H. Schneider (Hrsg.): Feindliche Nachbarn

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Titel
Feindliche Nachbarn. Rom und die Germanen


Herausgeber
Schneider, Helmuth
Erschienen
Köln u.a. 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die 2000-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald hat Römern und Germanen einen Platz im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit verschafft wie seit langem nicht mehr. Neben drei repräsentativen Ausstellungen in Haltern am See, Kalkriese und Detmold sowie einem Kongress in Osnabrück ist eine ganze Reihe wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen zum Thema des Jubiläums oder zu dessen weiterem Umfeld zu nennen.1 Dazu gehört die hier vorzustellende Publikation, die aus einer Ringvorlesung der Universität Kassel im Wintersemester 2006/07 hervorgegangen ist. Der Herausgeber hat es verstanden, vorzügliche Kenner der Materie und Altmeister der römisch-germanischen Forschungen wie Dieter Timpe und Alexander Demandt für das Vorhaben zu gewinnen.

Die Thematik wird in 11 Kapiteln behandelt. Neben einer Einleitung und einer abschließenden Bilanz sowie einem wissenschaftsgeschichtlichen Abschnitt stehen acht chronologisch geordnete Beiträge von den Kimberneinfällen im späten 2. Jahrhundert v.Chr. bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit in der Mitte des 4. Jahrhunderts n.Chr. Die einleitenden Ausführungen stellt der Herausgeber unter die Überschrift „Die Germanen in einem Zeitalter der Zerstörung und Gewalt“ (S. 9–24). In einem knappen Überblick werden vor allem die negativen Seiten römisch-germanischer Beziehungen herausgehoben und die Phasen des Friedens relativiert (S. 18). Grundsätzlich erhebt sich die Frage, ob der Buchtitel die sechs Jahrhunderte der Nachbarschaft in zutreffender Weise charakterisiert. Außer den auf den Seiten 19 und 20 ausführlich zitierten Gräueltaten der Germanen sollten doch auch andere Faktoren stärker berücksichtigt werden: Seit Caesars Zeiten pflegten germanische Stämme Freundschaft mit den Römern, in vielen Stämmen im Vorfeld der Rhein-Donau-Grenze existierten römerfreundliche Gruppierungen, über Jahrhunderte hinweg gab es intensive Handelsbeziehungen in beide Richtungen und ebenso lange „Germanen im römischen Dienst“, sie traten also freiwillig in die Dienste der Römer, die diese auch gern annahmen. Allein mit dem Etikett der „Feindschaft“ ist beider Verhältnis nicht zutreffend beschrieben, wie auch mehrere der folgenden Beiträge überzeugend zeigen. Ebenfalls vom Herausgeber stammt das Kapitel „Von den Kimbern und Teutonen zu Ariovist“, eine Übersicht zu den Kämpfen in der ausgehenden Republik (S. 25–46).

Mit der römischen Germanienpolitik in der Zeit des Augustus beschäftigt sich Rainer Wiegels (S. 47–76). Da sein Beitrag unmittelbar mit dem diesjährigen Jubiläum verbunden ist, kommt ihm eine zentrale Bedeutung in dem Band zu. Er bietet zu dem Zeitabschnitt von 17/16 v.Chr. bis 9 n.Chr. sowohl einen souveränen Überblick wie auch minutiöse Detailerörterungen. Auf drei interessante Einzelheiten, die gegenwärtig diskutiert werden, sei hingewiesen: Hinsichtlich des Ortes der Schlacht im Teutoburger Wald begnügt sich Wiegels mit der vorsichtigen Formulierung, dass es sich bei Kalkriese „um einen Kampfplatz handelt, der in der Tat mit der Varusschlacht unmittelbar zu verbinden ist“, wobei er hinzufügt, dass diese Feststellung nicht unbestritten ist (S. 64). Das Gebiet Germaniens sieht er um den Beginn der christlichen Zeitrechnung noch nicht als römische Provinz eingerichtet (S. 59). Skeptisch ist er auch gegenüber der Ansicht, auf einer Bleischeibe aus dem Truppenlager Dangstetten am Hochrhein den späteren Statthalter Varus als Legionslegaten der 19. Legion ausmachen zu können (S. 70, Anm. 43). Den Stamm der Chatten und seine Geschichte im 1. Jahrhundert n. Chr. stellt Reinhard Wolters in den Mittelpunkt seiner instruktiven Betrachtungen (S. 77–96).

Die seit den 1990er-Jahren durchgeführten Ausgrabungen in Waldgirmes an der Lahn behandelt aus erster Hand der daran beteiligte Armin Becker (S. 97–115). Waldgirmes ist bisher die einzige im Entstehen begriffene Zivilstadt östlich des Rheins, die ein klares Anzeichen dafür darstellt, dass unter Augustus eine Herrschaft der Römer in Germanien auf Dauer beabsichtigt gewesen ist. Seit 2005 kann die Gründung dieser Stadt dendrochronologisch auf das Jahr 4 v.Chr. datiert werden. Um die römischen Militärlager an der Lippe, verbunden mit einem nochmaligen Überblick zu den Feldzügen der augusteischen Zeit, geht es in dem informativen Kapitel von Torsten Mattern (S. 117–152). Er unterstreicht die Hinweise auf ein friedliches Miteinander zwischen Römern und Germanen im Umfeld der Militärlager (S. 145f.).

Geradezu die Gegenposition zu dem Beitrag des Herausgebers wie auch zu dem Titel des Sammelbandes bezieht der Wirtschaftshistoriker Kai Ruffing, der seine Ausführungen über den Handel unter den Titel „Friedliche Beziehungen“ stellt (S. 153–165). Erörtert werden im Einzelnen die römischen Händler in Germanien, der Handel im Grenzgebiet mit einer aussagekräftigen Inschrift aus dem Raum Carnuntum an der Donau, das Handelszentrum Krefeld-Gellep am Niederrhein, die Rolle der Germanen im Handel sowie die gehandelten Güter. Von Bedeutung ist Ruffings Feststellung, dass selbst kriegerische Auseinandersetzungen die wirtschaftlichen Kontakte nicht zum Erliegen brachten (S. 162).

Einen gehaltvollen Essay über die vieldiskutierte „Germania“ des Tacitus liefert Dieter Timpe (S. 167–200). Darin zeigt er die vielfältigen Schwierigkeiten auf, die mit der Interpretation dieser Schrift verbunden sind. Gattungsgebundene ethnographische Beobachtungen und politische Zeitkritik sind in ihr in kunstvoller Weise miteinander verknüpft. Für die persönliche Motivation des Tacitus hebt Timpe die Bedeutung der Chatten in den 80er-Jahren des 1. Jahrhunderts und die Germanenpolitik Kaiser Domitians hervor. Mit dem Imperium in der Defensive von den Markomannenkriegen ab 166 bis zu Iulianus Apostata 357 beschäftigt sich Andreas Goltz (S. 201–227). Er beleuchtet relativ ausführlich die Veränderungsprozesse bei den germanischen Stämmen vor allem im 3. Jahrhundert. In der Diskussion um das Auftauchen der Alamannen hält er an der traditionellen Ersterwähnung zum Jahre 213 fest (S. 210).

Unter dem Titel „Denkmäler, völkische Bewegung und Wissenschaft“ behandelt Volker Losemann in einem weitgespannten Beitrag die Sicht des 19. und des 20. Jahrhunderts auf die römisch-germanischen Auseinandersetzungen und dabei besonders auf das Geschehen um Arminius (S. 229–269). Den Versuch einer Bilanz unter weltgeschichtlichem Aspekt unternimmt abschließend Alexander Demandt in einem souveränen Essay (S. 271–287). Darin betont er mit Nachdruck die beiden Seiten, die das Germanenproblem für die Römer immer besaß: „Abwehr, Abschreckung, Abschottung der Grenzen“ auf der einen, „Aufnahme ins Reich, Anwerbung für den Wehrdienst, Öffnung der Grenzen“ auf der anderen Seite (S. 272f.). Daher gab es auch kein durchgängig existierendes „Feindbild“ (S. 282). Landkarte, Zeittafel, Literatur- und Autorenverzeichnis sowie ein Register beschließen den Band.2

Der Sammelband bietet insgesamt einen vorzüglichen Überblick zur Thematik. Die Autoren entwerfen in teilweise hervorragenden Detailstudien ein sehr facettenreiches Bild der Beziehungen zwischen Römern und Germanen in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends.

Anmerkungen:
1 Herausgegriffen seien nur Ralf-Peter Märtin, Die Varusschlacht, Frankfurt 2008; vgl. die Besprechung vom Rezensenten, in: H-Soz-u-Kult, 16.03.2009 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-214>; Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald, München 2008; vgl. die Rezension von Peter Kehne, in: H-Soz-u-Kult, 08.12.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-210>; Bruno Bleckmann, Die Germanen, München 2009; Boris Dreyer, Arminius und der Untergang des Varus. Warum die Germanen keine Römer wurden, Stuttgart 2009.
2 In der Landkarte auf Seite 290 fehlen die im Text häufig erwähnten römischen Stützpunkte Holsterhausen, Anreppen und Hedemünden; die Bezeichnungen Hercynia Silva und Saale sind falsch geschrieben.

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