Wer den Buchtitel liest, wird zunächst vermuten, dass Christian Rollinger eine kulturgeschichtlich ausgerichtete Dissertation vorgelegt hat. Diese Hypothese korrigiert der Autor jedoch bereits im Vorwort, wenn auf den Entstehungskontext der Arbeit im Rahmen des rheinland-pfälzischen Exzellenzclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ der Universitäten Trier und Mainz hingewiesen wird. Entsprechend der Interdisziplinarität dieses Clusters versucht Rollinger nämlich, die traditionellen Grenzen der Geschichtswissenschaft zu überschreiten und das soziologisch-ethnologische Verfahren der sozialen Netzwerkanalyse auf die Gesellschaft der Späten Römischen Republik anzuwenden. Bereits im Vorwort macht er aber darauf aufmerksam, dass ein Großteil der Arbeit „der traditionell althistorischen Methode“ (S. 8) folge und nur der kleinere Teil den Nutzen der neuen theoretischen und methodischen Perspektive aufzeige.
In der Einleitung formuliert Rollinger den Anspruch, deutlich zu machen, wie Kredittransfers in der römischen Oberschicht genau abliefen, welche Bedingungen an sie geknüpft waren und von welchen Partnern sie stammten (S. 12). Zu diesem Zweck schildert er die Ereignisgeschichte der Späten Republik (S. 23–62), stellt Einnahmen und Ausgaben der römischen Oberschicht vor (S. 63–115), führt die Bereicherungsmöglichkeiten in den Provinzen auf (S. 116–127) und geht schließlich vornehmlich auf Ciceros Geldgeschäfte in Theorie und Praxis ein (S. 128–190).
Der Text zeichnet sich durch eine Fülle – auch übersetzter – Quellenzitate aus, allerdings treten dadurch teilweise die Argumentation und Gewichtung der einzelnen Belege in den Hintergrund. Auf Forschungsdiskussionen wird nur selten eingegangen. Dies deutet sich bereits im einführenden Kapitel „Überblick über die verwendeten Quellen“ (S. 16–22) an, in welchem unter der Überschrift „Forschung“ auf vier (!) Seiten statt einer Skizze des Forschungsstandes zu den Finanzbeziehungen innerhalb der römischen Oberschicht ein knapp kommentierter Literaturbericht zur Späten Republik gegeben wird. Er beginnt damit, dass dem Leser das Buch „Krise und Untergang der Römischen Republik“ von Karl Christ „ans Herz gelegt“ wird (S. 19).1 Nachdem auch die Literaturauswahl keine kulturwissenschaftliche Orientierung erkennen lässt und die Netzwerkanalyse schließlich eine datenbankgestützte Quellenauswertung voraussetzt, hätte es für den Hauptteil nahegelegen, eine präzise quantifizierende Auswertung dieses Materials im Vergleich mit der Forschungslage anzubieten; dies geschieht jedoch nicht. Daher werden auch die selbst gestellten Ansprüche aus der Einleitung nicht erfüllt, und der Text bleibt – bis auf einige gewagte Behauptungen – eine Wiedergabe der communis opinio.2
Wie steht es nun um die Behandlung des Netzwerkansatzes, der 25 von 217 Textseiten des Buches einnimmt? Auf eine Schilderung der Grundlagen zur Netzwerktheorie folgt die Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung, also mit einem Aufsatz von Alexander und Danowski, dessen Resultate als „enttäuschend“ bezeichnet werden (S. 204).3 Die Gründe für diesen Misserfolg sieht Rollinger darin, dass die Quellenbasis (Ciceros Briefe von 68–43 v.Chr.) zu dünn sei und beide Autoren als Soziologen zu wenig Wert auf eine historische Fragestellung legten (S. 205). Beides erstaunt, denn Alexander ist ein ausgewiesener Fachmann für die Späte Republik, und der Aufsatz verfügt über eine klare Fragestellung.4
Bevor eine Netzwerkanalyse überhaupt erfolgen kann, bedarf es einer Datenerhebung. In diesem Buch erfährt der Leser indes nicht, welche Texte ausgewertet wurden. Die genaueste Angabe dazu lautet, dass die zeitgenössischen Quellen zusammen mit der späteren Überlieferung herangezogen wurden (S. 206). Zum Vorgehen bei der Datensammlung selbst bemerkt Rollinger, dass ein Großteil der Arbeit darin bestanden habe, die „verfügbaren Quellen dieser Zeit“ zu lesen (S. 207). Methodisch ist dies auch aus soziologischer Sicht bedenklich, denn aus den Zeugnissen Ciceros könnte dessen ego-zentriertes Netzwerk ermittelt werden, das heißt seine Wahrnehmung der Wirklichkeit, nicht aber diese selbst. Die Auswertung weiterer Quellen dagegen zielt eher auf die Erstellung eines Gesamtnetzwerkes ab.5
Der Anhang (S. 225–238) bietet immerhin einen Einblick in die zur Netzwerkanalyse herangezogenen Daten. Viel kann der Leser jedoch nicht damit anfangen, denn es wird etwa auf die Nennung der jeweiligen Schuldenhöhe verzichtet. Ebenso unterbleibt die Datierung der Geldgeschäfte, was für die Erstellung eines einfachen Netzwerkes, nicht aber für den historischen Teil der Arbeit akzeptabel ist. Was sind nun die Ergebnisse dieser Analyse? Rollinger konstatiert, „das vorliegende, hier erstellte Netzwerk ist an und für sich wenig aussagekräftig. Es stellt lediglich die Visualisierung von Erkenntnissen dar, die zum Teil schon seit beträchtlicher Zeit bekannt sind“ (S. 215). Allerdings geht er dann sofort zu dem Urteil über, dass die Methode gewinnbringend in der Alten Geschichte einzusetzen wäre, wenn eine konkrete Fragestellung vorläge und wenn weiter gefasste Auswahlkriterien genutzt würden. Dieses Fazit erstaunt umso mehr, als man von Rollinger hätte erwarten dürfen, durch seine Art der Analyse zu zumindest ansatzweise fruchtbaren Ergebnissen zu gelangen. Spannend wären Fragen nach Dichte, Zentralität und Subgruppen des Netzes; ob das Quellenmaterial aber dafür genügt, darf weiterhin bezweifelt werden.
Anmerkungen:
1 Die Wahl von Karl Christ, Krise und Untergang der römischen Republik, 4. Aufl., Darmstadt 2000 erstaunt deshalb, weil dieser mit seinem Buch „in erster Linie den historisch allgemein interessierten Leser“ und Studierende erreichen wollte (S. XIV).
2 Dies betrifft z.B. seine Aussagen zu römischen Aktien (S. 95f.), da die Römer den Wechsel zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft nie vollzogen haben, oder zum römischen Recht: „Im römischen Rechtssystem, das sich ohnehin kaum, weder im privaten, noch im Strafrecht, durch große Unparteilichkeit und Objektivität auszeichnete […]“ (S. 167).
3 Michael C. Alexander/ James A. Danowski, Analysis of an Ancient Network: Personal Communication and the Study of Social Structure in a Past Society, in: Social Networks 12 (1990), S. 313–335. Ein zweiter Aufsatz zu Netzwerken in der Antike (Harold Remus, Voluntary Association and Networks: Aelius Aristides at the Asclepieion in Pergamum, in: John S. Kloppenborg [Hrsg.], Voluntary associations in the Graeco-Roman world, London 1996, S. 146–175) wird lediglich erwähnt und fehlt im Literaturverzeichnis.
4 Es sollte nämlich ermittelt werden, ob Equites und Senatoren signifikant andere Positionen in der römischen Sozialstruktur einnahmen. Dies wird verneint, was tatsächlich keine überraschende Erkenntnis ist, aber immerhin wird so eine bestehende Ansicht auf einem neuen Weg gestärkt. An Arbeiten von Michael C. Alexander sind z.B. zu nennen: Trials in the Late Roman Republic. 149 BC to 50 BC, Toronto 1990; The Case for the Prosecution in the Ciceronian Era, Ann Arbor 2002. Auch James A. Danowski ist kein Soziologe, sondern Professor für Kommunikationswissenschaft.
5 Die von Rollinger gebrauchte Bezeichnung „Ego“-Netzwerk wird von ihm nicht erläutert, inhaltlich strebt er allerdings eher ein Gesamtnetzwerk an.