Cover
Titel
A Chivalric Life. The Book of the Deeds of Messire Jacques de Lalaing


Herausgeber
Brown-Grant, Rosalind; Damen, Mario
Erschienen
Woodbridge 2022: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
£ 90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gero Schreier, Universitätsbibliothek Bern

Jacques de Lalaing (ca. 1420–1453) gilt gemeinhin als musterhafter Vertreter der höfisch-ritterlichen Kultur am Hof der burgundischen Valois-Herzöge im 15. Jahrhundert. Einer hennegauischen Adelsfamilie entstammend, zeichnete er sich in Diensten Herzogs Philipps des Guten als Turnierkämpfer und auf Gesandtschaften aus, bevor er im Krieg des Herzogs gegen die Stadt Gent und ihre Verbündeten durch eine Kanonenkugel das Leben verlor. Um das Jahr 1470 entstand, wahrscheinlich im Auftrag der Familie Lalaing, eine aus Heroldsberichten, höfischen Romanen und Chroniken kompilierte Biografie des Ritters, die jetzt in einer von Rosalind Brown-Grant und Mario Damen angefertigten und ausführlich kommentierten englischen Übersetzung vorliegt.

Die Lalaing-Biografie ist nicht nur deshalb ein lohnendes Untersuchungsobjekt, weil sich in ihr in farbenreicher und anschaulicher Weise zeitgenössische Imaginationen von Rittertum und höfischer Kultur spiegeln, sondern auch, weil ihre handschriftliche Überlieferung ein Schlaglicht auf mögliche Produktions- und Rezeptionsszenarien solcher Imaginationen wirft. Wurde der Text im Gefolge von Johan Huizinga zeitweise als Zeugnis des vermeintlich abgelebten, erstarrten Charakters des spätmittelalterlichen Rittertums gesehen1, sieht man ihn neuerdings stärker in seinen durchaus vitalen sozialen und symbolischen Funktionen, in seinen Verknüpfungen mit höfischer Repräsentation und Politik.2 Der Text der Biografie liegt in einer ungedruckten kritischen Edition von Emmy Springer vor.3 Colette Beaune veröffentlichte 1995 eine neufranzösische Übersetzung des Textes in Begleitung einer erkenntnisreichen, aber knappen Einleitung.4

Daran anknüpfend, machen Brown-Grant und Damen den Text der Lalaing-Biografie nun auch einem nicht-französischsprachigen Publikum zugänglich. Rosalind Brown Grant, Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf spätmittelalterlicher französischer Literatur, hat insbesondere zu höfischer Romanliteratur und auch zu der Lalaing-Biografie publiziert, der Historiker Mario Damen unter anderem zum Adel und zur ritterlichen Kultur in den spätmittelalterlichen Niederlanden und darüber hinaus. Beide sind somit fraglos berufen, sich des Textes anzunehmen. Ihre englische Übersetzung (S. 75–331) wird flankiert von einer substanziellen Einleitung (S. 1–73) sowie einer umfangreichen Forschungsbibliographie und einem ausführlichen Register (S. 333–375).

Die Übersetzung als solche richtet sich in erster Linie an ein allgemein interessiertes Publikum, soll aber auch Studierenden oder Forschenden den Zugang zum mittelfranzösischen Original erleichtern (S. 73). Die Einleitung eignet sich gleichfalls als einführende Lektüre, dürfte daneben aber auch für die spezialisierte Forschung zum burgundischen Adel und seiner ritterlich-höfischen Kultur wertvoll sein.

Sie widmet sich in einem ersten Teil dem historischen Jacques de Lalaing und seiner Familie (S. 2–42). Deutlich wird dabei das Bild einer Adelssippe, die sich in Kriegsdienst, Verwaltung und bis hin zur Namensgebung der Kinder der herzoglichen Dynastie verschrieben hatte, dabei aber – wie Jacques’ Vater Guillaume – nicht ausschließlich glücklich agierte. An den Reisen des Jacques de Lalaing – auch an denen als ritterlicher Schaukämpfer, die zuvor oft als glückloser Versuch gedeutet wurden, fahrendes Rittertum in die Realität umzusetzen – heben Brown-Grant und Damen die Funktion im Rahmen der herzoglichen Diplomatie und Beziehungspflege hervor (insb. S. 20f.). Die detaillierte Analyse von Lalaings finanziellen Verhältnissen zeigt, dass er durch seine ritterlichen Aktivitäten seine materiellen Möglichkeiten deutlich überstrapazierte (S. 33). Hinsichtlich Lalaings Engagement im Genter Krieg der frühen 1450er-Jahre hätte man sich – statt einer erneuten Auseinandersetzung mit der vermeintlich paradoxen Tatsache, dass dieser chevalier par excellence durch einen Kanonenschuss ums Leben kam (S. 34–36) – eine Analyse der konkreten militärischen Rolle Lalaings in diesem Konflikt gewünscht. Die Informationen zu seinen militärischen Aktivitäten, die sich aus der Biografie herauslösen lassen, zusammen mit den Nachweisen herzoglicher Zahlungen an Lalaing (S. 29 u. 34) hätten dazu durchaus Ansatzpunkte geboten. Überzeugend ist die sozialgeschichtliche Situierung der Lalaing-Biografie vor genealogischem Hintergrund mit dem Fazit, der Text, der so gut wie ausschließlich im Familienkreis tradiert wurde, habe sich weniger an den herzoglichen Hof gerichtet als vielmehr an gleichrangige adlige Familien im Hennegau und anderen burgundischen Ländern (S. 42).

Der zweite Teil der Einleitung (S. 42–70) fokussiert dann den Text der Lalaing-Biografie und seine Überlieferungsgeschichte. Während die Analyse der literarischen Quellen der Biographie auf dem Stand des bereits Bekannten bleibt (S. 42–47), warten die Ausführungen zu Autorschaft und insbesondere zur handschriftlichen Überlieferung der Biografie mit teils substantiellen neuen Erkenntnissen auf. Als Kompilator wird hier der sonst als Autor nicht bekannte Giles Gobet vorgeschlagen, der von 1468–1492 Herold des Ordens vom Goldenen Vlies war (S. 53). Die Aufarbeitung der Manuskript-Tradition durch Brown-Grant und Damen führt zur Neubewertung bzw. Neuentdeckung einzelner handschriftlicher Zeugen, aufgrund derer sie die Edition Springers, die der Übersetzung zugrundeliegt, stellenweise mit besseren Lesarten korrigieren können. Angesichts der neuen Erkenntnisse zur Text- und Überlieferungsgeschichte ist die Frage durchaus gestattet, ob nicht eine neue kritische Edition der Lalaing-Biografie an der Zeit wäre. Ein Überblick über die einigen Handschriften beigegebenen, miteinander korrespondierenden Miniatur-Zyklen rundet die Betrachtung der Lalaing-Biografie ab; einige Illuminationen sind exemplarisch in Farbe reproduziert (S. 60–69).

Die Übersetzung selbst ist dank leichter sprachlich-struktureller Glättungen gut lesbar. Sie beseitigt aber den für heutige Leser:innen etwas zeremoniös-umständlich wirkenden Stil des Originals nicht völlig, so dass dessen Charakter gleichsam noch durchschimmert. Durch zahlreiche Sachanmerkungen wird der Text auch für nicht-spezialisierte, z.B. studentische Leser:innen erschlossen. Wertvoll auch für Spezialist:innen sind die Identifikationen der in dem Text erwähnten Ortschaften und Persönlichkeiten. Im Unterschied zu den bisherigen Ausgaben und Übersetzungen des Textes werden hier so gut wie alle der zahllosen Namen aus dem burgundischen Adel identifiziert und konsequent aus der Literatur und gängigen Nachweisinstrumenten belegt. Dem Verständnis des Textes und der historisch-geografischen Situierung von Lalaings Lebensweg dienen die beigegebenen Karten. Das Register erschließt Einleitung und Übersetzung tiefgehend; indes scheint es, dass der portugiesische König Alfons V. (1438–1481), der im ersten Teil der Lalaing-Biografie eine nicht unwichtige Rolle spielt, vergessen wurde.

Die Gestaltung des Bandes, von der robusten Bindung bis zum Schriftsatz, ist angenehm und lädt zur Benutzung ein. Die redaktionelle Betreuung ist sorgfältig; orthographische oder sonstige formale Fehler fielen keine auf.

Im Ganzen kann dieses trotz der vermerkten kleineren Kritikpunkte sehr gelungene Buch allen empfohlen werden, die sich privat oder professionell mit der ritterlich-höfischen Kultur des Spätmittelalters und insbesondere des Herzogtums Burgund auseinandersetzen. Rosalind Brown-Grant und Mario Damen machen die Lalaing-Biografie und ihre vielfältigen Kontexte so zugänglich, dass nicht nur Spezialist:innen angesprochen werden, sondern auch eine Verwendung in der akademischen Lehre möglich ist. Damit ist einer verbreiterten und vertieften Auseinandersetzung die Bahn bereitet, die dem Text weiterhin sehr zu wünschen ist.

Anmerkungen:
1 Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und den Niederlanden, hrsg. v. Kurt Köster, 11. Auflage, Stuttgart 1975 (1. Aufl. 1924).
2 Die neuesten Ansätze bei Elizabeth Morrison (Hrsg.), A Knight for the Ages. Jacques de Lalaing and the Art of Chivalry, Los Angeles 2018.
3 Emmy Springer (Hrsg.), Les fais de messire Jacques de Lalaing de Jean Lefèvre de Saint-Rémy, Paris 1982 (ungedruckte Dissertation).
4 Le Livre des faits du bon chevalier messire Jacques de Lalaing [eingeleitet und übersetzt von Colette Beaune], in: Danielle Régnier-Bohler (Hrsg.), Splendeurs de la cour de Bourgogne. Récits et chroniques, Paris 1995, S. 1193–1409.

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