C. Glunz/Thomas F. Schneider (Hg.): Wahrheitsmaschinen

Titel
Wahrheitsmaschinen. Der Einfluss technischer Innovationen auf die Darstellung und das Bild des Krieges in den Medien und Künsten


Autor(en)
Glunz, Claudia; Schneider, Thomas F.
Erschienen
Goettingen 2010: V&R unipress
Anzahl Seiten
Preis
€ 44,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Christine Brocks, Sheffield

Bilder vom Krieg reichen zurück bis in die Antike. Seit den in die Trajansäule eingemeißelten Kriegsnachrichten haben sich die Medien der Bildberichterstattung und auch die Bilder selbst durch technische Innovationen wie Fotografie, Fernsehen, Mobiltelefonkameras und Internet erheblich verändert. Doch unterscheiden sich die neuen Bilder vom Krieg auch strukturell und inhaltlich von den vorherigen, haben sie zu mehr Informationen über den Krieg geführt oder lassen sie uns besser nachvollziehen, was sich auf und neben den Schlachtfeldern abgespielt hat? (S. 9) Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Sammelband, herausgegeben von der Historikerin Claudia Glunz und dem Literaturwissenschaftler Thomas F. Schneider, beide vom Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück. Die Beiträge des Bandes sind auf der gleichnamigen Tagung an der Universität Osnabrück im Oktober 2009 verhandelt worden. In diesem Rahmen wurde auch die Ausstellung „Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg. Technik - Medien – Kunst“, eine Ko-Produktion zwischen dem Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, dem European Media Art Festival, dem Museum Industriekultur und der Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück, von April bis Oktober 2009 in Osnabrück gezeigt. 1

Dem ungewöhnlichen Haupttitel des Bandes kann man nicht ohne weiteres entnehmen, dass es um Kriegsbilder gehen soll, diese Thematik enthüllt erst der Untertitel. Während mathematische Wahrheitsmaschinen die Aufgabe haben, automatisch wahre von falschen Aussagen zu trennen, unterstellt der Begriff hier die Fähigkeit von Bildern, Wahrheit(en) zu erzeugen und diese „maschinell“ oder elektronisch zu vervielfältigen und verbreiten. Die skeptische Frage, ob durch Bilder die Wahrheit über den Krieg „verdeutlicht oder vertuscht“ (S. 10) wird, ist als Leitprogramm damit schon im Titel angelegt.

Der Band stellt meist eher kurze Aufsätze von 26 Soziologen, Literatur-, Medien- und Kommunikationswissenschaftlern sowie Praktikern aus acht Ländern vor, die den Zeitraum vom frühen 18. Jahrhundert bis heute abdecken. Entgegen dem Aufbau, den man üblicherweise in rein historischen Veröffentlichungen dieser Art findet, beginnt der Band mit Beiträgen zu den Kriegen im Irak und Afghanistan, einem Zeitraum also, der zur allerjüngsten Vergangenheit, fast noch zur Gegenwart gerechnet werden kann. Von da aus geht er, ohne dabei einer strengen Chronologie zu folgen, in die vorherliegenden Jahrhunderte zurück. Hier liegt ein weiterer Schwerpunkt auf dem Ersten Weltkrieg, der in sechs Beiträgen thematisiert wird. Die Herausgeber haben zugunsten eines kurzen, prägnanten Vorworts auf eine ausführliche Einleitung mit einer präzise und im Detail ausgeführten Fragestellung verzichtet. So weisen dann auch die einzelnen Beiträge, die sich nicht an ein von den Herausgebern stark eingeschränktes Programm halten mussten, in Hinblick auf den Duktus, die Fragestellung und das wissenschaftliche Niveau erhebliche Unterschiede auf.

Der Historiker Lars Klein fasst in seiner Untersuchung des zweiten Golfkriegs und des Irakkriegs 2003 resümierend zwei Entwicklungen zusammen: Zum einen werden Kriege in der Folge des Vietnamkriegs heute so geführt, dass Grausamkeiten möglichst verborgen bleiben. Zum anderen tendieren Berichterstatter immer mehr dazu, Kriege zunächst nur zu begleiten und im Nachhinein zu analysieren, so dass auf die während der Geschehnisse veröffentlichten Bilder wenig „Verlass“ ist (S. 16). Die vier Kommunikationspsychologen Wolfgang Frindte, Jens Jirschitzka, Susan Gniechwitz und Nicole Haußecker gehen den Fragen nach, wie die Medien Terrorismus „konstruieren“ (S. 24) und wie die Gefahren des Terrorismus individuell wahrgenommen werden (S. 25). Sie folgen dabei der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des ‚Framing’. Für den Experten mögen diese Ausführung erhellend sein, dem Nichteingeweihten erscheinen sie manchmal ein wenig undurchsichtig. Während Heinrich Placke, der über die Vertuschung oder Verdeutlichung der Wahrheit auf Bildern nachdenkt, annimmt, dass die Neuen Medien in den „traditionellen Zusammenhang von Lüge, Manipulation und Fälschung nicht notwendigerweise neue Aspekte“ (S. 58) einbringen, weist der von den Cultural Studies kommende Alexander Schwinghammer auf wesentliche Veränderungen der Bildberichterstattung durch technische Innovationen hin. Durch deren transmediale Verbindung sind aus den Wahrheitsmaschinen „Verschleierungsmaschinen und schließlich Erzählmaschinen“ (S. 76) geworden. Anke Strüver untersucht geopolitische Repräsentationen in den Medien aus kritisch-konstruktivistischer Sicht im Sinne der Critical Geopolitics und zeigt, wie und zu welchen Zwecken Alterität und Identität über geopolitische Aussagen produziert werden. Die Medienwissenschaftlerin Jule Hillgärtner nimmt fotografische und Fernsehbilder vom Irakkrieg in den Blick. Forschungsneuland beschreiten Fabian Virchow und Tanja Thomas mit ihrer Untersuchung von Kriegsvideos auf YouTube, Johanna Roering, die sich mit amerikanischen Newsblogs zum Krieg beschäftigt, und Martin Bayer, der Inhalt und Darstellungsmodi des Krieges in Computerspielen nachspürt. K. Neil Jenkins und Rachel Woodward präsentieren autobiografisches Material von britischen Soldaten und betrachten Fotografien und geschriebene Texte als repräsentationale Praktiken. Die Afrika-Expertin Germain Nyada untersucht die Kriegsdarstellung im Film „Johnny Mad Dog“ (2008) des französischen Regisseurs Jean-Stéphane Sauvaire über die Kindersoldaten in Afrika, dem der Roman des aus dem Kongo stammenden Emmanuel Boundzéki Dongala zu Grunde liegt. Sie konzentriert sich dabei unter anderem auf die Auswirkung, die technische Innovationen auf das „Bild des Kindes“ in Kriegsgebieten Afrikas haben (S. 186).

Mit dem Beitrag des italienischen Historikers Massimo De Giuseppe beginnt die historische Rückschau des Bandes. Eine Reihe der nun folgenden Artikel beschäftigt sich weniger mit Bildern vom Krieg als mit dem Bild des Krieges im übertragenen Sinne und den Auswirkungen von technologischen Entwicklungen im Allgemeinen auf dieses. So fragt De Giuseppe nach der Reaktion der italienischen Massenmedien auf die Atombombe und andere Erfindungen im Rahmen der Nukleartechnik. Jens Eberts Thema ist die Feldpost im Zweiten Weltkrieg und Monika Szczepaniak arbeitet aus textlichen Selbstzeugnissen von Piloten des Ersten Weltkrieges die „Konstruktion des Fliegerhelden“ (S. 244) heraus. Der Germanist Sigfrid Hoefert untersucht in den Werken Gerd Ledigs und Stefan Heyms den Einfluss der Veränderungen der Kriegführung durch technische Neuentwicklungen. In ähnlicher Weise betrachten auch Janusz Golec und Eberhard Sauermann Prosa und Lyrik der Zeit des Ersten Weltkriegs. Oliver Lindner stellt britische Reiseberichte des frühen 18. Jahrhunderts vor und Josef Večeřa präsentiert in einem kurzen Bericht das Friedensmonument, das 1910 bis 1912 im Gedenken an die Gefallenen der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz 1805 errichtet wurde. Lediglich drei Beiträge arbeiten auf der Grundlage von Bildmaterial zum Krieg. Paul Ferstl betrachtet Comics über den Ersten Weltkrieg aus der Feder des französischen Zeichners Jacques Tardi. Die fotografischen Bilder des Ersten Weltkrieges und die Veränderungen ihres funktionalen Einsatzes über die Kriegsdauer hinweg bis zur Weimarer Republik untersucht Frank Hischer. Rainer Emig schließlich wendet sich dem ersten fotografierten Krieg, dem Krimkrieg, zu. Er zeigt, welche Bedeutung der Telegraph und die Kriegsberichterstattung in Zeitungen für die Nachrichtenübermittlung und die Darstellung des Krieges hatten.

Wer sich einen Überblick über die technischen Innovationen der Kriegsberichterstattung vom 18. Jahrhundert bis heute und eine Analyse der Auswirkungen dieser Neuerungen auf die Bilder des Krieges erhofft hat, wird seine Erwartungen mit dem vorliegenden Band nicht erfüllt sehen. Der ungewöhnliche Mix an verschiedenen Perspektiven auf das Thema und die punktuelle Betrachtung interessanter Einzelstudien, von denen manche den aktuellen Stand der jeweiligen Forschungen wiedergeben, kann dagegen Anregungen in viele verschiedene Richtungen geben, die auf die Vielschichtigkeit der Betrachtung von Kriegsbildern hinweisen.

Anmerkung:
1 Vgl. den die Ausstellung begleitenden Band: Hermann Nöring; Thomas F. Schneider; Rolf Spilker (Hrsg): Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg. Technik – Medien – Kunst, Göttingen 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension