Als einen Beitrag zur bislang mangelhaften sozialwissenschaftlichen Theoretisierung des Krieges will der Soziologe Jens Warburg sein Werk über soldatische Subjekte verstanden wissen. Nicht nur dieses Postulat, sondern auch die historische Perspektive seiner Studie lassen sie interessant für die geschichtswissenschaftliche Forschung erscheinen. Ausgangspunkt Warburgs ist die insgesamt vergleichsweise seltene Beschäftigung der Sozialwissenschaften mit Krieg und Militär westlicher Staaten. Resultat dieses Mangels sei unter anderem, dass Soldaten bestenfalls bei non-konformem Handeln als selbständig handelnde Subjekte betrachtet würden, und nicht in ihrer Rolle als militärische Funktionsträger. Neben verbreiteten philosophischen Vorstellungen von angeblich mangelhafter subjektiver Erkenntnisfähigkeit des Beherrschten, führt er diese Forschungstendenz auf eine Überbetonung ‚zweckrationalen‘ Handelns zurück. Da der militärische Zweck im äußersten Fall in der Aufopferung des Soldaten liegen würde, wäre es nicht möglich, ihn bei konformem Handeln als Subjekt zu bezeichnen. Warburg entgegnet dem, dass auch Konformität subjektive Entscheidungen erfordert, nämlich schlicht, entsprechend der Vorgaben zu handeln. Er zieht es daher vor, mit Michel Foucault den Umgang des Subjekts mit seiner eigenen „historischen Gewordenheit“ unter den Bedingungen der Objektivierung durch Herrschaft zu betrachten. Hierdurch kann er das soldatische Subjekt nicht nur als Leidenden und Ertragenden betrachten, sondern auch als aktiv Handelnden.
Vor dem Hintergrund seiner theoretischen Überlegungen stellt Warburg die – allerdings wohl nur unter strikten Strukturalisten umstrittene – These auf, dass es sich auch bei Soldaten um Subjekte handelte. Er will daher genauer untersuchen, wie es im Laufe der Geschichte gelungen ist, eben jene Subjektivität mit der Objektivierung des Soldaten als Kampfinstrument in Übereinstimmung zu bringen. Überzeugend schränkt er seine Studie auf die Kriegführung als Daseinszwecks des Militärs ein. Historisch beginnt Warburg hierbei im Mittelalter und endet schließlich in der Gegenwart. Naturgemäß kann er aufgrund des langen Zeitraumes für den empirischen Teil nicht eigene detaillierte Quellenstudien heranziehen, sondern muss sich auf die vorhandene Literatur abstützen.
Im Zuge seiner historischen Analyse konstatiert er eine zunehmende Wertschätzung für die Subjektivität des Soldaten durch die militärische Führung. Vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hätten dieser Entwicklung jedoch zunächst gegenteilige Bemühungen gegenübergestanden. Demnach wären schon die Ritterheere und noch stärker die frühneuzeitlichen Gewalthaufen von einer Einschränkung des Subjektcharakters ihrer Kämpfer gezeichnet gewesen. Dies sei jedoch nicht als reiner Zwang zu verstehen, sondern wäre auch durch die Einsicht der Beteiligten gestützt worden, die sich hiervon eine größere Überlebenswahrscheinlichkeit im Kampf versprochen hätten. Die Tendenz der Objektivierung des einzelnen Kämpfers hätte sich mit der Disziplinierung des Söldnerwesens, die in der Schaffung stehender Heere mündete, weiter fortgesetzt. Auf die Spitze getrieben wurde diese Entwicklung demnach durch die Herausbildung der Lineartaktik, der das Ideal vom Staats- und daher auch Militärwesen als perfekt abgestimmter Maschine zugrunde lag. Zumindest der Konzeption nach, sollte der Soldat hierin nur noch als Zahnrädchen wirken, das geradezu willenlos die befohlenen Handlungen vollzieht. Warburg bringt diesen historischen Prozess auf die überzeugende Faustformel, dass die Subjektivität des einfachen Soldaten bis zum Ende der Lineartaktik in der Vorstellungswelt der militärischen Führung bestenfalls als Lückenbüßer fungierte. Derart verstanden, sollte der Soldat nur eigenständig handeln, sofern keine Befehle vorhanden waren. Subjektivität als kreative Gefechtsführung wurde hingegen nur den höchsten militärischen Führern im Sinne eines ‚Feldherrengenies‘ zugestanden.
Das militärische Scheitern der Lineartaktik im Zuge der Napoleonischen Kriege erklärt Warburg schließlich mit der negativen Sicht auf soldatische Subjektivität und damit auf die Eigeninitiative der Untergebenen. Erst die Erfolge der die persönliche Motivation ihrer Soldaten nutzenden französischen Revolutionsheere hätten zu einem langsamen Umdenken auch in den anderen Streitkräften geführt. In der höchsten Form führte dies im Laufe des 19. Jahrhunderts demnach in Preußen zur so genannten Auftragstaktik, die dem Soldaten in einem vorgegebenen Rahmen eine größtmögliche Freiheit zur Erfüllung seines Auftrags gewährte. Anfangs bezog sich dies zwar nur auf Truppenführer, erstreckte sich aber bis zum Ersten Weltkrieg schließlich sogar auf die Ebene des einzelnen Soldaten. Warburg verdeutlicht an diesem Prozess das Auseinandertreten der noch zu Zeiten der Lineartaktik funktionellen, auf das Vollziehen bestimmter Handgriffe gerichteten Disziplin, die hiernach jedoch zu einer reinen, bis heute im Militär zu findenden, Haltungsdisziplin wurde. In dem – auf deutscher Seite am weitesten vorangetriebenen – Nutzen der Selbsttätigkeit des Soldaten für die Kriegführung und dessen Ausrichtung als Operator von Maschinenwaffen, gepaart mit einer auf seine Optimierung ausgerichteten Wehrpsychologie, sieht Warburg entscheidende Merkmale des modernen Krieges ab 1914.
Als weitere Elemente im Umgang des Militärs mit der Subjektivität des Soldaten sind laut Warburg nach 1945 vor allem eine an den Bedürfnissen des „Bedarfsträgers“ orientierte Militärsoziologie sowie weitere Dimensionen der Technisierung hinzugekommen. Zu Letzteren zählen die schon seit den 1950ern-Jahren betriebenen Versuche, mit Hilfe technischer Artefakte Soldaten als ‚Cyborgs‘ zu optimieren, was jedoch bisher an den Grenzen des Leibes gescheitert sei. Hinzu träte die Vision einer ‚Network Centric Warfare‘ (NCW), die den Soldaten bis zur untersten Ebene durch informationelle Vernetzung ermöglichen soll, das eigene Handeln gegenseitig im Sinne der übergeordneten Führung zu synchronisieren. Treffend weist Warburg darauf hin, dass diese Vision von NCW noch nirgendwo Realität geworden ist und dies auch eher unwahrscheinlich ist, setze dies doch eine völlig neue Qualität der freiwilligen Selbstgefährdung voraus. Schließlich diskutiert er noch die sehr überzeugend als „paradoxe Verhaltensanforderungen“ (S. 346) charakterisierten Aufträge an Soldaten in den heutigen Interventionen zur Kriegsbeendigung oder „Stabilisierung“ durch westliche Streitkräfte. Paradox sei daran die Erwartung, soldatische Subjekte könnten ohne größere Probleme zwischen der Rolle als Helfer und der des tödliche Gewalt ausübenden Kämpfers wechseln. Hinzu käme wieder eine stärkere Kontrolle des Soldaten in derartigen Missionen durch auf höchster politischer Ebene beschlossene Regeln der Gewaltanwendung.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die meisten geschichtswissenschaftlichen Arbeiten noch immer auf eine theoretische Konzipierung des Militärs als soziales Handlungsfeld verzichten, sozialwissenschaftliche Beiträge hingegen die historische Entstehung ihres Gegenstandes tendenziell vernachlässigen, stellt Warburgs Studie einen großen Schritt in die richtige Richtung dar. Dennoch soll auf einige Defizite hingewiesen werden. Hierzu zählt insbesondere der subjektzentrierte theoretische Ansatz, der nur teilweise sinnvoll erscheint, da Warburg doch in weiten Teilen die Strukturen des Handelns der militärischen und politischen Führungen westlicher Staaten im Umgang mit Soldaten als Subjekten schildert. Zudem erwähnt er zwar an einigen Stellen kurz den nicht weiter theoretisierten soldatischen ‚Habitus‘, kann aufgrund seines Ansatzes aber dessen historische „Gewordenheit“ gerade nicht plausibel machen. Die Subjektivität des Soldaten an sich erscheint insgesamt also als geringer gewichtet. Besonders deutlich wird dies an der Vernachlässigung der mittlerweile in den Fokus vieler neuerer Arbeiten gerückten Frage, weshalb Soldaten töten. Außer der Annahme, dass die „Fähigkeit, Gewalt auszuüben, […] dem Menschen angeboren sein“ mag (S. 84), geht er jedoch nicht auf Gewalttheorien ein. Gerade die jüngere historische Forschung zum Ersten Weltkrieg bietet hierfür einiges Anschauungsmaterial, das Warburg allerdings außer Acht lässt.1 Eine genauere Sichtung der Literatur über diese Zeit hätte ihn auch davor bewahrt, mittlerweile widerlegte Mythen wie den vom ‚Sozialmilitarismus‘ des deutschen Kaiserreichs oder den Nervenärzten als ‚Maschinengewehren hinter der Front‘ zu reproduzieren. Trotz allem ist Warburgs Studie sowohl durch ihre theoretische Fundierung als auch historische Perspektive letztlich als herausragender Beitrag zur Erforschung von Krieg und Militär zu würdigen, die hoffentlich viele Folgearbeiten animieren wird.
Anmerkung:
1 Als unverzichtbar kann die brillante, sozialwissenschaftlich angelegte Studie von Tony Ashworth, Trench Warfare 1914-1918. The Live and Let Live System, London 1980, gelten. Er untersucht hierbei das Spannungsverhältnis zwischen den weit verbreiteten Bestrebungen von Frontsoldaten, an ruhigeren Einsatzorten durch (implizite) Vereinbarungen mit dem Gegner das eigene Überleben zu sichern, und dem Ziel der militärischen Führungen, die Gewaltbereitschaft aufrecht zu erhalten. Als jüngeres Beispiel sei hier nur die Arbeit von Ralph Winkle, Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914 bis 1936, Essen 2007, genannt. Hier wird die Absicht, mit militärischen Auszeichnungen zur Kampfmotivation beizutragen, mit deren tatsächlicher Bedeutung für die Soldaten verglichen.