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Titel
De rebus bellicis. Waffen und Finanzen in der Spätantike


Herausgeber
Gräf, Stefanie; Meißner, Burkhard
Erschienen
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 130,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Schleicher, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die kleine spätantike lateinische Schrift De rebus bellicis eines unbekannten Verfassers hat wohl nicht zuletzt wegen ihrer eindrucksvollen Illustrationen seit dem 16. Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der Gelehrten gefunden. Sie enthält eine Reihe von mehr oder weniger praktikablen Reformvorschlägen zur Behebung der Missstände in Verwaltung, Münzwesen, Justiz und Militär im spätantiken Römischen Reich sowie Beschreibungen von mehr oder weniger brauchbaren Militärmaschinen. Aufgrund des uneinheitlichen Charakters des Werkes wurde es in der Forschung sehr kontrovers diskutiert. Zuletzt hat sich Stefanie Gräf in ihrer 2018 erschienenen Dissertation intensiv mit dem Text auseinandergesetzt.1 Zusammen mit dem Spezialisten für antike Militärtechnik Burkhard Meißner hat Gräf nun die in München aufbewahrte Handschrift des Textes als Faksimile mit lateinischem Text und deutscher Übersetzung herausgegeben, um ihn einem breiteren Publikum in anschaulicher Form zugänglich zu machen.

Das vorliegende Werk wird vom Zabern-Verlag in hochwertiger Form präsentiert. Papier, Einband und Druck sind von gewohnter Qualität, ebenso die zahlreichen groß- und kleinformatigen Abbildungen. Dem Werk des Anonymus ist eine Einleitung von Meißner vorangestellt. Meißner skizziert anschaulich und leicht verständlich die Überlieferungs- und Forschungsgeschichte der Handschrift und betont besonders – wie später auch Gräf –, dass das Werk in den Handschriften zusammen mit der Notitia Dignitatum überliefert ist; dies ist dann auch für Gräfs Argumentation zur Intention der Schrift relevant. Dass sich in den Codices aber auch eine ganze Reihe anderer Texte mit im weitesten Sinne geographischem Inhalt befindet (so etwa die Descriptio urbis Romae oder die Kosmographia des Aethicus), Notitia Dignitatum und De rebus bellicis also nicht unbedingt eine direkte Zweckgemeinschaft bilden müssen, wird nicht erwähnt. Besonderer Wert wird auf die Einordnung der Forschungsmeinungen in den Kontext ihrer Zeit gelegt. Meißner geht auch kurz auf Titel, Aufbau und Inhalt der Handschrift ein, wobei er die Thesen Gräfs anreißt, ohne ihnen allzu sehr vorzugreifen.

Der zweite Teil des vorliegenden Buches besteht aus der Präsentation der Schrift selbst: Grundlage der Faksimile-Abbildungen ist der Codex aus München (Codex Monacensis latinus 102921) aus dem Jahr 1542. Über dessen Geschichte hätte sich der Rezensent mehr Informationen gewünscht.2 Die Abbildungen der Seiten des Münchner Kodex sind dem parallel gestellten lateinischen Text und der deutschen Übersetzung jeweils vorangestellt. Der lateinische Text der Ausgabe und der kritische Apparat sind der aktuellen Edition von Philippe Fleury entnommen. Die Übersetzung folgt dem Fleury-Text. Wo es Abweichungen zum Text der Münchner Handschrift gibt, wird speziell darauf hingewiesen. Der deutsche Text ist durchweg gut lesbar und präsentiert sich in moderner Sprache. Sofern den einzelnen Kapiteln in der Handschrift Abbildungen vorangestellt sind, finden sich diese (in Graustufen) auch vor den entsprechenden Kapiteln von Text und Übersetzung in der Edition.

Ein zweiter Satz von Abbildungen, der dem Münchner Kodex beigegeben ist, wird nach dem Text präsentiert. Diesem dritten Teil des Buches widmet Gräf eine gelungene Einführung, die auch auf Aspekte der antiken Buchmalerei eingeht. Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen zum Umgang der antiken und mittelalterlichen Zeichner mit ihren Vorlagen. Gängige Forschungsmeinung ist, dass sich die erhaltenen Illustrationen eng an die karolingischen Vorlagen und diese sich wiederum eng an die spätantiken Handschriften halten. Gräf vermutet indes, dass die Zeichnungen häufig zeitgenössisch überarbeitet, verändert oder auch ergänzt worden seien (sie nennt dies „darstellerische Migration“, S. 74).

Im vierten Abschnitt diskutiert Gräf die Struktur der Schrift. Hier geht es um Fragen der Textgattung, der Datierung, des Konzepts und der Textstruktur. Dabei wird das Werk als Kompilation vorhandener Texte beschrieben, die durch neue Passagen aus der Feder des Autors ergänzt wurden (S. 92). Das Zielpublikum habe nicht aus Spezialisten, sondern aus Menschen mit einer gewissen Bildung bestanden (S. 93). Als Verfasser oder Adressaten der Schrift will Gräf, auch wegen der Sorge um die Steuerzahler, am ehesten einen defensor civitatis sehen (S. 103). Es handele sich um einen Sammeltext mit Mustercharakter, der als Textvorlage für Eingaben an den Kaiser (libelli) gedient habe (S. 103). Hierzu werden auch die Münzbilder besprochen. Den Rezensenten hätte dabei interessiert, was es mit den im Text genannten Leder- und Keramikmünzen auf sich hat. Dass die Verwendung solcher Zahlungsmittel auch in anderen Quellen erwähnt wird, erfahren wir nicht.3

Anzumerken ist zudem, dass die ausführliche Kritik, die von Brendel und Eich 4 an den in Gräfs Dissertation formulierten Thesen zum Autor und zur Intention des Textes geübt wurde, in diesem Beitrag nicht berücksichtigt wird. Zwar gibt es in der Forschung zur Natur der Schrift bislang keine communis opinio, gerade im Hinblick auf die zu erwartende Leserschaft des Buches wäre es aber wichtig gewesen, die gängigen Forschungsmeinungen stärker zu berücksichtigen. Da Text und Apparat genutzt wurden, hätte zumindest auf die ausführliche Einleitung in der Edition Fleurys verwiesen werden können. Dass es sich bei dem Werk um einen libellus, also eine Eingabe an einen Kaiser handelt, scheint dem Rezensenten eine der wenigen weitgehend akzeptierten Thesen zum Zweck der Schrift zu sein.

Das letzte Kapitel, verfasst von Meißner, beschäftigt sich explizit mit den im libellus beschriebenen Kriegsmaschinen. Es wird festgestellt, dass der Autor zwar technische Details erläuterte, aber kein Erfinder war. Die Besonderheit der Darstellung liegt vielmehr darin, dass der Einsatz der Maschinen im Heeresverband beschrieben wird (S. 104). Es folgt die Vorstellung einiger vom Verfasser rekonstruierter funktionsfähiger Ballisten und eine gut verständliche Erläuterung ihrer Funktionsweise sowie die Einordnung der Beschreibungen in den jeweiligen historischen Kontext anhand von Vergleichsbeispielen. Meißner kommt zu dem Schluss, dass die beschriebenen Geräte keineswegs neu und zum Teil zur Zeit der Abfassung der Schrift bereits veraltet waren. Zudem habe die Darstellung kaum praktischen Nutzen für einen möglichen Nachbau. Zwei Dinge zeichnen den spätantiken Autor jedoch besonders aus: Er ist sehr an der Einsparung von Ressourcen und Manpower sowie an militärischen Wirkungszusammenhängen interessiert.

Ein Anhang mit Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln, einem knappen Literatur- und Quellenverzeichnis sowie Bildnachweisen beschließt den Band. Der Nutzen des Quellenverzeichnisses für den Leser erschließt sich dem Rezensenten nicht: Weder werden die verwendeten Ausgaben und Übersetzungen angegeben, noch handelt es sich um ein Verzeichnis der Stellen, an denen die Quellen verwendet wurden. Es ist auch fraglich, ob der unvorbereitete Leser die verwendeten Abkürzungen der Quellen kennt. Hier wäre etwas mehr Aufwand sinnvoll gewesen. Im Literaturverzeichnis fehlen verwendete Werke und Autoren wie die Dissertation von Gräf und eine Arbeit von Gérard Genette. Einige kleinere Druckfehler stören dagegen kaum (so erscheint öfter „belliciS“).

Alles in allem handelt es sich um ein sehr schönes Buch, das dem an spätantiker Militär interessierten Leserinnen und Lesern zu empfehlen ist. Insbesondere die Erläuterungen zu den Maschinen und die Abbildungen tragen zum Verständnis der Schrift, aber auch der antiken Kriegstechnik bei. Die Aussagen über den Autor und den Zweck der Schrift überzeugen den Rezensenten hingegen nicht, im universitären Kontext kann die Kommentierung des Textes daher nur mit Einschränkungen verwendet werden.

Anmerkungen:
1 Stefanie Gräf, Der Anonymus de rebus bellicis. Eine morphologische Untersuchung, Hamburg 2018. Auf das Werk wird im vorliegenden Buch nur einmal von Meißner verwiesen (S. 14), obwohl die zentralen Argumentationspunkte des Abschnittes über die Struktur der Schrift dort ausführlich diskutiert werden.
2 Knapp dazu beispielsweise Edward A. Thomson, A Roman Reformer and Inventor. Being a new Text of the Treatise De Rebus Bellicis with Translation and Introduction, Oxford 1952, S. 8–10.
3 Suda A 4126.
4 Raphael Brendel, Rez. zu Gräf, Anonymus de rebus bellicis, in: Theologische Literaturzeitschrift 145 (2020), S. 1184–1186; Armin Eich, Rez. zu Gräf, Anonymus de rebus bellicis, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 22 (2019), S. 1051–1055.

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