Im Jahre 2009 zeichnete die deutsche Gesellschaft für Unternehmensgeschichte die im gleichen Jahr an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich angenommene Dissertation von Katja Girschik mit ihrem "Preis für Unternehmensgeschichte" aus. Die Auszeichnung war wohlverdient. Im Untertitel der veröffentlichten Fassung annonciert Girschik eine "Technik- und Unternehmensgeschichte des Schweizer Einzelhandels". Ihre Studie befasst sich jedoch in erster Linie mit dem Einzelhandelsunternehmen Migros, das 1925 als Aktiengesellschaft gegründet wurde, zunächst nur mobilen Handel betrieb und keine eigenen Ladenlokale unterhielt. Von Beginn an sei, so Girschik, das Niedrighalten der Fixkosten "ein Pfeiler der Discount-Geschäftsidee der Migros" gewesen (S. 13). Eine sehr geringe Gewinnmarge wurde in Kauf genommen und über großen Umsatz kompensiert.
Trotz der Konzentration auf die Migros, die seit 1941 als Genossenschaft organisiert ist, untersucht Girschik wesentliche Entwicklungslinien für den gesamten Schweizer (und teilweise auch internationalen) Einzelhandel. Migros war ein Pionier in der Einführung und Umsetzung wichtiger Innovationen. In den Mittelpunkt ihrer Studie stellt Girschik die Kasse. Vordergründig nur ein technisches Instrument zur Berechnung und Erfassung von Umsätzen, wurde sie zentrales Objekt von Rationalisierungsbemühungen. 1948 führte Migros in der Schweiz die Selbstbedienung ein. Indem Kunden sich frei in den Ladengeschäften bewegen konnten, die von ihnen gewünschten Waren selbständig zusammentrugen und allein zur Kasse brachten, wurden sie nach Girschik "zu den besten Angestellten des Einzelhandels [...] ohne dafür direkt monetär entschädigt zu werden" (S. 36).
Was folgte, war eine Kette von weiteren Entwicklungen, die ursächlich auf die Einführung der Selbstbedienung zurückgehen. Diese erhöhte die Produktivität in den Ladengeschäften und deren individuelle Ertragskraft. Sie erlaubte die Ausweitung des Sortiments, auch auf den so genannten Non-Food-Bereich, und damit das Einreißen zuvor bestehender Spartengrenzen. Die Selbstbedienung machte Vergrößerungen der Ladenflächen sinnvoll und förderte insgesamt die Verbreitung von Markenprodukten.
"Das Ende der Selbstbedienung" (S. 53) stellte indes über lange Zeit der Kassenbereich dar. Hier mussten alle Kunden durch, die zuvor freiwillig Aufgaben übernommen hatten, die früher vom Verkaufspersonal übernommen worden waren. An den Kassen wurde die "scheinbare Zugehörigkeit" der Kunden "zum Unternehmen wieder aufgelöst" (S. 54). Hier entstand ein zu Zeiten der Bedienung nicht gekannter "Stau der Kunden". Girschik beschreibt, wie Migros zunächst (ohne wirtschaftlichen Erfolg) versuchte, den Einsatz der in den 1950er-Jahren immer noch relativ teuren Kassentechnik durch das Lenken des Kundenstroms auf umsatzschwächere Wochentage oder Tageszeiten zu rationalisieren. Die Kasse wurde dabei zum wohl wichtigsten Gegenstand der Kostenanalyse in den Unternehmen. Es sind solche Argumentationsketten, die Girschiks Dissertation aus den technikhistorischen Grenzen in die Breite der Wirtschaftsgeschichte hinausführen.
Bereits Mitte der 1960er-Jahre experimentierte Migros in einzelnen Geschäften mit so genannten Selbsttipp-Kassen, versuchte also, die Selbstbedienung der Kunden bis zum Abschluss des Einkaufgeschäfts zu erweitern. Das hatte zunächst positive Effekte. Der Kundendurchlass in den beteiligten Läden erhöhte sich bereits 1965 von 80 auf 200 pro Stunde und Kassiererin. Indem die meisten Kunden die Kassen selbst bedienten, halfen sie, das Nadelöhr zu beseitigen. Migros gab das Experiment 1969 nach vier Jahren allerdings wieder auf. Den Ausschlag für diese Entscheidung gab wohl der zunehmende Ladendiebstahl. Wurde dieser bereits durch die Selbstbedienung begünstigt, so bedeutete der Umstand, dass "es die Kunden weniger genau" beim Eintippen der Preise nahmen "als die Kassiererinnen", eine weitere Verschärfung des Problems (S. 68f).
In anderen Unternehmensbereichen hingegen setzte sich der Prozess der Technisierung und Elektronisierung weiter fort. Auch diesen Prozess analysiert Girschik nicht allein technikhistorisch, sondern analysiert die sich daraus ergebenden Weiterungen für die gesamte Unternehmensentwicklung. Computer wurden zu Instrumenten der Unternehmensführung, indem mit ihnen nicht nur die Warenwirtschaft rechnergestützt betrieben wurde, sondern auch ganz neue Abteilungen entstehen konnten, mit denen das Marketing von Migros, eine strikte Nachfrageorientierung und in der Folge die weitere Ausweitung des Sortiments ermöglicht wurden. Die Maxime der Unternehmensgründer aus den 1920er-Jahren, Fixkosten niedrig zu halten und auf fortwährendes Umsatzwachstum zu setzen, wurde in das Zeitalter der Computertechnik hinübergeführt und auf moderne Art fortgesetzt.
Während es aber in vielen Einzelhandelsunternehmen bereits in den 1960er-Jahren gelang, Prozesse im Hintergrund (wie etwa die Lagerwirtschaft und das Rechnungswesen) mit Hilfe der Informationstechnik zu rationalisieren, blieb der vom Kunden zu passierende Kassenbereich auch weiterhin der Flaschenhals. Kurz nach dem gescheiterten Experiment mit den Selbsttipp-Kassen startete Migros einen weiteren Rationalisierungsversuch. Im März 1967 unterschrieb das Unternehmen eine Kooperationsvereinbarung mit dem Schweizer Sensortechnikunternehmen Zellweger zur Entwicklung einer "Zentralen, Automatischen Verrechnungsanlage (ZAVA)". Beginnend mit der elektronischen Erfassung der Artikelpreise und Verkaufsdaten sollten Informationsgewinne auch für andere Bereiche des Unternehmens erzielt werden. In Verbindung mit Minicomputern in den Filialen und der Datenübermittlung an zentrale Rechenstationen wurde daraus bis zum Beginn der 1970er-Jahre das "Automatic Point of Sale System" (APOSS) entwickelt, das zum Vorläufer des heute bekannten Systems der Barcodes im Einzelhandel werden sollte. Am 20. Juni 1972 ging die "erste automatische Kassenanlage der Welt" (S. 178) in Betrieb. Wenig später testete ein amerikanisches Einzelhandelsunternehmen eine ähnliche Anlage in einem seiner Supermärkte.
Voraussetzung war eine einheitliche, für den Kassencomputer lesbare Preisetikettierung, die speziell für Migros entwickelt wurde. Erneut wurden die Kunden insoweit in die Bedienung des Gerätes einbezogen, als sie aufgefordert wurden, die Waren so auf den Kassenlaufbändern zu platzieren, dass die besonderen Etikette gelesen werden konnten. Die erhoffte Beschleunigung des Kassiervorganges blieb indes aus. Es machte keinen Unterschied, ob die Waren herkömmlich etikettiert oder zusätzlich mit dem besonderen maschinenlesbaren Preisetikett ausgestattet waren. Der erwünschte wirtschaftliche Effekt blieb deswegen nicht nur aus, sondern die hohen Investitionskosten für die Anschaffung der neuen Kassensysteme hätten nicht amortisiert werden können. Das Projekt wurde zunächst abgebrochen.
Girschik zeigt an diesem Beispiel jedoch auch, wie ganz andere Faktoren die Aufgabe eines so innovativen Projekts begünstigten. Der Informationsgewinn, den APOSS mit der weiteren Nutzung der gewonnenen Daten zum Einkaufsverhalten der Kunden, zu den Stoßzeiten und zu anderen Faktoren ermöglichte, wurde nicht erkannt. Girschik legt dar, wie die fehlende Kompatibilität zwischen der Informationserfassung an den Filialkassen und ihrer weiteren Auswertung durch Einkäufer und Disponenten die möglichen Effekte von APOSS nicht zum Tragen kommen ließ. APOSS wurde indes nicht zum völligen Fehlschlag. Seit Anfang der 1970er-Jahre bemühten sich führende Hersteller von elektronischen Rechenmaschinen, in Zusammenarbeit mit Zellweger Kassensysteme zu entwickeln und zu diesem Zweck eine einheitliche Zahlencodierung mittels Universal Product Code (UPC) zu entwickeln und durchzusetzen, die heutzutage auf den meisten Produkten zu finden ist. Migros und in der Folge auch Zellweger zogen sich jedoch Mitte der 1970er-Jahre aus dem UPC-Projekt zurück. Insbesondere die fehlende (bzw. noch nicht durchsetzbare) einheitliche Codierung der Waren gab den Ausschlag dafür, dass Migros zunächst eher auf schnelle elektronische Kassen als auf automatische Kassensysteme setzte.
Girschiks Studie ist für viele, oft sehr spezialisierte Historiker ein großer Gewinn. Einen Gegenstand in den Mittelpunkt einer Untersuchung zu stellen, dessen Nutzung jeder Verbraucher alltäglich erlebt, und darauf eine komplexe Analyse dieser Nutzung aufzubauen, ist ein Ansatz, der die Studie interessant für Technik-, Wirtschafts- und Sozialhistoriker macht. Jenseits davon kann festgestellt werden, dass Katja Girschik eine flüssig geschriebene und gut lesbare Abhandlung vorgelegt hat.