Alexander Engels Göttinger Dissertation betrachtet die Entstehung und Entwicklung der Märkte für Farbstoffe. Sie reicht über vier Jahrhunderte, sodass sie zugleich die vorindustrielle Zeit, aber auch einen wesentlichen Zeitabschnitt der Industriellen Revolution behandelt. Im Blickpunkt stehen die Produktion, Vermarktung und Konsumtion von Farbstoffen in einem sich wandelnden globalen Kontext.
Farbstoffe waren ein handelbares Gut mit hohem Wert bei geringem Gewicht, sodass die Transportkosten keine entscheidende Rolle spielten. Deshalb nahmen sie ebenso wie Edelmetalle und Gewürze eine wichtige Position im frühneuzeitlichen Kolonialhandel ein, behaupteten diese im Gegensatz zu den beiden anderen Produkten aber im 19. Jahrhundert. Zu Beginn der Untersuchung werden die in der Natur vorkommenden Farbstoffe behandelt, die nach 1860 von den synthetisch hergestellten Teerfarben abgelöst wurden. Den Endpunkt der Betrachtung bildet die chemische Industrie des 19. Jahrhunderts, die vor allem in Deutschland eine entscheidende Bedeutung für das Wachstum während der Periode der Hochindustrialisierung hatte.
Diese Geschichte lässt sich auch als diejenige eines Verdrängungswettbewerbs lesen, der für eine Abfolge unterschiedlicher Produktionsregimes sorgte. Vor dem industriellen gab es noch einen weiteren Substitutionsprozess, als um 1700 die europäischen Farbstoffe wie Waid, Wau und Saflor von außereuropäischen Stoffen wie Indigo, Cochenille und Farbhölzern ersetzt wurden. Als letztere in Europa nach der Mitte des 19. Jahrhunderts unter Konkurrenzdruck gerieten, löste dies in Übersee einen schwierigen Anpassungsprozess aus. Zum Beispiel ging der indigenen Bevölkerung Mexikos eine wichtige Nebenerwerbsquelle verloren, weil das synthetische Anilin an die Stelle von Cochenille trat, das über lange Zeit als Extrakt aus einem kleinen Insekt gewonnen worden war. Denselben nachteiligen Effekt hatte die stark zurückgehende europäische Nachfrage des 19. Jahrhunderts auf die indische Indigoproduktion.
Das Hauptinteresse Engels gilt der Wirkungsweise der Märkte, die er nach dem neoklassischen Modell definiert, was für die vorindustrielle Zeit als eine Art Anachronismus gesehen werden kann. Indes konstatiert er wesentliche Unterschiede zwischen den modernen und den vormodernen Märkten. Im traditionellen System stand in der Regel ein einziger Naturfarbstoff im Zentrum von Handel und Produktion. Seine Herstellung war ein meist arbeitsintensiver Vorgang, der auf der mitunter knappen Ressource Boden basierte. Wissen hatte einen untergeordneten Stellenwert, weil die Innovationsdynamik relativ schwach ausgeprägt war. Der Faktor Kapital spielte ebenfalls keine bedeutende Rolle, denn er konnte von den Akteuren der Handelssphäre problemlos mobilisiert werden. Einerseits war das Produktionssystem unflexibel, andererseits labil, weil sich das Handelskapital in Zeiten der Absatzstockung schnell aus dem Geschäft zurückzuziehen drohte.
Auf den modernen Märkten des 19. Jahrhunderts dominierte mit den Teerfarben ein neuer Warentypus. Die Farbstoffe wurden industriell hergestellt, Kapitalausstattung und Know-how gewannen an Gewicht. Demgegenüber ging die Bedeutung des Faktors Boden stark zurück. Das produzierende Gewerbe erlebte einen Umbau, denn fortan dominierten Großunternehmen mit vertikaler Integration. Es herrschte ein hoher Wettbewerbsdruck, sodass eine beachtliche Zahl der in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Farbenfabriken am Markt scheiterte. In den Unternehmen waren neue Leitungsstrukturen notwendig, und die Chemieindustrie zählte zu den Branchen, in denen sich ein modernes Management besonders früh herausbildete. Mit Alfred Chandler bezeichnet Engel die führenden Chemieunternehmen als "integrated learning base" (S. 323), was auf ihre Rolle für Forschung und Entwicklung sowie die Kommerzialisierung des technologischen Fortschritts hinweist.
Die von der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit dem Friedrich-Lütge-Preis 2009 ausgezeichnete Arbeit bietet eine klare und übersichtliche Darstellung eines komplexen globalgeschichtlichen Vorgangs. Argumentativ bewegt sie sich auf einem hohen Niveau und beweist an vielen Stellen einen hohen ökonomischen Kenntnisstand. Die Gliederung ist nicht chronologisch, sondern folgt den darzustellenden inhaltlichen Aspekten, also Wissen und Innovation, der Preisgestaltung und dem institutionellen Gefüge der Märkte. Eine solche Anordnung setzt bereits während des Schreibprozesses einen weiten Blick auf das Gesamtthema voraus. Die Studie schreibt sich in ihren wesentlichen Punkten in eine international geführte Debatte um die Rolle der Märkte ein, doch nebenbei erfährt man auch vieles über die britische Kolonialgeschichte oder außereuropäische Produktionssysteme. Dies geschieht aber stets themenbezogen und ohne Hang zu verwirrenden Ausschweifungen. Engel nutzte für seine Zwecke Archive in London, Amsterdam und Hamburg sowie eine Fülle gedruckter Texte und Bilanzen, die sich mit Farbproduktion und -handel befassen. Es kommt ihm dabei das besondere Verdienst zu, die bis dato akribisch zusammengetragenen Statistiken zu Märkten der Frühen Neuzeit als erster substanziell ausgewertet und in eine gelungene Analyse überführt zu haben.