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Titel
Die braune Wirtschaftselite. Unternehmer und Manager in der NSDAP


Autor(en)
Windolf, Paul; Marx, Christian
Erschienen
Frankfurt am Main 2022: Campus Verlag
Anzahl Seiten
457 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Schleusener, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Der Beitrag führender Industrieller und anderer Wirtschaftsführer zum Aufstieg Hitlers und zur Etablierung der NS-Diktatur sowie die Involvierung der deutschen Wirtschaft in die NS-Verbrechen sind in der Forschung intensiv untersucht worden. Vor dem Hintergrund immer drängender gestellter Fragen zu Aufrüstung, Kriegswirtschaft, „Arisierung“ und Zwangsarbeit sind etliche Studien entstanden, die das breite Feld der NS-Belastung von Unternehmern und Managern und der von ihnen gelenkten Konzerne und Unternehmen abgesteckt haben. Im Fokus des Interesses standen zumeist die großen Namen: von Flick und Quandt, Degussa, Thyssen und Reemtsma bis zu Freudenberg und Tengelmann.1 Doch wie sah es in der Breite mit der NS-Affinität von Unternehmern und Managern aus, wie stark banden sich die Protagonisten der deutschen Wirtschaft an die NS-Diktatur? Antworten auf diese Fragen gibt jetzt erstmals eine von dem Soziologen Paul Windolf und dem Zeithistoriker Christian Marx erarbeitete Studie, die das Thema auf breiter empirischer Basis untersucht und auch die Karrierewege der „braunen Wirtschaftselite“ nach dem Zusammenbruch des NS-Systems im Mai 1945 verfolgt. Damit schließt der vorliegende Band eine Forschungslücke.

Grundlage der Untersuchung ist eine Stichprobe von 537 Personen mit Vorstands- oder Aufsichtsratsmandaten, die in der Studie als Kollektiv betrachtet werden. Das zentrale Ergebnis lautet: 37 Prozent von ihnen, 202 Personen, wurden als NSDAP-Mitglieder identifiziert. Damit war der Anteil von Unternehmern und Managern an der Mitgliedschaft der NSDAP deutlich höher als bei der Gesamtbevölkerung (zwölf Prozent), erreichte aber nicht die Höchststände der „Beitrittsneigung“ unter Juristen und Medizinern (von denen es annähernd 50 Prozent in die Partei Hitlers zog). Vergleichsweise gering war demgegenüber die Parteizugehörigkeitsquote unter Ingenieuren (ca. 26 Prozent).

Zum untersuchten Personenkreis gehören mit Friedrich Flick, Emil Kirdorf, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Wilhelm von Opel, Günther Quandt, Kurt Freiherr von Schröder, Ernst und Wilhelm Tengelmann sowie Albert Vögler namhafte „Wirtschaftsführer“, aber mit dem Chef der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley, dem Generaldirektor der Reichswerke „Hermann Göring“ Paul Pleiger oder dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert darüber hinaus auch führende NS-Wirtschaftsfunktionäre.

Marx und Windolf unterscheiden drei große Gruppen bzw. Unternehmertypen: „genuine“ Manager und Unternehmer, Parteifunktionäre und (ehemalige) Ministerialbeamte. Gründlich eruieren die Autoren die Motive des Parteibeitritts sowie das Maß an Opportunismus, Konformismus und „Nazismus“ bzw. nationalsozialistischer Gesinnung der untersuchten Mitglieder der Wirtschaftselite. Sie verstehen den Eintritt in die NSDAP als zumindest „formale Konformitätserklärung“, die aber im Zusammenhang üblicher unternehmerischer Anpassungsstrategien an politisch-institutionelle Umbrüche verstanden werden müsse. Mit ihrem Beitritt zur Staatspartei des Nationalsozialismus hätten die untersuchten Unternehmer ihre politische Unabhängigkeit gegen verlässliche Aufträge des NS-Staats sowie persönliche und unternehmerische Sicherheit eingetauscht. Den Beitritt zur NSDAP verstehen Marx und Windolf als „eine Strategie, sich Zugang zu einem in weiten Teilen politisch gesteuerten Verteilungssystem zu verschaffen und bürokratische Entscheidungen zugunsten des eigenen Unternehmens zu beeinflussen“. Die Parteimitgliedschaft habe Unternehmern Zugang zu einem „korrupten Netzwerk“ verschafft, in dem „Vorteile auf der Basis von persönlichen Beziehungen zugeteilt“ worden seien. „Sie erhielten damit die Chance, an einem mafiösen Tausch zu partizipieren – allerdings um den Preis, eine formale Konformität mit der Ideologie des Regimes öffentlich zu signalisieren“ (S. 96).

Marx und Windolf konstatieren eine große politisch-ideologische Nähe der untersuchten Unternehmer zur Zielsetzung des NS-Regimes in der Außen- und Wirtschaftspolitik (Beseitigung der Versailler Nachkriegsordnung, nationale „Wiedergeburt“, Eliminierung der politischen und gesellschaftlichen Vertretung der Arbeiter, Erhebung der Unternehmer zu „Betriebsführern“ usw.). Eine gefestigte NS-Überzeugung im Sinne des vom Regime propagierten rassistischen Antisemitismus sehen sie bei der Wirtschaftselite dagegen nicht. Sie habe den Antisemitismus des Regimes als „wirtschaftlich irrational“ abgelehnt. Die rassistische Staatsdoktrin des „Dritten Reiches“ hinderte sie aber nicht daran, sich mit dem Regime einzulassen. Ohne ihre Bereitschaft zur Kooperation wäre zum Beispiel die Vernichtung der jüdischen Wirtschaftstätigkeit in Form der „Arisierung“ nicht möglich gewesen.2

Wie ging es für die untersuchten „braunen“ Führungskräfte der Wirtschaft nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes weiter? Wie Marx und Windolf darlegen, hielten es viele für unangemessen, sich für ihre unternehmerischen Entscheidungen in der Zeit der Diktatur rechtfertigen zu müssen. Ihr Erfahrungshorizont kannte ähnliche Sanktionsinstrumente für die Beteiligung an der Kriegsrüstung oder die Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht. Dennoch mussten sich auch Vertreter der Wirtschaftselite den Verfahren vor dem internationalen Militärgerichtshof sowie den – zum Teil sehr langwierigen – Entnazifizierungsverfahren stellen. Die mehrheitliche Einstufung vieler NS-Manager als „Mitläufer“ in den Entnazifizierungsverfahren der Spruchkammern halten Marx und Windolf für angemessen. Allerdings war die Spannweite dessen, was einem „vom Befreiungsgesetz Betroffenen“ als NS-Belastung vorgehalten wurde, bekanntermaßen groß und änderte sich im Laufe der Besatzungszeit stark.

Die Nachkriegs-Karrierewege der Wirtschaftsführer mit Parteibuch sehen Marx und Windolf als „massiv durch die alliierten Besatzungsmächte beeinflusst, die die Autonomie der Großunternehmen sowohl hinsichtlich der Unternehmensstruktur als auch in Bezug auf die Rekrutierung des Führungspersonals einschränkten“ (S. 296). Entscheidend für das weitere Fortkommen waren Dauer und Ausgang der Entnazifizierungsverfahren sowie der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit, vor allem die Frage, ob sie in West- oder Ostdeutschland tätig waren. Führungskräfte der Wirtschaft in der SBZ bzw. DDR konnten versuchen, ihre Karrieren im Westen Deutschlands fortzusetzen; in den ostdeutschen „volkseigenen“ Betrieben gab es so gut wie keine Möglichkeiten zur Fortsetzung der Karriere.

Der von Marx und Windolf vorgelegte Band ist verdienstvoll, da er eine bedeutende Forschungslücke schließt. Das der Untersuchung zugrundeliegende Quellenmaterial ist quantitativ wie qualitativ gleichermaßen beeindruckend, auch wenn bei den biographischen Tiefenbohrungen die Kriterien für die Behandlung des einen Falls oder die Außerachtlassung des anderen nicht immer hinreichend klar werden. Der Band hätte aber vor allem von einer stringenteren Gliederung des Materials profitiert. Erst das fünfte von zehn Kapiteln widmet sich eingehend der der Untersuchung zugrundeliegenden Stichprobe und ihrer empirischen Auswertung; teilweise sehen sich Marx und Windolf gezwungen, zentrale Ergebnisse bereits vorab zu benennen. Redundanzen zu vermeiden, konnte daher nicht gelingen. Es leuchtet nicht ein, warum bereits in den Anfangskapiteln nach einem historiographischen Abriss zu Unternehmen im Nationalsozialismus der (zu simpel formulierten) Frage nachgegangen werden muss, ob „die Unternehmer ‚Nazis‘“ gewesen seien. Es erschließt sich zudem nicht, dass vor der Präsentation der Stichprobe zur Zugehörigkeit der Wirtschaftselite zur NSDAP bereits der Frage nach der Motivation der Unternehmer für den Parteibeitritt nachgegangen wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Überblick bei Tim Schanetzky, After the Gold Rush. Ursprünge und Wirkungen der Forschungskonjunktur „Unternehmen im Nationalsozialismus“, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 63 (2018), S. 7–32.
2 Siehe etwa den Sammelband von Jörg Osterloh / Harald Wixforth (Hrsg.), Unternehmer und NS-Verbrechen. Wirtschaftseliten im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 2014.

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