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Titel
Die Magie der Geschichte. Geschichtskultur und Museum


Herausgeber
Padberg, Martina; Schmidt, Martin
Reihe
Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler 3
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 23,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Lutz, Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Dresden

Ist Geschichte magisch oder doch eher magnetisch? An Letzterem jedenfalls lässt kaum ein Beiträger des vorliegenden Bandes einen Zweifel. Als „Publikumsmagneten“ (Michael Jeismann, S. 53) erweisen sich offenbar nicht nur Historische Museen, sondern auch alle übrigen Angebote mit historischen Inhalten – von Fernsehdokumentationen bis zu Video- und Computerspielen. Diese Medienkonkurrenz nehmen die Herausgeber zum Ausgangspunkt, um über „Geschichtskultur und Museum“ nachzudenken, präziser gesprochen darüber, „wie sich die Museen im Gefüge populärer Geschichtskultur positionieren können und sollen“ (S. 8, S. 19). „Geschichtskultur“ wird dabei unter anderem im Sinne Jörn Rüsens verstanden (S. 13), allerdings stärker als Markt betrachtet – mit Anbietern auf der einen und Rezipienten auf der anderen Seite (etwa S. 12f.). Daraus ergibt sich die Struktur des Bandes, in dem nicht nur über das Museum nachgedacht und Beispiele musealer Praxis vorgestellt werden, sondern ein „Diskurs zwischen all denen“ initiiert werden soll, „die unterschiedliche Angebote zur Geschichtskultur bereitstellen“ (S. 17). Die Besonderheit des (historischen) Museums soll also auch in der Abgrenzung zu anderen Angeboten entwickelt werden. Bietet die „Authentizität der Dinge“ das Potenzial für eine Kontrollfunktion gegenüber medial vermittelten Geschichtsbildern (S. 13)? Und sollte das Museum selbst zum „‚Mediator’“ von Geschichte werden (S. 17)?

Auf Vorwort und Einleitung folgen drei Beiträge, die sich mit Kultur im Allgemeinen und dem Museum im Besonderen befassen. Leider wird so die Chance verspielt, für den Band zentrale Begriffe und Themen ausführlicher zu problematisieren als in der Einleitung (etwa Magie, Authentizität, Inszenierung und nicht zuletzt Geschichtskultur).1 Jan Freitag fragt nach Grundsätzen und Logiken einer ökonomisierten Kultur, die sich nicht mehr an Rezipienten mit einem geteilten Erfahrungshorizont richtet, sondern an Erlebnisse konsumierende Massen von Individuen. Daraus ließen sich weitreichende Fragen an die Arbeit von Museen ableiten, die hier und in den folgenden Beiträgen aber nicht gestellt werden. Michael Fehr und Michael Jeismann formulieren instruktive, als konträr lesbare Vorstellungen vom Museum, deren Spannungsverhältnis leider nirgends explizit aufgenommen wird. Für Fehr ist das Museum ein möglicher Gegenort der Massenmedien mit eigener Kommunikationsstruktur (S. 40) und Zeitordnung (S. 45). Er wünscht sich das Museum als „Zeitlabor“, das es ermöglicht, unterschiedliche Räume und Zeiten zueinander in Beziehung zu setzen (S. 47f.). Das Museum solle den Besuchern vor allem die Gelegenheit geben, „in ein produktives Verhältnis mit den Exponaten“ zu treten (S. 50f.). Demgegenüber spricht Jeismann vom „Fetischcharakter“ des Glaubens der Museumsmacher ans historische Objekt und stellt grundsätzlich in Frage, ob Historische Museen in der Lage seien, ihre Objekte zum Sprechen zu bringen (S. 55f.). Der „Ursprung der Magie“ liegt für Jeismann in der Hermeneutik, woraus er die Forderung an Historische Museen ableitet, einen Akzent auf das Erzählen zu legen (S. 59).

Es folgen Fallbeispiele unter den Rubriken „Geschichte berichtet“, „Geschichte erzählt“, „Geschichte gespielt“, „Geschichte ausgestellt“ und „Geschichte kommentiert“. Dabei hängt der Neuigkeitswert der Beiträge für die Leserin oder den Leser teilweise davon ab, ob man die jeweiligen Medien selbst rezipiert und wie sehr man sich darüber wundert, dass sich ihre Fragestellungen mit denen von Museen überschneiden. So erläutert die WDR-Redakteurin Beate Schlanstein die Entwicklung von einem kompletten „Inszenierungsverbot“ für Fernsehdokumentationen zu deren vorsichtiger Öffnung für Re-Inszenierungen (S. 64) und problematisiert die Möglichkeit verfälschender Montage dokumentarischen Materials. Cay Rademacher, geschäftsführender Redakteur von „GEO EPOCHE“, schildert journalistische Grundsätze und die Erfolgsgeschichte des Blattes. Die Schriftstellerin Tanja Kinkel erläutert ihre Prinzipien beim Recherchieren und Schreiben historischer Romane; sie arbeitet als Gesetz des Genres heraus, dass es vorrangig um eine gute Geschichte gehe (S. 83f.) – da könne in Shakespeares „Julius Caesar“ auch mal eine Turmuhr die Stunde schlagen (S. 79). Ziemlich interessant wird es für Leser mit unterentwickelter Affinität zu Computerspielen bei Jan Pasternaks Beitrag über diese Medien. Dass die Hersteller „ihr ganz eigenes Bild einer Geschichte“ prägen und es „nach ihren populären Vorstellungen und denen der potenziellen Kunden in die Spiele einfließen lassen“ (S. 102), ist vielleicht nicht erstaunlich, aber doch folgenreich, wenn Pasternak etwa hervorhebt, wie stark sich die wachsende Zahl von „Historienspielen“ auf den Zweiten Weltkrieg und generell auf die Kriege des 20. Jahrhunderts konzentriert (S. 102f.).

Schließlich geht es um ausgestellte Geschichte, vor allem um Dauerausstellungen. Wie von den Herausgebern angekündigt, öffnet sich dabei „ein breites Spektrum musealer Strategien“ (S. 20). So zielt das von Claudia Gottfried beschriebene Konzept einer Dauerausstellung des LVR-Industriemuseums darauf ab, sich „neuen Konsummustern von Kultur“ zu öffnen, um ein Publikum zu gewinnen (S. 128). Das schließt „Living History“ ebenso ein wie Medienebenen, die es Besuchern ermöglichen, „sich in das Leben […] vor 200 Jahren hineinzuversetzen“ (S. 131, S. 135). Auch im LWL-Museum für Archäologie in Herne soll „Geschichte […] lebendig werden“ (Barbara Rüschoff-Thale, S. 173). Eine inszenierte Grabungslandschaft soll Besuchern „einen viel direkteren Zugang zum jeweiligen Exponat“ bieten als herkömmliche Ausstellungen (S. 166). Medien und Lichtstimmungen zielen auf eine „konsequente emotionale und sinnliche Ansprache“ (S. 170). Einem anderen Konzept folgte Stephan Sensen in den Museen Burg Altena – schon wegen des Charakters des Gebäudes hatte der Gestalter hier „Purist“ zu sein (S. 185). Sensen, der angesichts der Diversität von Museen auf die Notwendigkeit maßgeschneiderter Lösungen abhebt, verweist bei aller Inszenierung auf die „Authentizität“ der Objekte als „Alleinstellungsmerkmal der Museen im Konzert der Geschichtsverwerter und Geschichtsdeuter“ (S. 178).

Neben der Rekonstruktion steht die Dekonstruktion. So beschreibt Daniel Hess, wie neu gestaltete Abteilungen in der Dauerausstellung des Germanischen Nationalmuseums Geschichte ausgehend von den kulturhistorischen Relikten erzählen – einschließlich der Erkenntnis, dass auch (Objekt-)Verluste historische Ereignisse sind (S. 142). Hier wird das Museum als Produzent von Geschichtsbildern kenntlich gemacht, die selbst historisch und diskussionsbedürftig sind (S. 141). Klaus Kösters stellt eine von drei Sonderausstellungen zum Komplex „2.000 Jahre Varusschlacht“ vor, die Bearbeitung des Themas „Mythos“ im Lippischen Landesmuseum in Detmold. Indem er die Erwartungen politischer Entscheidungsträger an historische Ausstellungen thematisiert (S. 153) und das Ziel benennt, ein „nationales Symbol deutscher Identität“ zu sezieren (S. 157), markiert er Aushandlungsprozesse als Teil von Geschichtskultur. Davon ist ansonsten in diesem Band eher selten die Rede.

Die Herausgeber fragen mit Recht: „Was ist denn nun ein ‚gutes‘ Museum?“ (S. 20) Misst sich sein „Erfolg“ an den Besucherzahlen? Soll es stärker rekonstruieren oder dekonstruieren, Fragen stellen oder Fragen beantworten? Die entsprechenden Positionen wurden vielleicht auf der Tagung diskutiert, die dem Band vorausging2, haben aber leider keinen Weg in die Publikation gefunden. Das könnte an der Breite der Themenstellung liegen, die es erschwert, den Band in den zahlreichen Debatten zu positionieren, die er berührt. Die Herausgeber beschreiben das Museum als Ort der Information, „dem man in besonderem Maße Vertrauen entgegenbringt“ (S. 20f.) – und von diesem Standpunkt aus kann man wohl nur nach dem Wie der Museumsarbeit fragen.3 Aber ohne präziser zu bestimmen, wie man Geschichtskultur versteht, wird man das Museum nicht darin verorten können.4

Anmerkungen:
1 Mit solchen zentralen Termini setzte sich im April 2011 die Tübinger Tagung „Museen verstehen: Begriffe“ auseinander; siehe Christian Vogel: Tagungsbericht, „Museen verstehen: Begriffe“, in: H-Soz-u-Kult, 25.5.2011: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3663> (30.6.2011).
2 Siehe Irmgard Zündorf: Tagungsbericht, Die Magie der Geschichte. Geschichtskultur und Museum, in: H-Soz-u-Kult, 9.9.2007: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1701> (30.6.2011).
3 Zur Differenz zwischen der Frage nach den Methoden des Museums und der Frage nach dessen Funktionen (als Differenz zwischen ‚Alter‘ und ‚Neuer Museologie‘) siehe Sharon Macdonald, Expanding Museum Studies: An Introduction, in: dies. (Hrsg.), A Companion to Museum Studies, 2. Aufl. New York 2011, S. 1-12, hier S. 2.
4 Weiterführende Überlegungen zu dieser Frage etwa bei Katrin Pieper, Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Joachim Baur (Hrsg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 187-212.

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