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Titel
Richelieu. Der Kardinal des Königs. Eine Biographie


Autor(en)
Schultz, Uwe
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anuschka Tischer, Philipps-Universität Marburg

Die neu erschienene Richelieu-Biographie von Uwe Schultz erschließt keine neuen Quellen, sondern ist aus der Literatur und aus bekannten älteren Quellenpublikationen gearbeitet. Das muss grundsätzlich kein Nachteil sein: Aktuelle deutschsprachige Richelieu-Biographien sind – anders als englische oder französische – rar. Dabei liefert die Richelieu-Forschung gerade auch in Deutschland ständig neue Ergebnisse zu unterschiedlichen Aspekten von Leben und Werk des Kardinals, der von 1624 bis zu seinem Tod 1642 führender Minister Ludwigs XIII. von Frankreich war. Eine Synthese der Forschung zu einer Richelieu-Biographie für Historiker ebenso wie für ein breiteres Publikum ist also durchaus ein Desiderat. Diese Lücke allerdings schließt Schultz nicht.

Schultz zeichnet den Weg seines Protagonisten in 17 Kapiteln „aus der Tiefe des ländlichen Adels“ (S. 10), über die „Sümpfe des Poitou“ (S. 29) zum „Favoriten der Königinmutter“ (S. 51) und nach einem „Abgrund des Selbstzweifels“ (S. 98) schließlich „in Etappen zur Macht“ (S. 118). Diese Kapitelüberschriften geben bereits einen Einblick in die gesamte Darstellung, die in einem gut lesbaren, lebhaften und farbigen Stil, allerdings ohne klares Konzept erfolgt. Sie ist weder stringent auf die Persönlichkeit Richelieus, noch auf seine Politik oder auf ein exemplarisches Lebensbild der Zeit ausgerichtet. So folgt der Leser in dem „Der konsequente Krieg“ übertitelten Kapitel über die französische Kriegserklärung gegen Spanien von 1635 (S. 252-270) einem verschlungenen Erzählstrang, der von einer vermeintlichen Tradition französischer Expansionspolitik ausgeht und in dessen Verlauf der Kurfürst von Trier, Lothringen, Ludwigs XIII. Bruder Gaston d’Orléans, aber auch Wallenstein, der Hexenprozess von Loudon gegen Urbain Grandier und innerfranzösische Steuerrevolten erwähnt werden, bevor endlich der französische Herold mit der Kriegserklärung Brüssel erreicht. Der Leser muss sich angesichts fehlender Gliederungsebenen auf die so ständig neu angeschnittenen Themenfelder einlassen, ohne dass sich daraus eine klare Argumentation ergibt. Im skizzierten Kapitel erscheint der Krieg Frankreichs gegen Spanien und namentlich Richelieus Entscheidung für diesen Krieg als „konsequent“ nur deshalb, weil damit der behauptete „expansive Drang Frankreichs, sein Territorium nach Nordosten auszudehnen“ (S. 252), in eine postulierte Linie von Franz I. bis zu Ludwig XIII. und Richelieu gestellt wird. Dies vermag schon von der inneren Argumentation her nicht zu überzeugen, ganz zu schweigen davon, dass diese Darstellung wissenschaftlich unhaltbar ist: Nicht nur die langfristige Politik Frankreichs, sondern auch die Ereignisse und die Entscheidungsfindung vor der Kriegserklärung, die seit Jahrzehnten von der Forschung aufgearbeitet werden 1, waren wesentlich komplexer und führten keineswegs konsequent zum Krieg hin.

Ein Blick in die Anmerkungen und die – mit 41 Titeln allerdings recht knappe – Bibliographie zeigt, dass Schultz mit aktueller, insbesondere französischsprachiger Forschungsliteratur vertraut ist. Die Darstellung selbst zeugt von durchaus profundem Hintergrundwissen. Doch anekdotenhafte ältere Literatur benutzt der Autor gleichrangig neben neuer Forschung. Immer wieder bedient er aus den Quellen längst widerlegte Klischees, oft gestützt auf die Historiettes des Tallemant des Réaux, die eher als kritisches Sittengemälde eines Zeitgenossen zu verstehen sind denn als faktengenaue Darstellung – und dies obwohl Schultz selbst Tallemant des Réaux durchaus präzise als „gern Gerüchten Raum gebenden Chronisten“ einschätzt (S. 152). So ist eine Richelieu-Biographie entstanden, die das überholte Bild vom skrupellosen sozialen Aufsteiger und Machtmenschen bedient, der Frankreich in die territoriale Expansion und den Kampf um die politische Dominanz geführt habe. Literatur und Anmerkungen dienen dabei vor allem als Steinbruch für Zitate, die dieses Bild bestätigen sollen, obwohl die neuere Literatur ein anderes Bild bietet. Mitunter gleitet der Autor auch völlig in eine rein aus der Imagination geschöpfte romanhafte Darstellung ab.

Das letzte Kapitel widmet sich dem „Nachleben“ des Kardinals (S. 315-317). Darunter ist allerdings nicht jenes Spannungsfeld zwischen einer bis heute nachwirkenden Selbstinszenierung Richelieus und seiner Darstellung durch Zeitgenossen, spätere historische Romane, Historienmalerei etc. zu verstehen, das die historische Person Richelieu so schwer greifbar macht 2. „Nachleben“ meint hier die konkrete politische Folgewirkung des Kardinalpremiers, seine Rolle als „Gestalter und Gefangener der absoluten Monarchie“. Die unterschiedlichen Bewertungen der Nachwelt erscheinen somit in letzter Konsequenz nur als unterschiedliche Bewertungen eines vermeintlich von ihm geschaffenen politischen Systems, nicht als Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Inszenierungsmodellen und Quellenaussagen.

Den an einer deutschsprachigen Richelieu-Biographie Interessierten seien nach wie vor die bisherigen älteren Publikationen, darunter die ins Deutsche übersetzten Biographien von Philippe Erlanger oder von Daniel Patrick O’Connell, empfohlen. Auch wenn sie einige Jahrzehnte älter sind als die Neuerscheinung von Schultz, bieten sie bereits ein wesentlich aktuelleres Bild.

Anmerkungen:
1 Hier sind vor allem zu nennen: Hermann Weber, Frankreich, Kurtrier, der Rhein und das Reich 1623-1635, Bonn 1969; Ders., Vom verdeckten zum offenen Krieg. Richelieus Kriegsgründe und Kriegsziele 1634/35, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven, München 1988, S. 203-217; Ders., Zur Legitimation der französischen Kriegserklärung von 1635, in: Historisches Jahrbuch 108 (1988), S. 90-113; Ders., Une paix sûre et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus, in Heinz Duchhardt (Hrsg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 111-129 sowie: Anja Victorine Hartmann, Von Regensburg nach Hamburg. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem französischen König und dem Kaiser vom Regensburger Vertrag (13. Oktober 1630) bis zum Hamburger Präliminarfrieden (25. Dezember 1641), Münster 1998.
2 Siehe dazu besonders den Ausstellungskatalog: Hilliard Todd Goldfarb (Hrsg.), Richelieu, 1585-1642. Kunst, Macht und Politik. Ghent 2002.

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