Fünf Beiträger, kritische Militärhistoriker und Aktivisten, die für eine tragfähige, moralisch verantwortungsvolle, demokratische Erinnerungspolitik eintreten. Ihr Motiv und die Notwendigkeit ihres Engagements sind einem Foto auf Seite 275 zu entnehmen: In der Aula der Marineschule Mürwik, Ausbildungsort für Offiziersanwärter, befinden sich auf zwei Ehrensockeln links und rechts einer Pforte – geradezu auf Augenhöhe – zwei Büsten von Persönlichkeiten, wie sie in ihrer politischen Haltung unterschiedlicher kaum sein können; Täter und Opfer in völkisch-reaktionärer Einfalt oder geschichtspolitischem Zynismus vereint. Der eine, Admiral Rolf Johannesson, als willfähriges Instrument einer unbarmherzigen NS-Marinejustiz bis in die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges tätig und für Todesurteile gegen Soldaten und Zivilisten verantwortlich; der andere, Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder, als Beteiligter am Attentat vom 20. Juli 1944 in Plötzensee gehängt.
Unter diesen widersprüchlichen Vorzeichen sollen Soldaten der Bundeswehr mit Traditionen vertraut gemacht werden, die einem demokratischen Staat entsprechen, so wie es der Traditionserlass vom März 2018 vorschreibt: „Der verbrecherische NS-Staat kann Tradition nicht begründen. Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig. […] Die Bundeswehr ist freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet. Für sie kann nur ein soldatisches Selbstverständnis mit Wertebindung, das sich nicht allein auf professionelles Können im Gefecht reduziert, sinn- und traditionsstiftend sein.“1
Der Streit um die widersprüchliche Drapierung eines Ortes für die Ausbildung zukünftigen militärischen Führungspersonals dürfte symptomatisch für den Streit über Grundsätze der Erinnerungspolitik der Bundeswehr sein – ein nicht zum Ende gekommenes Ärgernis, ja ein Skandalon. Die Klärung der Grundsätze einer Erinnerungspolitik in einem demokratisch strukturierten Staat, den politisch und militärisch Verantwortliche nicht auflösen wollen, ist aber zwingend geboten.
Die Autoren des hier vorzustellenden Sammelbandes setzen sich mit wissenschaftlicher Expertise und zivilgesellschaftlichem Engagement für die Namensgebung von Kasernen nach Persönlichkeiten ein, die wirklich traditionswürdig sind. Außerdem kritisieren sie Namensgebungen nach Personen, die nachweislich den Nationalsozialismus massiv unterstützt, hiervon beruflich profitiert, den Vernichtungskrieg gefördert und ihre Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach 1945 geleugnet, verschleiert oder beschönigt haben. In dem Band wird maßgeblich an drei Beispielen nachgewiesen, dass sich die Bundesrepublik vielfach auf Täter berief, Kasernen nach Nazigrößen benannte und maßgebliche Bundeswehrgeneräle ungebrochen auf in der Tradition des preußisch-deutschen Militarismus stehende kriegerische „Helden“ der Nazi-Zeit setzen. Sie kämpfen mit wissenschaftlichen und öffentlichkeitswirksamen Mitteln gegen Beharrungskräfte in Politik und Militär an, die – vom Schwertglauben geprägt – die Legende von der prinzipiell sauberen Wehrmacht perpetuieren und einem Soldatentyp das Wort reden, der sich als willfähriger Kämpfer instrumentalisieren lässt. Sie bieten zugleich seriöse Argumentationshilfe für jene in der Bundeswehr an, die sich eine an den Grundsätzen eines demokratischen Staates orientierte Armee wünschen.
Insbesondere der Münchner Militärhistoriker Detlef Bald weist in zwei profunden Aufsätzen detailliert und überzeugend nach, dass Rolf Johannesson, ein Bewunderer Ludendorffs, im Zweiten Weltkrieg aktiv und effektiv die nationalsozialistische Vernichtungspolitik unterstützt hat, beim Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen beim Bau des U-Boot-Bunkers „Valentin“ in Bremen-Farge sowie als willfähriges Werkzeug des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges dienstbar war, als Gerichtsherr gegenüber Menschen des Widerstands, als militärischer Sachverständiger beim Volksgerichtshof sowie bei Militärgerichten unbarmherzig urteilte und handelte. Nach 1945 verdrängte Johannesson seine Mitverantwortung im Dienst der Marine für das Elend der Zwangsarbeiter und der ihm untergebenen Marinesoldaten. In seinen Memoiren beschönigte und vernebelte er seine Taten. Selbst in der Rückschau missbilligte Johannesson den Widerstand gegen Hitler als unverzeihlichen Treuebruch. Er bezweifelte die Rechtlichkeit der Verurteilung von Kriegsverbrechern aus den Reihen der Wehrmacht und propagierte ein historisch überholtes Soldatenbild, das er aus der griechischen Antike (Sparta) und dem Preußentum herleitete. Gestützt von „alten Kameraden“ und seiner Taktik, sich als „Nur-Militär“ zu inszenieren, wurde Johannesson zwischen 1957 und 1961 Befehlshaber der Bundesmarine, stilisierte sich selbst zum Gegner des Nationalsozialismus sowie als „Mustergeneral“.
Der Herausgeber des Bandes, Jakob Knab, ist die entscheidende Antriebskraft, um öffentlichkeitswirksam jene in Politik, Bürokratie und Militär unter Rechtfertigungszwang zu setzen, die sich gegen eine demokratische Erinnerungspolitik sperren und an der vermeintlich fortbestehenden Traditionswürdigkeit von Nazi-Größen festhalten wollen. Die Widerstände gegen eine Erinnerungspolitik im demokratischen Geist machen deutlich, dass es ohne zivilgesellschaftliches Engagement mit Durchhaltevermögen unmöglich bleibt, der unsäglichen Bewahrung von antidemokratischen, der Menschenwürde widersprechenden Vorbildern für die Bundeswehr Einhalt zu gebieten.
Im Fall Johannesson zeigt sich freilich, dass historische Aufklärung bestenfalls langfristig Erfolg zeigt, dass der Widerstand von Seiten der Militärbürokratie und Teilen der Generalität beachtlich ist. Traditionalisten und Reformer stehen sich vielfach unversöhnlich gegenüber. Durch wissenschaftlich fundierte Expertisen liefern die Autoren des Bandes jenen in der Bundeswehr Argumentationshilfen, die von einer demokratischen Erinnerungskultur überzeugt sind.
Weitere Beispiele stellen die Fälle Hindenburg und Rommel dar. Nach Hindenburg sind bis in unsere Tage Kasernen und Straßen benannt2, obgleich er als General im Ersten Weltkrieg für eine Strategie der verbrannten Erde in Nordfrankreich verantwortlich zeichnete, als Vater der Dolchstoßlegende zur Destabilisierung der Weimarer Republik beigetragen und als Reichspräsident Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat. Das ficht Traditionalisten mit rückwärtsgewandtem Heldenkult im Militär nicht an: sie wollen sich partout von ihrem Idol nicht distanzieren (Beitrag von Helmut Donat).
Nicht viel anders ist das bei Hitlers Lieblingsgeneral, dem sogenannten „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel – verantwortlich für extrem verlustreiche Schlachten, völkerrechtswidrige Befehle und einen verlustreichen Minenkrieg. Der renommierte Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette gelangt über ihn zu einem eindeutigen Urteil: „Mit den Werten unseres Grundgesetzes, insbesondere mit dem zentralen Friedensgebot, hat die Welt der ‚Kasernenhöfe und Schlachtfelder‘ nichts gemein. […] Die Werteorientierung unseres Grundgesetzes ist eine andere. Rommel liegt außerhalb unserer Zeit, ja gegenläufig zu ihr. Wir schulden ihm nichts, nicht innerhalb des militärischen Milieus und schon gar nicht außerhalb, im Bereich der Erinnerungskultur unserer Zivilgesellschaft.“ (S. 203) Dieses Urteil gilt erst recht in der sogenannten „Zeitenwende“: Unser Grundgesetz verpflichtet uns, „dem Frieden der Welt zu dienen“, geht also von einer Pflicht zur aktiven Friedenspolitik aus. Der Ernstfall ist nicht der Krieg, sondern der Frieden.3
Jakob Knab und seine Mitstreiter mahnen an, dem aktuellen Traditionserlass der Bundeswehr endlich zu genügen. Nur einem meinungsstarken Protestpotential aus der Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass es trotz aller Widerstände zu zahlreichen Umbenennungen von Kasernen gekommen ist. Diese Initiativen haben Vorschläge zur Reform eines völkisch-nationalistischen Traditionsverständnisses gemacht und die hartnäckige Militärbürokratie unter Entscheidungsdruck gesetzt. Es ist zu hoffen, dass die Argumente einer dem Friedenserhalt verpflichteten Wissenschaft gegen die Traditionswürdigkeit eines Rolf Johannesson und anderen, wie in diesem Buch und andernorts unterbreitet, endlich zu einem positiven, nachhaltigen Ergebnis führen.
Anmerkungen:
1 Bundeswehr, Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege, in: Bundesministerium der Verteidigung, 28.03.2018, https://www.bmvg.de/resource/blob/23234/6a93123be919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der-bundeswehr-data.pdf (05.12.2023).
2 Zu aktuellen Debatten über Hindenburg siehe zum Beispiel Helmut Donat, Wider den fragwürdigen Umgang mit der Vergangenheit. Theodor Lessing und die Umbenennung der Hindenburgstraße in Hannover, Bremen 2022; Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt – Stadtarchiv (Hrsg.), Streitsache Straßennamen. Eine Dokumentation des Umbenennungsprozesses in Darmstadt 2013–2022, Darmstadt 2023.
3 Siehe hierzu auch Wolfram Wette, Ernstfall Frieden. Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914, Bremen 2017.