: Geordnete Gemeinschaft. Architekten als Sozialingenieure – Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert. Bielefeld 2010 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-8376-1426-8 405 S. € 37,80

: Der Betrieb als Ort der Moderne. Zur Geschichte von Industriearbeit, Ordnungsdenken und Social Engineering im 20. Jahrhundert. Bielefeld 2010 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-8376-1428-2 332 S., zahlr. Abb. € 35,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Till Kössler, Institut für Erziehungswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Wichtige Teile der neueren Zeitgeschichtsschreibung sehen im Aufstieg humanwissenschaftlicher Expertengruppen und der von ihnen forcierten „Verwissenschaftlichung“ unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche ein entscheidendes Definitionsmerkmal des 20. Jahrhunderts als historische Epoche. Gegenüber konkurrierenden Ansätzen, die das Jahrhundert vor allem durch den Gegensatz politisch-weltanschaulicher Strömungen gekennzeichnet sehen, heben diese Forschungen eher Gemeinsamkeiten zwischen politischen Regimen und Bewegungen im Zuge der Umgestaltung der neuzeitlichen Gesellschaften zu modernen „Wissensgesellschaften“ hervor.

Die beiden Dissertationen von David Kuchenbuch und Timo Luks setzen hier an. Sie sind im Kontext eines von Thomas Etzemüller geleiteten Oldenburger Forschungsprojektes entstanden, das unter Rückgriff auf Überlegungen von Michel Foucault, Zygmunt Bauman und Lutz Raphael den Anspruch erhebt, eine bislang vernachlässigte Denkströmung, die etwas umständlich als „Ordnungsdenken und social engineering“ bezeichnet wird, als wirkungsmächtige transnationale Diskursformation humanwissenschaftlicher Expertengruppen in den mittleren Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts zu kartographieren.1 „Ordnungsdenken und social engineering“ definieren die Autoren sehr weit als den Versuch von Experten in sehr unterschiedlichen Professionen, mit aktiven Eingriffen in die Gesellschaft die durch die industriegesellschaftliche Modernisierung entstandenen Krisen zu bewältigen. Die „Ordnungsdenker“ unterschieden sich von konkurrierenden Expertengruppen vor allem dadurch, dass sie die kapitalistische Klassengesellschaft durch die wissenschaftlich angeleitete Bildung neuer und vermeintlich organischer Gemeinschaften zu überwinden versuchten. David Kuchenbuch in seiner Untersuchung deutscher und schwedischer Architekten sowie Timo Luks in seiner Analyse von Expertendiskursen über die soziale Neuordnung des Industriebetriebs verfolgen Ausformungen und Inhalte des „Ordnungsdenkens“ auf zwei Handlungsfeldern in transnationaler Perspektive. Trotz des gemeinsamen Bezugs- und Argumentationsrahmens wählen beide Arbeiten dabei sehr eigenständige Wege.

Kuchenbuch beschäftigt sich in seiner ausgezeichneten Studie in vergleichender Absicht mit Ordnungsentwürfen deutscher und schwedischer Architekten vom Ende der 1920er- bis zum Anfang der 1960er-Jahre. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zwei Personennetzwerke, die sich um die einflussreichen Architekten Konstanty Gutschow in Hamburg und Uno Åhrén in Stockholm gruppierten. Das Zentrum der Studie bildet der Vergleich der Architekturdebatten im Nationalsozialismus und im Schweden der 1930er- und 1940er-Jahre. Indem er die Entwürfe der Architekten als Varianten einer transnationalen Auseinandersetzung mit der urbanen Moderne kenntlich macht, gelingt es Kuchenbuch, nationalsozialistische „Volksgemeinschafts“-Konzepte und das sozialdemokratisch geprägte „Folkhem“-Projekt in Schweden aufeinander zu beziehen sowie differenziert Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.

Er geht dabei in drei Schritten vor. Ein erstes Kapitel schildert die Auseinandersetzungen von Architekten mit der als problematisch wahrgenommenen zeitgenössischen Großstadt am Ende der 1920er-Jahre und zeichnet die Genese eines neuen Selbstverständnisses der Architekten als Sozialingenieure und „Ärzte“ des Gemeinwesens nach. In Reaktion auf die als chaotisch empfundene Urbanisierung des 19. Jahrhunderts mit ihren bedenklich erscheinenden hygienischen und sozialmoralischen Begleitphänomenen plädierten deutsche und schwedische Architekten für ein „Neues Bauen“, das ästhetische Erwägungen eng mit hygienischen und gesellschaftspolitischen Zielen verband. Gegen die ornamentale, auf das individuelle Objekt bezogene Architektur der Vorkriegszeit sahen sie den Wohnungsbau als Beitrag zur rationalen Umgestaltung der Gesellschaft an und suchten überindividuelle, wissenschaftliche Kriterien für die Gestaltung von Wohnungen und Wohnsiedlungen. Sie positionierten sich als Vermittler von sozialen Ansprüchen und ökonomischen Zwängen. Eine Schlüsselfunktion in den Architekturdebatten nahm der Begriff der „Bedürfnisse“ ein. Architekten verstanden die menschlichen Wohnbedürfnisse als anthropologische Konstante. Ihre Erforschung werde empirisch nachprüfbare Kriterien für das Bauen bereitstellen und damit den Architekten objektive Richtlinien für ihre Bautätigkeit an die Hand geben. Auch die Gestaltung des Stadtraums, der sich die Arbeit in zwei weiteren Hauptkapiteln zuwendet, planten die Architekten auf der Grundlage vermeintlich natürlicher Bedürfnisse des Menschen. Die nach wissenschaftlichen Kriterien gestaltete und gegenüber dem Stadtganzen durch klare Grenzen getrennte Siedlung „nach menschlichem Maß“ wurde im Verlauf der 1930er-Jahre in beiden Ländern zum utopischen Projekt der Architekten. Theoretisch fundiert im Begriff der „Nachbarschaftseinheit“ sollten die Siedlungsstrukturen die „natürlichen“ Verkehrskreise der Menschen widerspiegeln und durch die Förderung „natürlicher Gruppenbildung“ die Fronten der Klassengesellschaft überwinden.

Die Architektendebatten ließen sich jedoch in sehr unterschiedliche politische Projekte einfügen. Im Schweden der 1930er- und 1940er-Jahre waren sie demokratisch kodiert. In Abgrenzung zu den mit anonymen Großbauten identifizierten totalitären Regimen wurden baulich überschaubare Nachbarschaften als Keimzellen demokratischer Gemeinschaftsbildung betrachtet. Im Nationalsozialismus hingegen waren die Planungen seit Ende der 1930er-Jahre eng an das Ziel einer „volksgemeinschaftlichen“ Ordnung gekoppelt, konnten nach 1945 jedoch auch relativ einfach von nationalsozialistischen Bezügen gereinigt und in den bundesdeutschen Rahmen eingepasst werden. In beiden Ländern zeigt sich die grundlegende Ambivalenz des „Ordnungsdenkens“. Einerseits forderte es vehement, den Menschen zum Maßstab in der Ausgestaltung der modernen Gesellschaft zu machen und die einzelnen Gesellschaftsbereiche zu „humanisieren“. Doch war es andererseits zutiefst antiindividualistisch geprägt.

Über die Architekturdebatten kann Kuchenbuch somit strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen sozialdemokratischem „Folkhem“ und nationalsozialistischer „Volksgemeinschaft“ aufzeigen, die durch die wechselseitige Rezeption der Protagonisten noch verstärkt wurden. Doch betont er auch unterschiedliche Entwicklungsdynamiken und Ausprägungen in den beiden Ländern. In Schweden konnte der neue Wohnungsbau Anfang der 1930er-Jahre in Architektenkreisen rasch eine hegemoniale Stellung erringen, die er bis in die 1950er-Jahre behielt. Demgegenüber verlief die Entwicklung in Deutschland widersprüchlicher. Nicht nur war die Gruppe der architektonischen Erneuerer vor 1933 ideologisch gespalten, sondern das Jahr 1933 bildete auch zunächst mit der Verdammung des „Neuen Bauens“ durch das nationalsozialistische Regime eine scharfe Zäsur. Doch näherten sich die Diskussionen in Deutschland am Ende der 1930er-Jahre den schwedischen Debatten deutlich an. In der Folge blieb das architektonische „Ordnungsdenken“ in Westdeutschland dann bis zu einem scharfen Bruch um 1960 weitaus dominanter als in Schweden, wo es bereits seit dem Ausgang der 1940er-Jahre einer scharfen Kritik unterzogen wurde. Erst die Planungs- und Expertenkritik der 1970er-Jahre bedeutete jedoch in beiden Ländern eine endgültige Zäsur.

Die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden beruhten wesentlich auf Differenzen in den Gemeinschaftskonzepten. Während die deutschen Architekten ein starres Bild von „Volksgemeinschaft“ vertraten, hatte der Gemeinschaftsbegriff im schwedischen Modell einen prozesshaften Charakter. Die Einordnung in das Kollektiv wurde dort als Ergebnis freiwilliger Einsicht verstanden, die durch Aufklärungsarbeit beschleunigt werden könne. Das Modell fasste in Schweden die Bewohner zumindest in der Theorie als Gesprächspartner und war damit langfristig für Wandel offener. Kuchenbuch präsentiert diese Befunde überzeugend und anschaulich. Wünschenswert wäre jedoch eine deutlichere Konturierung der Gegenspieler der „Ordnungsdenker“ gewesen. Die nationalsozialistischen Siedlungsplaner der frühen 1930er-Jahre erhalten ebenso wenig Profil wie die Vertreter eines neuen städtebaulichen Modernismus der 1960er-Jahre, die, wie Kuchenbuch nahelegt, bei allen Unterschieden auch viele Grundannahmen der Kreise um Gutschow und Åhrén teilten. Bedauerlich ist schließlich das völlige Ausklammern der Architekturdebatten in der DDR.

Die Arbeit von Timo Luks zur Ordnung des Betriebs in der Moderne teilt mit Kuchenbuchs Studie den konzeptionellen Rahmen, die Periodisierung und viele grundlegende Argumente, doch weist sie auch deutliche Unterschiede auf. In klarer Abgrenzung zur etablierten Betriebsgeschichte, die sich zumeist auf einzelne Unternehmen, Betriebe oder Industriebranchen konzentriert, will Luks grundlegende Ideen, Werte und kulturelle Normen herausarbeiten, die im mittleren Drittel des 20. Jahrhunderts das Reden über Industriebetriebe als soziale Räume steuerten. Anders als Kuchenbuch betrachtet er dazu nicht eine klar abgrenzbare Expertengruppe, sondern wählt einen abstrakteren diskursgeschichtlichen Zugang. Er weist der allgemeinen diskursiven Form einen deutlich höheren Grad an Homogenität und Macht zu. Zwar bildet die Automobilindustrie einen gewissen Fokus der Arbeit, doch behauptet Luks eine Dominanz und Kohärenz von „betrieblichem Ordnungsdenken und social engineering“ über diese Industriebranche hinaus. Auch Unterschiede zwischen nationalen Debatten und politischen Regimen in Deutschland, Großbritannien und den USA hält Luks, hier ebenfalls in deutlichem Kontrast zu Kuchenbuch, für wenig ausgeprägt. Entsprechend verwendet er kaum Anstrengung auf einen detaillierten Vergleich nationaler Kontexte und politischer Herrschaftsordnungen. Vielmehr entfaltet er in vier Hauptkapiteln Elemente eines hegemonialen und sehr geschlossenen transnationalen Betriebsdiskurses. Deutsche Quellen und Debatten stehen deutlich im Zentrum der Ausführungen, während US-amerikanische und britische Beispiele eher ergänzend herangezogen werden.

Im Kapitel zum „sozialökologischen Industrialismus“ untersucht Luks zunächst Überlegungen einer heterogenen Gruppe selbsternannter Betriebsreformer seit dem Ersten Weltkrieg, mittels der Neuordnung des Betriebs und seiner räumlichen Umwelt die negativen Folgen der Industriearbeit für den einzelnen Arbeiter und die Gesellschaft zu beseitigen und sozialistische Bewegungen zurückzudrängen. Solche Bestrebungen standen in deutlicher Tradition des Werkswohnungsbaus der Jahrhundertwende, betrafen nun jedoch auch die Gestaltung der betrieblichen Arbeitssphäre selbst und führten zur Entstehung einer heterogenen Diskursgemeinschaft von Betriebssoziologen, Sozialpsychologen und Managern. Diese machten den Betrieb zu einem sozialen Interventionsfeld und Ausgangspunkt einer Neuordnung der Gesellschaft im Zeichen harmonischer Gemeinschaft. Die Experten lenkten die Aufmerksamkeit darauf, dass der Betrieb nicht nur Produktionsstätte, sondern auch ein im Stadtraum verankerter Sozialraum war. Gleichzeitig widmete sich die neue Disziplin der Betriebssoziologie ausgehend von den USA intensiv der Frage, wie durch soziale und psychologische Maßnahmen die Zufriedenheit der Arbeiter gefördert werden könne. Gemeinschaftsbildung und sozialdisziplinierende Absichten gingen dabei Hand in Hand. Das „Betriebsklima“ in einem sehr umfassenden Sinn wurde Gegenstand sowohl hygienischer wie sozialpsychologischer Forschungen.

Das zweite Hauptkapitel wendet sich Bemühungen der inneren Gemeinschaftsbildung in Industriebetrieben zu, die in Deutschland um die Begriffe „Betriebsgemeinschaft“ und „Werksgemeinschaft“ kreisten. In Erweiterung der bisher hauptsächlich auf den Nationalsozialismus konzentrierten Forschungen zum Konzept der Betriebsgemeinschaft argumentiert Luks, dass „Gemeinschaft“ über die politischen Zäsuren und Lagergrenzen hinweg bis in die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte ein positiv besetzter Leitbegriff der Betriebsdebatten war. Zudem kann er belegen, dass ein naturalisierter Begriff der „Gruppe“ als organischer Vermittlung von Individuum und Gesamtbelegschaft von den 1920er-Jahren bis in die 1950er-Jahre hinein eine steile Karriere aufwies. Leider geht Luks an dieser Stelle nicht darauf ein, inwieweit die Ordnungsentwürfe auch geschlechtsspezifische Dimensionen aufwiesen. Ein drittes, kürzeres Kapitel beleuchtet die Durchsetzung neuer Konzepte fließender Ordnung als Normen der Bewegung von Maschinen und Menschen im Betrieb. Gerade die Einführung des Fließbandes erschien den Betriebsreformern, zumindest in der Automobilindustrie, als Chance der Verkettung der unterschiedlichen „Produktionsinseln“ zu einer organischen Einheit. Im Ideal der fließenden, verknüpften Ordnung sieht Luks aber auch eine biopolitische Machttechnik, mit deren Hilfe die Bewegungen der Menschen im Betrieb gelenkt und diszipliniert werden sollten – und dies nicht nur bei der Arbeit, sondern auch, wie Luks in einem interessanten Exkurs zeigt, während der Pausenzeit. Schließlich war der neue sozialtechnologische Zugriff auf die betriebliche Ordnung untrennbar mit neuen, in einem vierten Kapitel thematisierten Visualisierungspraktiken verbunden, die Übersichtlichkeit herzustellen versuchten.

Durch seinen allgemeinen Zugriff gelingt es Luks, wichtige Elemente einer humanwissenschaftlichen Thematisierung des Industriebetriebes über Länder-, Regime- und Branchengrenzen hinweg zu benennen. Ihre Stärken hat die Arbeit dort, wo sie ähnliche Argumentationsmuster bei politisch sehr unterschiedlich zu verortenden Personengruppen nachweisen kann. So eröffnet etwa der – allerdings nicht weiter ausgeführte – Hinweis auf die Virulenz des Gemeinschaftsbegriffs in sozialdemokratischen Debatten der 1950er-Jahre neue Fragen nach den Beziehungen von sozialdemokratischer Betriebspolitik und humanwissenschaftlichen Diskursen. Doch wirft der abstrakte diskursgeschichtliche Ansatz – dies wird gerade im Kontrast zu Kuchenbuchs Arbeit deutlich – auch zahlreiche Probleme auf. Zunächst bleibt im Vergleich zu der akribisch vergleichenden Interpretationsarbeit von Kuchenbuch die Darstellung der Betriebsdebatten bei allen interessanten Einsichten oft merkwürdig konturlos. An vielen Stellen vermisst man eine weitergehende Einordnung der Quellenbefunde in konkrete politische und betriebliche Auseinandersetzungen. Durch seinen Untersuchungsfokus auf Expertendebatten und die Isolierung dieser Debatten von tagespolitischen Kontexten unterschätzt Luks die Konflikte innerhalb der Betriebe. So thematisiert er zum Beispiel nicht einmal ansatzweise die Bedeutung des Kalten Kriegs in den Debatten um eine Neugestaltung der betrieblichen Ordnung nach 1945, obwohl der Ost-West-Konflikt das Handeln der innerbetrieblichen Akteure zumindest bis Anfang der 1950er-Jahre maßgeblich prägte. Bezeichnenderweise nimmt Luks zwei der wichtigsten neueren Arbeiten zur Geschichte des westdeutschen Industriebetriebs nach 1945 nicht einmal zur Kenntnis.2

Das weitgehende Ausblenden politischer Auseinandersetzungen hängt auch damit zusammen, dass Luks sich mehr auf von den Unternehmensleitungen publizierte Werkszeitschriften stützt als auf Publikationen politischer Betriebsgruppen und die Gewerkschaftspresse. Nun kann der Einfluss politischer Faktoren und innerbetrieblicher Konflikte auf das „Ordnungsdenken“ sicher angezweifelt werden, doch ihren Einfluss von vornherein und ohne Überprüfung durch Fallstudien zu bestreiten, erscheint problematisch. Insgesamt hätte eine stärkere Beachtung der Betriebsdebatten in den verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung sowie des betrieblichen Handelns von Arbeitern, Arbeiterinnen und Angestellten helfen können, Fragen nach der Reichweite, der Kohärenz, aber auch den Grenzen der Expertenmacht genauer zu erörtern. Vereinzelte Fallbeispiele etwa zur Gestaltung der Kantine bei Daimler-Benz nach dem Zweiten Weltkrieg deuten darauf hin, dass die abhängig Beschäftigten keineswegs nur passive Opfer von Experten- und Managementdiskursen waren, sondern sich aktiv an der Aushandlung betrieblicher Ordnung beteiligten. In ähnlicher Weise hätte auch ein genauerer transnationaler Vergleich sowie ein Vergleich zwischen Branchen zu einer Prüfung der behaupteten übergreifenden Diskursmacht beitragen können. Einzelne Befunde wie die exzeptionelle Bedeutung des Gemeinschaftsbegriffes in Deutschland (S. 155) legen zumindest nahe, dass etwa nationale Besonderheiten entgegen der Ausgangsthese doch eine erhebliche Bedeutung besaßen.

Diese Anmerkungen sollen die Leistungen der beiden Bücher jedoch nicht schmälern. Sie sollten vielmehr als Beleg für das produktive Provokationspotenzial des erläuterten Forschungsansatzes gelesen werden, der die mittleren Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts neu perspektivieren möchte. Kuchenbuch und Luks heben eine wichtige Denkströmung des 20. Jahrhunderts in ihren jeweiligen feldspezifischen Ausprägungen hervor und laden ein zu einer weitergehenden Untersuchung ihrer Verbreitung und Grenzen, der Bedeutung von konkurrierenden Ordnungsentwürfen und schließlich auch der Resultate ihrer praktischen Implementierungsbemühungen. Sie leisten damit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Verwissenschaftlichung des Sozialen im 20. Jahrhundert, sondern auch zur Historisierung der Moderne als Epoche.

Anmerkungen:
1 Siehe auch: Thomas Etzemüller, Die Romantik der Rationalität. Alva & Gunnar Myrdal – Social Engineering in Schweden, Bielefeld 2010; ders. (Hrsg.), Die Ordnung der Moderne. Social Engineering im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2009 (vgl. Christian Geulen: Rezension zu: Etzemüller, Thomas (Hrsg.): Die Ordnung der Moderne. Social Engineering im 20. Jahrhundert. Bielefeld 2009, in: H-Soz-u-Kult, 20.01.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-044>, eingesehen 27.05.2011); Anette Schlimm, Ordnungen des Verkehrs. Arbeit an der Moderne – deutsche und britische Verkehrsexpertise im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2011 (erscheint im Juli).
2 Karl Lauschke, Die Hoesch-Arbeiter und ihr Werk. Sozialgeschichte der Dortmunder Westfalenhütte während der Jahre des Wiederaufbaus 1945–1966, Essen 2000; Dietmar Süß, Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976, München 2003.