Schon lange wird lamentiert, dass indigene Frauen in der Standardliteratur über die Red-Power-Bewegung ausgeblendet werden, obwohl die Berichterstattung ihre Bedeutung seit jeher bezeugt. Dem setzt die Kulturwissenschaftlerin Rachel Huber nun ihre detailreiche und quellengesättigte Dissertation über die zentrale Rolle indigener Aktivistinnen in den USA der 1960er- und 1970er-Jahren entgegen. Darin vergleicht sie historische Funde in analogen Archiven mit digitalen Spuren in den Sozialen Medien. Ihre zwei zentralen Thesen lauten, dass sich erstens dominante Erzählungen unter Einbeziehung von Digital History feminisieren lassen und zweitens Frauen maßgeblich den Erfolg von Red Power herbeiführten (S. 21, 26).
Dass es ein Hauptanliegen Hubers ist, den Erfahrungen indigener Frauen Raum zu geben, wird im zentralen Kapitel 3 deutlich, in dem sie umfangreich und ausführlich die Führungsrollen von Red-Power-Aktivistinnen schildert. Vier Unterkapitel sind Ramona Bennett, LaNada War Jack, Laura Waterman Wittstock und Madonna Thunder Hawk im Doppelpack mit Phyllis Young gewidmet. Zudem finden zahlreiche weitere Akteurinnen Erwähnung. Die ersten drei Frauen kämen in keinen „Standardwerken“ (S. 25) zur Red-Power-Bewegung vor, argumentiert Huber. Zudem spräche für die Auswahl, dass diese Aktivistinnen „in vielerlei Hinsicht massgeblich für den Erfolg von Red Power und seinen Errungenschaften verantwortlich waren“ (S. 87). Die Führungsrollen der Red-Power-Frauen werden anhand der bekanntesten Aktionen erläutert: den Fish Wars 1963–1974, den beiden Besetzungen von Alcatraz 1969–1971, des Trail of Broken Treaties mit anschließender (notgedrungener) Besetzung des Bureau-of-Indian-Affairs-Gebäudes und schließlich der Besetzung von Wounded Knee 1973. Huber endet aber nicht hier, wo das „Standardnarrativ“ (S. 89) zu Red Power häufig schließt, sondern stellt heraus, wie sich die Frauen ab der Zeit, als die männliche Führungsriege durch Gerichtsprozesse kaltgestellt war, weiterhin für konkrete soziale Angelegenheiten auf lokaler Ebene und für eine pan-indigene Vernetzung bei den Vereinten Nationen einsetzte. Sie bewirkten mit dem Indian Child Welfare Act 1978 die Beendigung systematischer Kindswegnahme, thematisierten die foster care-to-prison pipeline und Zwangssterilisation als genozidale Praxis, öffneten Gesundheitskliniken, Kitas und Schulen in ihren Gemeinschaften, organisierten präventive Familienberatung und ließen indigene Kinder auf die Liste der zu schützenden Ressourcen der National Tribal Chairman Association aufnehmen. Diese vielen, weniger medial inszenierten – und daher weniger rezipierten – Aktionen hätten reale Verbesserung für die indigene Bevölkerung gebracht.
Die militanten, bewaffneten, effekthascherischen und medial inszenierten Besetzungen, bei denen vornehmlich über Männer berichtet wurde, sorgten zwar für landesweite Berichterstattung und Besuch aus Hollywood (unter anderem von Marlon Brando, Dick Gregory, Jane Fonda, Buffy Saint Marie), brachten jedoch keine konkrete Veränderung. Huber führt aus, dass bei vielen Besetzungen Vertragsrechte zu Landbesitz eingefordert werden sollten, was aber häufig daran scheiterte, dass die Besetzer:innen in vielen Fällen aus einer heterogenen Gruppe urbaner Indigener bestanden, aber nicht originäre Besitzer:innen des Landes repräsentierten. Bei Red Power versammelten sich hauptsächlich urbane Natives, deren (Groß-)Eltern durch das Relocation-Programm aus ihren Gemeinschaften entfernt und in Städte umgesiedelt wurden. Sie fanden sich bei Studierendenprotesten oder bei den frauengetragenen Selbstorganisationen in Stadtteilzentren, wo sich das American Indian Movement (AIM), Survival of American Indians Association oder Indians of All Tribes formieren konnten. Hubert schildert, wie die gebildeten Frauen, die in weißen Kontexten fernab der Reservationen studierten, ihre organisatorischen und publizistischen Fähigkeiten – samt mobiler Schreibmaschine – in der Red-Power-Bewegung zum Einsatz brachten.
Den meisten Platz widmet Huber Ramona Bennett und ihrem „standardsetzenden Aktivismus“ (S. 88). Bennett wuchs mit ihrem weißen, gewerkschaftlich aktiven Vater und ihrer indigenen Mutter in bürgerlichen Verhältnissen in einer weißen Wohngegend auf, die sie auch selbst reproduzierte, bis sie sich als Hausfrau und Mutter langweilte und sich den Studierendenprotesten anschloss. Ihr „Weisssein“ war mit Privilegien verknüpft, so dass sie in der Schule gefördert wurde, als Brückenkopf „zwischen Indigenen, den Behörden und der Gesellschaft (sic)“ fungierte und als Ratsmitglied der Puyallup Nation in Betracht kam (S. 112, 160). Nachdem sie – trotz Bedenken der tatsächlichen Abstammung wegen ihres hellen Phänotyps – als offizielles Mitglied in die Stammesgemeinschaft aufgenommen wurde, gewann sie am selben Tag die Wahl in den Rat der Puyallup und später auch zur Tribal Chairwoman. Sie engagierte sich vor Ort und als Lobbyistin in der Bundeshauptstadt für Landrückgaben und soziale Einrichtungen.
Auch LaNada War Jack fand in den Studierendenprotesten ein politisches Zuhause und gelangte darüber zu urbanen indigenen Selbstorganisationen. Huber stellt War Jacks zentrale Rolle in der Besetzung von Alcatratz sowie der Etablierung von ethnic studies heraus, woraus sich später das Feld der Indigenen Studien entwickelte. Laura Waterman Wittstock nutzt ihre Privilegien des Bildungsbürgertums, um einerseits indigene Rechte vom Staat einzufordern, andererseits aber auch als Journalistin den Chauvinismus und Sexismus der männlichen AIM-Führung sowie destruktive Aktionen scharf zu kritisieren. Madonna Thunder Hawk und Phyllis Young sind ebenfalls fernab der Reservationen groß geworden. Sie sind im Gegensatz zu den vorher Genannten im „Metanarrativ“ (S. 18) vertreten und digital insbesondere in der Dokumentation Warrior Women Project von Elizabeth A. Castle sichtbar, deren Rezeption das Buch durchzieht. Dabei haben die Interviewten anscheinend nicht nur gute Erfahrungen gemacht, denn Huber berichtet in einer Fußnote vom Gespräch mit Madonna Thunder Hawk: „Sie gab immer wieder unmissverständlich zu verstehen, dass weisse Wissenschaftler∗innen nur an ihrem eigenen Fortkommen interessiert wären und die indigenen Personen lediglich als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand betrachteten.“ (S. 284)
Zu ihrer eigenen Herangehensweise schreibt Huber zwar, dass ihr ethische Forschung wichtig sei, benennt jedoch keine konkreten Praktiken eines respektvollen Umgangs. Vielmehr irritiert der Satz „Die Transkripte liegen der Autorin vor“ (S. 55), worauf man sich unweigerlich fragt, ob sie denn den Interviewten nicht vorliegen und ob diese Zugang zu den auf Deutsch verfassten Forschungsergebnissen erlangten. Interviews wurden anscheinend früh in der Recherchephase und nur zu einem Zeitpunkt geführt. Somit sind die seit Jahrzehnten angemahnten Minimalstandards der Forschung in indigenen Gemeinschaften in Form der drei Rs – respect, relationship, reciprocity –, die epistemische Gewaltausübung abschwächen sollten, nicht umsetzbar. Charakterisierungen indigener Personen als „duale Identität“ und „hybrides Wesen“ sind mindestens problematisch (S. 112, 236). Indigenen Frauen dann noch einen sozialen, kulturellen, ökonomischen und symbolischen Wert nach Bourdieuschen Kategorisierungen zuzumessen, kann zweifelsfrei zu Abwehrhaltungen führen.
Kritisch sei anzumerken, dass die Konfliktlinien, die Huber zeichnet, sich bald als nicht haltbar herausstellen, sie aber nicht davon ablässt, einerseits Weiße pauschal als Erober:innen und Täter:innen und andererseits Indigene als Opfer mit intergenerationalem Trauma zu bewerten. Aggressive Männer gegen hilfreiche Frauen, gewalttätige Christen gegen Traditionelle, patriarchale Alte gegen moderne Jugend. Dieses Narrativ führt Huber fort, obwohl sie anerkennt, dass AIM-Führer wie Dennis Banks oder Clyde Bellecourt sowie lokal aktive Männer sich nicht chauvinistisch verhielten oder Thunder Hawks Großmutter sowohl christlich als auch traditionell lebte. Verständnis von komplexeren Konflikten zwischen lokalen Eliten und Marginalisierten, von nationen- und sektorenübergreifenden Verteilungskämpfen sowie von der divergierenden Versorgung und den Lebensrealitäten von Stammesmitgliedern auf Reservationen und außerhalb der Hoheitsgebiete hätten die Hintergründe und Handlungsspielräume der aktiven Frauen vielleicht weiter erklären können.
Insgesamt liegt mit der Dissertation eine sehr informative Sammlung von Red-Power-Frauen und deren zahlreichen Aktivitäten vor. Eine zusätzliche Legende zu den Personen und eine Chronologie der erwähnten Ereignisse könnte einen besseren Überblick über die Akteurinnen und Aktionen geben. Für einen kompletten Forschungsstand zu indigenem Feminismus lohnt sich ergänzend die Lektüre von unter anderem Bonita Lawrence, Colleen Glenn, Joyce Green, Marie Anna Jaimes Guerrero oder Verna St. Denis.1 Inwieweit Screenshots von Social-Media-Seiten die Geschichtsschreibung beeinflussen sowie Oral History und die Sichtbarkeit von Frauen stärken werden, bleibt abzuwarten. Das Überangebot von digitalen Daten, die von nicht-Indigenen produziert und zur Speicherung ausgewählt wurden, könnte eher eine Schwächung indigener Methoden und Teilhabe an der Geschichtserzählung bedeuten. Es ist zumindest wünschenswert, dass Rachel Huber aus ihren reichen Quellen weitere Schätze hebt. Die genannten Verbindungen zum deutschsprachigen Raum – das 1973 von Chris Spotted Eagle gegründete West-Berliner AIM-Büro, Aktivistinnenreisen ab 1977, das Archiv der Schweizer Fotografin Beatrice Weyerich zur Besetzung Wounded Knee 1973 und der Non-Governmental Organisations-Konferenz 1977 in Genf – sind unzulänglich erforscht. Auch im Hinblick auf protest policing und die Auswirkungen der Strafjustiz finden sich wichtige Hinweise, denen nachgegangen werden kann. Zuletzt wäre noch eine Lücke zu schließen: ergänzend zu den urbanen Frauen auch Red-Power-Frauen von den Reservationen sichtbar zu machen, wie beispielsweise ansatzweise in der Dokumentation A Tattoo on My Heart: The Warriors of Wounded Knee 1973 (2005, Badlands Film).
Anmerkung:
1 Bonita Lawrence, Gender, Race, and the Regulation of Native Identity in Canada and the United States. An Overview, in: Hypatia 18,2 (2003), S. 3–31; Bonita Lawrence / Kim Anderson, Indigenous Women. The State of our Nations, in: Atlantis, 29,2 (2005), http://forms.msvu.ca/atlantis/vol/292pdf/292intro.PDF (25.09.2023); Colleen Glenn / Joyce Green, Colleen Glenn. A Métis Feminist in Indian Rights for Indian Women, 1973–1979, in: Joyce Green (Hrsg.), Making Space for Indigenous Feminism, Winnipeg 2007, S. 233–240; Joyce Green, Taking Account of Aboriginal Feminism, in: Joyce Green (Hrsg.), Making Space for Indigenous Feminism, Winnipeg 2007, S. 20–32; Marie Anna Jaimes Guerrero, Civil Rights versus Sovereignty. Native American Women in Life and Land Struggles, in: M. Jacqui Alexander / Chandra Talpade Mohanty (Hrsg.), Feminist Genealogies, Colonial Legacies, Democratic Features, New York 2012, S. 101–124; Verna St. Denis, Feminism is for Everybody. Aboriginal Women, Feminism and Diversity, in: Joyce Green (Hrsg.), Making Space for Indigenous Feminism, Winnipeg 2007, S 33–52.