Seit Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ wird die Vorstellung diskutiert, es gebe einen Zusammenhang zwischen der demokratischen Verfasstheit eines Staates und seinem außenpolitischen Verhalten. Dass Demokratien untereinander keine Kriege führten und im Inneren wie im Äußeren grundsätzlich friedvoller seien als nicht-demokratische Systeme, war (und ist) ein wirkungsmächtiges Deutungsmuster in den internationalen Beziehungen. Der von Jost Dülffer und Gottfried Niedhart herausgegebene Sammelband „Frieden durch Demokratie?“ möchte die These vom „demokratischen Frieden“ historisieren und fragt deshalb nach „Genese, Wirkung und Kritik“ der ihr zugrundeliegenden Idee. Die Veröffentlichung aus einer Reihe des Arbeitskreises für Historische Friedensforschung ist chronologisch aufgebaut und nimmt die Debatten um 1917 und während der Zwischenkriegszeit, im Kalten Krieg und nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in den Blick. Ein abschließender Teil steckt das Themenfeld „Entwicklung und Frieden“ ab.
Den Aufschlag macht ein bemerkenswert präziser Beitrag von Thomas Kater über die Idee des demokratischen Friedens bei Immanuel Kant, der gemeinhin als Urheber dieses Theorems in Anspruch genommen wird. Kater widerspricht dieser Deutung: Zwar sei für Kant der Krieg nicht mit den Interessen der Einwohner eines Staates zu vereinbaren, die seine Lasten tragen müssten. Doch wenn es um den Frieden gehe, stehe in den Schriften des Königsberger Philosophen nicht die Demokratie im Vordergrund – die Kant als „Despotie“ ablehnt –, sondern die Republik. So habe Kant nicht den Frieden zwischen Demokratien, wohl aber den Frieden zwischen Republiken konzipiert, dessen Merkmal es war, dass hier Konflikte durch einen rechtlichen Ausgleich gelöst werden.
Wenn also auf Kant zu Unrecht als dem Urheber des demokratischen Friedens rekurriert wird, hat die Idee doch eine bemerkenswerte Karriere in der Deutung internationaler Beziehungen genommen. Während Jost Dülffer eine selbstbewusste Gesamtschau des Forschungsstandes entwirft – die man besser in die Einleitung hätte integrieren sollen – und politik- bzw. sozialwissenschaftliche Theorien historisiert, untersuchen Gottfried Niedhart und Patrick O. Cohrs in zwei Beiträgen die Hochzeit von Friedenserwartungen während und nach dem Ersten Weltkrieg. Sowohl Niedhart als auch Cohrs gehen dabei ausführlich auf das Friedensprogramm des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson ein. Insbesondere Niedhart betont, dass sein transnationales Friedenssystem „auf einer spezifisch westlichen Konstruktion des Friedens“ beruhte, die zwar universalistisch ausgerichtet war, „aber nicht auf universale Akzeptanz“ (S. 71) stieß.
Dass das Friedenstheorem mit alternativen Narrativen konkurrierte, wird im ideengeschichtlichen Beitrag von Peter Hoeres offensichtlich, der die Kritik am demokratischen Frieden in der Zwischenkriegszeit analysiert. Es war der Staatsrechtler Carl Schmitt, der den hinter diesen Vorstellungen stehenden humanistisch-universalistischen Liberalismus dekonstruierte. Während das Demokratie-Frieden-Axiom im Deutschland der Zwischenkriegszeit also Teil einer politisch umstrittenen Sinnwelt blieb, war die Verknüpfung von Frieden und Demokratie in den US-Planungen für eine europäische Nachkriegsordnung der entscheidende ideelle Baustein. Tim B. Müller arbeitet in seinem analytisch und darstellerisch bemerkenswerten Text heraus, wie die aus Deutschland emigrierten und in den Dienst der US-Regierung getretenen Intellektuellen Franz Neumann und Herbert Marcuse in transnationalen Expertennetzwerken amerikanische Konzepte für Europa prägten. Vor allem im Hinblick auf den Marshallplan, der den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas mit der Durchsetzung einer parlamentarisch-pluralistischen Demokratie verband, wird deutlich, dass sich die Nachkriegsplanungen in der Ideenwelt des demokratischen Friedens bewegten.
Auch der lesenswerte Beitrag von Marianne Zepp über den Friedensdiskurs in der Frauenbewegung der Nachkriegszeit, in dem die Bereitschaft zum Frieden zuvorderst mit Weiblichkeit konnotiert wurde, macht sichtbar, wie mit Friedensnarrativen demokratische Teilhabemöglichkeiten eingeklagt wurden. Die Weiblichkeitskonstruktionen, die Zepp souverän historisiert, können in der Tat als Indiz dafür gelesen werden, dass die Idee des demokratischen Friedens nach 1945 ein immer noch virulentes Deutungsangebot konstituierte, das selbst über das Ende des Kalten Krieges hinaus nichts von seiner Anziehungskraft verlor. Zu diesem Ergebnis kommt Volker Depkat, der den „liberalen Internationalismus“ US-amerikanischer Prägung während der Präsidentschaften Bill Clintons und George W. Bushs untersucht. Depkat relativiert das in der historischen Forschung vorherrschende Denken in Zäsuren (1989/90 bzw. 2001), indem er darauf hinweist, dass die Konzepte, die den Außenpolitiken von Clinton und Bush zugrunde lagen, weit in die amerikanische Geschichte zurückreichen.
Dagegen betont Benyamin Neuberger, dass das Theorem vom demokratischen Frieden als Erklärungsansatz für Ursprung und Verlauf des Nahostkonflikts nicht trage. Weder gebe es historische Evidenz für die These, dass Demokratien im Nahen Osten friedfertiger agierten, noch für die Behauptung, dass Friedensabkommen die innere Demokratisierung der beteiligten Staaten gefördert hätten. Neubergers Text hebt sich nicht zuletzt deshalb wohltuend von den übrigen Aufsätzen ab, weil er die Perspektive vom „atlantischen Raum“ auf andere geografische Gebiete richtet. Warum dieser Text in das Kapitel „Entwicklung und Frieden“ eingeordnet wurde, bleibt indes unklar. Vermutlich ist diese Überschrift dem nachfolgenden Beitrag von Bernd Rother geschuldet, der das Engagement des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt für die sogenannte „Dritte Welt“ untersucht. Rother kommt zu dem Schluss, dass für Brandt nicht Frieden durch Demokratie, sondern Frieden durch Entwicklung der entscheidende Deutungs- und Handlungsrahmen war.
Gerade wenn die einzelnen Beiträge in sich argumentativ sehr geschlossene Auseinandersetzungen mit dem Theorem des demokratischen Friedens leisten, ist die Gesamtanlage des Bandes doch in zweierlei Hinsicht angreifbar. Natürlich kann ein Tagungsband nicht alle wünschbaren Themen behandeln. Doch fehlt schon auf den ersten Blick ein Beitrag über die sowjetische Beschäftigung mit dem Demokratie-Frieden-Axiom. Denn wenn der demokratische Friede ein spezifisch „westliches“ Deutungsmuster war, musste die Sowjetunion darauf reagieren. Ihr „Friedenskampf“ in Abgrenzung von Faschismus, Imperialismus und Kapitalismus generierte deshalb ganz eigene Sinnwelten. Eine Analyse der sowjetischen Friedensvorstellungen hätte die eurozentristische bzw. transatlantische Fixierung gelockert und den Blick dafür geschärft, dass der politische, gesellschaftliche und kulturelle Bezugrahmen der Verhandlung von Frieden und Demokratie zumindest zwischen 1947/48 und 1990 der Ost-West-Gegensatz war.
Zum anderen bleibt in vielen Beiträgen unklar, was genau unter der Idee des demokratischen Friedens verstanden werden soll. Da Dülffer und Niedhart in der Einleitung keine verbindliche Rahmendefinition entwickeln, ist es den einzelnen Autoren selbst überlassen, wie sie den Terminus verstehen wollen. So changiert die Analyse in manchen Texten zwischen „Frieden durch Demokratie“, „Demokratie und Frieden“ sowie „Demokratie durch Frieden“. Hinzu kommt, dass die von Dülffer und Niedhart postulierte Multidisziplinarität nicht in einer produktiven Synthese aufgelöst werden kann. Neben den analytisch homogenen Beiträgen, die mit geschichtswissenschaftlicher oder philosophiehistorischer Perspektive ihre Untersuchungsgegenstände abschreiten, stehen seltsam unverbunden die politologisch normativierenden Beiträge von Jonas Wolff und Dieter Senghaas. Dies wird man nicht so sehr Wolff und Senghaas anlasten können, die den Forschungsparadigmen ihrer Disziplin folgen, sondern eher den Herausgebern Dülffer und Niedhart, die zu wenig Wert auf eine kongruente Sichtweise gelegt haben. Deshalb überzeugt nicht so sehr der Band als Gesamtwerk, sondern eher die einzelnen, teilweise brillanten Einzelstudien.
Demgegenüber ist der von Detlef Bald und Wolfram Wette herausgegebene Sammelband über „Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges“, der ebenfalls auf eine Tagung des Arbeitskreises für Historische Friedensforschung zurückgeht, sehr viel homogener. Dies liegt zunächst daran, dass hier ein zeitlich wie inhaltlich enger gefasster Themenkomplex untersucht wird: Im Mittelpunkt steht das Engagement von Einzelpersönlichkeiten und Netzwerken für den Frieden, das im Kontext der Wiederaufrüstungspolitik von Bundeskanzler Adenauer, der immer deutlicher werdenden ideologischen Konfrontation zwischen den Supermächten sowie der sich verfestigenden deutschen Teilung situiert wird. Überblickt man Anlage und Thesen des Bandes, sind vor allem zwei Dinge bemerkenswert: Das Ausmaß, in dem die hier untersuchten Friedensinitiativen von einem kirchlichen oder theologischen Hintergrund getragen wurden, und die Häufigkeit, in der friedenspolitisches Engagement von Seiten der Bundesregierung, der Justiz und einigen Medien als kommunistisch oder kommunistisch beeinflusst wahrgenommen und delegitimiert wurde.
Der Band, der in drei große Teile gegliedert ist, untersucht „Handlungsspielräume und Begrenzungen“ im Engagement für den Frieden, „Vereinigungen und Strömungen“ sowie „Persönlichkeiten“, die Friedensvorstellungen entwickelt und ihnen gesellschaftliche Relevanz verschafft haben. In ihrer Einleitung formulieren Bald und Wette die leitende These, dass nämlich „die angenommene Geradlinigkeit der Regierungspolitik, die gerne als unausweichlich, unabänderlich und einzigartig angesehen wird, auch andere Verläufe zur Folge hätte haben können“ (S. 10). So verdeutlicht der Band die Spannbreite von alternativen Deutungs- und Handlungsangeboten zur Politik der ersten Bundesregierung.
Nach einem einführenden Aufsatz von Bernd Stöver, der einen Überblick über die deutsche Geschichte im Zeichen des frühen Kalten Krieges gibt, nimmt Werner Bührer mit den westdeutschen Unternehmern eine erste Personengruppe in den Blick, die ein spezifisches Engagement für den Frieden entwickelte. Unternehmer und Industrielle hätten „durch ihre Beteiligung an Projekten inter- oder transnationaler wirtschaftlicher Kooperation nolens volens einen Beitrag zum Frieden“ (S. 34) geleistet. Dieser Schlussfolgerung liegt das Axiom vom demokratischen Frieden zugrunde, das nicht so sehr auf das Verhalten von Demokratien untereinander, sondern auf internationale Verflechtungen und Handelsbeziehungen bezogen wird. Bührers These scheint jedoch insofern problematisch, als sie das gewünschte Resultat nur im Rahmen einer bestimmten Theorie liefert.
Leider bleibt der Beitrag von Helmut Kramer über die Verfolgung westdeutscher Friedensaktivisten durch die Justiz hinter den Erwartungen zurück, die man an einen wissenschaftlichen Text haben kann. Schon der Titel führt in die Irre: Kramer untersucht nicht die Belangung von Friedensaktivisten durch die Rechtsprechung, sondern die Probleme, die Kommunisten mit ihr hatten. Sicherlich haben sich viele Mitglieder der KPD für ein neutrales, demilitarisiertes Deutschland eingesetzt. Sie aber deshalb mit den anderen Friedensinitiativen in eins zu setzen, verkürzt die historische Realität. Vor allem jedoch liest sich der Aufsatz Kramers über weite Strecken als Fortführung zeitgenössischer Debatten. Wäre hier der Verzicht auf politisierende Wertungen und ihre Historisierung notwendig gewesen, gipfelt Kramers Argumentation in der unhaltbaren These, dass der Antikommunismus als „Feindbild und Herrschaftsinstrument“ in der frühen Bundesrepublik „eine ähnliche Rolle“ wie der Antisemitismus in der NS-Zeit gespielt hätte (S. 53).
Dagegen finden sich im Kapitel über „Vereinigungen und Strömungen“ durchweg plausible und häufig aus multiarchivischer Perspektive argumentierende Beiträge. Christine G. Krüger untersucht in einem inhaltlich ergiebigen Text drei wichtige Jugendgemeinschaftsdienste der Nachkriegszeit und verbindet die Geschichte der jeweiligen Organisation geschickt mit der Biografie ihrer führenden Persönlichkeiten. Michael Werner befasst sich prägnant mit der „Ohne mich“-Bewegung, deren Relevanz er vor allem in der Generierung einer sicherheitspolitischen Öffentlichkeit ausmacht. Jörg Seiler analysiert das theologische und (friedens-)politische Denken Franziskus Maria Stratmanns und betont seinen Beitrag zur Wiederbelebung der katholischen Friedensbewegung in Westdeutschland. Hier knüpft auch der Beitrag von Friedhelm Boll und Jens Oboth an, die in einer transnational vergleichenden Studie überzeugend die Entstehung von Pax Christi in Frankreich und Deutschland nachvollziehen. Die biografische Skizze von Klaus Schlichtmann über Helmut Hertling und die von ihm geprägte Weltbürgerbewegung macht schließlich deutlich, dass friedenspolitische Konzepte in der Nachkriegszeit eng mit weltgesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen verbunden waren. Dieses wichtige Resultat hätte im vorliegenden Band insgesamt noch stärker betont werden dürfen.
Auch wenn wichtige Persönlichkeiten bereits untersucht und dargestellt worden sind, ist ein abschließender inhaltlicher Teil dem Denken und Wirken exemplarisch ausgewählter Friedensaktivisten gewidmet. So beschreibt Gisela Notz das Leben der überzeugten Sozialdemokratin, Pazifistin und frühen Feministin Alma Kettig, die unter den wenigen SPD-Abgeordneten im Bundestag war, welche sich konsequent gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik aussprachen. Der thematisch zentrale und in seinen Ergebnissen plausible Aufsatz von Wolfram Wette zeichnet die Wandlung Martin Niemöllers vom U-Boot-Kommandanten zu einer führenden Persönlichkeit der Bekennenden Kirche und einem prominenten Pazifisten der Bundesrepublik nach. Solche gelungenen biografischen Skizzen veranschaulichen, dass das Engagement für den Frieden in starkem Maße von einzelnen Persönlichkeiten und ihren individuellen Friedenskonstruktionen ausging.
Insgesamt liegt ein sehr überzeugender Sammelband vor, der in vielen ausgezeichneten Einzelaufsätzen ein wichtiges Desiderat der Beschäftigung mit Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges schließt. In seinem Kern hilft er die komplexe Vielfalt der Gegennarrative zur Wiederbewaffnungspolitik Adenauers besser verstehen. Dass die einzelnen Beiträge auf Westdeutschland beschränkt bleiben, ist nachvollziehbar. Bedauernswert ist lediglich, dass wegen der Eingrenzung des Untersuchungszeitraums auf die Jahre von 1945 bis 1955 die „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung der späten 1950er-Jahre nicht behandelt werden kann. Zwar ist die Geschichte dieser Bewegung schon relativ gut aufgearbeitet. Doch hätte ihre Einbeziehung einem so gehaltvollen Sammelband gut angestanden – nicht zuletzt deshalb, weil der Protest gegen die nukleare Bewaffnung der Bundeswehr als Referenzpunkt der zweiten großen sicherheitspolitischen Grundsatzkontroverse der Bundesrepublik um NATO-Doppelbeschluss und Nachrüstung eine so wichtige Rolle spielte.