Cover
Titel
Responsible History. With a Foreword by Jürgen Kocka, President of the International Committee of Historical Sciences, 2000–2005


Autor(en)
de Baets, Antoon
Erschienen
New York 2009: Berghahn Books
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
$ 39.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Schulze, Mercator Research Center Ruhr Essen

Die Historiographiegeschichte des 20. Jahrhunderts liefert eine Fülle von Belegen für den staatlichen und privaten Missbrauch von Geschichte. Immer wieder können wir beobachten, wie Historiker in ihrer Arbeit durch staatliche Autoritäten behindert wurden, aber genauso finden wir Historiker, die sich autoritären Regimes freiwillig als ideologische Helfershelfer andienten. Diese Fälle sind in beiden Varianten beunruhigend, und gerade die letzten Jahrzehnte haben dazu viele neue Forschungen geliefert. Gleichwohl wird man nicht sagen können, dass das Phänomen systematisch in seinen Zusammenhängen erforscht worden wäre. Dass dies jetzt in der vorliegenden Untersuchung geschieht, verleiht ihr ohne Zweifel eine besondere Bedeutung, zumal ihr Verfasser als ausgewiesener Spezialist gelten kann. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Antoon de Baets, Zeithistoriker belgischer Nationalität an der Universität Groningen, als Initiator eines Kreises von Historikern („Network of Concerned Historians“) bekannt, der sich um das Schicksal jener Kollegen kümmert, die in autoritären Staaten an der freien Ausübung ihres Berufs gehindert werden.1 Diese Gruppe von Historikern stellt durch ihre jährlichen Berichte die Verbindung zwischen den Anliegen der internationalen Menschenrechtsorganisationen und jenen Historikern her, die in ihren Heimatländern der Zensur unterworfen sind oder auf andere Weise beruflichen Zwängen unterliegen. Die Liste der Länder reicht von Albanien über China, den Iran bis nach Usbekistan und Zimbabwe, und leider lässt sich diese Zusammenstellung bis in unsere Tage fortsetzen. Im Jahr 2009 wurden Fälle in Burma, China und Peru aufgegriffen.

Über solche Probleme und die damit zusammenhängenden theoretischen Fragen hat de Baets auch schon mehrfach publiziert.2 Die Website seiner Vereinigung bietet wertvolle Übersichten zu den einzelnen Fällen wie auch zu einschlägigen Erklärungen internationaler und nationaler Organisationen. Das jetzt vorliegende Buch, das ein unterstützendes Vorwort von Jürgen Kocka enthält, dem ehemaligen Präsidenten des Comité International des Sciences Historiques (CISH), ist deshalb eine Art zusammenfassendes Kompendium dieser praktisch-politischen und theoretischen Bemühungen, sich mit den Problemen der Zensierung und Behinderung von historischer Forschung auseinanderzusetzen. Der Zugewinn des Buches liegt ohne Zweifel in einer systematischen Analyse dessen, was als „unverantwortliche Geschichte“ (Kap. 1) und als „verantwortliche Geschichte“ (Kap. 2) zu betrachten ist.

Dass es sich hierbei um weit verbreitete Phänomene handelt, liegt angesichts der dokumentierten Fälle auf der Hand, und zwar keineswegs nur in autoritären Systemen, bei denen man dies auf Grund defizitärer Menschenrechte erwartet. Dass in Ländern wie der Türkei (Gesetz gegen so genannte „Verunglimpfung des Türkentums“ und der Person Atatürks), des Irans oder in islamischen Länder keine prinzipiell freie historische Forschung möglich ist, wird man nicht als neue Tatsache bewerten können. Erwähnt werden aber auch die in westlichen Demokratien üblichen Fälle von Verleumdungsklagen gegen Historiker (als „verborgene Instrumente der Zensur“), mit denen diese eingeschüchtert werden sollen. Auch die in einigen Ländern Europas eingeführten „Erinnerungsgesetze“ – hier ist vor allem Frankreich zu erwähnen – oder der dort verwendete Begriff des „devoir de mémoire“ fallen unter diese Kategorie der Behinderung der freien historischen Forschung, obwohl sie in ihrer Gefährlichkeit nicht deutlich genug kritisiert werden.3 Im besonderen Fall der Holocaust-Leugner schließt sich der Verfasser letztlich der Position der europäischen Richter an, die die Klagen von Holocaust-Leugnern wegen Verletzung ihrer Grundrechte in allen Fällen abgelehnt haben. Er übersieht dabei keineswegs die grundsätzliche Fragwürdigkeit seiner Position und erkennt deren Widersprüchlichkeit, ohne dem freilich größeren Raum einzuräumen.

Das Buch läuft schließlich auf einen neuformulierten ethischen Code für Historiker hinaus (S. 188ff.), der in seinen 20 Artikeln an eine Reihe anderer allgemeinerer Erklärungen angelehnt ist, etwa die UNESCO-Empfehlung über den Status von Personen im Bereich der Higher Education von 1997 und Empfehlungen anderer nationaler Verbände. Die Kernforderung des Codes besteht in der Informations-, Ausdrucks- und Themenwahlfreiheit für historische Forschung; sie wird eingerahmt von Forderungen nach verantwortlichem Handeln des Historikers und demokratischer Orientierung bis hin zur Solidarität mit betroffenen Historikern. Es erhebt sich die Frage, warum de Baets sich um eine neue Form der Normierung von „Responsible History“ angesichts einer Welt von Grundrechtsverletzungen bemüht, der mit Erklärungen und neuen Codes wohl kaum beizukommen ist. Diese Skepsis plagte vermutlich auch das CISH, als der Verfasser zum ersten Mal an diese Institution herantrat und sie um ihre Unterstützung anging. Das CISH hat selbst seine traditionell eher zurückhaltende Position gegenüber der Verletzung der Rechte von Historikern aufgegeben, als es in Sydney 2005 eine entsprechende Formulierung über seinen Widerstand gegen jede Form des Missbrauchs von Geschichte in seine Satzung aufnahm. Angesichts der ausführlich erörterten Gründe gegen und für einen Code für Historiker entschließt sich de Baets für dessen Formulierung und Veröffentlichung, weil er sich davon letztlich eine Stärkung der moralischen Position der Historiker verspricht, ihren besseren Schutz und ein stärkere Selbstverpflichtung.

Ein weiteres Argument in dieser Richtung ist die Existenz von Verhaltensregeln, die nationale Fachgesellschaften wie etwa die American Historical Association (Statement on Standards of Professional Conduct) nach langen Diskussionen zuletzt 2005 beschlossen haben.4 Vielleicht kann man in diesem Zusammenhang an die „Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ erinnern, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 1998 verabschiedet hat.5 Diese Vorschläge enthalten für den alltäglichen Betrieb der Wissenschaft klare Regeln, deren Beachtung eigentlich selbstverständlich sein sollte, die aber leider immer wieder missachtet werden. Diese explizit formulierten Regeln haben ein neues Bewusstsein für solche Fragen gefördert. Bei dieser Gelegenheit fällt übrigens auf, dass Empfehlung 10 der DFG-Regeln den wissenschaftlichen Fachgesellschaften die Formulierung fachspezifischer Regeln auferlegt6, was der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands bislang noch nicht umgesetzt hat, aber derzeit vorbereitet. Vielleicht kann de Baets’ Buch die Diskussion darüber vertiefen. In Zeiten zunehmender Kollisionen zwischen Erinnerung und Geschichte, erhöhter Anforderungen der Medien an die gesellschaftliche Rolle der Historiker und eines weltweit florierenden Verlangens nach „historischer Wahrheit“ wäre dies durchaus zeitgemäß.

Anmerkungen:
1 <http://www.concernedhistorians.org> (18.1.2010).
2 Antoon de Baets, Censorship of Historical Thought: A World Guide, 1945–2000, Westport 2002. Zuletzt erschien von ihm: The Impact of the Universal Declaration of Human Rights on the Study of History, in: History and Theory 48 (2009), S. 20-43.
3 Dazu Winfried Schulze, Erinnerung per Gesetz oder „Freiheit für die Geschichte“?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), S. 364-381.
4 <http://www.historians.org/pubs/Free/ProfessionalStandards.cfm> (18.1.2010). Eine erste Fassung erschien schon 1987; sie wurde dann mehrfach erweitert.
5 <http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf> (18.1.2010).
6 Ebd., S. 18.

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