G. Vinken: Altstadt im modernen Städtebau

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Titel
Zone Heimat. Altstadt im modernen Städtebau


Autor(en)
Vinken, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S., 3 Farb- und 168 SW-Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Klei, Berlin

„Altstadt ist ein schillernder Begriff“ (S. 7), konstatiert der Kunsthistoriker und Stadtforscher Gerhard Vinken am Beginn seiner Studie, die 2008 als Habilitationsschrift von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde. „Altstadt“ zielt als Bedeutungszuschreibung sowohl in Diskussionen über den Umgang mit Stadt als auch am konkreten Ort und materiellen Objekt auf Echtheit, Authentizität, Herkunft oder Ursprünglichkeit; der Prozess der Herstellung von „Altstadt“ bleibt dabei meist außen vor. Der Autor versteht sie dagegen nicht als „etwas ‚Erhaltenes’ oder ‚Geschütztes’, sondern als etwas Gemachtes“ (S. 8). Er untersucht sie als „Sonderzone“ und als ein Produkt der modernen Stadt. Die von der „Altstadt“ in Szene gesetzten „Kontinuitätsbrüche [...] zeichnen sich aus dieser Perspektive durch eine doppelte Signifikanz aus: Sie formulieren nicht nur eine Absage an die Vergangenheit, sondern auch das Interesse an ihrer ‚Wiederherstellung’“ (S. 13). Damit ergänzt Vinken die bisherige, umfangreiche Forschungsliteratur besonders im Bereich der Denkmalpflege, die sich mehrheitlich auf Debatten und Umsetzungen im Kontext der Fragen nach einem Abriss oder dem Erhalt von Gebäuden konzentriert. Mit seiner Studie gelingt es ihm, sowohl den Blick auf die Funktionalität der modernen Stadt zu erweitern als auch die Konstruktion von „Altstadt“ im Prozess ihrer erneuten Herstellung zu beleuchten. So leistet er zudem einen Beitrag zu den Debatten um städtische Identitäten.1 Im Mittelpunkt des Buchs stehen zwei Beispielstädte: Basel und Köln, die nach Ansicht des Autors jeweils mit dem späten Zeitpunkt einer Entfestigung, der Anlage einer Ringstraße, den Stadterweiterungen, Sanierungen der City und der Herausbildung von „Traditionsinseln“ genügend Gemeinsamkeiten bieten, damit sich grundlegende Muster herausarbeiten lassen. Dabei werden die Beispiele in unterschiedlicher Art und Weise genutzt.

Die umfangreichen und detaillierten empirischen Darstellungen zu Basel dienen Vinken für den Nachweis, dass Modernisierung und Konstruktion von „Altstadt“ als zwei Bestandteile einer Entwicklung aufeinander bezogen sind. Zugleich arbeitet er hier die wesentlichen Instrumente und Elemente der Bildung von „Traditionsinseln“ heraus: Grenzen und Schwellen, Zonierungen, Sanierungen als Homogenisierungen. Dies zeichnet er zum einen anhand der Stadterweiterungen im Zuge der Entfestigung seit Mitte des 19. Jahrhunderts und der Anlage eines Promenadenrings entlang der vormaligen Stadtbefestigung nach. Zum anderen stellt er die Sanierungen vor, die ab den 1930er-Jahren im Kontext von Modernisierung, Denkmalschutz und Heimatschutzbewegung geleistet sowie durch den so genannten „Arbeitsrappen“ ermöglicht wurden (eine Art Konjunkturprogramm zur Finanzierung der umfangreichen Arbeiten).

Diese Basler Befunde stellt Vinken in ihrer Bedeutung für die moderne Stadt mit ihren Funktionsräumen dar. Den konkreten Untersuchungsort verlassend, geht der Autor auch auf Le Corbusiers „Plan Voisin“ für Paris ein und weist nach, wie im Zuge ausdifferenzierter, in Zonen gegliederter Räume „Altstadt [...] der Stadt eingeräumt“ wird. Durch die übermäßige Bedeutungszuweisung entstehe gleichzeitig ein „Raum anderer Ordnung“, der sich „den homogenisierenden Zugriffen der Modernisierung entzieht“ (S. 119). In einem derartigen „Ausnahmeraum“ finden laut Vinken Ausschluss und Einschluss gleichermaßen statt: Der zonierte „Funktionsraum“ Altstadt beinhalte Begriffe von Tradition, Erbe und Heimat. Mit ihm bilde sich ein paradoxer Kern heraus, der die Behauptungen von Neutralität, Rationalität und Objektivität moderner Städte aufbreche.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen und Thesen widmet sich Vinken seinem zweiten Beispiel, der Stadt Köln. Nach kurzen Ausführungen zum Zeitraum zwischen der Stadtentfestigung 1881/86 und den 1920er-Jahren, für den der Autor strukturelle Ähnlichkeiten zu Basel konstatiert, wendet er sich den Stadtutopien des Nationalsozialismus zu. Dabei stellt er zunächst fest, dass der „Altstadt“ eine exakt eingegrenzte, „homogenisierte, ästhetisch und rassistisch bereinigte Sonderzone“ zur Verfügung gestellt wurde (S. 155). Sie sollte ein Zeugnis der völkischen Kontinuität der geplanten Gaustadt sein, ohne auf diese überzugreifen.

Zentral sind für das Beispiel Köln die Debatten um den Wiederaufbau der von Bombenangriffen stark zerstörten Stadt nach 1945. Hier konzentriert sich der Autor über weite Strecken auf die Planungen einzelner Akteure und orientiert sich weniger an den konkreten Umsetzungen. So ist bei der Lektüre zum Teil schwer nachvollziehbar, welche Ansätze zu welcher Realisierung führten. Insgesamt gelingt es Vinken aber, mehrere Aspekte zusammenzubringen, die in den Debatten und Entscheidungen jener Zeit relevant waren: Erstens weist er auch für Köln die personellen Kontinuitäten verantwortlicher Akteure in maßgeblichen Positionen städtischer Planungen über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus nach. Zweitens zeigt er auf, dass mit der Wiedererrichtung des Martinsviertels als „Altstadt“ eine „Traditionsinsel“ erneut herausgebildet wurde, die bereits im Zuge der nationalsozialistischen Planungen und Umbauten der Stadt konstruiert worden war. Und drittens kann Vinken eindrücklich darstellen, welche Chancen Architekten und Planer im Kontext der großflächigen Zerstörungen für die Schaffung neuer Städte unter den Gesichtspunkten moderner funktionaler Planungen sahen und welche Kontinuitäten sich dabei für die jeweiligen Protagonisten hinter dem häufig propagierten Slogan „Köln muss Köln bleiben“ verbargen.

Ein besonderes Augenmerk legt der Autor vertiefend auf die Vorstellungen und Ausführungen von Rudolf Schwarz, der ab Januar 1947 als Generalplaner maßgeblich die Richtlinien für den Wiederaufbau erarbeitete und Vertreter eines „organischen“ Städtebaus war. Anhand dieses Konzeptes diskutiert Vinken abschließend die Frage nach den Möglichkeiten einer Verbindung zwischen alter und neuer Stadt jenseits von Bildmontagen und abgeschotteten Sonderzonen.

Die Befunde zu beiden Orten werden sowohl an konkreten Umsetzungen untersucht als auch auf einzelne Debatten, historische Epochen sowie auf moderne Stadtutopien bezogen. Gerhard Vinken gelingt damit ein vielschichtiger Blick auf die von ihm herausgearbeiteten Zusammenhänge, was die Veröffentlichung für Leser unterschiedlicher Disziplinen interessant macht. Auch wenn einige Ausführungen stadttheoretischer Vorkenntnisse bedürfen, hat die Studie nicht zuletzt einen Wert für unsere heutige Alltagswahrnehmung: Sie hilft dabei, sowohl aktuelle Debatten um die (historische) Identität unserer Städte in einem erweiterten Kontext zu sehen als auch die einzelne Stadt jeweils als Produkt konstruierter Beziehungen zwischen „modern“ und „alt“ wahrzunehmen.

Anmerkung:
1 Diesen Debatten wurde in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Einen Überblick auf der Grundlage unterschiedlicher wissenschaftlicher Zugänge – neben der Denkmalpflege und der Architektur auch seitens der Kunstgeschichte und der Soziologie – bietet der Sammelband: Paul Siegel / Bruno Klein (Hrsg.), Konstruktionen urbaner Identität. Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006. Zur Herstellung und Bedeutung von Stadtbildern vgl. auch Sigrid Brandt / Hans-Rudolf Meier (Hrsg.), Stadtbild und Denkmalpflege: Konstruktion und Rezeption von Bildern der Stadt, Berlin 2008.

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