M. Wegewitz: Antifaschistische Kultur

Cover
Titel
Antifaschistische Kultur. Nico Rost und der lange Kampf gegen den Nationalsozialismus 1919–1965


Autor(en)
Wegewitz, Markus
Reihe
Buchenwald und Mittelbau-Dora – Forschungen und Reflexionen
Erschienen
Göttingen 2023: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
471 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristian Mennen, Departement Geschiedenis en Kunstgeschiedenis, Universiteit Utrecht

Die vorliegende Monografie ist die Buchausgabe von Markus Wegewitz’ Doktorarbeit, die 2021 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereicht wurde. Der rote Faden des Buches ist das Leben des niederländischen Journalisten und antifaschistischen Aktivisten Nicolaas (Nico) Rost (1896–1967). Dieser war eingebunden in die Berliner Kulturkreise während der Weimarer Republik und beteiligt am antifaschistischen Kampf der 1930er-Jahre, unter anderem im Spanischen Bürgerkrieg. Außerdem war er Häftling in den Konzentrationslagern Oranienburg (1933) und Dachau (1944/45), ein prominenter Vertreter der Kulturszene in der frühen DDR sowie eine Schlüsselfigur im internationalen Netzwerk der Überlebendenorganisationen um das Comité International de Dachau (CID).

Wegewitz problematisiert die ideologische Instrumentalisierung des Antifaschismusbegriffs und verzichtet deshalb auf eine eigene Definition oder ausführliche Begriffsgeschichte (S. 15–17). Stattdessen schildert er, wie „antifaschistische Kultur“ für Rost persönlich zum Leitfaden seiner eigenen Biografie, zum Erfahrungsdispositiv bzw. Lebensentwurf wurde (S. 8). Über den Begriff des Antifaschismus konnte Rost seine Erfahrungen im Widerstand, im Konzentrationslager und später sein Engagement in der Gedenkarbeit historisch und politisch deuten und einordnen. Durch Wegewitz’ Zugang reicht das Buch weit über die Ebene einer Biografie hinaus, wie sie bereits 1997 auf Niederländisch durch Hans Olink verfasst wurde.1 Rosts Leben bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine transnational angelegte Darstellung „antifaschistischer Kultur“ im 20. Jahrhundert.

Die Gliederung des Buches folgt größtenteils Rosts biografischen Stationen. Entsprechend sind die Jahre 1933, mit der Ausweisung aus Deutschland, dann 1943, mit seiner Verhaftung im besetzten Brüssel, die Zäsur des Kriegsendes und der Befreiung von 1945 sowie 1957, als sich Rost endgültig vom Parteikommunismus distanzierte, logische Schlusspunkte einzelner Kapitel. Allerdings schafft Wegewitz’ doppeltes Ziel, sowohl die Biografie zu schildern als auch eine erfahrungsgeschichtliche Darstellung „antifaschistischer Kultur“ anzubieten, eine zweifache Hürde für die Leser:innen. Einerseits gehen Rosts biografische Eckdaten häufig im größeren historischen Kontext verloren: Die Angaben, wann Rost genau mit welcher Frau zusammen war, oder sogar der Moment seines Ablebens werden fast zu Randnotizen. Andererseits wird der breitere geschichtliche Zusammenhang häufig als bekannt vorausgesetzt und nicht weiter eingeführt. Für ein genaueres Verständnis des Antifaschismusbegriff der Komintern und der Verkündung der Volksfrontstrategie 1935, der stalinistischen Schauprozesse in Ungarn und der DDR 1948–1950 oder der Funktion der Begriffe „Antifaschismus“ und „Kosmopolitismus“ in der Kulturpolitik der frühen DDR müssen Leser:innen auf ihre eigenen Vorkenntnisse oder die vorhandene Literatur zurückgreifen. Das ergibt sich teilweise aus der Wahl einer Person der „zweiten Reihe“ im „Organisationskosmos des europäischen Antifaschismus“ (S. 25): Rost war an der Formulierung des Antifaschismusverständnisses der Komintern 1935 eben nicht selbst beteiligt.

Gerade deshalb, jenseits dieser hochideologischen Debatten, ist es faszinierend, wie und warum sich der niederländische Journalist in der antifaschistischen Kulturarbeit des Comité de vigilance in Belgien engagierte. Dennoch ließe sich fragen, ob eine erfahrungsgeschichtliche Sicht auf den Antifaschismus nicht ertragreicher gewesen wäre, wenn etwa Willi Münzenberg als zentrale Bezugsfigur gewählt worden wäre. Diesem Kommentar muss übrigens entgegengesetzt werden, dass Wegewitz’ Einführung in den Kontext vorbildlich ist, wenn es um das niederländische und belgische Parteiensystem der 1930er- bis 1950er-Jahre geht. Auch seine korrekte Verwendung niederländischer Personennamen, Quellen und Abkürzungen muss hoch gewertet werden.

Die chronologische Betrachtung wird in den letzten beiden Kapiteln, die den Zeitraum 1951–1966 umfassen, durchbrochen. Kapitel 5 befasst sich mit Rosts Tätigkeit in den Überlebendenverbänden und beim Aufbau der Gedenkstätte Dachau. Schon wegen dieses Kapitels, des besten des gesamten Buches, ist die Auszeichnung der Dissertation mit dem Promotionspreis der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie mit dem Stanislav-Zámečník-Preis des CID mehr als gerechtfertigt. Wegewitz löst sich hier zum Teil von Rosts Biografie und schildert das transnationale Organisationsgeflecht der Überlebendenverbände, wobei neben dem internationalen CID vor allem die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sowie die Deutsche Lagergemeinschaft Dachau die Interpretationshoheit über das ehemalige Konzentrationslager und die Gedenkstätte einforderten. Rosts antifaschistische Deutung des Dachau-Gedenkens stieß auf ein kritisches lokales Umfeld vor Ort, auf die alternative Deutung der katholischen Kirche und auf die bayerische Landespolitik. Wegewitz schildert die schwierige Anlaufphase vor der Gründung der Gedenkstätte. Rost verfasste die erste Broschüre über die Geschichte des Lagers; er wirkte auch aktiv am Aufbau einer Bibliothek und an der ersten Dauerausstellung von 1965 mit.

Kapitel 6, zeitlich überlappend, behandelt Rosts Tätigkeit für das Gedenken der Shoah und des Genozids an den Roma, für die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen sowie für die Bestrafung der Täter vor bundesdeutschen Gerichten. Die Anerkennung der Juden als besonderer Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik stellte Rosts Hervorhebung der antifaschistischen Kulturarbeit als Widerstand auf die Probe. Seine Darstellung des Lebens im Konzentrationslager im Buch „Goethe in Dachau“ (1946) wurde zeitgenössisch bereits durch andere Überlebende kritisiert: Der Niederländer sei eben nur kurz Insasse in Dachau gewesen und sein Zugang zu den Klassikern der deutschen Romantik in der Lagerbibliothek alles andere als repräsentativ. Für jüdische Verfolgte war der antifaschistische Diskurs von aktiven „Helden“, die gegen die Barbarei des Nationalsozialismus Widerstand geleistet hätten, nur sehr bedingt brauchbar. Rost hob zwar frühzeitig Einzelfälle wie die Aufstände im Warschauer Ghetto oder in Treblinka von 1943 hervor, revidierte später allerdings sein Denken in die Richtung der Singularität der Verfolgung und des Mordes an den europäischen Juden.

Die Geschichte antifaschistischer Kultur als Spiegel biografischer Erfahrungen ruft letztendlich auch Fragen hervor, mit denen sich Rost gegen Ende seines Lebens verstärkt auseinandersetzen musste. Wenn er seine Erfahrungen als Zeitzeuge in Vorträgen mit der jungen Generation der Bundesrepublik teilte, was für einen Antifaschismus vermittelte er dann? Es war nicht mehr der ideologisch scharf umrissene Antifaschismus, der vom Parteikommunismus zur Staatsräson der DDR erhoben worden war und von dem Rost sich mittlerweile, auch öffentlich, distanziert hatte. Der kosmopolitische Antifaschismus hatte seine Wurzeln in gemeinsamen Erfahrungen des intellektuellen, kulturellen Widerstandes, die über Jahre in den internationalen Schriftstellerkreisen der 1930er-Jahre und in der „Lagerstraße“ der KZs entstanden waren. Wie konnte diese Form des Antifaschismus mangels handfester Erfolge eine jüngere Generation ansprechen oder gar mitreißen? Die Frage stellt sich auch nach dem Lesen des Buches: Was wird aus der „antifaschistischen Kultur“, wenn die letzten Widerstandskämpfer und Überlebenden verstorben sind? Was hat „Antifaschismus“ heute noch zu bedeuten, oder was kann er bedeuten, nicht zuletzt für die Gedenkstätte Dachau?

Mit seiner erfahrungsgeschichtlichen Herangehensweise stellt Markus Wegewitz das faszinierende Leben von Nico Rost sehr lesenswert dar. „Antifaschistische Kultur“ als Lebensentwurf einer Generation linker Kulturschaffender zu verstehen, der deutlich vor 1933 begann und nach 1945 nicht endete, ist ein methodisch sehr spannender Ansatz. Es wäre zu hoffen, dass künftige Studien diesem Weg folgen werden und ähnliche Perspektiven auf weitere Personen des 20. Jahrhunderts anzuwenden wissen.

Anmerkung:
1 Hans Olink, Nico Rost: de man die van Duitsland hield. Een biografische schets, Amsterdam 1997.