Die vorliegende geschichtswissenschaftliche Studie von Péter Techet zur Geschichte römisch-katholischer Konflikte in den an die Adria grenzenden mehrsprachigen Teilen Österreich-Ungarns beweist eindrucksvoll, wie wertvoll eine Gegenüberstellung von Mikrostudien sein kann, um ein Verständnis für das große Ganze zu erhalten.
Das große Ganze ist oder besser war in diesem Fall äußerst vielfältig und erfordert eine Einbeziehung mehrerer Staaten und Institutionen, was Techet überzeugend gelingt. Der nicht mit der Habsburgermonarchie vertraute Lesende wird sich wundern, warum explizit darauf hingewiesen wird. Allzu oft wird Österreich-Ungarn als ein Staat verhandelt, selbst von Historiker:innen der Habsburgermonarchie. Das große Ganze bedeutet in den bei Techet verhandelten Mikrokosmen, sich mit der Verwaltungspraxis, den Diskursen Österreichs (von Wien aus), Ungarns (von Budapest aus), Kroatiens (von Zagreb aus) auf quasi politischer und staatlicher Ebene zu befassen, wobei er die dezentralen Interessen des corpus separatum Fiume/Rijeka ebenso einbezieht. Dem Autor gelingt dabei vorbildlich die Kontextualisierung der beteiligten so unterschiedlichen Institutionen, darunter die jeweils gesamtstaatlichen Verwaltungsbehörden und deren politischen Vertretungen sowie die römisch-katholischen Diözesen in ihrem Zusammenspiel mit dem Heiligen Stuhl. Da es sich um einen Zeitraum von 20 Jahren handelt, geht der Autor außerdem auf politische Transformationen sowie den Einfluss sich verändernder Entscheidungsautoritäten ein.
Zum Aufbau der Arbeit beziehungsweise zur Methode möchte ich positiv hervorheben, dass der Autor eine analytische Gegenüberstellung von Einzelfallbeispielen gewählt hat. Diese werden gemeinsam eingeleitet und am Ende wieder zusammenfassend besprochen. Die einzelnen Kapitel sind nach ihren Aushandlungsorten gegliedert: beginnend mit dem österreichischen Küstenland, Triest mit Hinterland, dem ungarisch-kroatischen Küstenland sowie Fiume/Rijeka mit seinem Hinterland. Allen gemein ist der Ausgangspunkt: Im Mittelpunkt steht jeweils eine dörfliche Gemeinschaft, die entweder mit dem (angebotenen) Priester unzufrieden ist oder eine Umstrukturierung der lokalen Pfarrstruktur herbeiwünscht, wobei das bestehende unerwünschte Abhängigkeitsverhältnis zumeist Geistliche umfasst, die derselben Nationalität wie die lokalen Akteure angehören. Der Autor zeigt auf, dass in dem jeweils folgenden Konflikt zwar die Nationalitäten- und Sprachenfrage der späten Habsburgermonarchie hervorgehoben wird, es sich in erster Linie – so sein Hauptargument – aber eigentlich um innerkirchliche Streitigkeiten und persönliche Animositäten handelt. Dieses minutiöse Herausarbeiten des Autors ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte Österreich-Ungarns, in der noch viel zu oft die Nationalitätenkonflikte als einziger Grund für Unzufriedenheiten der Bevölkerung, vor allem in gemischtsprachigen Regionen, angebracht werden.
Zu den Mikrostudien aus dem österreichischen Küstenland und ungarisch-kroatischen Küstenland sei angemerkt, dass die Beispiele nicht hätten besser für eine vergleichende Gegenüberstellung gewählt werden können. Sie bilden die unterschiedlichen staatlichen Zugehörigkeiten innerhalb der Habsburgermonarchie ebenso ab wie die Vielfalt der von der jeweiligen Verwaltung anerkannten Sprachen. Dennoch ist allen Mikroräumen gemein, dass die Mehrheitsbevölkerung römisch-katholisch war. Dies lässt den Schluss zu, dass ein othering nur über Sprachgebrauch/Nationalität hätte stattfinden können. Tatsächlich aber, so zeigt der Autor, war der verhandelte Nationalitätenkonflikt, obwohl so in der Öffentlichkeit dargestellt, nur eine Zu-Schreibung von außen. Konflikte waren eigentlich innerkirchlich, mehr noch wurden sie zum allergrößten Teil unter Akteurinnen und Akteuren derselben Nationalität ausgetragen. Oder wie Techet es treffend formulierte: „Dabei stellt sich die Frage, ob und wie der Kampf eines slowenischsprachigen Dorfes mit seinem slowenischsprachigen Priester, Pfarrern, und dem ‚slowenisch‘ markierten Triestiner Bistum als ‚Nationalitätenkonflikt‘ gelten konnte.“ (S. 127)
Obwohl ich mich selbst seit vielen Jahren mit den Konflikten im Zusammenhang mit der Nationalitäten- und Sprachenvielfalt Österreich-Ungarns befasse und ihrer oftmals überregionalen Resonanz, war ich überrascht, dass die von Techet besprochenen Mikrokosmen (dörfliche Gemeinschaften) eine derart monarchieweite Resonanz haben konnten. Tatsächlich haben sich die unterschiedlichsten Interessensparteien, darunter Politik und Presse, aus vielen Teilen der Monarchie in dörfliche Ereignisse eingeschaltet und jede schrieb den Ereignissen ihr eigenes Wunsch-Deutungsmuster zu, indem der a-nationale (innerkatholische) Kern des Konflikts vom Nationalitätenkonflikt-Kontext überlagert wurde. Besonders was die Presse betrifft, trifft zu, was Pieter M. Judson wie folgt zusammengefasst hat: „Printed media sources tell the historian far more about their producers than about their subjects“.1
Eine wichtige Analysekategorie im habsburgischen Kontext der letzten Jahre, national indifference, wird bei Techet ebenfalls verhandelt. Meiner Ansicht nach bietet er hier einige interessante neue Betrachtungsweisen, die sich ihm aus der Verwendung von indifferent in Primärquellen der Zeit erschlossen haben. So schreibt Techet: „In der nationalistischen Auffassung galten die Dorfbewohner als national indifferent, also rückständig. Die kroatisch-nationalistischen Agitoren machten den Drenovaern in diesem Sinne mehrmals zum Vorwurf, nicht nach den nationalistischen Erwartungen zu handeln.“ (S. 229) Techet zeichnet die national(istisch)e Debatte nach, in der es um die Frage ging, ob es der nationalen Sache mehr nützen würde, wenn man etwa ein eigenständiges national-reines Bistum hat, oder lieber weiterhin einen nationalen Fuß in der Tür eines anderen nationalen Umfelds.
Was für mich diese Studie besonders wertvoll macht, ist, dass der Autor nicht nur die aktuelle Forschungslandschaft einbezieht, sondern dass sie auf einem beeindruckenden Quellenkorpus basiert. Tatsächlich analysiert er unter Zuhilfenahme sämtlicher (und das ist nicht übertrieben) notwendiger verfügbarer Primärquellen – Pfarr- und Stadtchroniken, Korrespondenzen aller beteiligten administrativen Behörden (staatlichen wie kirchlichen), Polizeiberichte etc. – in allen dafür notwendigen Sprachen: Deutsch, Italienisch, Kroatisch, Slowenisch und Latein. Er bohrt tief und ebenso tiefgründig ist durchgehend seine Analyse.
Abschließend möchte ich bemerken, dass es nur zwei Dinge in dieser hervorragenden Studie anzumerken gibt. Zum Einen: In wissenschaftlicher Literatur ist es üblich, dass nach der Zweitnennung von Personen nur mehr der Familienname verwendet wird, akademische oder Amtstitel etc. unberücksichtigt bleiben. Es wirkt befremdlich, wenn Techet ausschließlich bei der Zweitnennung von römisch-katholischen Priestern vor die Familiennamen stets ein Don setzt. Der andere Punkt betrifft, und dies ist ein unerschöpfliches Thema des Habsburg Studies-Diskurses, die Nationalitätszuschreibung von Personen. Der Autor setzt nicht Sprache und Nationalität gleich, sondern bedient sich der aktuell oftmals verwendeten Variante stattdessen von „-sprachig“ zu schreiben. Etwa, wenn er den kroatischsprachigen Reichsratsabgeordneten Matija Laginja erwähnt (S. 157). Als Habsburghistorikerin ist mir bei Techets Variante in den allermeisten Fällen natürlich völlig klar, dass er damit einen Hinweis auf die mögliche Muttersprache geben will. Für Nicht-Habsburghistoriker:innen könnte es allerdings verwirrend sein, da man es auch derart interpretieren kann, dass diese Person ausschließlich die jeweilige Sprache beherrscht. Um präziser zu sein, aber dennoch nationale Zuschreibungen zu vermeiden, findet man in den letzten Jahren immer häufiger andere beschreibende Merkmale, wie etwa Geburtsort/Herkunftsregion oder Parteizugehörigkeit.
Insgesamt möchte ich betonen, dass Techets Buch für mich ein Grundlagenwerk darstellt, das außerdem erfreulicherweise durch eine flüssige und leicht verständliche Sprache besticht. Er präsentiert nicht nur Fakten und Diskurse, sondern lässt den Lesenden an seinem Denkprozess teilhaben. Zuguterletzt möchte ich noch anmerken, dass der Autor neben dem Forschungsstand zu den Habsburg Studies auch ein tiefes Wissen um die Organisation der römischen-katholischen Kirche bietet.
Anmerkung:
1 Pieter M. Judson, Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria, Cambridge 2006, S. 182.