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Titel
Germany 1945. From War to Peace


Autor(en)
Bessel, Richard
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 522 S.
Preis
$ 28.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
John Zimmermann, Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam

Richard Bessel, Lehrstuhlinhaber an der University of York (Großbritannien), ist ein Experte für die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Mit dem vorliegenden Werk unterstreicht er diesen Ruf nachdrücklich, indem er den Zäsurcharakter des Kriegsendes 1945 betrachtet: „Germany did indeed got to hell and, in 1945, began to come back; the peaceful second half of the twentieth century rested on the ashes of the first.“ (S. 4) Bessel geht es also nicht nur um eine Darstellung des letzten Jahres des Zweiten Weltkrieges; er sieht darin gleichsam das Scharnier zwischen kriegerischer Vergangenheit und friedfertiger Zukunft in Europa. Abgesehen von Einleitung und Schluss teilt der Verfasser die zehn Kapitel seines Hauptteils in zwei beinahe gleichstarke Bereiche, die sich mit der Zeit bis zur deutschen Kapitulation 1945 beschäftigen (Kapitel 2-5, 157 Seiten) sowie mit den Themen, die darüber hinausreichen (Kapitel 8-12, 173 Seiten). Die beiden dazwischenliegenden Kapitel markieren den Übergang vom Krieg zum Frieden. Abgerundet wird die Arbeit durch ein kombiniertes Orts-, Personen- und Sachregister sowie je einen Karten- und Bildteil. Dabei hätte der Verlag die fünf Karten, welche die militärischen Ereignisse von der Ausgangslage zu Jahresbeginn 1945 bis zur Kapitulation sowie die Besatzungszonen im besiegten Deutschland vor Augen führen, etwas aussagekräftiger gestalten können. Dagegen bieten die 16 Bilderseiten eine gelungene Mischung aus bekannten und unbekannteren Fotografien.

Die wesentliche Voraussetzung für die Beendigung nicht nur des Zweiten Weltkrieges, sondern des Krieges in Europa überhaupt war laut Bessel die Tatsache, dass die Siegermächte – anders als nach dem Ersten Weltkrieg – die Deutschen nicht sich selbst überlassen hätten: „[I]n 1945 Germans were transformed from active protagonists to passive observers of their fate.“ (S. 6) Gerade deshalb hätten die Deutschen überhaupt so rasch in den Kreis zivilisierter Nationen zurückfinden können. Freilich hatten sie dafür einen Preis zu zahlen – und die jahrzehntelange Teilung in Ost und West war nicht der einzige. Am Ende identifiziert Bessel „five main features of the cataclysm of 1945 that paved the way to German’s postwar success“ (S. 390): „the completeness of German defeat“, „the complete and obvious bankruptcy of National Socialism“ (S. 390), „the harshness with which the Allies imposed their occupation“ (S. 392), „the vast extent of the losses“ sowie „the overwhelming focus of Germans upon their day-to-day concerns“ (S. 393).

Basierend auf seinen fundierten Kenntnissen über die Zustände, aber auch die Befindlichkeiten im Deutschen Reich des letzten Kriegsjahres führt Bessel mit spürbarer Empathie durch sein Thema, ohne jedoch die gebotene Sachlichkeit aus dem Blick zu verlieren. In zwei Kapiteln, „A World in Flames“ (S. 10-47) und „Last Days of the Reich“ (S. 93-147), beschäftigt sich Bessel mit dem faktischen Kriegsverlauf und bietet einen brillant geschriebenen Überblick zum militärischen Geschehen auf deutschem Boden. In zwei weiteren Kapiteln, „Murder and Mayhem“ (S. 48-66) und „Fleeing for Their Lives“ (S. 67-92), thematisiert der Verfasser die Gewalterfahrungen der Deutschen innerhalb dieses Szenarios. Dabei geht es Bessel keineswegs darum, den Deutschen primär eine Opferrolle zuzuschreiben. Vielmehr stellt er den Kontext zur eigenen Kriegführung des Deutschen Reiches her, die, in fünf Jahren zumal im Osten Europas von beinahe allen Skrupeln befreit, nun auf deutschem Boden fortgesetzt wurde. Zum einen zeigt der Autor an Stichproben zu deutschen Städten von Köln bis Leipzig und Kiel bis Frankfurt am Main (S. 53-63), wie flächendeckend und willkürlich das mörderische Vorgehen gegen tatsächlich oder vermeintlich oppositionelles Verhalten war – gegen die eigenen Soldaten ebenso wie gegen Zivilisten. Zum anderen belegt er, dass die eigene militärische Führung dafür den Rahmen absteckte, indem sie sich nicht einmal dann von der Fortsetzung des Kampfes abhalten ließ (S. 103), als nur noch bedingt von einem funktionierenden deutschen Staatswesen die Rede sein konnte (S. 94).

In der Konsequenz waren es keine deutschen Minderheiten mehr, es war die Mehrheit, die nun das Verbrecherische des so lange umjubelten Regimes am eigenen Leibe erfuhr – mit nachhaltigen Folgen: „In 1945 the connection between the regime and the people appears to have broken almost completely.“ (S. 65) Sorgte dafür im Westen das brutale Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung, waren im Osten hauptsächlich das Versagen des Schutzes vor der Roten Armee und die Flucht aus der Heimat verantwortlich für die innerliche Aufkündigung der Gefolgschaft. Bessel verschweigt dabei nicht, dass über das Kriegsende hinaus weiter gestorben, geplündert und vergewaltigt wurde. In den Kapiteln „Revenge“ (S. 148-168) und „The Beginning of Occupation“ (S. 167-210) beschäftigt er sich ausgiebig mit den Misshandlungen Deutscher durch Soldaten der Siegermächte bis hin zur tausendfachen Vergewaltigung – und das nicht nur in von der Roten Armee eroberten Gebieten. Er stellt aber ebenso die Schwierigkeiten dar, mit denen die Besatzungstruppen zu kämpfen hatten, von den fehlenden Lebensmitteln über die zerstörten Strukturen bis hin zum Aufbau einer funktionierenden Verwaltung; und dies unter der Last von Millionen kriegsgefangener Soldaten, Displaced Persons sowie der Flüchtlinge und Vertriebenen. Hier rückt das beginnende Auseinanderdriften der Besatzungspolitik in den jeweiligen Zonen ebenso in den Fokus wie das damit verbundene Verhalten der Sieger gegenüber den Besiegten, ablesbar an der so genannten Entnazifizierung und der beginnenden juristischen Aufarbeitung: „The imposition of Allied military rule was shock therapy. Few would have thought, in 1945, that such an approach would constitute the first step towards the successful reconstruction of a civilized society and a democratic polity. But it did.“ (S. 210)

Im Kapitel „The Loss of the East“ (S. 211-245) verdeutlicht Bessel, dass auch den in die ehemaligen deutschen Gebiete umgesiedelten Polen ihr Osten und damit ihre Heimat genommen wurden. Diese oft ausgeblendete, mindestens aber marginalisierte Thematik bildet einen besonders bemerkenswerten Abschnitt. Und damit beginnt die zweite, hoffentlich weitere Forschungen anregende Hälfte von Bessels Arbeit. Stand zunächst eher die dichte Beschreibung größtenteils bekannter Vorgänge im Vordergrund, wendet sich der Verfasser nun dem Wiederaufbau zu und betritt dabei vielfach Neuland. Er schildert die Rahmenbedingungen im Nachkriegsdeutschland („Societies of the Uprooted“, S. 246-278), ehe er sich den Plänen widmet, wie eigentlich wer wieder aufzubauen gedachte („Visions of a New World“, S. 279-319). Diese Szenarien wiederum stellt er dem Zustand der deutschen Nachkriegsgesellschaft gegenüber („The Great Disorder“, S. 320-339). Briten und US-Amerikaner seien vergleichsweise rasch bereit gewesen, ihre zuvor ausgearbeiteten Pläne zu modifizieren, während sich die Franzosen erst der Macht des Faktischen gebeugt und die Sowjets ihre eigenen Pläne stur umgesetzt hätten.

Die Deutschen selbst hätten sich derweil passiv, beinahe uninteressiert gezeigt. Andererseits belegt Bessel diverse lokale Aktivitäten, die sich zu Keimzellen auch eines politischen Wiederaufbaus mauserten. Herauszuheben aus den verschiedenen Gruppierungen sind Bessel zufolge vor allem die Kirchen: „In Western Germany the immediate postwar period saw something of a religious revival.“ (S. 312) Grundsätzlich vertraten beide Großkirchen den Anspruch einer „Re-Christianization of Germany“ (S. 314), ja sahen gerade in der katastrophalen Lage 1945 wegen des „lack of institutional anchors“ (S. 331) ihre Chance.

Zu Recht weist Bessel aber auch auf das entlastende Moment im deutschen Verhalten hin: „[T]he profound disorder that faced the German people after the Nazi regime collapsed, allowed them to leave the Third Reich behind without having to confront their own role in it.“ (S. 338) Insbesondere in ländlichen Regionen, die weder von den Bombern noch vom Bodenkrieg heimgesucht worden waren, sei das Leben ohne große Veränderungen weitergegangen (S. 332) – eine Thematik, die der Autor im folgenden Kapitel genau bilanziert („Paying for War and Peace“, S. 340-384). Er kommt dabei zu dem zutreffenden Ergebnis: „The condition of the German economy […] was not so dire as it seemed immediately after the surrender in May 1945. Germany’s industrial capacity […] remained considerable. […] Thus the significance of Germany’s economic plight in 1945 was as much psychological as it was physical.“ (S. 383f.)

In der Summe liegt ein ausgezeichnetes Buch vor, das besonders durch seine klare Struktur besticht: Mitunter glaubt man, gerade diejenigen Fragen beantwortet zu bekommen, die sich einem bei der Lektüre just selbst gestellt haben. Der Band bietet sich als Einstiegslektüre ebenso an wie als Impuls für weitergehende Forschungen.

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