Die renommierten und fachlich ausgewiesenen Autor:innen Karin Fuchs (Projektleiterin Geschichte beim Institut für Kulturforschung Graubünden), Paul Eugen Grimm (Historiker und Geograf) und Martin Stuber (Wirtschafts-, Sozial- und Umwelthistoriker) beleuchten in ihrem gemeinsamen Buch ein höchst spannendes, aber auch sehr komplexes Forschungsfeld: Der Wald und die historischen Anfänge der schweizerischen Umweltpolitik. Die Zeitreise führt dabei zurück in das 19. Jahrhundert, das durch viele Umbrüche nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa geprägt wurde. In dieser Zeit etablierte sich in Mitteleuropa eine akademische Forstausbildung, die vor allem den Grundsätzen einer „ökonomischen Aufklärung“ diente. Das „Nutzen“ der Wälder, d.h. die nachhaltige Waldbewirtschaftung, wurde – wie die historisch-kritische Analyse der Autor:innen zeigt – zum Vehikel einer Umweltpolitik des „Schützens“.
In der vorliegenden Fallstudie wird diese historische Entwicklung anhand einer der wichtigsten schweizerischen Protagonisten, Johann Coaz (1822–1918), in einer sehr ansprechenden Art und Weise den Leser:innen vermittelt. Als wesentliches historisches Quellenmaterial dienen einschlägige Primärquellen aus dem Nachlass von Johann Coaz, der 1981 gesichert werden konnte und 2016 dem Staatsarchiv Graubünden zugeführt wurde. Es handelt sich dabei in erster Linie um persönliche Tagebücher und Korrespondenz. Diesen einzigartigen Quellenfundus werteten die Autor:innen akribisch aus und geben ihn wegen der hohen Authentizität zum Teil wortgetreu wieder. Dank einer umfassenden und reichhaltigen Bildrecherche (zeitgenössische Portraits, Unterrichtsmaterialien, Landschaftsbilder, Zeichnungen, Skizzen und kartografische Werke etc.) sind die beschriebenen Quelleninhalte zusätzlich im Textteil des Buches sehr anschaulich und gekonnt visualisiert.
Aufgrund der unterschiedlichen Themenschwerpunkte der überlieferten Tagebücher von Johann Coaz haben die Autor:innen das vorliegende Buch folgerichtig in drei Hauptkapitel unterteilt. Im ersten Teil zeichnet Paul Eugen Grimm die Lebensstationen von Johann Coaz anhand seiner Tagebücher und Briefwechsel chronologisch nach. Hierbei erhält die Leserschaft interessante Einblicke in die Lebenswelt der 1830er- und 1840er-Jahre sowohl in der Schweiz als auch im angrenzenden Deutschland. Die forstakademische Ausbildung in Tharandt (Sachsen) wird dabei aus der Perspektive des jungen Studenten eindrücklich geschildert, die spannende Aspekte sowohl des studentischen Lebens als auch der damaligen forstwissenschaftlichen Lehrausrichtung aufzeigt.
Dieser wissenschaftsgeschichtlich aufschlussreiche Exkurs leitet thematisch zum zweiten Teil des Buches über. Martin Stuber stellt dabei das Wirken Johann Coaz` als Forstreformer in den Mittelpunkt seiner historisch-kritischen biografischen Analysen. Stuber geht dabei dezidiert auf die Reformen im bündnerischen Forstwesen ein, die Johann Coaz maßgeblich initiierte. Interessant sind hierbei die aufgezeigten Konfliktfelder zwischen den Waldnutzungsansprüchen einer sich zunehmend etablierenden schweizerischen Forstorganisation und den althergebrachten Forstservituten der bäuerlichen Bevölkerung. Das aus dem Ancien Regime stammende waldbezogene Versorgungsprinzip der Agrargesellschaft konkurrierte mit dem erwerbswirtschaftlichen Prinzip der modernen Industriegesellschaft, oder anders ausgedrückt: die sozial ausgerichteten Waldfunktionen mit einer ökonomisch ausgerichteten Waldbewirtschaftung bzw. einem lukrativen Holzhandel. Dank dem Engagement Johann Coaz` wurde der Holzverkauf mit der Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards verknüpft. Den Schutzfunktionen des Waldes kam aufgrund von Hochwasser, Erdrutschen und Lawinen während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine besondere Inwertsetzung zu. Bergschutzwälder wurden zwar weiterhin bewirtschaftet, jedoch nun mit kahlschlagfreien und bestandsschonenden Ernteverfahren sowie Verbauungen und Wiederaufforstungen an exponierten Stellen. Diese „sanfte Waldbewirtschaftung“ manifestierte sich in entsprechenden Forstordnungen und stellt einen wichtigen Meilenstein in den Anfängen der schweizerischen Umweltpolitik dar. Martin Stuber macht in seinen weiteren Ausführungen sehr deutlich, wie sich aus der Optimierung der Waldressourcennutzung eine umweltpolitische Innovation herausbildete, die sich zunehmend mit einer „bedrohten“ Natur in der Schweiz auseinandersetzte. Letztendlich gipfelte diese Form einer „frühen Umweltbewegung“ Anfang des 20. Jahrhunderts in der Idee eines Schweizer Nationalparks und schließlich in der Debatte über dessen Umsetzung. Dieser Themenbereich wird im dritten Teil des Buches von Karin Fuchs aufgegriffen und sowohl intensiv als auch kritisch beleuchtet.
Dieses dritte Buchkapitel, für das sich Karin Fuchs verantwortlich zeichnet, widmet sich ausschließlich Johann Coaz als Akteur im jungen schweizerischen Bundesstaat. Hier würdigt die Autorin die Sichtweise des (Forst-)Politikers Johann Coaz auf die Genese des Bundesstaates in vielfältiger Form. Ein zentrales Moment nimmt dabei Johann Coaz` Mitwirkung bei der kartografischen Erfassung des eidgenössischen Landschaftsraumes ein. Die sehr ansprechenden Ausführungen zeigen der Leserschaft die interessanten Anfänge einer auf Triangulation basierenden topografischen Kartografie der Schweiz, die maßgeblich durch den Schweizer General, Ingenieur, Kartografen und Politiker Guillaume Henri Dufour geprägt wurde. In weiteren Kapiteln ist die forstliche Expertise von Johann Coaz gewürdigt, der aufgrund seines fundierten Wissens, seines persönlichen Netzwerkes und seines großen Engagements die schweizerische Forstgeschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend beeinflusst hat. Die von Karin Fuchs dargebotenen forsthistorischen Analysen sind sehr gelungen und bieten eine detaillierte und reliable Retrospektive in die „forstliche Sattelzeit“ der Schweiz.
In einem abschließenden Hauptkapitel stellt Paul Eugen Grimm die Tätigkeitsfelder von Johann Coaz als kommentierten Katalog zusammen. Diese Katalogisierung erfolgt nach den Themenbereichen Alpinismus, Botanik und Forstbotanik, Forstwesen, Geografie und Geologie, Glaziologie, Hydrologie und Meteorologie, Jagd und Fischerei, Kartografie, Lawinen sowie Zoologie und ist in sich chronologisch gegliedert. Diese zusammenfassende Würdigung der Person Johann Coaz unterstreicht dessen vielfältigen Talente und Wirkungsfelder. Das Buch schließt mit einem Anhang ab, der auf die wissenschaftlichen Referenzen der Fußnoten sowie auf gedruckte Quellen und Literatur verweist.
In vielerlei Hinsicht hält hingegen das gesamte Layout des Buches einer kritischen Prüfung nach heutigen Ansprüchen und Standards meines Erachtens nicht stand. Die verschiedenen (zum Teil überdimensionierten) Schriftgrößen, der Wechsel von „In-Block-Setzen“ und „Nicht-Blocksatz“ sowie halbleere Buchseiten mit Bildern, die Gestaltung der einzelnen Hauptkapitelseiten und letztendlich die lediglich zur Buchmitte angegebenen Seitenzahlen werden als unprofessionell und störend empfunden. Zudem ist in einem ausschließlich in deutscher Sprache verfassten Buch das Übersetzen der französischen Zitate empfehlenswert.
Das Buch ist insgesamt gesehen eine sehr lehrreiche und spannende Lektüre. Den Autor:innen ist es in hervorragender Weise gelungen, die Geschichte der schweizerischen Umweltpolitik am Fallbeispiel der Person Johann Coaz quellengesättigt aufzuzeigen und historisch-kritisch zu beleuchten. Aufgrund der thematischen Aufteilung des Buches in drei unabhängige Hauptkapitel haben sich in der Binnenstruktur kaum vermeidbare Redundanzen eingestellt, die allerdings den inhaltlichen Wert des Buches nur unwesentlich schmälern.