Die Potsdamer Professorin Monika Wienfort untersucht in ihrer Monografie die Rolle von vertriebenen katholischen Priestern in Königstein im Taunus, die dort nach 1945 eine einflussreiche Bildungsstätte gründeten. Als ein „Kommunikationszentrum“, wie die Autorin es nennt, gingen von hier sowohl Wirkungen nach Osteuropa aus (einschließlich der SBZ/DDR), etwa durch die Priesterausbildung, als auch in den Westen, und dort vor allem in die katholische Diaspora.
Einleitend legt Wienfort luzide den Erkenntnishorizont ihrer Studie dar und macht auch deutlich, was diese nicht leisten könne. So gehe es ihr nicht um eine Theologiegeschichte, sondern vielmehr um die Erforschung einer Institution: „Die [Königsteiner] Anstalten umfassten schließlich eine Philosophisch-Theologische Hochschule, ein Internatsgymnasium, eine Tagungsstätte, Forschungsinstitute und verschiedene Priester- und Hilfsvereinigungen: ein kleines Imperium von und zunächst auch für katholische Vertriebene in der Bundesrepublik.“ (S. 4) Ein zweiter Vorbehalt ergebe sich aus der eingenommenen analytischen Perspektive: Das Buch „blickt […], wie die Quellen, vorrangig vom Katholizismus auf die katholischen Vertriebenen, nicht umgekehrt von den Vertriebenen auf die Katholiken“ (ebd.). Ausgehend von Königstein soll dann aber doch betrachtet werden, welchen Einfluss vertriebene Katholiken auf den Katholizismus der Bundesrepublik gehabt haben. Wienfort nennt transparent die Leitfragen, die sie in ihrem Buch beantworten möchte. Erstens soll rekonstruiert werden, ob und wie die Integration der katholischen Vertriebenen gelang. Zweitens interessiert sich die Autorin dafür, welche „Formen der Frömmigkeit“ in Königstein praktiziert wurden (S. 7). Beide Aspekte liegen analytisch eng beieinander.
An diesen Fragen orientieren sich dementsprechend auch die nachfolgenden drei Hauptkapitel. Zunächst widmet sich Wienfort den „Gründungskonstellationen 1945–1949“. Für die Entstehung der Anstalten war die Rolle von Joseph Kardinal Frings entscheidend, da er die für die Gründung so wichtigen Kontakte in die internationalen Netzwerke herstellte, vor allem in die USA. Als eigentlichen „Inspirator“ müsse man aber Maximilian Kaller bezeichnen, den Bischof von Ermland (seit 1930) im mehrheitlich protestantischen Ostpreußen. „Sein früher Tod am 7. Juli 1947, wohl auch als Folge der gesundheitlichen Schäden, die er 1945/46 erlitten hatte, machte ihn gewissermaßen zum Märtyrer der Vertreibung und zur wichtigen Referenzpersönlichkeit.“ (S. 27) Er blieb allerdings ohne Nachfolger. Als „Macher“ vor Ort konnte sich Wienfort zufolge Adolf Kindermann hervortun. Für mehr als 30 Jahre war er die prägende Gestalt in Königstein. 1949 gelang nach intensiven Auseinandersetzungen mit dem Episkopat die Anerkennung als Philosophisch-Theologische Hochschule, nicht zuletzt dank des Einsatzes von Frings. Für den Vertriebenenklerus habe dies „einen großen Erfolg“ dargestellt (S. 59). Dem deutschen Episkopat wiederum habe daran gelegen, die „Eigenart“ der Vertriebenen anzuerkennen (S. 60, dort auch in Anführungszeichen) und gleichzeitig eine „Eindämmung von Separierungsbestrebungen von katholischen Vertriebenen“ (ebd.) zu erreichen.
Das folgende Kapitel behandelt die erste Dekade seit 1949 als eine „Etablierung in Krisen und Expansion“ (S. 61). Dieser Teil zeigt besonders den institutionsgeschichtlichen Ansatz, den die Autorin verfolgt. Als Legitimationsformel für die Existenz der Anstalten diente bereits früh die Furcht vor einer Radikalisierung der Vertriebenen, die man bereits seit 1946 als Argument heranzog. Wienfort hat dabei ein gewisses Faible für die Eindämmungsmetapher: Königstein habe selbst „eine Containment-Politik [verfolgt], eine ‚Eindämmung‘ des Vorrückens des Kommunismus im Inneren“ (S. 90, mit Verweis auf ein Manuskript Kindermanns). Zugleich entwickelte man innovative Formen der Diaspora-Arbeit, wobei die „Kapellenwagenmission“ zu den prominentesten Beispielen gehört. Die „Rechristianisierung“ Europas, der man damals in beiden Konfessionen große Chancen zurechnete, sollte auch von Königstein aus in Angriff genommen werden. Durch das Instrument der Kapellenwagen, also mobilen Kapellen auf Lastwagen, sollten „karitative Seelsorge, Mission und Datensammlung zu Forschungszwecken“ (S. 107) praktisch miteinander verbunden werden. Ein Foto des Königsteiner Fuhrparks macht anschaulich, wie die dortigen Akteure den Aufbruch in die technisierte Massenkonsumgesellschaft für ihre Zwecke nutzten und verstärkten (S. 103). Der besonders originelle Abschnitt „Männlichkeit und Motorisierung im Autoland“ (S. 110–121) schildert für die 1950er-Jahre nicht nur Kindermanns „leidenschaftliche Autoliebe“ (S. 111), sondern auch generell eine spezifisch katholische „Popularisierung des VW-Käfers“ (S. 114).
Viel Raum nehmen die Beschreibungen der Frömmigkeitsstile und anderer liturgischer Eigenheiten der Königsteiner ein. In solchen Analysen liegt ein großer Wert für die Liturgiegeschichte, aber wohl auch ein noch nicht gänzlich gehobenes Forschungspotential für die Zukunft. Und implizit macht Wienfort damit deutlich, dass eine Institutionengeschichte, wie sie sie zu schreiben beabsichtigt, ohne den Aspekt der theologisch-liturgischen Entwicklung unvollständig bleiben muss. Liturgie wurde jedenfalls in Königstein als ein Differenzmarker wahrgenommen, gerade für diejenigen Katholiken, die aus Bayern dorthin kamen. Wichtig sind sodann aber auch die Beobachtungen der Autorin zur vor Ort verfassten Publizistik, mit der der Kampf gegen den „Bolschewismus“ vorangetrieben werden sollte.
Der Zeitraum zwischen 1961 und 1978, mit dem sich ein weiteres Hauptkapitel befasst, ist überschrieben mit „Von der Expansion zum Existenzkampf“. 1978 schloss die Philosophisch-Theologische Hochschule in Königstein nämlich ihre Tore. Wienfort zeichnet diesen Weg detailliert nach. Die Hochschule war nicht zuletzt ein frühes Opfer eines bis in die Gegenwart fortwirkenden Problems: Es gab schlichtweg nicht genug Priesteramtskandidaten, die vor Ort studieren wollten. Klar stellt die Verfasserin zudem die dunklen Flecken in der Geschichte der Königsteiner Anstalten heraus. Denn auch im dortigen Internat kam es zu sexualisierter Gewalt. 1969 wurde einem Erzieher sofort gekündigt, als Vorwürfe an die Öffentlichkeit gelangt waren, die ein sexuelles Fehlverhalten nahelegten. Dass es sich bei ihm gleichzeitig auch um einen Studenten der Philosophisch-Theologischen Hochschule handelte, wurde allerdings nicht bekannt gemacht (S. 207). Bei einer Befragung der Schülerinnen und Schüler geriet das Ausmaß dieses Falls ans Tageslicht. Der Umgang damit war aber im schlechtesten Sinne typisch. „Die Schilderungen der Königsteiner Vorfälle entsprechen bekannten Narrativen. Täter, aber auch informierte Vorgesetzte baten die Opfer um Stillschweigen und ordneten Versetzungen an […], ohne eine Klärung der Vorwürfe herbeizuführen, kirchenrechtlich vorzugehen oder Strafanzeige zu erstatten.“ (S. 209) In diesen charakteristischen Bahnen habe sich der Rechtfertigungsbrief des zuständigen Weihbischofs, also Adolf Kindermanns, bewegt.
Ein kürzeres Kapitel zur „Erinnerungspolitik“ nach der Gründungsgeneration rundet das Buch ab und führt an die Gegenwart heran. Königstein, so resümiert Monika Wienfort am Ende ihrer sehr anregend geschriebenen Studie, „bildete in den 1950er-Jahren einen Ort für eine symbolische Präsenz des ‚Ostens‘ in der ‚Westernisierung‘ der Bundesrepublik“ (S. 275). Zwar sei der Einfluss der Königsteiner Anstalten auf den bundesdeutschen Katholizismus als „subkutan“ zu bezeichnen (S. 276), aber doch relevant gewesen, nicht zuletzt auch aufgrund der vielfältigen Beziehungen zur CDU und CSU, auf die die Autorin immer wieder verweist. Für die zeithistorische Katholizismusforschung, aber auch für die Forschungen zum Kalten Krieg und zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik hat sie ein wichtiges Kapitel in vorbildlicher Weise aufgearbeitet. Dabei werden die Königsteiner „Blindstellen“ schon zu Beginn klar benannt: „Während ein entschiedener und bisweilen militanter Antikommunismus in zahlreichen Zusammenhängen hervortritt, ein autoritäres Erziehungskonzept lange vertreten wurde und traditionelle Frömmigkeitsformen […] neu belebt wurden, fehlen ausführliche Auseinandersetzungen mit Themen wie Ehe, Familie oder Sexualmoral. Und immer wieder fällt auf, wie wenig man sich in Königstein mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust beschäftigt hat, gerade so, als ginge diese deutsche Vergangenheit die Katholiken nichts an.“ (S. 8)