R. Löwenthal: Faschismus – Bolschewismus – Totalitarismus

Titel
Faschismus – Bolschewismus – Totalitarismus. Schriften zur modernen Weltanschauungsdiktatur. Einleitung von Mike Schmeitzner


Autor(en)
Löwenthal, Richard
Reihe
Wege der Totalitarismusforschung
Erschienen
Anzahl Seiten
678 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Jünger, Simon-Dubnow-Institut, Universität Leipzig

Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung hat 2009 eine Auswahl der Schriften Richard Löwenthals, die größtenteils bisher nur als Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften vorlagen, in einer umfangreichen Edition innerhalb der Reihe „Wege der Totalitarismusforschung“ herausgegeben. Versammelt sind Analysen Löwenthals zum Nationalsozialismus, Faschismus, Kommunismus und Totalitarismus aus den Jahren 1935 bis 1986. Die Herausgabe der Schriften Richard Löwenthals durch Mike Schmeitzner ist zunächst ein großes Verdienst, weil sie die Reflexionen eines deutsch-jüdischen Intellektuellen auf die weltpolitischen Ereignisse und Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die Entwicklung von Analysen und Begriffen zu deren Erklärung nachvollziehbar macht. Löwenthal selbst hatte die Veröffentlichung einer Monographie zum Totalitarismus geplant, die jedoch nie erschien.

Der Band ist chronologisch, damit aber auch thematisch in neun Kapitel gegliedert. Er beginnt mit den frühen Analysen des Nationalsozialismus, führt weiter über die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Revolution und der stalinistischen Sowjetunion, schließlich der Entwicklung einer Totalitarismus-Konzeption und endet mit Analysen zum Ende des kommunistischen Totalitarismus und der Abwehr von Ernst Noltes deutschen Totalitarismus-Ideologien.

Die umfangreiche und inhaltlich informative Einleitung Mike Schmeitzners hingegen ist stellenweise ärgerlich. In dem Versuch, Richard Löwenthal in die eigene Totalitarismusforschung zu integrieren, nimmt er die intellektuelle Biographie Löwenthals insgesamt nicht ernst. Dessen Analysen der 1930er- und 1940er-Jahre wird von Schmeitzner immer wieder attestiert, in marxistischen Ideologien und analytischen Kurzschlüssen verfangen zu sein. Die Biographie Löwenthals liest sich so wie der lange Weg von der marxistischen Verirrung bis zur Klarheit des Totalitarismusbegriffs, dem auch das Hannah-Arendt-Institut folgen kann. Weitere editorische Eingriffe unterstützen die Vermutung der Vereinnahmung Löwenthals für das Dresdener Totalitarismus-Projekt. So ist bereits der gesamte Titel der Edition, „Faschismus – Bolschewismus – Totalitarismus. Schriften zur modernen Weltanschauungsdiktatur“, irreführend. Bei Löwenthal taucht der Begriff des Bolschewismus kaum auf. Er ist auch keiner, der seinen Analysen des Kommunismus, der totalitären Revolution oder der autoritären, poststalinistischen Sowjetunion entsprechen könnte, sondern einer, der dem Forschungsprofil des Hannah-Arendt-Instituts entlehnt ist. Und auch Löwenthals Begriff des Totalitarismus grenzt sich gerade gegen diejenigen ab, die den Totalitarismus als Weltanschauungsdiktatur begreifen. Die inhaltlich unnötige Belehrung Löwenthals über das Marxsche Basis-Überbau-Modell schließlich (S. 449, Anm. 10), ist nicht nur falsch, sondern entspringt Schmeitzners Intention, Karl Marx für den Stalinismus in die Verantwortung zu nehmen und die marxistische Interpretation gesellschaftlicher Entwicklungen durch Löwenthal zu diskreditieren.

Als Anfang der 1930er-Jahre Richard Löwenthals intellektuelle Karriere begann, stand Europa vor einem Abgrund. Der Durchbruch diktatorischer Regime in Osteuropa, die Entstehung autoritärer Systeme in Portugal und Spanien, aber vor allem der Aufstieg des italienischen Faschismus und der Beginn des Nationalsozialismus schürten eine begreifliche Angst – die Angst, Europa könne in die Barbarei versinken. Diese Angst war es, die bei den frühen Analysen Löwenthals zum Faschismus und Nationalsozialismus Pate stand. Löwenthal wollte die Ursachen, Bedingungen und Entwicklungen begreifen, um einzuschreiten, um den Absturz in den Faschismus zu verhindern. Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg musste er feststellen, dass nur wenig gefehlt habe, „und die westliche Gesellschaft wäre an dieser furchtbaren Krankheit zugrunde gegangen“ (S. 380). Wie andere Intellektuelle auch – so zum Beispiel Hannah Arendt oder Max Horkheimer – machte er sich damit jedoch nicht zum Adepten der westlichen bürgerlich-kapitalistischen Demokratie, sondern wollte in ihr selbst die Ursachen des Verfalls aufspüren und damit Wege zeigen, diesem Verfall entgegenzuwirken. Man solle, so schrieb er noch 1957, nach „den Unzulänglichkeiten der freien Gesellschaftsformen in der heutigen Situation“ (S. 434) fragen. In den 1930er- und 1940er-Jahren attestierte er der parlamentarischen Demokratie, an ihr Ende gelangt zu sein. Daher gelte es nun, den Übergang zu gestalten (S. 111, 372ff). Dabei schien ihm allein die positive Aufhebung der kapitalistischen Ordnung zugunsten des Sozialismus Garant dafür zu sein, den Rückfall in den Faschismus zu vermeiden. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges schrieb Löwenthal, dass dessen Ausgang darüber entscheide, „ob die Welt faschistisch wird, oder ob es in unserer Zeit wieder Möglichkeiten des Fortschritts zu einem freiheitlichen Sozialismus geben wird“ (S. 264). Immer ging es ihm darum, Bedingungen und Möglichkeiten des Handelns und des Widerstands zu eruieren.

Grundlage der Gesellschaftsanalysen Löwenthals war Zeit seines Lebens ein an Marx geschulter historischer Materialismus. In den ersten Jahrzehnten trat dies dezidiert zum Vorschein. Zwar entfernte er sich im Verlauf der Jahre zunehmend vom marxistischen Vokabular, hielt jedoch daran fest, dass die ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Entwicklungen Grundlage der politischen und juridischen Veränderungen seien. Und doch widersprach er in seiner Faschismusanalyse von 1935 gängigen marxistischen Interpretationen und vor allem der Dimitroffschen Definition fundamental: Die politische Form ließe sich nicht allein aus den ökonomischen Verhältnissen ableiten (S. 65), der Arbeiterbewegung attestierte er „historisches Versagen“ (S. 66), und er sah im Faschismus nicht die höchste Form des Imperialismus oder die Herrschaft der Reaktion, sondern charakterisierte ihn als faschistische Revolution (S.90), die sich durch eine gewaltige Dynamik auszeichne (S. 92). Lediglich Italien und Deutschland könnten nach Löwenthal als faschistisch bezeichnet werden (S. 66), obwohl er seine Beispiele und Beschreibungen nahezu ausschließlich dem Nationalsozialismus entnahm.

Auch wenn Löwenthal an einigen Stellen von „faschistischer Totalität“ (S. 110) oder dem „totalen Staat“ (S. 107) sprach, entwickelte er daraus noch keinen kohärenten Begriff des Totalitarismus. Überdies verteidigte er lange Zeit die kommunistische Revolution unter Lenin als Meilenstein auf dem Weg zu einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft. Obwohl ihn die Politik Stalins ab den frühen 1940er-Jahren zunehmend desillusionierte, wandte er sich gegen Interpretationen einer ideologischen Verwandtschaft zwischen Kommunismus und Faschismus (S. 209ff).

Das änderte sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nun begann Löwenthal damit, einen Begriff des Totalitarismus zu entwickeln, mit denen er Gemeinsamkeiten von Nationalsozialismus und Kommunismus beschrieb. Und dennoch blieb der Begriff bei Löwenthal ambivalent. Zum einen betonte er immer wieder, dass die ideologischen Voraussetzungen und praktischen Konsequenzen beider Systeme grundverschieden seien und er mit dem Begriff lediglich formale Ähnlichkeiten untersuche (S. 439). Zum anderen begründete er diesen Vergleich allein mit Beispielen der stalinistischen Sowjetunion.

Wie schon bei seinen Faschismus-Analysen stellte Löwenthal die gesellschaftliche Dynamik auch ins Zentrum des Totalitarismus-Konzepts. Der Totalitarismus zeichne sich durch eine „permanente Revolution von oben“ (S. 443) aus. Indem die Partei in ihrer Monopolstellung zur Trägerin des staatlichen Handelns wird, sei im Totalitarismus überdies die Trennung von Staat und Gesellschaft aufgehoben (S. 453). Die totalitäre Revolution unterscheide sich von anderen autoritären Diktaturen dadurch, dass sie ein utopisches und damit nicht erreichbares Ziel anstrebe und somit die gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen plane und immer wieder von oben steuere.

In seinen Analysen des Totalitarismus integrierte Löwenthal in der Folgezeit zwar sowohl Jugoslawien als auch China. Mit diesen Gesellschafts- und Staatsformen war er jedoch kaum vertraut. Ab den späten 1950er-Jahren sah er bereits das Ende des Totalitarismus erreicht. Die Sowjetunion, China und Jugoslawien hätten die permanente Revolution aufgegeben und wären nun viel stärker den ökonomischen Notwendigkeiten gefolgt. Im Zusammenhang mit diesen Systemen ließe sich jetzt nur noch vom „autoritären Staat“ sprechen (S. 590ff). Damit grenzte er sich gegen andere Totalitarismus-Theoretiker wie Carl J. Friedrich oder Zbigniew Brzeziński ab, die einen viel zu statischen Begriff totalitärer Herrschaft besäßen (S. 558). Hannah Arendt, die wie Löwenthal ab den späten 1950er-Jahren den Begriff des Totalitarismus für die Sowjetunion nicht mehr anwandte, widersprach er dahingehend, dass das Ende des Totalitarismus weniger mit Stalins Tod, wie Arendt behauptete, als mit ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang stünde.

Die hier vorgelegten Studien Richard Löwenthals aus fünf Jahrzehnten sind in ihrer Gesamtheit beeindruckend. Sie sind es vor allem wegen Löwenthals Leidenschaft, am Begriff zu arbeiten, die sich aus dem unbedingten Willen ergibt, praktisch einzugreifen und die Welt zu verändern. „Der Fortschritt wird in dieser Sicht ein notwendiges Ziel unseres Strebens – nicht um den Himmel auf Erden zu schaffen, sondern um die Hölle auf Erden zu vermeiden“ (S. 437) hieß es paradigmatisch in einem Text aus dem Jahre 1957. Seine Analysen und Begriffe waren dabei selbst nie statisch, sondern versuchten, die Veränderungen der gesellschaftlichen Entwicklungen nachzuvollziehen. Den Analysen von Nationalsozialismus und Kommunismus in den 1930er- und 1940er-Jahren folgte die vergleichende Totalitarismus-Konzeption in den 1950er- und 1960er-Jahren. Doch schon ab 1970 schien ihm dieser Vergleich zunehmend suspekt zu werden – mit Totalitarismus war im Grunde nun nur noch die Sowjetunion von ca. 1922 bis Ende der 1950er-Jahre gemeint. Den totalitarismustheoretischen Relativismus eines Ernst Nolte schließlich lehnte er im Jahre 1986 entschieden ab: „Die unverfälschte Geschichte wird weiterhin darauf verzichten müssen, die beiden furchtbaren Vergangenheiten des ausgehenden Jahrhunderts zu verquicken.“ (S. 644)

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