Cover
Titel
Unzeitgemäße Feldherren. Der Hipparch als Prototyp des erfolgreichen Feldherrn in Xenophons Hellenika


Autor(en)
Toalster, David
Erschienen
Gutenberg 2011: Computus
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Deutsche Schule Tokyo Yokohama

Die Geschichte Griechenlands im 4. Jahrhundert v.Chr. wird schon seit einiger Zeit nicht mehr als Niedergang der klassischen Polis mit ihrem „natürlichen“ Ziel- und Endpunkt – der makedonischen Machtübernahme und Überführung in die hellenistische Zeit – wahrgenommen. Vielmehr werden die vorhandenen Quellenzeugnisse heutzutage unter dem Aspekt der Vorwegnahme späterer Entwicklungen in den Bereichen Politik, Religion, Wirtschaft, Recht oder auch Militär gelesen, wobei die Untersuchungsmöglichkeiten hier längst noch nicht ausgereizt scheinen. Dies gilt insbesondere auch für einen gerade in der altphilologischen Forschung bislang eher belächelten, denn ernst genommenen Autor: Xenophon. Ob dessen scheinbar trockenen und nüchternen Stils, aber auch wegen der von manchen als Anmaßung empfundenen Sokrates-Reminiszenzen wurde dieser eher als Anfängerlektüre herangezogen und nicht als wertvolle Quelle gewürdigt. Da sich aber die Zugangs- und Herangehensweise an diesen Autor im letzten Jahrzehnt grundlegend gewandelt hat1, eröffnen sich nun gleichsam neue Erkenntnismöglichkeiten zu den Entwicklungen in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr.

An diesen Trend schließt sich auch die vorliegende Monographie von David Toalster an, eine aus der Magisterarbeit hervorgegangene, zur Dissertation ausgebaute Arbeit zu den Wandlungen in militärischer Strategie und Taktik in der Übergangsphase zwischen klassischer Hoplitenarmee und makedonischem Söldnerheer mit unterschiedlichen und flexibel einsetzbaren Truppengattungen.2

Wenn Toalster für seine Untersuchung Xenophon besonders in den Blick nimmt, so hat dies eine doppelte Ursache: Einerseits haben wir es bei Xenophon selbst mit einem kriegserfahrenen Söldner und Kommandanten – etwa in den persischen Thronstreitigkeiten zwischen Kyros dem Jüngeren und Artaxerxes II. oder später an der Seite des spartanischen Feldherrn Agesilaos – zu tun, andererseits hat er diese Erfahrungen in reicher literarischer Fülle verarbeitet. Neben seinen historiographischen Hauptwerken, der Anabasis und den Hellenika, verfasste er einige didaktisch-propädeutische Schriften mit zahlreichen militärischen Details, so etwa den Hipparchikos, Peri hippikes oder den Agesilaos. Sie bilden das Grundgerüst, auf dem dann die in literarischen wie inschriftlichen Quellen verstreuten Einzelzeugnisse zu einer Militärgeschichte des 4. Jahrhunderts ausgebaut werden können.

Gerade die vermehrt von der Forschung betriebene gattungsübergreifende Schau auf die analytische Struktur in Xenophons Schriften ist bei solchen Studien hilfreich, befördert sie doch zum einen die Erkenntnismöglichkeiten im Bereich der systematischen Erfassung des Themenkomplexes durch Xenophon. Sie gemahnt zum anderen aber auch, Xenophons Ausführungen als das zu nehmen, was sie letztlich sind: eine subjektiv gefärbte, eher idealisierende, da einem Lehrgebäude und Lehrziel verpflichtete Darstellung, die historische Fakten in wissenschaftlicher Manier systematisierend zusammenstellt, um daraus Anleitungen zu verschiedenen, erlernbaren Spezialgebieten für die zeitgenössischen Leser zu generieren. Dessen ist sich Toalster durchaus bewusst, auch wenn er aufgrund der Ausrichtung seines Werkes auf die militärtaktische Entwicklung im 4. Jahrhundert nicht konstant diesen Aspekt im Blick behält, sondern militärhistoriographische Hauptziele verfolgt.

Toalster nimmt sich dieser diffizilen Ausgangslage für eine Untersuchung des Hipparchen in Xenophons Hellenika in sechs Schritten an: In seiner Einleitung (S. 9–32) eröffnet er das bislang wenig beackerte Forschungsfeld und steckt die Möglichkeiten sowie Grenzen seiner Analyse ab, indem er auf die Problematik von Xenophon als Hauptquelle sowie die Fokussierung auf letztlich drei Prototypen des erfolgreichen Feldherrn, Agesilaos, Iphikrates und Epaminondas, verweist. Sodann beleuchtet er die historischen wie militärischen Hintergründe, auf denen seine weiteren Ausführungen aufbauen (S. 33–60). Insbesondere spricht er hier die zahlreichen Machtverschiebungen nach dem Peloponnesischen Krieg zwischen Sparta, Athen und Theben sowie die gemeingriechischen Kriegskonventionen an; ebenso zeigt er die Tendenz der Personalisierung in der literarischen Beschreibung von Kriegsereignissen auf.

Im dritten Kapitel erweitert Toalster den Blick, indem er Organisation, Strategie und Taktik der klassischen griechischen Armee darstellt (S. 61–85); hier kommt er auch auf die „anderen“ Truppengattungen zu sprechen und widmet sich intensiver Xenophons programmatischer Schrift Hipparchikos, die er zu Recht als Spiegel für den erfolgreichen Feldherrn an und für sich klassifiziert. Leider konnte er hier die kleine monographische Untersuchung von Oliver Stoll zu dieser Schrift nicht mehr einarbeiten, welche die Innovationskraft der systematisch-logischen Herangehensweise Xenophons bezüglich der Generierung von idealen Führungspersönlichkeiten, auch und gerade über den engeren militärischen Bereich hinaus, herausarbeitet.3

An der von Xenophon sogar mit einem eigenen Elogium gewürdigten spartanischen Führungsfigur Agesilaos macht Toalster im folgenden dann die idealisierten Anforderungen an die Feldherrenausbildung fest (S. 87–100), zeigt jedoch ebenfalls auf, wie der Autor in apologetischer Tendenz bestimmte „Tugenden“ des Agesilaos, so etwa die Taktik der Kriegslist, heraushebt, die im zeitgenössischen Kontext gerade nicht als vorbildhaft galten. Wie sich beide Idealisierungen, die allgemeinere aus dem Hipparchikos und die persönlicher gefärbte aus dem Agesilaos, in die historiographischen Darstellung von Schlachten in den Hellenika spiegeln, untersucht der Autor dann detailliert im fünften Kapitel (S. 101–194). Hierbei spürt er an den drei Feldherren Agesilaos, Iphikrates sowie Epaminondas und deren Verhalten in unterschiedlichen Schlachten der historischen Grundlage der systematisch entwickelten Didaktik der Erziehung zur erfolgreichen Führungspersönlichkeit nach.

In dieser Analyse wie auch in der abschließenden Betrachtung zu den idealisierten Feldherrn (S. 195–215) zeigt sich deutlich, dass Xenophon ein genaues Gespür für Veränderungen innerhalb der Militärorganisation hat und dies an den drei ganz unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten festmacht. Je mehr der eine (Iphikrates) als Paradebeispiel der Umsetzung der im Hipparchikos geforderten Qualitäten eines Reiterfeldherrn dient, desto weniger experimentierfreudig im Bereich des Einsatzes von beweglicheren Truppenteilen, aber umso innovativer im Bereich der Neuorganisation der Hoplitenphalanx zeigte sich der andere (Epaminondas). Letztlich kann Toalster als das Nahziel der Ausführungen Xenophons in der historiographischen wie systematischen Behandlung des Reiterkommandanten den Nutzen der flexiblen Denk- und Handlungsweise für den militärischen Erfolg herausarbeiten. Insofern ist hier der Weg zu den neuen strategischen wie taktischen Mitteln der makedonischen Vollarmee bereits vorgezeichnet, wie Toalster richtigerweise argumentiert.

Zudem kommt immer wieder, jedoch bei Toalster aufgrund des militärischen Fokus der Arbeit nicht in systematischer Form, der Anspruch Xenophons zum Vorschein, nicht auf den engeren Bereich der Reiterfeldherrnkunst fixiert zu sein, sondern die an diesem Exemplum festgemachten Führungsprinzipien als allgemeingültige für den erfolgreichen Militär und darüber hinaus für jegliche Leitungsposition zu postulieren. Dieses latent vorhandene Ergebnis der Arbeit dürfte die angesprochene Neuwürdigung des gesamten xenophontischen Schrifttums weiter vorantreiben.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu das eindrucksvolle Themen- und Literaturspektrum bei Christopher Tuplin (Hrsg.), Xenophon and his World. Papers from a Conference Held in Liverpool in July 1999, Stuttgart 2004. Für den ökonomischen Bereich erarbeitet der Rezensent gerade eine größere Darstellung; vgl. zu Ansätzen jetzt Sven Günther, Zwischen Theorie und Praxis. Der Perserkönig als idealer Ökonom in Xenophons Schriften, in: ders. (Hrsg.), Ordnungsrahmen antiker Ökonomien. Ordnungskonzepte und Steuerungsmechanismen antiker Wirtschaftssysteme im Vergleich, Wiesbaden 2012, S. 83–96.
2 Zur Dissertationsfassung vgl. David Toalster, Schlachtenbeschreibungen im klassischen Griechenland, Diss. Universität Frankfurt 2007.
3 Oliver Stoll, Zum Ruhme Athens: Wissen zum Wohl der Polis. Xenophons Ideal einer Führungspersönlichkeit und Athens Reiterei im Hipparchikos ‚Logos‘, Berlin 2010.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension