung und Säkularisierung, eine Schwäche angesichts der permanenten, aber chancenreichen Verunsicherung.

Die spezifische Reflexionsinstanz dieser westlichen Kultur aber sei die moderne Kulturkritik – eine Kulturkritik, die aufgehört habe, sich als natürliche Bundesgenossin von Wahrheit, Vernunft oder Geschichte zu präsentieren, die stattdessen dem reinen Prinzip der Immanenz folge: einer Kritik am Hier und Jetzt aus dem Hier und Jetzt, ohne jede Aussicht auf einen archimedischen Punkt, aus dem sie die Welt als Ganzes hebeln könne. Kulturkritik sei der Modus der Diversifikation westlicher Kultur, sie reorganisiere permanent das Feld des Kulturellen, stelle alles, was statisch war, auf Dynamik um, verunsichere strukturell und biete in der ironischen Distanz zu sich selbst auch gleich das Gegenteil ihrer Aussagen an. „Aus der Kultur, die einmal eine stabile Lebensform war, wird eine neue Kultur, eine neue Art der Kultur, die eine Spielform ist und in der nicht mehr die überzeitlichen Autoritäten, sondern die mitlaufenden Dauerkommentare der kritischen Reflexion den Ton angeben.“ (S. 44)

Nach einem Ausblick auf die Schwierigkeiten, den Kulturbegriff definitorisch zu fassen, grenzt Konersmann zwei unterschiedliche Formen der Kulturkritik scharf voneinander ab: die restitutive von der postrestitutiven Kulturkritik. Die erste Form, so macht er an Bacon klar, ist immer eine Kritik, die auf Wiederherstellung eines einmal gewesenen oder auf Herbeiführung eines zukünftig möglichen Zustandes zielt. Sie hat einen Fixpunkt, ist aus der Geste der Überlegenheit heraus geschrieben und weiß, was die Welt zusammenhält. So habe Seneca an der Wiederherstellung der Vernunft gearbeitet, Pascal an der Wahrheit, Ruskin an der Vollendung, James am Angemessenen. Insofern ist restitutive Kulturkritik keine Zeitstufe, keine Epoche der Kritik, sondern ein Typus, der immer möglich ist, wo die Moderne hinter sich selbst zurückfällt.

Die postrestitutive Kulturkritik aber beginne mit Rousseau. Wie bei Bollenbeck gehört der Rousseau-Deutung auch bei Konersmann ein gewichtiger Teil des Buches. Rousseau verabschiede sich von der Vernunftgewissheit seiner enzyklopädistischen Freund-Feinde und stelle seine Kulturkritik ganz auf Binnenreflexion um. Rousseau kenne keinen Standpunkt, von dem aus er seine Kritik gleichsam autoritär entfalten könne; das unendliche Rollenspiel seiner literarischen Subjekte sei nichts anderes als Ausdruck der fragmentarischen Brüchigkeit und Vielschichtigkeit der modernen Existenz, die gegenüber jeder Ausdrucksform, die sie gefunden habe, gleich eine neue, eine andere positionieren könne. Rousseau ist das erste moderne Individuum – hybrid, identitätspolitisch, kritisch.

Während diese Form der Kulturkritik in Herders Journal, Baudelaires Salons und in Nietzsche ihre Fortsetzung gefunden habe, sei der Rückfall in restitutive Kulturkritik jedoch stets möglich: Dann schlage das Unbehagen an der Moderne in Ressentiment um. Als Musterexemplar des Ressentiments dient Konersmann nicht einer der üblichen Verdächtigen aus der rechten Szene, sondern Adorno höchstselbst: Seine Kulturkritik sei aufs Ganze gerichtet; im totalen Verblendungszusammenhang bleibe als Horizont eben nicht die Selbstreflexion der Moderne, sondern nur Erlösung von außen möglich. Adorno, so Konersmann, sei ein verdeckter Theologe, falle hinter die Säkularisierung zurück. (Ob dieses Urteil der Frankfurter Kulturkritik wohl gerecht wird?)

Genau dies unterscheide, so schließt Konersmann seine Argumentation, Ideologiekritik von Kulturkritik. Ideologiekritik sei hierarchisch, argumentiere von oben aus einer Ordnung, die weiß, was richtig ist. Kulturkritik dagegen sei egalitär; keine Wahrheit, keine Vernunft, keine durchschauten Gesetze der Geschichte lieferten ihr die Einsicht in einen Masterplan. Sie formuliere nur ein Angebot für jedermann, und genau darin bestehe ihre Moral.

Gegenüber Bollenbecks solidem Historismus fällt Konersmanns Arbeit durch stilistische Pointierungen auf. Er formuliert seine Thesen prägnant, teils brillant. Ein Feuerwerk der Argumentation wird entfaltet, in sich konsistent, diese postmoderne Rechtfertigung alter Traditionsstränge. Man kann über viele Einzelheiten streiten, etwa über die Rousseau-Deutung. Hier aber geht es um etwas anderes: Trägt das zentrale Argument, die Unterscheidung zwischen restitutivem Ressentiment und postrestitutiver Kulturkritik? Zunächst fällt eines auf: Durch Konersmanns engagierten Stil entsteht eine Apologie der modernen Kulturkritik. Den Standpunkt der reinen Immanenz jedenfalls kennen wir nicht nur aus der poststrukturalistischen Philosophie, sondern auch aus der theologischen Dogmatik, und überall dort, wo er – wie auch immer gewendet – auftaucht, sollte man misstrauisch werden.

Wo aber liegt der archimedische Punkt, mit dem Konersmann seine Welt aus den Angeln hebt? Kurz formuliert: Er liegt im Reflexionsstopp, mit dem Konersmann sein Relativismusproblem zu lösen versucht. Fassen wir es knapp zusammen: Der Westen hat keine Leitkultur, sondern das Prinzip des steten Wandels. Aber ist dann nicht das Prinzip des Wandels, zumindest sobald es reflektiert und proklamiert wird, die neue Leitkultur des Westens? Das wird dort deutlich, wo bei Konersmann kulturkämpferische Töne anklingen: „Die heute erreichte und weiterhin wachsende Komplexität ihrer Zeichenwelten ist die Eigenart, ist das Alleinstellungsmerkmal der westlichen Kultur, und zwar im Vergleich sowohl mit ihrer eigenen Geschichte als auch im Vergleich mit anderen, fremden Kulturen.“ (S. 15) Das kann Huntington ganz ähnlich formulieren. Wie gesagt: Es gibt ‚kalte’ und ‚heiße’ Gesellschaften, eigentlich ist nur der Westen heiß, und die Kulturkritik ist das Feuerchen, das die Dampfmaschine seines steten Wandels antreibt.

Ja, wenn das keine Geschichtsphilosophie ist! Konersmann verabschiedet sie, indem er aus dem Abschied eine neue macht. Er erklärt den Standpunkt der Vernunft und der Moral für erledigt und versucht in seinem Schlusskapitel zu begründen, warum nur der heroische Nihilismus des modernen Kulturkritikers moralisch und vernünftig sei. Hier scheint ein Denkfehler zu stecken, und zwar ein systematischer. Konersmann begründet die Ethik seines heroischen Kulturkritikers mit einer zentralen Aufgabe: Es komme darauf an, „den leeren Platz der Wahrheit unbesetzt zu lassen und unter allen Umständen freizuhalten – auch und besonders von den Gutgemeintheiten leutseliger connected critics. Lebendige Kulturkritik ist die Garantin dieser Vakanz.“ (S. 132)

Die Figur des kritischen Vakanzwächters erinnert mich ein wenig an den alten Herrn in meiner Straße, der immer darüber wacht, dass der Parkplatz vor seinem Haus nicht belegt wird. Er tut gut daran, würde Konersmann wohl argumentieren, denn er verteidigt ja die Funktion des Parkplatzes, und die geht verloren, wenn jemand den Parkplatz belegt. Dann kann man nicht mehr parken. Spätestens hier beginnen sich die Dinge wieder zu verwirren, und es lohnt, Beobachter erster und zweiter Ordnung zu unterscheiden. Auf der ersten Ebene möchte ich die These aufstellen, dass die Kulturkritiker der letzten 300 Jahre etwas kritisierten, um es zu verbessern. Konersmann verkennt: Sie meinten es ernst. Rousseau etwa kritisierte, dass der Fortschritt der Künste und Wissenschaften nichts zur Verbesserung der Sitten beigetragen habe. Der Sinn seiner Kritik bestand darin, dies zu ändern. Man darf dieses Motiv zur Kulturkritik nicht verwechseln mit einer posthum deklarierten Funktion, etwa jener, den Platz der Wahrheit freizuhalten, damit die Moderne weiter diffundieren kann. Aus den Motiven der Klassiker wird bei Konersmann eine Funktion, die für einen Beobachter dritter Ordnung, etwa einen Rezensenten, dann wieder als Motiv für Konersmann gelten kann, eine Theorie der Kulturkritik zu entwerfen, die aber natürlich ganz anderen Funktionen dient – etwa der Selbstabschottung einer Moderne, die ihren Entwicklungsglauben verloren hat und diese Not nun zur Tugend eines solipsistischen Leerlaufs erklärt. Und so weiter.

Im Kern besteht der Denkfehler also darin, dass Konersmann die Prinzipien der Kulturkritik nicht auf seine Theorie der Kulturkritik anwendet: Er kennt keine Grenze seiner Argumentation, keine Ambivalenzüberlegungen, und von Ironie ist in dem ganzen Buch nichts zu spüren. Kurz: Konersmann betreibt eine Apologie der Postmoderne, nicht ihre immanente Kritik. Dieser Spannungsbogen ist nicht neu: Schon Schelsky hat gegenüber Gehlens Verfallsthese angemerkt, dass die neuen Institutionen eben nicht reflektiert werden, solange sie gelten.2

Als Ergebnis entsteht eine eigentümliche Verkehrung – während Konersmann auf der ersten Beobachtungsebene die Kulturkritik zum irrelevanten Dauergeschwätz der Moderne über sich selbst erklärt, ist es ihm um die eigene Theorie der Kulturkritik ernst: Wer sie ablehnt, ist unmoralisch, antimodernistisch, ressentimentbeladen. Die Beobachtung zweiter Ordnung ist eben immer restitutiv, da macht Konersmann keine Ausnahme. Der heroische Postmodernist hat, wie der alte Mann in meiner Straße, doch etwas zu verteidigen: die eigene Weltdeutung.

Anmerkungen:
1 Stern, Fritz, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern 1963 (u.ö.).
2 Schelsky, Helmut, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? Zum Thema einer modernen Religionssoziologie [1957], in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1965, S. 250-275.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Eine Geschichte der Kulturkritik
Sprache der Publikation
Kulturkritik
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension