G. Stangl: Antike Populationen in Zahlen

Cover
Titel
Antike Populationen in Zahlen. Überprüfungsmöglichkeiten von demographischen Zahlenangaben in antiken Texten


Autor(en)
Stangl, Günter
Reihe
Grazer altertumskundliche Studien 11
Erschienen
Frankfurt am Main u.a. 2008: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 56,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Müller, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Eine genaue Kenntnis der Bevölkerungszahlen der unterschiedlichen Regionen der antiken Welt wäre für verschiedene Fragestellungen von immenser Bedeutung, könnte man doch mit ihnen etwa Aussagen zur ökonomischen und militärischen Kapazität einzelner Gebiete oder Staaten treffen. Daher nahm man sich dieser Frage in der Forschung aus unterschiedlichen Gesichtspunkten bereits mehrfach an.1 All diesen Publikationen ist gemein, dass die genannten Zahlen aus den verschiedensten Gründen problematisch sind, was zum einen an den zu Grunde liegenden Daten, zum anderen an den verwendeten Methoden liegt.

Das vorliegende Buch ist in sieben Kapitel eingeteilt, denen eine Zusammenfassung, ein Literaturverzeichnis und ein Index folgen. Dabei haben die ersten sechs Kapitel ungefähr den gleichen Umfang, während das siebte einen wesentlich größeren Raum einnimmt. Bereits in der Einleitung nennt Stangl einen Hauptstreitpunkt der demographischen Forschung: den um die Bedeutung quantitativer bzw. qualitativer Methoden (S. 13–15). Zudem erörtert er den Filterprozess für die Schätzung historischer Populationen (S. 18) sowie allgemeine Probleme, von denen er zu Recht die Subjektivität des Untersuchenden als bedeutsamstes herausarbeitet. Dieser Problematisierung folgen ein Literaturüberblick, der zugleich die Forschungsgeschichte in ihren wesentlichen Zügen nachvollzieht, sowie ein Methodenüberblick. Hier definiert der Autor auch seine Ziele: er möchte „die Geschichte der menschlichen Population … erklären“ (S. 27), wobei er konstatiert, dass auch Katastrophen (Seuchen, Kriege oder Naturkatastrophen) aus demographischer Sicht bestimmten Gesetzen unterworfen sind.

Im zweiten Kapitel erfolgt eine allgemeine Problematisierung und Kategorisierung der verschiedenen zur Verfügung stehenden Quellen, wobei er die Vor- und Nachteile der einzelnen Quellenkategorien jeweils übersichtlich auflistet. Leider fehlt eine genauere Betrachtung der antiken Historiker, liefern diese doch zumindest im Rahmen von Kriegshandlungen Angaben zur Militärstärke. Stangl problematisiert die Zahlenbasis zwar, doch kann man seiner Einschätzung, dass literarische Quellen in meist guten zeitlichen und räumlichen Kontext stehen (S. 32), nur eingeschränkt zustimmen. Im dritten Kapitel entwirft Stangl ein Basismodel, dem er die Biologie des Menschen, geographische und wirtschaftliche Gegebenheiten und Siedlungen zuordnet. Dieses Kapitel stellt eine gute Zusammenfassung der für demographische Fragen relevanten Faktoren dar, auch wenn der Autor hier mit Literaturhinweisen geizt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit den verschiedenen Faktoren, die einen Einfluss auf die Erstellung demographischer Modelle haben. Stangl listet eine Vielzahl von Faktoren auf, die er zum Teil mittels mathematischer Formeln erläutert. Eine Übersicht über die benutzten Variablen wäre vor allem für den mit statistischen Modellen weniger vertrauten Leser hilfreich. Das Kapitel enthält zudem einige anschauliche Beispiele, so einen kurzen Abriss über archäologische Methoden zur Bestimmung der Bevölkerungszahlen. Ähnlich wie im vierten Kapitel verfährt Stangl auch in Kapitel 5, wo er landwirtschaftliche Faktoren behandelt. Gut verständlich zeigt der Autor anhand von Beispielen die Möglichkeiten und Grenzen auf, denen Bevölkerungsberechnungen anhand landwirtschaftlicher Daten unterlegen sind. Das Vorgehen beim Bearbeiten demographischer Fragen wird im sechsten Kapitel exemplarisch vorgeführt. Zu Recht weist der Autor aber darauf hin, dass es bei der Untersuchung dieser Fragen keine Ideallösung gibt (S. 191), und man methodisch verschiedene Wege beschreiten muss, deren Stärken und Schwächen beschrieben werden.

Das Buch wird von einem Kapiteln mit ausgewählten Problemfällen (zu Ägina, Athen, Messenien, Rom im 2. Jahrhundert v.Chr., Cäsar und Gallien, zur Bevölkerung der Magna Graecia und der wandernden Völker) abgeschlossen. Hier führt der Autor die in den vorherigen Kapiteln zusammengetragenen Methoden überzeugend vor. Mit allen Beispielen könnte man allerdings eigene Monographien füllen (was durchaus geschehen ist); dies hat zur Folge, dass Stangl die für seine Überlegungen notwendigen Fakten gebündelt darlegen oder voraussetzen muss, so dass dem Lesen ein breites Grundwissen abverlangt wird, um den Ausführungen folgen zu können. Obwohl Stangls Überlegungen grundsätzlich schlüssig sind, müssen einige seine Grundannahmen in Frage gestellt werden: So ist es beispielsweise grundsätzlich problematisch, sich für Caesars Gallischen Krieg anderer Zahlen zu bedienen als der, die der Feldherr selbst liefert (die, wie Stangl erwähnt, selbst interpretationsbedürftig sind, S. 273f.). Den inhaltlichen Kapiteln folgt ein die Überlegungen des Werkes gut zusammenfassendes Schlusskapitel.

Ein grundlegendes Problem des Werkes ist der Umgang mit antiken Quellen. Vor allem in den ersten sechs Kapiteln werden diese nur selten genannt, und auch die Auswahl ist alles andere als ideal. So hilft es dem Leser etwa wenig, wenn Stangl im Zusammenhang mit Preisen für Fisch (S. 62) anerkennt, dass der Komödienschreiber Aristophanes keine sehr aussagekräftige Quelle ist.2 Zudem wäre die Nennung antiker Belegstellen in vielen Fällen hilfreicher als die Verweise auf die Sekundärliteratur.3 Am Stil und dem Umgang mit Formeln und Tabellen erkennt man insgesamt den Naturwissenschaftler. Letztendlich stellt sich die Frage, an wen sich das Werk richtet: Obwohl es einen zum Teil sehr guten Überblick über demographische Methoden und die verschiedenen Faktoren, die bei der Bestimmung von Bevölkerungszahlen eine Rolle spielen, liefert, ist es aufgrund einiger nicht mehr mittels Schulmathematik verständlicher Formeln für einen Laien statistischer Methoden in wesentlichen Bereichen schwer verständlich (dies gilt vor allem für das vierte Kapitel). Auch die Verbalisierung einiger Berechnungen (vor allem in Kapitel 7) erleichtert die Arbeit mit dem Buch nicht. Doch ist dies ein Problem der meisten statistischen Untersuchungen.

Offenbar dem Willen zur Vollständigkeit geschuldet liefert Stangl außerdem zuweilen für seine demographischen Überlegungen belanglose Informationen; diese benennt er zwar stets als solche4, doch fragt sich der Leser mitunter nach dem Grund der Erwähnungen. Negativ fällt beim vorliegenden Exemplar das Layout vor allem der Grafiken bzw. Diagramme und des Titelbildes auf; bei ersteren ist es leider nicht einheitlich (was besonders auf S. 239 auffällt); letzteres (eine Weltkarte nach Herodot) ist so unscharf, dass man Orts- und Bevölkerungsnamen kaum bis gar nicht lesen kann. Dem demographisch arbeitenden Historiker liefert das Werk keine neuen methodischen Ansätze, aber Grundlage für weitere Forschungsdiskussionen.5 Aufgrund der exemplarischen Überlegungen dürfte es auch für die Lehre geeignet sein (vor allem Kapitel 7).

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass das Werk eine gute, wenn auch oft schwer zu bearbeitende Sammlung demographischer Methoden und Exempla darstellt und daher vor allem für die universitäre Lehre Anregungen liefert.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Forschungsüberblick bei Stangl, S. 19–27.
2 Aussagekräftiger wären hier vielleicht Varro RR 3, 17, 3; Athen. 6, 274d.
3 So unter anderem auf S. 120, wo Orosius als Quelle erwähnt, aber nicht zitiert wird, oder S. 179, wo eine Inschrift von Eleusis genannt wird. Auch bei Tab. 5.2 (S. 185) wäre die Nennung von Quellenstellen hilfreich.
4 So ist etwa die Erwähnung von 300 unterworfenen Stämmen und 800 Städten bei Plutarch (S. 273) für Bevölkerungszahlen Galliens irrelevant, liefern doch andere Autoren glaubwürdigere Zahlen, was Stangl durchaus herausarbeitet.
5 Dessen ist sich der Autor aber durchaus bewusst (S. 353).

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