Die Beziehungen zwischen Jugoslawien und der Volksrepublik China sowie deren ideologische, politische und wirtschaftliche Ambitionen im „Globalen Süden“ während des Kalten Krieges stehen im Zentrum des ambitionierten Sammelbandes, der aus einer Kooperation zwischen Wissenschafter:innen aus Slowenien, Kroatien, Serbien und China entstand.
In der ersten von zwei Sektionen fokussieren sechs Beiträge auf die Geschichte der bilateralen Beziehungen zwischen Jugoslawien und der VR China vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1990. Die zweite Sektion behandelt hingegen in sechs Beiträgen die Politik der beiden Staaten im Rahmen der Beziehungen zum Globalen Süden mit besonderen Akzenten auf der Dekolonisierung, den Blockfreien Staaten und der Konkurrenz zwischen Belgrad und Peking in internationalen Fragen.
Der erste Beitrag des Bandes, vom Doyen der oberadriatischen Zeitgeschichtsschreibung Jože Pirjevec verfasst, stellt die Geschichte der Beziehungen zwischen den jugoslawischen und chinesischen Kommunisten in einer Langzeitperspektive (1930er- bis 1980er-Jahre) dar, fasst den Stand der Forschung zusammen und gibt Auskunft über die komplexen und dennoch intensiven Beziehungen der beiden Bewegungen zueinander.
Zwei Beiträge (Liang Zhanjun und Li Yunxiao) widmen sich der Bedeutung des Bruches zwischen Stalin und Tito von 1948 für die chinesische KP und (Staats-)Führung und der Behandlung des Themas durch die chinesische Forschung. Es zeigt sich, dass das kommunistische China zu einer Zeit, als der Bürgerkrieg zwischen den Kräften von Mao Zedong und dem nationalistischen Lager von Chiang Kaisheck noch tobte, keine Möglichkeit sah, sich außenpolitisch von den Vorgaben Moskaus zu lösen und somit jugoslawische Avancen für die Etablierung von Beziehungen durchwegs abgelehnt wurden. Tito blieb lange Zeit der Paria des internationalistischen kommunistischen Lagers, wobei die Angriffe auf das jugoslawische Modell zu dieser Zeit auch der Festigung der chinesischen Beziehungen zum kommunistischen Lager dienten. Die chinesische Perspektive zeigt wiederum den größeren Kontext der Intrablock-Beziehungen auf und lässt ebenso Raum für Interpretationen die US- und Sowjet-Politik betreffend, was die Analyse überzeugend ergänzt.
Die chinesische beziehungsweise jugoslawische Sicht auf den jeweils anderen Staat während der 1970er-Jahre wird ebenso in zwei Beiträgen beleuchtet (Zhou Yuguang, Sanja Radović). Die chinesische Staatspresse und Primärquellen jugoslawischer Herkunft dienen der Untersuchung der jeweiligen Themenfelder und bieten die Möglichkeit, verschiedene Schwenke der Politik Pekings und Belgrads nachzuvollziehen und auch die Interessen im politischen Konflikt zwischen Moskau und Peking in einem neuen Licht darzustellen. Die immer besseren Beziehungen zwischen Belgrad und Peking, an deren Anfang der Austausch von Botschaftern 1970 steht und im Besuch Titos in China 1977 kulminierten, sind im Schatten der Konkurrenz Moskau-Peking zu betrachten und an die Annäherung zwischen Peking und Washington zu knüpfen. Dabei wird klar, dass die Annäherung zwischen China und Jugoslawien auf teilweise überlappende internationale Interessen und neue Visionen einer Welt zurückzuführen sind, die nicht ausschließlich dem globalen Ringen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion untergeordnet sein sollte. Untermauert wird diese Erkenntnis durch die Verlagerung des chinesischen Interesses während der 1970er-Jahre vom gemeinsamen Kampf gegen Moskau hin zu Fragen die wirtschaftliche Entwicklung und den Sozialismus betreffend. Die Bedeutung Jugoslawiens in der Blockfreien Bewegung war wiederum eine wichtige Stütze der Annäherung. Diese Erkenntnisse werden in einem weiteren Beitrag (Ivica Bakota) ausgeführt, der sich dezidiert mit wirtschaftlichen Beziehungen und dem Interesse Chinas am jugoslawischen Modell auseinandersetzt. Als spannend und besonders erkenntnisreich erweist sich die Studie des jugoslawischen Systems von chinesischer Seite in den 1970ern und das Scheitern einer stärkeren Annäherung aufgrund der jugoslawischen Wirtschaftsprobleme und der sich abzeichnenden Krise des jugoslawischen Modells in den 1980er-Jahren. Peking beobachtete zwar über Jahre das Treiben der südslawischen Wirtschaft und die Versuche, ein neues Erfolgsmodell in einer geteilten Welt zu finden. Letztendlich diente aber der jugoslawische Weg eher als Mahnung und als Lehrbeispiel für das Scheitern eines neuen Weges.
Im zweiten Teil des Bandes wird die Bedeutung der Beziehungen der beiden Staaten im und für den Globalen Süden analysiert und die gegenseitigen Interessen werden fokussiert dargestellt. Dabei wird die Konkurrenz im Verständnis der „Koexistenz“ und der Rolle im Globalen Süden zwischen China und Jugoslawien in den 1950er- und 1960er-Jahren (Zvonimir Stopić) zum erhellenden Hintergrund einer komplexen Beziehungsgeschichte, die zunächst auf dem ideologischen Feld ausgetragen wurde, bevor die Zeichen der Zeit und die veränderte internationale Umgebung einen neuen Anlauf für bessere Beziehungen ermöglichten. Die Konkurrenz und die Relevanz der Politik Chinas und Jugoslawiens im Globalen Süden wird anhand des Beispiels Algeriens eindrücklich dargestellt (Jovan Čavoški) und zeigt, wie groß der Einfluss Pekings und Belgrads auf den algerischen Freiheitskampf und das unabhängige Algerien in den 1950er- und 1960er-Jahren war. Dabei mischen sich in diesen Kontext Vorstellungen über die Blockfreie Bewegung und die Entwicklung des Globalen Südens im Ringen um Dekolonisierung, die sich wiederum im Schatten des Weltgeschehens abspielten und die Verflechtung unterschiedlicher Positionen widerspiegeln. Dass der algerische Machthaber Ahmed Ben Bella für die Beziehungen Algeriens zur kommunistischen Welt das jugoslawische Beispiel studiert hatte, unterstreicht die Bedeutung Belgrads im globalen Süden. Zudem erscheint besonders bedeutend, dass neben der oftmals zitierten Konkurrenz zwischen Moskau und Peking auch eine Konkurrenz zwischen Jugoslawien und China entstand, die von der Historiographie weitestgehend unbeachtet bleibt. Dabei können Beispiele wie jenes von Algerien aufzeigen, wie bedeutend politische Kontakte und Inspirationen für den Globalen Süden waren, die sich außerhalb der Matrix der Großmächte abspielten.
Ebenfalls innovativ erscheint die Darstellung der jugoslawischen Beziehungen zu Israel und dem Konflikt im Nahen Osten (Mateja Režek). Auf Grundlage kaum beachteter Quellen des jugoslawischen Sicherheitsapparates findet sich die Erklärung für die starke Position Belgrads gegen das israelische Vorgehen gegenüber der palästinensischen Bewegung und die dennoch bestehenden Kontakte, die den Bruch zwischen Belgrad und Tel Aviv nach dem Sechs-Tage-Krieg zu überstehen vermochten. Durch die Einbeziehung der chinesischen Position, die die längste Zeit über von Desinteresse geprägt war, eröffnet sich wiederum eine wichtige Vergleichsebene für die Untersuchung der Thematik. Dass Belgrad über geheime Kanäle ununterbrochene Kontakte nach Israel pflegte und diese dazu nützte, um Informationen zu fast allen Facetten des Konfliktes im Nahen Osten zu erhalten, beweist, welche Bedeutung diesen Kontakten beigemessen wurde, wie weit sie reichten und wie Netzwerke außerhalb des diplomatischen Alltags gestaltet wurden. Dies erweitert wiederum deutlich unser Wissen um die verschiedenen Ebenen der Kommunikation jugoslawischer Behörden.
Schließlich wird der Band durch einen starken Fokus auf die wirtschaftlichen Interessen Chinas und Jugoslawiens im Globalen Süden in den 1970er- und 1980er-Jahren abgeschlossen (Jure Ramšak). Dabei wird deutlich, dass die großen Ambitionen Belgrads durch das Scheitern der eigenen wirtschaftlichen Zielsetzungen im nationalen und internationalen Kontext nur beschränkt Impulse für neue Ausverhandlungen auf globaler Ebene bieten konnten, während der aufgehende Stern Chinas im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb als Alternative zum statischen globalen Wirtschaftssystem der vorangegangenen Jahrzehnte mehr Anklang zu finden vermochte. Die jugoslawischen Positionen werden hierbei den chinesischen Ambitionen entgegengesetzt. Belgrad sah sich als wichtiger Sponsor der „Süd-Süd“-Beziehungen, konnte sich aber letztendlich weder wirtschaftlich, technisch noch diplomatisch durchsetzen. Wie der Autor gewinnbringend herausarbeitet, kann Chinas Herangehensweise als subtiler, genauer und besser an die lokalen Verhältnisse verschiedener Länder des Globalen Südens angepasst gesehen werden.
Somit kann dem besprochenen Sammelband attestiert werden, dass er eine wichtige Lücke in der Forschung füllt. Es fällt allerdings rasch auf, dass die Beiträge des Bandes in ihrer thematischen Ausrichtung und in der Breite der verwendeten Quellen deutliche Unterschiede aufweisen. Während die insbesondere auf Jugoslawien spezialisierten Autor:innen auf Medienberichte, Primärquellen aus Belgrad, Ljubljana und internationalen Archiven zurückgreifen, beschränken sich die Beiträge der Autor:innen mit chinesischem Schwerpunkt hauptsächlich auf die Auswertung gedruckter Quellen und Zeitungsartikel. Nichtsdestotrotz gibt die Gegenüberstellung von jugoslawischen und chinesischen Betrachtungen der Leser:innenschaft neue Einblicke in eine Beziehungsgeschichte, die sich zwar im Rahmen der globalen Konfrontation zwischen Ost und West abspielte, aber ganz spezielle Nuancen aufweist. Dies ist somit eine der wichtigsten Errungenschaften des vorliegenden Bandes und eröffnet die Möglichkeit, unterschiedliche Herangehensweisen zweier Staaten mit ganz verschiedenen Ausgangslagen und politischen sowie ökonomischen Zielsetzungen im Globalen Süden zu hinterfragen.